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Entscheidung 12 U 8/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 12. Zivilsenat Entscheidungsdatum 07.07.2022
Aktenzeichen 12 U 8/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0707.12U8.22.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1.Auf die Berufung der Beklagten wird das am 15.12.2021 verkündete Grundurteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam, Az. 11 O 149/19, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4.Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 17.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen einer nach ihrer Auffassung fehlerhaften zahnärztlichen Behandlung im Zeitraum von Januar bis Juni 2018 in Anspruch.

Wegen Beschwerden an den Weisheitszähnen stellte die Hauszahnärztin … der Klägerin eine Überweisung aus. Nach der vorliegenden ärztlichen Dokumentation wurde die Entfernung aller „8er“ empfohlen.

Das Erstgespräch bei der Beklagten fand am 15.02.2018 statt.

Am 26.03.2018 nahm die Beklagte die operative Entfernung der Weisheitszähne links (Zähne 28 und 38) vor. Die Operation und die Nachsorge verliefen komplikationsfrei.

Am Folgetermin zum Fädenziehen am 05.04.2018 vereinbarte die Klägerin einen zweiten Operationstermin für den 30.05.2018, zu dem die Beklagte die Extraktion der rechten Weisheitszähne (Zähne 18 und 48) vornahm.

Die Klägerin hat vorgetragen, die Hauszahnärztin … habe wegen der bestehenden Essprobleme und der damit verbundenen Schmerzen empfohlen, lediglich die Weisheitszähne links oben und unten ziehen zu lassen. Eine Überweisung oder sonstige Unterlagen hätten ihr nicht vorgelegen.

Nach dem Vortrag in der Klagebegründung habe sie vor dem ersten Operationstermin einen Anamnesebogen sowie eine Datenschutzerklärung unterzeichnet. Eine weitere Aufklärung, etwa zu möglichen Risiken und Folgen, sei nicht erfolgt. Die Beklagte habe sich lediglich die Weisheitszähne links angesehen.

Bei Vereinbarung des zweiten Operationstermins am 05.04.2018 habe sie der Beklagten mitgeteilt, dass sie im Mundbereich rechts keinerlei Schmerzen hätte und noch gar keine Operation angedacht gewesen sei. Die Beklagte habe ihr jedoch empfohlen, alle vier Weisheitszähne zu extrahieren. Nur im Vertrauen auf diese Aussage habe sie sich den zweiten Operationstermin geben lassen. Im Schriftsatz vom 24.08.2021 lässt sie ausführen, die Beklagte habe gesagt, dass es so üblich sei, die weiteren Weisheitszähne gleich zeitnah herauszunehmen, bevor irgendwann einmal Schmerzen auftreten könnten. Tatsächlich wäre die zweite Weisheitszahnoperation weder erforderlich noch angezeigt gewesen. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte sie sich nicht für den zweiten Eingriff entschieden oder zumindest eine zweite Meinung eingeholt.

Bei beiden Terminen sei sie angstfrei gewesen. Die anderslautenden Angaben in der ärztlichen Dokumentation seien nicht nachvollziehbar und nachträglich erfolgt.

Vor der zweiten Operation habe die Beklagte gefühlte 6 bis 8 Spritzen in den rechten hinteren Mundbereich gegeben. Nach der Operation sei zwar die Betäubung aus dem Lippenbereich weggegangen. Allerdings weise die Zunge bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Taubheit aus. Zudem sei der Geschmackssinn auf dieser Seite stark beeinträchtigt. Ihr falle es schwer zu sprechen, insbesondere bei s- oder sch- Lauten, was besonders für sie als Lehrerin beeinträchtigend sei. Sie habe ständig das Gefühl einer geschwollenen Zunge, sie beiße sich beim Essen häufig auf die Zunge und neige zu vermehrtem starken Speichelfluss im Mund und zu einer spuckenden Aussprache. Dies beruhe auf der bei der Operation eingetretenen irreversiblen Nervenschädigung.

