Gericht | OLG Brandenburg 2. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 08.08.2022 | |
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Aktenzeichen | 2 AR 14/22 (S) | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:0808.2AR14.22S.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die Auslieferung des Verfolgten an die Vereinigten Staaten von Amerika unter Beachtung des Grundsatzes der Spezialität zur Strafverfolgung wegen grenzüberschreitender elterlicher Kindesentführung (Titel 18, § 1204 United States Code) zum Nachteil seiner Kinder Y… und D… nach näherer Maßgabe der Anklageschrift der Grand Jury des US-Bundesbezirksgerichts für den nördlichen Gerichtsbezirk von Alabama (Straffaell 5:22-cr-00009-AKK-HNJ) wird für zulässig erklärt.
2. Die Fortdauer der Auslieferungshaft wird angeordnet.
I.
Der Verfolgte wurde am 6. März 2022 aufgrund einer Interpol-Festnahmeausschreibung der Vereinigten Staaten von Amerika festgenommen und befindet sich derzeit in der Justizvollzugsanstalt … . Der Senat hat gegen ihn am 17. März 2022 zunächst die vorläufige und sodann am 12. Mai 2022 die förmliche Auslieferungshaft und zuletzt am 12. Juli 2022 deren Fortdauer angeordnet.
Die Behörden der Vereinigten Staaten von Amerika ersuchen mit an das deutsche Auswärtige Amt gerichteter Verbalnote der Botschaft nebst Beglaubigungsschreiben des Justizministers der Vereinigten Staaten und des zuständigen Abteilungsleiters um Auslieferung des Verfolgten zur Strafverfolgung. Dem Auslieferungsersuchen sind die eidesstattliche Erklärung der stellvertretenden Staatsanwältin beim US-Justizministerium für den nördlichen Gerichtsbezirk von Alabama vom 24. März 2022, die Anklageschrift der für den nördlichen Gerichtsbezirk von Alabama einberufenen Anklagejury (Straffall 5:22-CR-00009-AKK-HNJ), der Haftbefehl des US District Court, Nothern Disctrict of Alabama, vom 26. Januar 2022, ein Text der zugrunde liegenden Vorschrift des amerikanischen Bundesstrafrechts, die eidesstattliche Erklärung des leitenden Ermittlungsbeamten des United States F… B… vom 24. März 2022 sowie ein Lichtbild des Verfolgten beigefügt.
Dem Verfolgten wird gemäß Anklageschrift sowie der eidesstattlichen Erklärung der stellvertretenden US-Staatsanwältin für den nördlichen Gerichtsbezirk von Alabama vom 24. März 2022 eine grenzüberschreitende elterliche Kindesentführung zur Last gelegt (Verstoß gegen Titel 18, US-Bundesgesetz (United States Code), § 1204). Er soll seine im Jahr 2009 geborenen Zwillingstöchter D… und Y… unter Verstoß gegen die gerichtlich angeordneten Umgangsregelungen vom US-Bundesstaat Alabama in die Ukraine entführt haben, nachdem ihm das Kreisgericht des Landkreises Madisson zum Schutz vor Misshandlung der Kinder zunächst im Oktober 2020 durch gerichtliche Anordnung ein Kontaktverbot auferlegt und der Kindesmutter das vorläufige Sorgerecht zugesprochen und sodann nach mündlichen Anhörungen im November und Dezember 2020 ein Umgangsrecht für jeweils sieben Tage im Monat ohne Aufsicht eingeräumt hatte. Unter Verstoß gegen diese Umgangsregelungen soll er die am 26. April 2021 von der Kindesmutter bei einer Polizeiwache übergebenen Kinder nicht gemäß der Anordnung am 3. Mai 2021 zurückgebracht, sondern mit ihnen in die Ukraine geflogen sein.
Der Verfolgte ist zu dem Auslieferungsersuchen am 13. Juni 2022 vor dem Amtsgericht Cottbus gemäß § 28 IRG richterlich vernommen worden und hat sich hierbei mit der vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden erklärt und auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität nicht verzichtet.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, seine Auslieferung für zulässig zu erklären und die Haftfortdauer anzuordnen. Der Verfolgte hat durch seinen Beistand mit Schriftsatz vom 5. August 2022 Einwendungen erhoben.
II.
Der Senat entscheidet antragsgemäß.
1. Die Auslieferung des Verfolgten ist unter der Bedingung der Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes zulässig.
Die hierfür geltenden Voraussetzungen bestimmen sich nach dem Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 20. Juli 1978 (AuslV D-USA; BGBl II 1980 S. 647) in der Fassung des Zusatzvertrags vom 21. Oktober 1986 sowie des am 1. Februar 2010 in Kraft getretenen Zweiten Zusatzvertrags vom 18. April 2006 (BGBl II 2007 S. 1618; BGBl II 2010 S. 829)sowie dem Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferungen vom 25. Juni 2003 (ABl. EU Nr. L 181/27 vom 19.07.2003; BGBl. 2007 II S. 1618, 1643; 2010 II S. 829).
