Gericht | VG Cottbus 8. Kammer | Entscheidungsdatum | 27.06.2022 | |
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Aktenzeichen | VG 8 L 63/22 | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2022:0627.8L63.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 41 SGB 8, § 27 SGB 8, § 123 VwGO, § 34 SGB 8 |
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig rückwirkend ab dem 23. Februar 2022 bis längstens zum 30. Oktober 2023 für dessen Betreuung im E ... Hilfe für junge Volljährige in Form der Unterbringung in einer betreuten Wohnform gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 27, 34, 39 des Achten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt der Antragsgegner.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 87a Abs. 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) im Einverständnis mit den Beteiligten durch die Vorsitzende der Kammer als Berichterstatterin.
Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm bis zum Ende seiner Ausbildung im Oktober 2023 für seine Betreuung im E ... Hilfe für junge Volljährige in Form der Unterbringung in einer betreuten Wohnform gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 27, 34, 39 SGB VIII zu gewähren,
ist nach § 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 VwGO statthaft, da in der Hauptsache eine Verpflichtungsklage im Sinne von § 42 Abs. 1 VwGO zu erheben wäre. Er ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere steht nicht entgegen, dass der Antragsgegner die dem Antragsteller zuvor bereits gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 27, 34 SGB VIII geleistete Hilfe mit Bescheid vom 29. September 2021 zum 31. Dezember 2021 bestandskräftig eingestellt hat, vgl. § 41 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII. Denn der Antragsteller hat diesbezüglich jedenfalls mit seinem Widerspruch vom 21. Februar 2022 gegen den Bescheid vom 31. Januar 2022, mit dem ihm der Antragsgegner nunmehr eine (lediglich) ambulante Hilfe in Form der Erziehungsbeistandschaft gemäß § 30 SGB VIII bewilligt hat, einen Antrag auf Fortführung der Hilfe nach § 41 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 27, 34 SGB VIII gestellt, der ersichtlich noch nicht abschließend beschieden wurde. Da zudem im vorliegenden Fall davon auszugehen ist, dass die entsprechende Entscheidung des Antragsgegners – wie angesichts der grundsätzlich begründeten Einstellungsentscheidung bereits der Bescheid vom 29. September 2021 – jedenfalls den Zeitraum bis zum 23. November 2023 (§ 41 Abs. 1 Satz 2, 1. HS. SGB VIII) umfasst, ist die Entscheidungskompetenz des Gerichtes auch in zeitlicher Hinsicht eröffnet.
Der Antrag ist begründet.
Es spricht im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens ganz Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Fortführung der ihm ursprünglich gewährten Hilfe für junge Volljährige in Form seiner Unterbringung und Betreuung im Rahmen des sog. E ... in Polen gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 27, 34 SGB VIII hat.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der von einem Antragsteller geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, also eine besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) sind von ihm glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung. Erstrebt ein Antragsteller – wie hier – eine der Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich widersprechende teilweise oder gänzliche Vorwegnahme der Entscheidung der Hauptsache, kommt eine einstweilige Anordnung dabei nur ausnahmsweise in Betracht, wenn nämlich das Begehren in der Hauptsache schon auf Grund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden summarischen Prüfung des Sachverhaltes mit größter Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird und dem Antragsteller ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schlechthin unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstünden (vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Juni 2010 – 4 S 98.09 -, juris Rn. 17 ff.; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25. Juli 2012 – 1 M 65/12 -, juris Rn. 3).
Dies ist hier der Fall.
Der Antragsteller hat zum einen das Vorliegen eines Anordnungsanspruches hinreichend glaubhaft gemacht.
Junge Volljährige erhalten gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII geeignete und notwendige Hilfe, wenn und solange ihre Persönlichkeitsentwicklung eine selbstbestimmte, eigenverantwortliche und selbständige Lebensführung nicht gewährleistet. § 41 SGB VIII ist durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz vom 3. Juni 2021 (BGBl. I S. 1444) im Hinblick namentlich auf die teilweise nur restriktive Gewährung von Leistungen in der Praxis konkretisiert und zu einem gebundenen individuellen Rechtsanspruch weiterentwickelt worden. Der Prüfungsauftrag an den öffentlichen Jugendhilfeträger lautet nach dem Willen des Gesetzgebers nunmehr, festzustellen, ob im Rahmen der Möglichkeiten des jungen Volljährigen die Gewährleistung einer Verselbständigung nicht oder nicht mehr vorliegt. Ist dies der Fall, so muss dem jungen Volljährigen in jedem Fall eine geeignete und notwendige Hilfe (weiterhin) gewährt werden. Eine Hilfegewährung nach § 41 SGB VIII verlangt keine Prognose dahingehend, dass die Befähigung zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres oder bis zu einem begrenzten Zeitraum darüber hinaus erreicht wird. Die Prognoseentscheidung nach dem neu gefassten Satz 1 der Regelung erfordert nun vielmehr eine „Gefährdungseinschätzung“ im Hinblick auf die Verselbständigung (vgl. BT-Drs 19/26107, S. 94).