Die Beklagte hat vorgetragen, Anlass der Vorstellung der Klägerin am 15.02.2018 sei die Entfernung sämtlicher Weisheitszähne gewesen. An diesem Tag sei nach klinischer Untersuchung bereits eine Beratung im Hinblick auf die Entfernung aller Weisheitszähne durchgeführt worden. Die Klägerin habe mitgeteilt, dass die bei ihr noch vorhandenen vier Weisheitszähne ein zunehmendes Druckempfinden verursachen würden. Zudem habe die Untersuchung ergeben, dass auch bezüglich der Weisheitszähne 18 und 48 ein Platzmangel bestanden habe. Damit sei die Entfernung aller vier Weisheitszähne angezeigt gewesen. Bereits an diesem Tag habe sie das Aufklärungsgespräch über die Entfernung in zwei Sitzungen geführt. Dabei sei die Klägerin über mögliche Komplikationen, auch auf das Risiko einer Nervschädigung insbesondere im Unterkiefer-Zungenbereich, aufgeklärt worden. Die Klägerin habe die Einverständniserklärung unterzeichnet. Im Übrigen hätte sich die Klägerin aus der einzig und allein maßgeblichen Sicht ex-ante ohnehin mit der Entfernung sämtlicher Weisheitszähne einverstanden erklärt.

Da die Klägerin sehr nervös und ängstlich gewirkt habe, sei sie auf die Möglichkeit der intravenösen Sedierung hingewiesen worden. Da es ihr nach der ersten Operation gut gegangen sei, habe sie am 05.04.2018 um einen zeitnahen weiteren Operationstermin für die anderen Weisheitszähne gebeten. Es sei keinesfalls so, dass erst zu diesem Termin über die Entfernung der weiteren Zähne gesprochen worden sei. Dies sei bereits am 15.02.2018 vereinbart worden. Die behaupteten Behandlungsfolgen werden bestritten.

Das Landgericht hat mit dem am 15.12.2021 verkündeten Grundurteil die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Zur Begründung hat es ausgeführt, zwar sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kein Behandlungsfehler gegeben. Denn nach dem eingeholten Sachverständigengutachten des … vom 20.03.2021 und dessen Anhörung sei die Behandlung dem ärztlichen Standard gemäß durchgeführt worden. Auch habe die Beklagte dem Aufklärungserfordernis über die Risiken einer Nervenschädigung Rechnung getragen. Denn ausweislich der Krankenunterlagen habe sie auch über eine „MAV“ und Nervenschädigung aufgeklärt. Allerdings habe die Beklagte eine Aufklärung über die fehlende Notwendigkeit der zweiten Weisheitszahnoperation nicht nachweisen können. Insoweit sei nach dem Sachverständigengutachten mangels vorliegender Entzündung nicht zwingend notwendig gewesen, die Weisheitszähne rechts zu extrahieren. Hierauf hätte die Beklagte die Klägerin hinweisen müssen. Dass dies erfolgt sei, stehe nicht zur Überzeugung des Landgerichtes fest. Da es insoweit an einer ordnungsgemäßen Aufklärung fehle, bedürfe es keiner Entscheidung zu der Frage, ob der Zeitraum zwischen der ersten Aufklärung und der zweiten Operation von etwa 3,5 Monaten ohnehin eine erneute Aufklärung notwendig gemacht hätte. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Ausführungen wird auf das Urteil Bezug genommen.

Die Beklagte hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 21.12.2021 zugestellte Urteil mit am 14.01.2022 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 21.03.2022 verlängerten Berufungsbegründungsfrist an diesem Tag begründet. Sie führt aus, die Entfernung der Weisheitszähne sei rechts gleichermaßen wie links indiziert gewesen. Denn, anders als es der Sachverständige angenommen habe, habe die Klägerin ihr gegenüber angegeben, dass alle vier Weisheitszähne ein zunehmendes Druckempfinden verursachen würden und die Hauszahnärztin die Entfernung aller Weisheitszähne angeraten habe. Hingegen habe die Klägerin keinen Schmerz in den regio 18, 48 oder 38 angegeben. Dies stütze auch die Dokumentation der …, die die Entfernung aller vier „Achter“ angegeben habe. Mithin habe auch linksseitig nur eine relative Indikation vorgelegen. Die behaupteten Schmerzen der Klägerin links könnten nicht Ausgangspunkt einer fachlichen Einschätzung zur Indikation links im Gegensatz zu rechts sein. Im Übrigen gehe auch die Leitlinie davon aus, dass eine Unterscheidung zwischen prophylaktischer und therapeutischer Weisheitszahnentfernung nicht mehr gerechtfertigt sei. Auch ein Abwarten sei nicht angezeigt gewesen. Die DVT-Untersuchung zeige beim teilretinierten Zahn 48 bereits eindeutig ein muldenförmiges Defizit. Dies sei klinisch als Anzeichen für einen Zerfallsprozess des Zahnsäckchens zu werten und sollte operativ mit dem Zahn entnommen werden. Der Sachverständige erwähne die Untersuchung zwar in seinem Gutachten, werte sie jedoch nicht aus.

