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Entscheidung 6 U 41/21


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 6. Zivilsenat Entscheidungsdatum 19.07.2022
Aktenzeichen 6 U 41/21 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0719.6U41.21.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Potsdam vom 18.05.2021, Az. 52 O 62/20, abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2020 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe

(abgekürzt nach § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 ZPO)

I.

Der klagende Verein, ein Interessenverband von Online-Unternehmen, nimmt die Beklagte, die im Onlinehandel Lebens- und Genussmittel vertreibt, aus einer Unterlassungsvereinbarung auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Anspruch. Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte diese Vereinbarung wirksam angefochten hat, ob der Geltendmachung der Vertragsstrafe der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen steht und ob die Bestimmung der geforderten Vertragsstrafe auf 3.000 € unangemessen ist.

Von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes im Berufungsurteil wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II.

Die nach § 511 Abs. 1 ZPO statthafte Berufung des Klägers ist gemäß § 511 Abs. 2, §§ 517, 519, 520 ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

1.

Dem Kläger steht der mit der Klage geltend gemachte Zahlungsanspruch zu, § 241 Abs. 1, § 311 Abs. 1 BGB i.V.m. § 339 Satz 2 BGB.

a)

Zwischen den Parteien ist eine Unterlassungsvereinbarung zustande gekommen.

Auf die klägerische Abmahnung vom 04.11.2019 (Anlage K3, Blatt 21 ff. d.A) gab die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 13.11.2019 (Anlage K1, Blatt 11 ff. d.A.) eine Unterlassungserklärung dahingehend ab, „es bei Vermeidung einer für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung fälligen … Vertragsstrafe … [unter anderem] zu unterlassen, … im geschäftlichen Verkehr betreffend Genussmittel … Angebote zu veröffentlichen und/oder unter Angabe von Preisen zu werben und/oder Angebote bzw. Preiswerbung zu unterhalten, … bei denen es sich um Genussmittel und/oder Lebensmittel und um nach Gewicht von 10 Gramm und mehr angebotene und/oder beworbene Waren in Fertigpackungen, offenen Packungen oder als Verkaufseinheiten ohne Umhüllung handelt, für die nicht gleichzeitig der Preis je Mengeneinheit (Grundpreis) und der Gesamtpreis jeweils unmissverständlich, klar erkennbar (in unmittelbarer Nähe) und gut lesbar angegeben werden…“.

Die Unterlassungserklärung nahm der Kläger mit Schreiben vom 20.11.2019 (Blatt 20 d.A.) an.

b)

Die damit vereinbarte Vertragsstrafe ist verwirkt, § 339 Satz 2 BGB.

Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die Beklagte am 24.06.2020 auf der Handelsplattform … einen aromatisierten Zucker „6 × 100 g (6 × 25 Stück)“ zum Preis von 20,99 € zuzüglich Versandkosten anbot, ohne den Grundpreis anzugeben. Die darin liegende Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsvereinbarung vom 13./20.11.2019 ist von der Beklagten verschuldet. Das Fehlen der Grundpreisangabe beruht unstreitig auf einem Versehen der Beklagten; diesbezüglich fällt ihr zumindest Fahrlässigkeit zur Last, § 276 Abs. 1, 2 BGB.

c)

Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat die Vertragsstrafenforderung auch nicht durch die Anfechtung der Unterlassungsvereinbarung nach § 142 Abs. 1 BGB ihre Grundlage verloren.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die mit dem vorgerichtlichen Anwaltsschreiben vom 03.07.2020 (Anlage K5, Blatt 32 f. d.A.) – rechtzeitig innerhalb der Jahresfrist nach § 124 Abs. 1 BGB – erklärte Anfechtung ausreichend begründet worden ist (allg. hierzu s. Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2021, § 143 BGB, Rn. 7 m.w.N.). Im Streitfall sind jedenfalls die Voraussetzungen der Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB nicht festzustellen.

