Gericht | ArbG Cottbus 4. Kammer | Entscheidungsdatum | 16.06.2021 | |
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Aktenzeichen | 4 BV 3/20 | ECLI | ECLI:DE:ARBGCOT:2021:0616.4BV3.20.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 76 Abs 5 S 4 BetrVG, § 87 Abs 1 Nr 4 BetrVG |
Die Einigungsstelle ist zuständig für die Regelung der Fälligkeit des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes.
Der Charakter der Sonderzahlung Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld führt dazu, dass dieses nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden kann.
Es verstößt gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates, wenn der Arbeitgeber einseitig die Fälligkeit des Weihnachts- und Urlaubsgeldes verändert.
Der Antrag wird zurückgewiesen.
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs vom 27.01.2020.
Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) betreibt einen Betrieb zur Herstellung dekorativer Schichtstoffplatten. Sie beschäftigt an ihrem Standort in S. insgesamt ca. 130 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einschließlich ca. 30 Leiharbeiter.
Der Antragsgegner (Beteiligte zu 2) ist der bei der Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat, vertreten zuletzt durch die Betriebsratsvorsitzende Frau W..
Die bei der Arbeitgeberin bis zum 31.12.2014 zur Anwendung kommenden Arbeitsverträge enthielten zur Zahlung des Weihnachtsgeldes folgende Regelungen:
„Weihnachtsgratifikation
Eine Weihnachtsgratifikation wird in Höhe von 50 % gewährt.
Der Betrag ermittelt sich aus dem Verdienst (ohne Einmalbezüge) Januar bis September eines Jahres.
Die Gratifikation wird mit der Lohnzahlung November fällig.
Arbeitnehmer, die der Firma am 01.12. eines Jahres weniger als vier Monate angehören, haben keinen Anspruch.
Arbeitnehmer, die der Firma am 01.12. des Jahres weniger als 12 Monate angehören, erhalten eine anteilige Gratifikation.
Beim Ausscheiden innerhalb von vier Monaten nach Zahlung der Gratifikation aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegt, ist der Betrag zurückzuzahlen. Das gleiche gilt für die Kündigungen durch den Arbeitnehmer.“
Seit dem 01.01.2015 verwendet die Arbeitgeberin dieses Vertragsmuster nicht mehr. Das nunmehr verwendete Vertragsmuster bei Neueinstellungen seit dem 01.01.2015 regelt, das Urlaubs- und Weihnachtsgeld monatlich zu je 1/12tel zu zahlen sind. Darüber hinaus ist in § 4 Ziffer 2 des neuen Vertragsmusters folgendes geregelt:
„Weiter erhält der Arbeitnehmer ein Urlaubs- und Weihnachtsgeld gemäß Anlage 2 dieses Arbeitsvertrages. Urlaubs- und Weihnachtsgeld werden dabei als rein leistungsbezogene Vergütungsbestandteile geleistet und sind daher auf den gesetzlichen Mindestlohn gemäß § 1 Abs. 2 MiLoG anrechenbar.“
Die Arbeitgeberin zahlte in der Vergangenheit das Weihnachtsgeld mit der Lohnabrechnung für November des jeweiligen Jahres und das Urlaubsgeld für die gewerblichen Arbeitnehmer in dem Folgemonat, in dem der Urlaub gewährt wurde und für die Angestellten in zwei gleichen Teilen mit den Gehaltsabrechnungen für Juni und September des Jahres. Hierüber gab es keine Vereinbarung mit dem Betriebsrat. Ohne Zustimmung des Betriebsrats ging die Arbeitgeberin ab dem 01.01.2015 dazu über, für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Betrag in monatlichen Raten auszuzahlen. Die Quotelung führte dazu, dass die Arbeitgeberin das Urlaubsgeld und das Weihnachtsgeld auf den Mindestlohn anrechnete. Das betraf insbesondere Arbeitsverhältnisse, bei denen die Arbeitgeberin ein Grundentgelt von weniger als den Mindestlohn von 8,50 Euro bzw. 8,84 Euro pro Stunde zahlte.