Schließlich trage die Klägerin die Beweislast für besondere Umstände, welche eine ergänzende Aufklärung rechtfertigen sollen. Dabei müsse sich die Klägerin auch entgegenhalten lassen, dass die behandelnde Zahnärztin … die Entfernung aller Weisheitszähne empfohlen habe. Jedenfalls erwecke die in der Überweisung dokumentierte Einschätzung der Hauszahnärztin Zweifel an der Darstellung der Klägerin.

Schließlich habe bei der Klägerin kein Konflikt vorgelegen. Sie sei über die Risiken informiert gewesen und habe genügend Zeit gehabt, die Operation zu überdenken. Tatsächlich habe sie selbst den Termin für den zweiten Operationstermin gemacht.

Zu Unrecht habe das Landgericht auch einen materiellen Schaden festgestellt.

Sie beantragt,

das am 15.12.2021 verkündete und am 21.12.2021 zugestellte Grundurteil des Landgerichts Potsdam (11 O 149/19) abzuändern und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit an das Landgericht Potsdam zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil vom 15.12.2021 des Landgerichts Potsdam, Az. 11 O 149/19, zurückzuweisen.

Sie bestreitet weiterhin, über eine mögliche Nervenschädigung aufgeklärt worden zu sein. Auch über die Alternative des Abwartens sei sie nicht aufgeklärt worden. Es habe keine Indikation für die Behandlung rechts vorgelegen. Es hätten weder Beschwerden, noch ein nunmehr vorgetragenes muldenförmiges Knochendefizit gegeben. Auch die Hauszahnärztin habe nicht die Entfernung aller Weisheitszähne empfohlen. Zum erheblichen zeitlichen Abstand zwischen der behaupteten Aufklärung und dem 2. OP-Termin verhalte sich die Berufung nicht.

II.

Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, mithin zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Denn unabhängig davon, dass das Grundurteil nicht in zulässiger Weise ergangen ist und schon deshalb grundsätzlich der Aufhebung unterliegt, nachdem das Landgericht neben der Entscheidung über den Grund des Anspruchs nicht zugleich über den Feststellungsantrag, über den ein Grundurteil nicht ergehen kann,  entschieden hat (vgl. BGH, Urteil vom 19. Februar 1991 – X ZR 90/89 –, Rn. 4 - 7, juris), besteht bereits kein materieller Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Ersatz der von ihr vorgetragenen materiellen und immateriellen Schäden aus dem zwischen den Parteien am 15.02.2018 geschlossenen Behandlungsvertrag bzw. aus Delikt, §§ 280 Abs. 1, 630 a ff., 249, 253 S. 2 BGB bzw. §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB (zum zahnärztlichen Behandlungsvertrag BGH, Urteil vom 13. September 2018, III ZR 294/16). Damit unterliegt die Klage insgesamt der Abweisung, ohne dass es noch einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und einer Zurückverweisung der Sache an das Landgericht bedarf.

1.