Nach der Vorschrift kann eine Willenserklärung anfechten, wer zu ihrer Abgabe durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist. Für die hier allein in Betracht kommende Tatbestandsvariante der arglistigen Täuschung ist in objektiver Hinsicht erforderlich, dass durch Täuschung ein Irrtum des Erklärenden hervorgerufen bzw. aufrechterhalten und dadurch dessen Entschluss zur Willenserklärung beeinflusst worden ist (s. etwa BGH, Urteil vom 13.05.1957 – II ZR 56/56 – NJW 1957, 988). Der Getäuschte muss also durch die Täuschungshandlung in einen Irrtum versetzt und damit wiederum zur Abgabe der Willenserklärung „bestimmt“ worden sein. Hierfür genügt Mitursächlichkeit, sodass die arglistig hervorgerufene Fehlvorstellung nicht das einzige die angefochtene Erklärung bestimmende Moment gewesen sein muss (vgl. Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2021, § 123 BGB, Rn. 24 m.w.N.). Auch ist es ausreichend, wenn die getäuschte Partei zwar mit einer Täuschung in einem bestimmten Umfang gerechnet hat, sich später aber herausstellt, dass die Täuschung wesentlich weiter ging. Der nach § 123 Abs. 1 BGB notwendige Kausalzusammenhang zwischen der Täuschung und der Abgabe einer Willenserklärung ist jedoch zu verneinen, wenn die getäuschte Partei die Erklärung ohne Rücksicht auf die Täuschung bzw. deren Umfang abgegeben hat (vgl. BGH, Urteil vom 27.04.1972 – II ZR 150/68 – BeckRS 1972, 31123022 m.w.N.).

Nach diesem Maßstab kann vorliegend offen bleiben, ob der Kläger, wie die Beklagte behauptet, im Abmahnschreiben vom 04.11.2019 in Bezug auf seine Berechtigung zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG in der bis 01.12.2020 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) unzutreffende Angaben gemacht hat und ob ihm insofern Arglist zur Last zu legen ist. Denn es ist jedenfalls nicht festzustellen, dass die behauptete Täuschung bezüglich der Aktivlegitimation für die Abgabe der Unterlassungserklärung kausal geworden war. Dies geht zulasten der Beklagten – die sich hier auf die Nichtigkeit der Unterlassungsvereinbarung gemäß § 142 Abs. 1 BGB beruft und die deshalb nach den allgemeinen Grundsätzen für die Voraussetzungen dieser Norm darlegungs- und beweisbelastet ist.

Die Behauptungen der Beklagten, dass sie die Unterlassungserklärung abgegeben habe, weil sie die Angaben des Klägers im Abmahnschreiben zu den tatsächlichen Voraussetzungen der vom ihm in Anspruch genommenen Aktivlegitimation für zutreffend gehalten habe, und dass sie diese Erklärung bei Kenntnis der diesbezüglichen Zweifel nicht abgegeben haben würde, sind bestritten und nicht unter Beweis gestellt.

Die Beklagte kann sich insofern auch nicht auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises stützen. Der Beweis des ersten Anscheins greift nur bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist. Voraussetzung hierfür ist demnach eine Typizität des Geschehensablaufs: der Kausalverlauf muss so häufig vorkommen, dass die Wahrscheinlichkeit eines solchen Falls sehr groß ist (BGH, Versäumnisurteil vom 10.04.2014 – VII ZR 254/13 – NJW-RR 2014, 1115 m.w.N.). Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Täuschung und Vertragsabschluss lässt sich im Allgemeinen bereits deshalb nicht mittels Anscheinsbeweises feststellen, weil die einem Vertragsschluss zugrundeliegende Willensentscheidung gewöhnlich von den individuellen Umständen des Einzelfalles abhängig ist (vgl. BGH, Urteil vom 20.11.1995 – II ZR 209/94 – NJW 1996, 1051; OLG Brandenburg, Urteil vom 14.03.2019 – 5 U 56/18 – NJOZ 2019, 1240). Ob bei bestimmten Rechtsgeschäften und unter besonderen Umständen aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung eine ausreichende Typizität gleichwohl bejaht werden kann, kann dahinstehen. Denn es erscheint jedenfalls zweifelhaft, dass in Fallgestaltungen der hier in Rede stehenden Art ein Erfahrungssatz erkennbar ist, der von der Abgabe einer wettbewerbsrechtlichen Unterlassungserklärung auf die Vorstellung des Erklärenden schließen lässt, der Erklärungsempfänger sei zur Geltendmachung eines entsprechenden Unterlassungsanspruchs legitimiert. Jedenfalls aber wäre vorliegend ein dahingehender Anschein durch die konkreten Umstände des Streitfalls erschüttert. So heißt es im Anwaltsschreiben der Beklagten an den Kläger vom 13.11.2019 unter anderem (Blatt 12 ff. d.A.):