Einzuschätzen ist folglich, welche Gefährdung sich im Hinblick auf die Verselbständigung ergibt, sofern keine Hilfe für junge Volljährige gewährt wird, ob also im Rahmen der Möglichkeiten des jungen Volljährigen die Verselbständigung zu erwarten ist (vgl. Wiesner, SGB VIII, 6. Aufl. 2022, § 41 Rn. 23). Dies ist eine Auslegungsfrage im Einzelfall, die nicht schematisch, sondern maßgeblich anhand der konkreten Wechselwirkung von sozialer Lebenslage und den Möglichkeiten, daraus resultierende Schwierigkeiten zu bewältigen, zu beantworten ist. Zweifel in der Beurteilung dürften dabei eher zugunsten des jungen Volljährigen wirken (vgl. Wiesner, a. a. O., § 41 Rn. 10 m.w.N.).
Hier verfügt der am 24. November 2002 geborene Antragsteller bereits über eine längere Hilfe-Biographie einschließlich stationärer intensivpädagogischer Unterbringung im Sinne von § 34 SGB VIII, nachdem bei ihm im Jugendalter eine seelische Behinderung insbesondere mit einer Störung des Sozialverhaltens festgestellt worden war. Infolge der Zuspitzung der Situation nach erfolgreichem Schulabschluss einschließlich Verweigerungshaltung und Alkohol- und Drogenmissbrauch wurde er ab dem 25. November 2019 in das Auslandsprojekt „E ... “ des freien Jugendhilfeträgers R ... aufgenommen und in dessen Rahmen bei der Familie H ... untergebracht. Nachdem er im Hinblick auf seine bevorstehende Volljährigkeit am 23. September 2020 einen Antrag auf Hilfe für junge Volljährige in Form der Weiterführung seiner Unterbringung in Polen gestellt hatte, bewilligte der Antragsgegner mit Bescheiden vom 9. Dezember 2020, 13. Januar 2021 und 24. Juni 2021 die beantragte Hilfe zunächst bis zum 30. September 2021 und verlängerte diese im Ergebnis des Hilfeplangesprächs vom 28. September 2021 bis zum 31. Dezember 2021.
Insofern ist davon auszugehen, dass der Antragsteller zu dem von § 41 SGB VIII erfassten Personenkreis gehört, wovon ersichtlich auch der Antragsgegner im Grundsatz ausgegangen ist, wie die bereits bewilligte Hilfe für junge Volljährige zeigt. Dass „unstreitig“ ein Bedarf nach § 41 SGB VIII bestehe, findet sich dementsprechend auch wiederholt in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners vermerkt, so etwa im Protokoll der Teamberatung vom 6. Oktober 2020 oder im Protokoll des Hilfeplangesprächs vom 12. August 2021. Ist für einen Betroffenen bereits im Kindheits- und Jugendalter Hilfe zur Erziehung oder Eingliederungshilfe geleistet worden, besteht dieser Hilfebedarf aber über den Eintritt der Volljährigkeit hinaus fort, ist sie entsprechend fortzuführen, wobei zentrales Anliegen der Hilfe es regelmäßig sein muss, dem jungen Menschen bei der Verselbständigung zu helfen.