Die Befunderhebung, die Operation selbst und die Nachsorge sind – wie auch das Landgericht zutreffend festgestellt hat – lege artis durchgeführt worden. Dies steht nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen … fest. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 20.03.2021 nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass die Zähne 18 und 48 in der Praxis der Beklagten entsprechend dem medizinischen Standard entfernt wurden. Dies gelte für das mehrfache Durchtrennen des Zahnes ebenso wie für die Nachinjektionen. So können die unter der Betäubung erfolgten Nachinjektionen schicksalhaft erforderlich sein, weil die Form des Kiefers solche erforderlich machen könne. Es ist auch kein sicherer Nachweis zu führen, ob die Verletzung des Nervs durch die Manipulation bei der Zahnentfernung oder die ordnungsgemäß durchgeführte Anästhesie entstanden ist. Schließlich sind die präoperative bildgebende Diagnostik und die Wahl des Verfahrens zur örtlichen Betäubung nicht zu beanstanden, sowie Fehler in der Nachbehandlung nicht festzustellen. Der Senat hat – auch nachdem die Klägerin in der Berufungsinstanz hierzu nicht weiter ausgeführt hat – keinen Anlass, an diesen gut begründeten und widerspruchsfreien sachverständigen Feststellungen zu zweifeln.

2.

Ferner ist – anders als es das Landgericht ausgeführt hat – auch eine Haftung wegen Aufklärungsmängeln nicht gegeben.

2.1. Der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit stellt eine rechtswidrige Körperverletzung dar, wenn er sich nicht im konkreten Fall durch eine wirksame Einwilligung des Patienten als gerechtfertigt erweist. Dazu musste die Klägerin - wenn auch nur im Großen und Ganzen - wissen, worin sie einwilligte. Mithin war sie nicht nur über die Art des Eingriffs, sondern auch über seine nicht ganz außer Wahrscheinlichkeit liegenden Risiken ins Bild zu setzen, soweit diese sich für sie als medizinischen Laien aus der Art des Eingriffs nicht ohnehin ergaben und für ihre Entschließung von Bedeutung sein konnten. Zwar mussten ihr nicht die Risiken in allen denkbaren Erscheinungsformen aufgezählt werden; aber es war ihr eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiken zu vermitteln, insbesondere soweit diese, wenn sie sich verwirklichten, ihre Lebensführung schwer belasten und sie mit ihnen nach der Natur des Eingriffs nicht rechnen konnte (BGH, Urteil vom 07. Februar 1984 – VI ZR 174/82 –, BGHZ 90, 103-113, Rn. 18). Die Aufklärung hat auch Behandlungsalternativen zu umfassen. Die Wahl der Behandlungsmethode ist zwar primär Sache des Arztes. Gibt es indessen mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden, die wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen aufweisen, besteht mithin eine echte Wahlmöglichkeit für den Patienten, dann muss diesem nach entsprechend vollständiger ärztlicher Aufklärung die Entscheidung überlassen bleiben, auf welchem Wege die Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko er sich einlassen will (BGH, Urteil vom 15. März 2005 – VI ZR 313/03 –, Rn. 10, juris). Dabei ist in den Fällen, in denen der Patient aus einem Aufklärungsversäumnis des Arztes Ersatzansprüche ableitet, die Behauptungs- und Beweislast auf beide Prozessparteien verteilt. Die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass sich der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung zu der tatsächlich durchgeführten Behandlung entschlossen hätte, trifft nicht den Patienten, sondern den Arzt. Der Arzt ist jedoch erst dann beweisbelastet, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, dass er - wären ihm rechtzeitig die Risiken der Behandlung verdeutlicht worden - vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte. Das gilt in gleicher Weise, wenn der Arzt den Patienten über mehrere, aus medizinischer Sicht indizierte Behandlungsmöglichkeiten mit unterschiedlichen Erfolgsaussichten und Risiken aufzuklären hat (BGH, Urteil vom 15. März 2005 – VI ZR 313/03 –, Rn. 17, juris).