„Es erscheint mehr als fraglich, ob Sie für die Durchsetzung der geltend gemachten Ansprüche gegenüber unserer Mandantin überhaupt aktivlegitimiert sind. Sie erbringen weder einen Nachweis über die von Ihnen bezifferten Mitgliederzahlen, noch werden die etwaigen Mitbewerber konkret benannt.… Konkrete Nachweise über etwaige Mitbewerber werden von Ihnen jedoch für das Bestehen der Aktivlegitimation im vorliegenden Einzelfall nicht erbracht.… Es ist somit nicht ersichtlich, welche Wettbewerber tatsächlich Ihrem Verband angehören. All dies ist bedenklich, da sie in Ihrem Schreiben sogar auf Ihre Internetpräsenz verweisen, um nötige Informationen zu erhalten, eine konkrete Information auf ihrer Internetpräsenz aber ausbleibt.… Dies verdeutlicht, dass Ihr ‚Interessenverband‘ keineswegs über die von Ihnen behaupteten, festen Mitgliederstrukturen verfügt. Namens und in Vollmacht unserer Mandantin haben wir Sie angesichts des vorstehend skizzierten Hintergrundes dazu aufzufordern, uns in geordneter Weise Auskunft über die von Ihnen zur Begründung eines Wettbewerbsverhältnisses konkret in Bezug genommenen Händler, unter Nennung des vollen Namens sowie einer Anschrift, der Größe, der Marktbedeutung und dem wirtschaftlichen Gewicht der benannten Mitglieder, sowie der vertriebenen Waren zu erteilen. … Um in der Angelegenheit gleichwohl Weiterungen zu vermeiden, geben wir namens und in Vollmacht unserer Mandantschaft, ohne dass hiermit die Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung verbunden wäre, folgende Unterlassungserklärung ab:…“

Diese Ausführungen machen deutlich, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Abgabe der Unterlassungserklärung die Aktivlegitimation des Klägers nicht nur infrage stellte, sondern – wie insbesondere die Forderung nach diesbezüglichen Nachweisen zeigt – für sich als offen betrachtete. Auch die Erklärung, die Unterlassungserklärung „gleichwohl“ abzugeben, um „Weiterungen zu vermeiden“ und ohne damit eine rechtliche Verpflichtung anzuerkennen, weist nach, dass die Beklagte keines Irrtums über das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG a.F. bei dem Kläger unterlegen ist, sondern diese Frage sowie das Bestehen einer entsprechenden rechtlichen Verpflichtung für sich unbeantwortet gelassen hat, um einer weiteren Auseinandersetzung mit dem Kläger zu entgehen. Dem entsprechen die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 27.04.2021 (Blatt 606 ff., 614 d.A.), wonach die Abgabe der Unterlassungserklärung vor dem Hintergrund erfolgt sei, dass der Beklagten eine weitergehende Überprüfung der tatsächlichen Voraussetzungen der Aktivlegitimation unmöglich gewesen sei. Deshalb kann nicht angenommen werden, dass die in Rede stehenden Äußerungen im Abmahnschreiben insofern mitursächlich für die Unterlassungserklärung geworden sind, als hierdurch (zunächst) bestehende Zweifel des Beklagten an der Aktivlegitimation überwunden worden sind.