Nachdem der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht geltend gemacht hatte, trat eine Einigungsstelle zur Erstellung einer Betriebsvereinbarung über eine Regelung zur Auszahlung Arbeitsentgelt unter dem Vorsitz der Vorsitzenden Richterin am Arbeitsgericht Cottbus Frau H. in der Zeit vom 28.04.2017 bis zum 06.10.2017 zusammen. Am 06.10.2017 beschloss die Einigungsstelle mit den Stimmen der vom Betriebsrat entsandten Beisitzer und der Vorsitzenden eine Regelung zur Auszahlung Arbeitsentgelt, die der bis zum 31.12.2014 ausgeübten Praxis entsprach. Der Spruch der Einigungsstelle wurde mit Antragsschrift vom 25.10.2017 vor dem Arbeitsgericht Cottbus unter dem Aktenzeichen 3 BV 59/17 von der Arbeitgeberin angefochten. Mit Vergleich vom 21.11.2018 einigten sich die Betriebsparteien über die Errichtung einer weiteren Einigungsstelle über den Regelungsgegenstand Entgeltordnung und Auszahlung Arbeitsentgelt, § 87 Abs. 1 Nr.4 und 10 BetrVG unter dem Vorsitz der Richterin am Arbeitsgericht Cottbus H..
Das dem folgende Einigungsstellenverfahren vom 11.02.2019 bis 27.01.2020 endete mit Spruch vom 27.01.2020. Der mit den Stimmen des Betriebsrats und der Vorsitzenden beschlossene Spruch lautet hinsichtlich der Auszahlung der Arbeitsvergütung wie folgt;
§ 4 Abs. 3
Beschäftigtete, bei denen einzelvertraglich die Zahlung eines Urlaubs- und / oder Weihnachtsgeldes vereinbart ist, erhalten dieses wie folgt ausgezahlt:
a) Urlaubsgeld:
Das Urlaubsgeld für die gewerblichen Arbeitnehmer wird entsprechend § 4 Abs. 1 mit der Lohnabrechnung des Monats ausgezahlt, die dem Monat folgt, in dem Urlaub gewährt worden ist.
Das Urlaubsgeld für die Angestellten wird in zwei gleichen Teilen mit den Gehaltsabrechnungen für Juni und September abgerechnet.
b) Weihnachtsgeld.
Soweit Anspruch auf Weihnachtsgeld besteht, ist dieses mit der Lohnabrechnung für November eines jeden Jahres fällig.
Auf die Betriebsvereinbarung „Auszahlung Arbeitsentgelt“ Blatt 14 – 16 der Akte sowie auf das Protokoll der Sitzung der Einigungsstelle vom 27. Januar 2020 Blatt 80 – 83 der Akte wird verwiesen.
Der Beschluss der Einigungsstelle wurde den Betriebsparteien am 27.01.2020 zugestellt.
Mit dem am 03.02.2020 beim Arbeitsgericht Cottbus eingegangenen, dem Betriebsrat am 12.02.2020 zugestellten Antrag im Beschlussverfahren begehrt die Arbeitgeberin die Feststellung, dass der Spruch der Einigungsstelle über eine Regelung zur „Auszahlung Arbeitsentgelt“ vom 27.01.2020, zugegangen am 27.01.2020, unwirksam ist.
Die Arbeitgeberin ist der Ansicht, der Spruch der Einigungsstelle vom 27.01.2020 treffe eine Fälligkeitsregelung, die zum Nachteil der Mitarbeiter der Arbeitsgeberin die Fälligkeit des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes unter Verstoß gegen individualrechtlicher Absprachen nach hintern verschiebe. Es gebe keinerlei Veranlassung, die Fälligkeitsregelung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes nach hinten zu verschieben und zwinge die Arbeitgeberin, sich gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die nach dem 01.01.2015 eingestellt wurden, vertragswidrig zu verhalten.
Darüber hinaus meint die Arbeitgeberin, dass in dem Vertragsmuster ab 01.01.2015 definiert sei, das Urlaubs- und Weihnachtsgeld rein leistungsbezogene Vergütungsbestandteile seien und damit auch den gesetzlichen Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 MiLoG anrechenbar sind. Daher sei sie als Arbeitgeberin auch berechtigt, das Urlaubs- und Weihnachtsgeld monatlich auf den gesetzlichen Mindestlohn anzurechnen, so dass für die Arbeitgeberin keine zusätzlichen Gehaltsverpflichtungen bestünden. Damit sei die Arbeitgeberin auf der Rechtsprechungslinie des Bundesarbeitsgerichts. Durch die kollektive Regelung sei sie als Arbeitgeberin nunmehr verpflichtet, Urlaubs- und Weihnachtsgeld in einem bestimmten Monat auszuzahlen und könne daher dieses nur in beschränktem Maße auf den Mindestlohn anrechnen. Damit greife der Spruch der Einigungsstelle in unzulässiger Weise in die lohnpolitische Entscheidung der Lohn- und Gehaltshöhe ein. Sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Festlegung der Lohn- und Gehaltshöhe sei mitbestimmungsfrei.