2.2. Bereits nach dem eigenen Vortrag der Klägerin ist kein Aufklärungsfehler hinsichtlich der Aufklärung über Behandlungsalternativen festzustellen. Die Klägerin war über die Möglichkeit des Zuwartens mit der Weisheitszahnentfernung rechts informiert. Denn sie führt in ihrem Schriftsatz vom 24.08.2021 selbst aus, am 05.04.2018 die Beklagte ausdrücklich danach gefragt zu haben, ob diese Operation denn vonnöten sei, da sie auf der rechten Seite keine Schmerzen oder Beschwerden habe. Darauf habe die Beklagte gesagt, dass es so üblich sei, sie gleich zeitnah herauszunehmen, bevor irgendwann mal Schmerzen auftreten könnten. Insoweit wird der Klägerin deutlich vor Augen geführt, dass es in ihrer Entscheidung liegt, ob sie die Operation jetzt oder gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt bei Auftreten von Schmerzen durchführen lassen möchte. Auch in ihrer persönlichen Anhörung vor dem Landgericht hat sie ausgeführt, ihr sei gesagt worden, es sei besser, diese gleich mit zu entfernen, weil das gegebenenfalls sowieso später erforderlich sein würde. Diese Information und Aufklärung entspricht sowohl den Darstellungen des Sachverständigen, der eine Entfernung durchaus als möglich aber nicht zwingend indiziert betrachtet, als auch den S2k-Leitlinien.

2.3. Hingegen verbleiben nach dem derzeitigen Ergebnis der Beweisaufnahme Zweifel an der ordnungsgemäßen Risikoaufklärung.

a) Zwar haben sowohl die Beklagte in ihrer persönlichen Anhörung als auch die Zeugin …bestätigt, dass die Aufklärung anhand der von der Klägerin am 15.02.2018 unterzeichneten Einverständniserklärung für die Operation erfolgt sei. Darin bestätigt sie, auch über seltene, spezielle Folgen wie zum Beispiel Störungen im Bereich des Mundwinkels, Zunge, Geschmacksstörungen informiert worden zu sein. Die Beklagte hat in ihrer persönlichen Anhörung weiter ausgeführt, der Aufklärungsbogen liege bei ihr im Behandlungszimmer. Diesen gehe sie immer mit dem Patienten durch und erläutere auch die dort aufgeführten Komplikationen. In diesem Zusammenhang werde nicht nur darauf hingewiesen, dass sich zum Beispiel eine Gefühlsstörung im Bereich der Zunge nur temporär einstellen könne. Im Zusammenhang mit dem DVT habe sie der Patientin auch erläutert, dass die Nerven eng an den Zähnen liegen und hier etwas passieren könne. Dementsprechend habe sie auch noch einmal in ihrer Dokumentation vermerkt „MAV positiv, Nervenschädigung“. Die Zeugin … hat jedoch auf Nachfrage ausführt, dass auch gesagt worden sei, dass es mal zu einer Gefühlsstörung oder Kribbeln kommen könne, dass dieses aber nicht lange anhalte. Diese Einschränkung stünde in Übereinstimmung mit den Ausführungen der Klägerin in ihrer persönlichen Anhörung, nach denen sie in diesem Zusammenhang nur über vorübergehende Beeinträchtigungen informiert worden sei. Darin läge eine Relativierung der Risiken, die der Patientin ein unzutreffendes Bild von möglichen Behandlungsfolgen vermitteln und sie damit in ihrer Beurteilung einschränken könnte.

b) Es handelt sich dabei trotz der äußerst geringen Wahrscheinlichkeit von weniger als 1 % der Fälle mit Nervenverletzungen und ca. 0,28 % mit dauerhafter Nervenschädigung auch um ein aufklärungspflichtiges Risiko. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist auch – abhängig vom jeweiligen Einzelfall – über sehr seltene Risiken aufzuklären, wenn sie im Falle ihrer Verwirklichung die Lebensführung des Patienten schwer belasten (BGH, Urteil vom 07. Juli 1992 – VI ZR 211/91 –, Rn. 12; Urteil vom 09. November 1993 - VI ZR 248/92, juris). Dies ist hier schon deshalb der Fall, wenn etwaige Sprechstörungen für die als Lehrerin tätige Klägerin entstehen können.

2.4. Die Klägerin hat einen persönlichen Entscheidungskonflikt nicht plausibel gemacht, nachdem die Beklagte bereits in erster Instanz den Einwand der hypothetischen Einwilligung erhoben hat.

a) Der Einwand der Behandlungsseite, der Patient hätte sich einem Eingriff auch bei zutreffender Aufklärung über dessen Risiken unterzogen, ist grundsätzlich beachtlich. Den Arzt trifft insoweit die Behauptungs- und Beweislast. An einen dahingehenden Nachweis sind aber strenge Anforderungen zu stellen, damit nicht auf diesem Weg der Aufklärungsanspruch des Patienten unterlaufen wird (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2021 – VI ZR 277/19 –, Rn. 10; Urteil vom 21. Mai 2019 – VI ZR 119/18 –, Rn. 17 - 18, juris).