Weitere Umstände, die mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit auf die Kausalität zwischen der behaupteten Täuschung des Klägers über das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG a.F. und der Abgabe der Unterlassungserklärung durch die Beklagte schließen ließen, sind nicht ersichtlich.

d)

Gegenüber der streitgegenständlichen Vertragsstrafenforderung greift auch nicht der von der Beklagten erhobene Einwand der unzulässigen Rechtsausübung durch.

aa)

Das Landgericht hat im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass ein aufgrund missbräuchlicher Abmahnung abgeschlossener Unterlassungsvertrag nicht nur nach § 314 BGB aus wichtigem Grund gekündigt werden kann, sondern der Geltendmachung von Vertragsstrafen für Verstöße gegen die Unterlassungspflichten, die der Schuldner vor dem Wirksamwerden seiner Kündigung begangen hat, auch der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegenstehen kann (BGH, Urteil vom 14.02.2019 – I ZR 6/17 – GRUR 2019, 638). Insofern ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu prüfen, ob das Verhalten des Abmahnenden vor, bei und nach der Abmahnung den Schluss rechtfertigt, dass die Geltendmachung der Vertragsstrafenansprüche gegen Treu und Glauben verstößt (BGH, Urteil vom 14.02.2019 – I ZR 6/17 – a.a.O.; s. auch BGH, Urteil vom 23.10.2019 – I ZR 46/19 – MMR 2020, 178), wobei die in § 8c Abs. 2 UWG bzw. § 8 Abs. 4 UWG a.F. enthaltenen Indizien für die Feststellung einer missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen herangezogen werden können (vgl. Fritzsche, in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 3. Auflage 2022, § 8c UWG, Rn. 10 m.w.N.).

Von einem Rechtsmissbrauch in diesem Sinne ist auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele sind. Diese müssen allerdings nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein; vielmehr reicht es aus, dass die sachfremden Ziele überwiegen (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 26.04.2018 – I ZR 248/16 – GRUR 2019, 199; Versäumnisurteil vom 28.05.2020 – I ZR 129/19 – GRUR 2020, 1087). Dabei ist jeweils im Einzelfall unter Abwägung der gesamten Umstände des Falles zu beurteilen, ob ein Missbrauch vorliegt. Maßgebend sind die Motive und Zwecke der Geltendmachung des Anspruchs, die in der Regel aber nur aus den äußeren Umständen erschlossen werden können. In die Beurteilung einfließen kann dabei das Verhalten des Gläubigers bei der Verfolgung des konkreten, aber auch anderer Wettbewerbsverstöße (vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2005 – I ZR 300/02 – GRUR 2006, 243).

Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs trifft nach den allgemeinen Grundsätzen denjenigen, der sich auf diesen Einwand beruft, hier also die Beklagte. Insofern unterscheidet sich der Streitfall von den Fallgestaltungen, die etwa den von der Beklagten in Bezug genommenen Entscheidungen des Oberlandesgerichtes Rostock (Beschluss vom 17.11.2020 – 2 U 16/19 – NJ 2021, 74, Anlage B24, Blatt 209 ff. d.A., sowie Beschlüsse vom 20.05.2020 und 31.08.2020 – 2 U 5/19 – GRUR-RS 2020, 33554, MMR 2021, 508, Anlage K25 u. B26, Blatt 216 ff. d.A.) und des Landgerichts Bielefeld (Urteil vom 26.01.2021 – 15 O 26/19 – Anlage B26, Blatt 424 ff. d.A.) zu Grunde lagen. Denn Gegenstand jener Verfahren waren wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche, für die das Nichtvorliegen eines Missbrauchs nach § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG a.F. eine negative Prozessvoraussetzung darstellt, die daher von Amts wegen zu überprüfen und im Wege des Freibeweises festzustellen ist (vgl. Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Auflage 2022, § 8c UWG, Rn. 42 m.w.N.). Der vorliegend zur Verteidigung gegen die streitgegenständliche Vertragsstrafenforderung erhobene Einwand des Rechtsmissbrauchs betrifft hingegen allein die Begründetheit der Klage, sodass die Voraussetzung dieses Einwandes von der Beklagten darzulegen sowie erforderlichenfalls unter Beweis zu stellen und nach dem Strengbeweis des § 286 ZPO festzustellen sind.