Nach den vorliegenden Unterlagen und dem Vorbringen der Beteiligten hat das Gericht keinen Zweifel daran, dass der Antragsteller einen entsprechenden Hilfebedarf hat. Zwar hat er im Rahmen des Projektes ersichtlich eine Stabilisierung erfahren und hinsichtlich der Bewältigung einer eigenständigen – und suchtmittelfreien - Lebensführung entscheidende Fortschritte gemacht. Im November 2020 hat er zudem eine 36 Monate umfassende Ausbildung zum Kfz-Mechantroniker begonnen. Den vorliegenden Protokollen der Hilfeplangespräche und den Entwicklungsberichten des freien Trägers lässt sich aber entnehmen, dass diese Entwicklung des Antragstellers entscheidend durch seine engmaschige Betreuung im Rahmen der häuslichen Unterbringung wie auch bei der Ausbildung gewährleistet wird, die den notwendigen stützenden Rahmen insoweit bildet, und noch längst nicht abgeschlossen ist (vgl. etwa die Entwicklungsberichte vom 7. Mai 2021, vom 7. Juli 2021 und vom 13. September 2021). Dabei ist zu beachten, dass gerade der Missbrauch von Suchtmitteln als biographisch erworbene – der Vater des Antragstellers ist alkoholkrank und der Antragsteller hat auch im dortigen häuslichen Kontext Suchtmittel konsumiert – „Bewältigungsstrategie“ einer nachhaltigen und verhaltenstherapeutischen Intervention bedarf, um durch sozialadäquate Handlungskompetenzen ersetzt zu werden, die eine konstruktive Bewältigung von Lebensereignissen ermöglichen. Gerade wenn – wie im Fall des Antragstellers - aus dem sonstigen lebensweltlichen Kontext (Familie, Freunde) insoweit kaum eine ausreichende Unterstützung erwartet werden kann, kommt der Verlässlichkeit, Stabilität und Beständigkeit des Hilfe-Settings eine entscheidende Bedeutung zu. So verweisen auch die hier vorliegenden Entwicklungsberichte nachvollziehbar immer wieder darauf, dass ein Abbruch der Maßnahme bzw. deren vorzeitige Beendigung namentlich vor Abschluss der Berufsausbildung die relevante Gefahr in sich birgt, dass der Antragsteller in alte, destruktive Verhaltensweisen zurückfällt und damit letztlich im Prozess seiner Verselbständigung scheitert. Der nach wie vor bestehende Suchtdruck vor allem in Krisensituationen wird auch von dem Antragsteller bestätigt. Ebenso hat er zum Ausdruck gebracht, dass die Anforderung, eigenen Wohnraum zu beziehen, ihn gegenwärtig noch völlig überfordere und stressauslösend sei. Zwar hat er auch insoweit schon Kompetenzen erworben, kann etwa seine Wäsche selbst waschen und im Haushalt helfen. In anderen Bereichen, etwa dem Einkaufen und Umgang mit Geld, Zubereiten von Mahlzeiten und der Gestaltung der Freizeit hat er dagegen ersichtlich noch Hilfebedarf. Noch entscheidender dürfte in diesem Zusammenhang aber sein, dass der Antragsteller nach wie vor eines begleitenden und stabilen sozialen Kontextes – letztlich einer gleichsam familiären Einbindung – bedarf, um seine durch seine bisherige Biographie verzögerte und teilweise fehlgeleitete Persönlichkeitsentwicklung weiterzuführen. Die stützenden Erfahrungen von Zugehörigkeit, Angenommensein, Wertschätzung und Anleitung erscheinen insoweit ebenso geeignet wie erforderlich, den verzögerten Reifeprozess des Antragstellers positiv zu beeinflussen und damit eine künftig eigenständige Lebensführung zu gewährleisten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass in den veränderten, von Digitalisierung, Pluralisierung und Globalisierung geprägten Lebenswelten junge Menschen Familien bis weit in das dritte Lebensjahrzehnt hinein Entwicklungs- und Betreuungsfaktoren bleiben und den zentralen Ort des Aufwachsens junger Menschen bilden. Sie stellen nicht nur die elementare Unterstützungs- und Versorgungsgemeinschaft dar, sondern geben regelmäßig den erforderlichen Rückhalt und emotionale Unterstützung (vgl. hierzu auch Wiesner, a. a. O., § 41 Rn. 11). Gerade junge Menschen, die wie der Antragsteller zum Adressatenkreis der Kinder- und Jugendhilfe zählen, haben diesbezüglich häufig weniger Ressourcen zu Verfügung, zählen eher zu den Bildungsverlierern und müssen dennoch schneller eine Verselbständigung als Entwicklungsaufgabe bewältigen als andere, was nicht selten zu Überforderungssituationen und Problemen in der Lebensgestaltung führt. Dies kennzeichnet ihren spezifischen Hilfebedarf.