Die Arbeitgeberin beantrag,
festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle über eine Regelung zur Auszahlung Arbeitsentgelt vom 27.01.2020, zugegangen am 27.01.2020 unwirksam ist.
Der Betriebsrat beantrag,
den Antrag zurückzuweisen.
Er macht geltend, dass der Spruch der Einigungsstelle der seit vielen Jahren geübten Praxis der Arbeitgeberin hinsichtlich der Auszahlung von Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld entspreche. Indem die Arbeitgeberin diese Praxis eigenmächtig geändert habe, habe sie die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 97 BetrVG missachtet. Die Auszahlung des Arbeitsentgeltes hinsichtlich der Auszahlungszeit, des Ausbildungsortes und die Art und Weise der Auszahlung sei nach § 87 Abs. 1 Ziffer 4 BetrVG mitbestimmungspflichtig.
Der Betriebsrat meint, der Spruch der Einigungsstelle folge auch dem Gebot des Sachzusammenhangs. Das Urlaubsgeld soll im Zusammenhang mit dem gewährten Urlaub gezahlt werden. Die Zahlung des Weihnachtsgelds sollte eine Nähe zum Weihnachtsfest haben.
Der Betriebsrat ist der Ansicht, mit der Anrechnung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes auf den monatlichen Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz verletze die Antragstellerin die Regelungen des MiLoG. Damit hätten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Unternehmen den Nachteil, dass sie, da nunmehr das Urlaubs- und Weihnachtsgeld angerechnet werde, lediglich den Mindestlohn erhalten und keine weitere Zahlung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes. Das Mindestlohngesetz sehe eine Anrechnung nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen die zum Inhalt der mündlichen Verhandlung gemacht wurden verwiesen.
II.
Der Antrag der Arbeitgeberin ist zulässig (1), jedoch nicht begründet (2.).
1. Der innerhalb der Frist des § 76 Abs. 55 Satz 4 BetrVG erhobene Antrag ist zulässig. Das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist vorhanden. Der Antrag ist zutreffend auf die Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs gerichtet. Eine gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit des Spruchs einer Einigungsstelle hat feststellende und nicht rechtsgestaltende Bewirkung. Im Verfahren nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG geht es um eine Rechtskontrolle, bei der darüber zu befinden ist, ob der Spruch der Einigungsstelle eine wirksame betriebliche Regelung darstellt. An der Klärung dieser Frage haben Arbeitgeber und Betriebsrat ein rechtliches Interesse und zwar unabhängig davon, ob sie durch die betreffende Regelung beschwert sind oder nicht (BAG vom 08.06.2004 – 1 ABR 4/03; BAG 14.01.2014 – 1 ABR 49/12 – Rn. 10; Sächsisches Landesarbeitsgericht vom 27.07.2016 – 8 TaBV 1/16 – Rn. 43).
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet. Der Einigungsstellenspruch vom 27.01.2020 wahrt die Grenzen des Mitbestimmungsrechts. Die Einigungsstelle hat auch das ihr eingeräumte Ermessen nicht überschritten.