Daher bedarf es nach den allgemeinen Grundsätzen des Vortrags von Tatsachen, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Beklagten entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteil vom 17.12.2014 – VIII ZR 88/13 – NJW 2015, 934 m.w.N.). Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 26.10.2016 – IV ZR 52/14 – NJW-RR 2017, 22). Dabei ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, Behauptungen aufzustellen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteil vom 27.05.2003 – IX ZR 283/99 – NJW-RR 2004, 337). Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Einblick in die Sphäre des Gegners keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19 – NJW 2020, 1740).

Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei aber dann, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber aufs Geratewohl gemacht, gleichsam „ins Blaue“ aufgestellt, mit anderen Worten, aus der Luft gegriffen sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20 – NZV 2021, 525). Insoweit ist allerdings Zurückhaltung geboten; in der Regel wird nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte die Annahme eines Rechtsmissbrauchs rechtfertigen können (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20 – NJW 2021, 3721 m.w.N.).

bb)

Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen des von der Beklagten erhobenen Einwandes nach § 242 BGB im Streitfall nicht festzustellen. Die Beklagte hat weder schlüssig dargelegt, dass die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs mit der Abmahnung vom 04.11.2019 rechtsmissbräuchlich war, noch sind sonstige Umstände im Verhalten des Klägers vor, bei und nach der Abmahnung ersichtlich, welche die Vertragsstrafenforderung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen.

(1)

Entgegen der Auffassung des Landgerichts genügt der Vortrag der Beklagten im Streitfall nicht, um ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers im Hinblick auf seine Mitgliederstruktur anzunehmen.

Die Beklagte macht geltend, der Kläger als eingetragener Verein nehme im Onlinehandel tätige Unternehmen typischerweise nur als passive Mitglieder auf, um sie von der Willensbildung im Verein auszuschließen. Sie stützt diese Auffassung auf – nicht tragende – Erwägungen des Oberlandesgerichts Celle in dessen Urteil vom 26.03.2020 (13 U 73/19 – BeckRS 2020, 6551). In dieser Entscheidung ist hierzu im Wesentlichen ausgeführt, für einen Rechtsmissbrauch spreche, dass der dortige und hiesige Kläger die Unternehmen, deren Interessen er fördern wolle, nur als passive Mitglieder aufnehme, welche nach den Bestimmungen der Satzung nicht in die Vereinsorgane gewählt werden könnten und in der Mitgliederversammlung kein Stimmrecht hätten. Ein sachlicher Grund dafür, diese Unternehmen von seiner Willensbildung auszuschließen, sei nicht ersichtlich. Insgesamt bestehe der Eindruck, dass der Kläger von dessen Vorstand nur unterhalten werde, um mit der Verfolgung von Wettbewerbsverstößen Einnahmen zu generieren, und dass die zur Erlangung der Aktivlegitimation und Prozessführungsbefugnis notwendigen Mitglieder gezielt von der Willensbildung ausgeschlossen würden, um diese Einnahmequelle nicht zu gefährden.

Diese Erwägungen sind auf den hiesigen Rechtsstreit nicht übertragbar. Denn vorliegend hat der Kläger dargelegt, dass seine Vereinsmitglieder monatlich über wirtschaftliche und juristische Themen informiert würden, verschiedene Rechtsdienstleistungen nach § 7 Abs. 1 RDG in Anspruch nehmen könnten und dass die Beitragsordnung für aktive Mitglieder höhere Zahlungen vorsehe, als für nicht aktive Vereinsmitglieder. Ausgehend hiervon ist es plausibel, dass Unternehmen die Mitgliedschaft im klagenden Verein wegen dessen Informations- und Beratungsleistungen anstreben und dass sie, sofern sie nicht an einer Mitwirkung in den Vereinsorganen interessiert sind, die passive Mitgliedschaft wählen, welche geringere Kosten auslöst, als eine aktive Mitgliedschaft. Der Umstand, dass die weit überwiegende Mehrzahl der Mitglieder des Klägers passive Mitglieder sind, rechtfertigt deshalb hier – anders als in der dem Oberlandesgericht Celle zu Grunde liegenden Fallgestaltung, in der das Gericht vergleichbare Gründe für eine Mitgliedschaft nicht zu erkennen vermochte – nicht die Annahme, die Möglichkeit einer passiven Mitgliedschaft sei zum Zwecke eines gezielten Ausschlusses der betreffenden Mitglieder von der Willensbildung des Klägers geschaffen worden.