Die im Rahmen des § 41 SGB VIII vorzunehmende „Gefährdungseinschätzung“ führt unter Berücksichtigung dieser Umstände im Rahmen der im Eilverfahren nur möglichen, aber auch nur gebotenen summarischen Prüfung zu der Annahme, dass die Verselbständigung des Antragstellers ohne die Fortführung der ihm zuvor nach § 41 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 27, 24 SGB VIII geleisteten Hilfe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (noch) nicht gewährleistet wäre, der Antragsteller vielmehr, auf sich selbst gestellt und gemessen am Grad seiner Autonomie, seiner Durchhalte- und Konfliktfähigkeit, der Fähigkeit zum Aufbau von Beziehungen zur sozialen Umwelt und der Fähigkeit zur Bewältigung der Anforderungen des täglichen Lebens (vgl. hierzu Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. März 2021 – OVG 6 S 7/21 -, juris Rn. 6), an den Lebensbewältigungsanforderungen scheitern würde. Denn ohne Fortführung des E ... für ihn verlöre der Antragsteller nicht nur den ihn bislang erheblich stützenden sozialen Kontext und die sozialpädagogische Begleitung, sondern hätte aller Voraussicht nach auch keine Möglichkeit, die bereits begonnene Ausbildung abzuschließen. Wie der vorliegende Verwaltungsvorgang eindrucksvoll belegt, ist es den Fachkräften des Antragsgegners und des freien Trägers im Laufe des mehr als ein Jahr umfassenden Prozesses zu der von dem Antragsgegner angestrebten Beendigung der stationären Hilfemaßnahme nicht gelungen, tragende Alternativen zu entwickeln, die es dem Antragsteller in finanzieller Hinsicht ermöglichen würden, seine Ausbildung auch ohne Fortführung der stationären Hilfe fortzusetzen und zu beenden. Insofern erscheint es ausgeschlossen, dass der Antragsteller dies ohne Fortsetzung des Projektes bewältigen könnte. Die Realisierung geeigneter, sozialpädagogisch begleiteter Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen hat jedoch einen erheblichen Anteil an der gesellschaftlichen Integration junger Menschen und der Entfaltung ihrer Persönlichkeit und gehört deshalb auch zum elementaren Leistungsspektrum, vgl. § 41 Abs. 2 i. V. m. § 27 Abs. 3 Satz 2, 13 Abs. 2 SGB VIII.
Das Gericht übersieht in diesem Kontext nicht, dass wesentliche Schwierigkeiten insoweit gerade aus dem Auslandsbezug der Maßnahme resultieren, vgl. etwa § 56 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 58 Abs. 2 SGB III oder § 24 SGB XII. Nicht umsonst sind Hilfen zur Erziehung grundsätzlich im Inland zu erbringen, § 27 Abs. 2 Satz 3 SGB VIII; im Ausland dürfen sie nur dann erbracht werden, wenn dem im Einzelfall gegebenen erzieherischen Bedarf nur dadurch entsprochen werden kann, wenn die Auslandsmaßnahme im Hinblick auf den individuellen erzieherischen Bedarf die allein geeignete und notwendige Hilfe darstellen.
Das Gericht geht jedoch davon aus, dass eine entsprechende Bedarfslage im Fall des Antragstellers gegeben gewesen ist, als die Entscheidung getroffen wurde, ihn in dem Auslandsprojekt unterzubringen. Die vorliegenden Unterlagen und das Vorbringen namentlich des Antragsgegners lassen nicht erkennen, dass diese Grund-Entscheidung etwa revidiert werden solle. Insofern hat der Antragsgegner eine wesentliche Bedingung dafür gesetzt, dass der Antragsteller die Fortführung der Hilfe gerade im Rahmen des Projektes auch als junger Volljähriger begehren kann. Auch die Einschätzung des freien Trägers, dass dem Antragsteller im Hinblick auf seine schulische Vorbildung und den Umstand, dass die Ausbildung im Betrieb des „Pflegevaters“ individuell angepasst auf sein Tempo und seine Möglichkeiten erfolgt, eine entsprechende Ausbildung in Deutschland nicht gleichermaßen zugänglich wäre, ist der Antragsgegner nicht entgegengetreten. Abgesehen davon dürfte ein Abbruch der Ausbildung nicht nur in ökonomischer und zeitliche Hinsicht weder geboten noch sachgerecht erscheinen, sondern vor allem die diesbezügliche Lebensleistung des Antragstellers mit negativen Auswirkungen auf sein Selbstverständnis und seine Persönlichkeit entwerten. Dass die Handwerkskammer C ... die Ausbildung als einer deutschen Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker nicht gleichwertig bewertet hat, steht insoweit nicht entgegen. Zum einen hat der Antragsteller unwidersprochen vorgetragen, dass andere Bundesländer die Ausbildung als gleichwertig anerkennen, zum anderen hätte er auch im Land Brandenburg die Möglichkeit, die Ausbildung durch eine entsprechende Zusatzqualifizierung anerkennen zu lassen.