Die arbeitsgerichtliche Rechtskontrolle nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG erstreckt sich auf die Prüfung der Zuständigkeit der Einigungsstelle, auf die Einhaltung der von der Einigungsstelle zu beachtenden Verfahrensgrundsätze sowie die inhaltliche Rechtmäßigkeit des Spruchs. Hinsichtlich der inhaltlichen Rechtmäßigkeit des Spruchs ist zum einen zu prüfen, ob der Spruch gegen höherrangiges Recht verstößt und zum anderen, ob die Einigungsstelle ihren Ermessensspielraum überschritten hat. Dabei stellt die Überprüfung des Ermessensspielraums keine allgemeine Zweckmäßigkeitskontrolle dar. Unerheblich ist auch, ob die Einigungsstelle fehlerhafte Erwägungen angestellt hat und daher ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt. Der Überprüfung durch das Gericht unterliegt nur das Ergebnis, also der Einigungsstellenspruch. Ein rechtlich erheblicher Fehler im Sinne des § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG liegt nur vor, wenn sich die von der Einigungsstelle getroffene Regelung nicht als angemessener Ausgleich der Belange des Betriebes und Unternehmens auf der einen und der betroffenen Arbeitnehmer auf der anderen Seite erweist. Dagegen ist ohne Bedeutung, ob die von der Einigungsstelle angenommenen tatsächlichen und rechtlichen Umstände zutreffen und ihre weitere Überlegung frei von Fehlern sind und eine erschöpfende Würdigung aller Umstände zum Inhalt haben (BAG vom 14.01.2014 – 1 ABR 49/12 – Rn. 23; Sächsisches Landesarbeitsgericht vom 27.07.2016 – 8 TaBV 1/16 – Rn. 45).
Eine vom Gericht festzustellende unzulässige Ermessensüberschreitung im Sinne des § 67 Abs. 5 Satz 4 BetrVG kann zum Beispiel dann vorliegen, wenn die Einigungsstelle ihren Spruch außerhalb des ihr eingeräumten Gestaltungs- und Ermessensspielraums gefällt hat. Ein solcher Fall liegt dann vor, wenn die Entscheidung eindeutig erkennbar keine sachgerechte Interessenabwägung enthält oder beispielsweise die Belange der betroffenen Arbeitnehmer oder des Betriebes überhaupt nicht berücksichtigt hat (BAG vom 22.01.2013 – 1 ABR 85/11 – NZA – RR 2013 Seite 409; Sächsisches Landesarbeitsgericht vom 27.07.2016 – 8 TaBV 1/16 – Rn. 46).
Gemessen hieran sind die Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle gegeben.
Die Einigungsstelle war gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG zuständig für die Regelung der Fälligkeit von Urlaubs- und Weihnachtsgeld.
Dass die von der Einigungsstelle zu beachtenden Verfahrensgrundsätze eingehalten wurden ist zwischen den Parteien unstreitig.
Der Spruch der Einigungsstelle vom 27.01.2020 verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Der Arbeitgeber hat zwar eingewandt, dass ein Verstoß nach Artikel 14 Grundgesetz vorliegt, da der Spruch zu einer indirekten Lohnerhöhung führe bzw. dazu führe, dass bestimmte Anrechnungen auf den Mindestlohn nicht vorgenommen werden können. Würde der Spruch in die Lohnhöhe eingreifen, so würde er gegen § 77 Abs. 3 BetrVG verstoßen und insoweit wäre durch den Spruch der Einigungsstelle auch Artikel 14 Grundgesetz, der das Eigentum der Arbeitgeberin schützt, betroffen.
Ob das vertraglich zugesicherte Urlaubs- und Weihnachtsgeld auf den die Mindestlohnansprüche der Arbeitnehmer nach § 1 MiLoG anrechenbar ist, hängt zum einen vom Charakter der Sonderzahlung an und zum anderen wegen § 2 MiLoG von deren Fälligkeit.
Die Kammer ist der Ansicht, dass der Charakter der Sonderzahlung Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld dazu führt, dass diese nicht auf den Mindestlohn anzurechnen sind. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 20.09.2017 – 10 AZR 171/16 ausgeführt, dass es sich bei den Zahlungen für Urlaubslohn und für Urlaubsgeld, um Vergütungszahlungen handelt, die gerade nicht als Gegenleistung für geleistete Arbeit erfolgt sind, sondern für Zeiten ohne Lohnansprüche. Mindestlohnansprüche können dadurch nicht erfüllt werden. Der Sache nach handelt es sich bei dem Urlaubsgeld um eine neben dem Urlaubsentgelt gewehrte zusätzliche Leistung für den Urlaub. Sowohl beim Urlaubsentgelt, als auch beim Urlaubsgeld kommen einer derartigen Leistung keine Erfüllungswirkung hinsichtlich des gesetzlichen Mindestlohns zu.