Er ist mit dem Beweis für seine Behauptung, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt haben würde, allerdings nur zu belasten, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, dass er, wären ihm rechtzeitig die Risiken der Behandlung verdeutlicht worden, vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte, wobei an die Substantiierungspflicht zur Darlegung eines solchen Konflikts keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (BGH, Urteil vom 30. September 2014 – VI ZR 443/13 –, Rn. 17; Urteil vom 18. Mai 2021 – VI ZR 401/19 –, Rn. 15, juris). Insbesondere ist vom Patienten nicht zu verlangen, dass er - darüber hinausgehend - plausibel macht, er hätte sich im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung auch tatsächlich gegen die durchgeführte Maßnahme entschieden (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2021, a.a.O., juris).

b) Auch im Ergebnis der nochmaligen persönlichen Anhörung der Klägerin im Senatstermin am 02.06.2022 ist ein solcher Entscheidungskonflikt aus Sicht des Senates nicht plausibel.

Ausgangspunkt für die Beurteilung ist die unterstellte ordnungsgemäße Aufklärung der Klägerin über das Risiko. Danach hätte die Klägerin – wie bereits ausgeführt – darüber aufgeklärt werden müssen, dass sich die Taubheit insbesondere der Zunge und die Geschmacksbeeinträchtigungen verbunden mit Sprachschwierigkeiten nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft und irreparabel einstellen könnten. Die Klägerin hat dazu persönlich ausgeführt, sie hätte in Kenntnis dieses Risikos schon wegen ihrer beruflichen Tätigkeit, aber auch den fehlenden Beschwerden im Bereich der Weisheitszähne rechts nicht nur eine Zweitmeinung eingeholt, sondern in jedem Fall von einer Behandlung Abstand genommen. Diese aus heutiger Sicht durchaus nachvollziehbaren Überlegungen der Klägerin, die sie sehr emotional vorgetragen hat, lassen jedoch den Entscheidungskonflikt zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Durchführung der Behandlung nicht plausibel erscheinen. Denn bei der Beurteilung hat es nicht bei dieser ex post Betrachtung zu verbleiben. Vielmehr sind die Gesamtumstände, wie sie sich nach der Aktenlage ergeben, zu berücksichtigen.

So mögen zwar zu diesem Zeitpunkt keine akuten Beschwerden vorgelegen haben. Der Sachverständige … hat jedoch die Darstellung der Beklagten bestätigt, dass die Zähne rechts teilretiniert waren. Es sei auch so, dass – wenn auch nicht sicher vorhersehbar – zu erwarten sei, dass sich hier irgendwann Schmerzen oder krankhafte Veränderungen einstellen. Auch sei es so, dass sich nach dem Entfernen der Weisheitszähne links ein muskuläres Ungleichgewicht einstellen könne. Hinzu treten im Falle des Abwartens das Risiko der Schädigung benachbarter Zähne und ein zunehmendes Operationsrisiko. Denn nach den vom Sachverständigen zitierten S2k-Leitlinien (abrufbar unter: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/) war bekannt, dass sich gleichzeitig mit zunehmendem Alter vermehrt Komplikationen bei der operativen Entfernung ergeben könne ebenso wie – bei Platzmangel wie hier vorliegend – ein erhöhtes Risiko an benachbarten 12 Jahr Molaren mit einer hohen Rate (bis rund 50%) an distaler Karies als Folge einer engen Lagebeziehung zum Weisheitszahn zu erkranken. Mithin wäre mit einem Abwarten ein erhöhtes Risiko weiterer Schäden verbunden, dies insbesondere auch wegen der, der Klägerin bekannten engen Lagebeziehung zu den Nerven. Hinzu tritt die sich aus dem von der Klägerin selbst vorgelegten histopathologischen Befundbericht vom 01.06.2018 ergebende Vorschädigung, wonach das Gewebe aus der regio 48 eine teilweise entzündliche Durchwanderung sowie Entzündungszellinfiltrate aufgewiesen hat und eine 13 mm große Zahnzyste mit entzündlichen Veränderungen, morphologisch prinzipiell vereinbar mit einer follikulären Zahnzyste, bestand und sich damit der Verdacht auf eine follikuläre Zyste bestätigt hat.