Dementsprechend erscheint die Fortführung des E ... für den Antragsteller die im Hinblick auf seine Bedarfslage geeignete und notwendige Hilfe, die er nach § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII beanspruchen kann.
Der Antragsgegner ist dem nicht wirkungsvoll entgegengetreten. Dass er eine den Anforderungen des § 41 SGB VIII genügende „Gefährdungseinschätzung“ hinsichtlich der Verselbständigung des Antragstellers vorgenommen hat, lässt sich weder den vorliegenden Unterlagen noch seinem Vorbringen entnehmen. Die von ihm betriebene Beendigung der stationären Hilfe dürfte vielmehr den Blick auf die Bedarfslage des Antragstellers verstellt haben, zumal nicht im Ansatz erkennbar ist, aufgrund welcher konkreten Tatsachen und Umstände er davon ausging, dass der Verselbständigungsprozess des Antragstellers so weit fortgeschritten ist, dass dessen bloß ambulante Betreuung ausreichen würde, seinen Hilfebedarf zu decken. Wie oben bereits dargelegt, ist nicht ersichtlich, dass er Antragsteller dieser Aufgabe gerade auch im Hinblick auf die aufgetretenen Schwierigkeiten bei der Sicherung seines Lebensunterhaltes bereits gewachsen wäre. Insofern hat der Antragsgegner ersichtlich vernachlässigt, dass die Hilfe für junge Volljährige regelmäßig in einer den §§ 34, 35 SGB VIII nachgebildeten Form der sozialpädagogischen Gruppen- oder Einzelbetreuung besteht, da diese Hilfeform am ehesten den Anforderungen einer lebensweltorientierten Hilfe entsprechen und die Möglichkeit für individuelle Betreuungslösungen eröffnen dürfte. Die Einschätzungen der Fachkräfte des freien Trägers, wonach die engmaschigen Strukturen und die Einbindung des Antragstellers in einen stabilen Bezugsrahmen die entscheidenden Stabilitätsfaktoren bilden, ohne die der Antragsteller mit hoher Wahrscheinlichkeit in alte Verhaltensmuster zurückfallen würde, hat er ersichtlich ebenfalls nicht hinreichend berücksichtigt. So belegt jedoch etwa das Protokoll des Hilfeplangespräches vom 7. April 2022 nachdrücklich, wie der – durch die erfolgte Einstellung der stationären Hilfe zum Ende des Jahres 2021 – merklich demotivierte Antragsteller angesichts dieser Schwierigkeiten zurück in eine aggressive Verweigerungshaltung verfällt und zudem einen enormen Suchtdruck erlebt.
In zeitlicher Hinsicht ist der Anspruch zunächst auf den Zeitraum bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres begrenzt, § 41 Abs. 1 Satz 2, Halbsatz 1 SGB VIII, wobei der Antragsteller seinen Antrag vorliegend auf den Zeitraum bis einschließlich Oktober 2023 beschränkt hat, so dass ein darüberhinausgehender Ausspruch des Gerichtes nicht erfolgt. Zwar ist auch eine darüberhinausgehende Hilfe nach dem zweiten Halbsatz der Regelung im Einzelfall nicht ausgeschlossen, was aber eine erneute Prüfung nach Maßgabe eines strengeren Maßstabes voraussetzt.
Daran, dass die Entscheidung eilbedürftig ist, da der Verbleib des Antragstellers in dem Projekt zwingend an dessen Finanzierungsmöglichkeit gekoppelt ist und der für den Zeitraum des vorliegenden Eilverfahrens in Vorleistung getretene freie Träger dies nicht längerfristig gewährleisten könnte, bestehen keine Zweifel, so dass auch ein Anordnungsgrund gegeben ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
Einer Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag des Antragstellers bedarf es im Hinblick auf die tenorierte Kostentragung nicht mehr.