Das Urlaubsgeld knüpft, wie jahrelang von der Arbeitgeberin auch praktiziert, bei den Arbeitern an die tatsächliche Gewährung des Urlaubs an und bei den Angestellten an die üblicherweise im Sommer und Herbst erfolgten Urlaube. Damit verfolgt es den selben arbeitsleistungsunabhängigen Zweck und dient nicht der Vergütung für geleistete Arbeit. Insofern kann es keine Erfüllungswirkung hinsichtlich des gesetzlichen Mindestlohnes haben (BAG vom 20. September 2017 – 10 AZR 171/16 – Rn. 16 und 17 mit Hinweis auf BAG vom 22. Juli 2014 – 9 AZR 981/12).
Auch beim Weihnachtsgeld handelt es sich um eine Vergütungszahlung, die im vorliegenden Fall gerade nicht als Gegenleistung für geleistete Arbeit erfolgt, sondern als zusätzliche Leistung. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass das Weihnachtsgeld viele Jahre mit der Lohnabrechnung November gezahlt wurde und damit im direkten Zusammenhang mit dem Weihnachtsfest.
Die durch den Spruch der Einigungsstelle möglicherweise fehlende Anrechenbarkeit der Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld auf die Mindestlohnansprüche der Arbeitnehmer ergibt sich aus den Regelungen der Fälligkeit dieser Zahlungen im angegriffenen Spruch. Dass sich mittelbar der Lohn der Arbeitnehmer erhöht, beruht nach Auffassung des Gerichts allerdings nicht direkt auf den Spruch der Einigungsstelle, sondern auf § 1 MiLoG, mit welchem der Gesetzgeber den Arbeitnehmern ein Lohnniveau sichern wollte, welches geeignet ist, mit Arbeitsleistung auch den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Insofern führt der Einigungsstellenspruch nicht zu einem direkten Eingriff in die Lohnhöhe. Im Ergebnis ist die fehlende Anrechenbarkeit der Zahlung auf den Mindestlohnanspruch und die daraus resultierende Lohnerhöhung nur eine indirekte Folge des Spruchs wegen der Fälligkeit, beruht aber nicht unmittelbar auf dem Spruch selbst, sondern auf dem Mindestlohngesetz (so auch Sächsisches Landesarbeitsgericht vom 27.07.2016 – 8 TaBV 1/16 – Rn. 52).
Selbst wenn der Charakter der Sonderzahlungen Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld eine Anrechnung auf den Mindestlohn zulassen würde, so ergibt sich mit dem Spruch der Einigungsstelle vom 27.01.2020 keine Ermessensüberschreitung der Einigungsstelle. Er ist nicht sachfremd und trägt dem Charakter der Zahlungen, wie sie seit vielen Jahren vorgenommen wurden, Rechnung.
Die Arbeitgeberin kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie mit dem Spruch der Einigungsstelle zur Fälligkeit von Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld gegen die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen, die sie mit den seit 01.01.2015 eingestellten Arbeitnehmern vereinbart hat, verstoßen müsste. Die Arbeitgeberin hat die Auszahlungszeitpunkte hinsichtlich sämtlicher Arbeitnehmer, auch der Arbeitnehmer deren Arbeitsverträge vor dem 01.01.2015 geschlossen wurden, einseitig und ohne Wahrung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrats, wie auch ohne Zustimmung der betroffenen „Alt-Arbeitnehmer“ geändert. Wegen des Verstoßes der Arbeitgeberin gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats können sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung auch auf die für sie jeweils günstigere Regelung berufen (ständige Rechtsprechung des BAG großer Senat vom 03.12.1991 AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Sächsisches Landesarbeitsgericht vom 27.07.2011 – 8 TaBV 1/16 – Rn. 55).
Der Einwand der Arbeitgeberin ist darüber hinaus auch lebensfremd. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die 1/12tel des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes monatlich erhalten und dies auf den Mindestlohn angerechnet wird, werden sicherlich nicht auf die monatliche Zahlung dringen, wenn sie bei einer Zahlung des Weihnachts- und Urlaubsgeldes in einem oder zwei Beträgen der Anrechenbarkeit auf den Mindestlohn für die übrigen Monate entgehen können und neben Urlaubs- und Weihnachtsgeld den vollen Mindestlohn erhalten. Die Argumentation der Arbeitgeberin hierzu ist schlicht lebensfremd. Die Einigungsstelle hat in der Frage der Fälligkeit des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes ihren Ermessensspielraum nicht überschritten.
Einer Kostenentscheidung bedurfte es nicht, da im Beschlussverfahren nach § 2 a Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit § 2 Abs. 2 GKG Kosten nicht erhoben werden.