Neben dieser Risikoabwägung treten weitere persönliche Aspekte hinzu. Denn es lag bereits eine Zweitmeinung ihrer Hauszahnärztin, Frau …, vor, die ausweislich der vorliegenden Dokumentation eine Extraktion aller Weisheitszähne empfohlen hatte. Zugleich ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte ihr von Freunden als besonders zuverlässig empfohlen worden war und sich für die Klägerin nach der komplikationslos verlaufenden ersten Operation diese Empfehlung bestätigt hatte. Sie selbst spricht in ihren Schriftsätzen von einem Vertrauen, dass sie der Beklagten entgegengebracht hatte.

Nicht unberücksichtigt bleiben darf zudem, dass die Klägerin über weitere erhebliche Risiken aufgeklärt wurde. So stand nach dem Aufklärungsbogen, der – wie die Klägerin nunmehr eingeräumt hat – mit der Beklagten durchgesprochen worden war, das Risiko eines Kieferbruches oder die Eröffnung der Kieferhöhle / Nasenhöhle im Raum. Auch dieses erhebliche Risiko hat die Klägerin nicht davon abgehalten, die Operation durchführen zu lassen. Nicht nachvollziehbar ist deshalb, dass die Klägerin ein Risiko von nur 0,28 % für eine dauerhafte Nervenschädigung vor einen Entscheidungskonflikt gestellt hätte.

In der Gesamtschau erschließt sich daher nicht, worin für die Klägerin ein plausibler Entscheidungskonflikt entstanden sein soll und warum sie hätte weiter zuwarten oder jedenfalls eine (weitere) Zweitmeinung hätte einholen wollen.

Keiner weiteren Aufklärung bedarf deshalb der bestrittene Vortrag der Beklagten zum Ergebnis der DVT-Untersuchung, nach dem ein muldenförmiges Knochendefizit vorgelegen habe, mithin Anzeichen für einen Zerfallsprozess des Zahnsäckchens.

2.5. Nach den vorstehenden Ausführungen ist der Senat weitergehend zugleich davon überzeugt, dass die Klägerin auch in Kenntnis der weitergehenden Risiken einer dauerhaften Nervenschädigung in die Operation eingewilligt hätte.

2.6. Ohne dass es hierauf noch ankäme, bestehen auch keine Bedenken hinsichtlich des Zeitpunkts der Aufklärung.

Es handelt sich hier um zwei vergleichbare Operationen mit identischen Risiken. Der Arzt braucht deshalb die erfolgte Aufklärung in einem solchen Fall nicht zu wiederholen. Denn er hat der Patientin bereits die zur eigenverantwortlichen Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts erforderliche Entscheidungsgrundlage vermittelt und damit seine Verpflichtung zur Aufklärung erfüllt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich nachträglich - sei es aufgrund einer Veränderung der Situation, sei es aufgrund neuer Erkenntnisse - Umstände ergeben, die zu einer entscheidenden Veränderung der Einschätzung der Risiken und Vorteile führen (BGH, Versäumnisurteil vom 28. Oktober 2014 – VI ZR 125/13 –, Rn. 7 - 8, juris). Das ist hier nicht der Fall. Auch ist der zeitliche Abstand zwischen Aufklärung und Entscheidung zur Operation nicht erheblich. Die Aufklärung hat am 15.02.2018 stattgefunden. Zur weiteren Operation hat sich die Klägerin nicht erst bei der Durchführung am 30.05.2018, sondern bereits bei der Vereinbarung des Operationstermins am 05.04.2018 entschieden (zum maßgebenden Zeitpunkt BGH, Urteil vom 25. März 2003 – VI ZR 131/02 –, Rn. 18, juris). Der Abstand von nicht einmal 2 Monaten ist nicht zu lang und führt nicht zu der Annahme, die Aufklärung sei nicht mehr aktuell.

3.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.