Die mit dem Auslieferungsersuchen übermittelten Auslieferungsunterlagen genügen den gemäß Art. 14, 29 AuslV D-USA geltenden Anforderungen.Die dem Verfolgten vorgeworfene Straftat ist hinreichend konkret umschrieben. Die Auslieferungsfähigkeit gemäß Art. 2 AuslV D-USA ist gegeben. Die erforderliche beiderseitige Strafbarkeit liegt vor. Die dem Verfolgten zur Last gelegten Tat ist auch nach deutschem Recht strafbar (§ 235 StGB) und die in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Deutschland geltende Höchststrafe beträgt jeweils mindestens ein Jahr. Auch handelt es sich um eine allgemein kriminelle Handlung nicht politischer, militärischer oder fiskalischer Art (vgl. Art. 4-6 AuslV D-USA).
Dass dem Auslieferungsersuchen – außer der eidesstaatlichen Versicherung der Bundesstaatsanwältin sowie des Ermittlungsführers der US-Bundespolizei – keine weiteren Beweismittel beigefügt sind, die gemäß Art. 14 Abs. 3a US-AuslV nach deutschem Recht eine Prüfung des hinreichenden Tatverdachts ermöglichen würden, wenn die Tat in Deutschland begangen worden wäre, ist unschädlich, denn im Auslieferungsverkehr mit den Vereinigten Staaten von Amerika besteht für eine Prüfung des hinreichenden Tatverdachts regelmäßig kein Anlass (vgl. hierzu Senat, Beschl. v. 25. September 2003 – 2 Ausl [A] 19/03; OLG Dresden, Beschl. v. 14. Januar 2011 – OLG Ausl 79/10; jeweils zit. nach Juris). Besondere Umstände des Falles, die Anlass zu einer Prüfung des hinreichenden Tatverdachtes ergeben könnten (§ 10 Abs. 2 IRG), liegen auch unter Berücksichtigung der für den Verfolgten vom Beistand im Schriftsatz vom 5. August 2022 dargelegten Gesichtspunkte nicht vor. Dass der Verfolgte die Tatbegehung bestreitet und einen abweichenden Sachverhalt schildert, genügt hierfür nicht (vgl. Schomburg/Lagogny/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 10 IRG, Rdnr. 36ff.).
Auslieferungshindernisse liegen nicht vor. Dem Verfolgten droht in den Vereinigten Staaten von Amerika im Falle eines Schuldspruchs entsprechend dem insoweit geltenden Strafrahmen von bis zu drei Jahren keine unverhältnismäßig harte und unter jedem Gesichtspunkt als unangemessen erscheinende Sanktion. Ferner gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der ersuchende Staat nach einer Auslieferung nicht an den gemäß Art. 22 Abs. 1 AuslV D-USA zu beachtenden Spezialitätsgrundsatz halten würde. Auch die vom Verfolgten zu erwartenden Haftbedingungen in den Vereinigten Staaten von Amerika bieten keine begründeten Anhalte für die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung. Die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in Berlin hat auf Anfrage mit Verbalnote vom 11. Juli 2022 mitgeteilt, dass die Haftbedingungen, die den Verfolgten erwarten, nicht den möglicherweise problematischen Haftbedingungen im Bundesstaat Alabama entsprächen. Gegen den Verfolgten werde im Falle seiner Auslieferung weder Untersuchungshaft noch Strafhaft in Haftanstalten des Staates Alabama vollzogen. Vielmehr werde er – soweit es zum Vollzug kommen sollte – durchgehend in Bundesgefängnissen bzw. in Bezirksgefängnissen der Bezirksbehörden unter der Aufsicht der Justizpolizei des Bundes untergebracht werden. Stichhaltige Anhaltspunkte dafür, dass im Fall einer Auslieferung des Verfolgten eine aus den Haftbedingungen im ersuchenden Staat resultierende Verletzung der Menschenwürde zu besorgen sein könnte oder sonst die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze, das unabdingbare Maß an Grundrechtsschutz oder der verbindliche völkerrechtliche Mindeststandard gemäß Art. 25 GG nicht eingehalten werden würde, sind insoweit nicht ersichtlich.
2. Aus den fortdauernden Gründen des Auslieferungshaftbefehls des Senats vom 12. Mai 2022 liegt unverändert der Haftgrund der Fluchtgefahr vor (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG). Der Verfolgte hat mit einer erheblichen Bestrafung zu rechnen und verfügt über keine hinreichenden sozialen Bindungen in der Bundesrepublik Deutschland, die den bestehenden Fluchtanreiz entkräften könnten. Weniger einschneidende Maßnahmen bieten bei dieser Sachlage nach wie vor keine Gewähr, die Durchführung des Auslieferungsverfahrens sicherzustellen.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht aus den Gründen des Senatsbeschlusses vom 12. Juli 2022, auf den Bezug genommen wird, der Fortdauer der Auslieferungshaft weiterhin nicht gegeben. Dies gilt entgegen der vom Beistand vertretenen Auffassung auch unter Berücksichtigung der Schwere des Tatvorwurfs und der vom Verfolgten in den Vereinigten Staaten von Amerika zu erwartenden Sanktion. Das Auslieferungsverfahren ist ferner bislang mit hinreichender Beschleunigung geführt worden.
3. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 30 Abs. 3, § 31 IRG) ist nicht veranlasst.