Sonstige Gesichtspunkte, die diesen Schluss nahe legen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Dass über das im Internet-Angebot des Klägers vorgehaltene Registrierungsformular für neue Mitglieder nur eine passive Mitgliedschaft begründet werden kann, genügt hierfür nicht. Dies gilt bereits deshalb, weil das Formular unstreitig unter anderem mit der Satzung des Klägers verknüpft ist, und diese in § 3 die verschiedenen Arten der Mitgliedschaft nennt (s. Anlage B1, Band „Anlagen zum Schriftsatz vom 30.09.2020“, sowie Anlage BK9, Blatt 960 ff. d.A.). Das weitere Vorbringen der Parteien gibt ebenfalls nichts dafür her, dass der Grund, dass der Kläger über erheblich mehr passive als aktive Mitglieder verfügt, nicht in deren Entscheidung, sondern in einer gezielten Behinderung durch Organe des Klägers zu sehen ist. Die dem entgegenstehende Annahme des angefochtenen Urteils, dass nach der klägerischen Vereinsstruktur die Mitglieder an einer eigenen Entscheidung darüber gehindert würden, ob sie mitwirken wollten, lässt schon nicht erkennen, welche tatsächlichen Feststellungen dem zu Grunde liegen.

Eine gezielte Verhinderung der aktiven Mitgliedschaft von im Onlinehandel tätigen Unternehmen ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht deshalb zu vermuten, weil Aktivitäten des Klägers, namentlich sein Vorgehen gegen unzureichende Informationen betreffend Herstellergarantien, zur Verunsicherung in den betroffenen Branchen führen und sich daher auch für Mitglieder des Klägers negativ auswirken könnten. Diese Argumentation der Beklagten lässt unberücksichtigt, dass die von ihr beanstandete Verunsicherung letztlich ihren Grund darin hat, dass die betreffende Rechtsfrage noch nicht abschließend geklärt ist und dass deren Beantwortung jedenfalls dem Grunde nach auch im Interesse der Mitglieder des Klägers liegt.

Ebenso wenig vermag die Beklagte damit durchzudringen, dass es kleinen und mittleren Online-Unternehmen nach Erfahrungen des Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit der Mitgliedschaft in Interessenverbänden darum gehe, ihre Positionen und Interessen gegenüber „großen Playern, aber auch Marktplatz-Betreibern und der Politik“ wahrzunehmen. Zum einen erfordert auch ein derartiges Anliegen nicht zwingend die Mitwirkung in Vereinsorganen. Zum anderen ist nicht erkennbar, dass und aufgrund welcher Umstände dieser Erfahrungshorizont repräsentativ sein soll.

Auch im Übrigen sind keine Umstände ersichtlich, die in Ansehung der relativ großen Anzahl passiver Mitglieder einen Rechtsmissbrauch des Klägers nahelegen. Dass der Kläger seine Aktivlegitimation nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG a.F. aus den unternehmerischen Tätigkeiten seiner passiven Mitglieder ableitet, begründet für sich genommen ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen jedenfalls nicht.

(2)

Die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens rechtfertigt sich ferner nicht unter dem Gesichtspunkt eines selektiven Verschonens wettbewerbswidrig handelnder Mitglieder des Klägers.

Einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 UWG a.F. klagebefugten Verband ist es grundsätzlich nicht verwehrt, nur gegen bestimmte Verletzer gerichtlich vorzugehen. Die Entscheidung hierüber steht ebenso in seinem freien Ermessen, wie es dem einzelnen Gewerbetreibenden freisteht, ob und gegen welche Mitbewerber er Klage erheben will. Eine unzumutbare Benachteiligung des (allein) angegriffenen Verletzers gegenüber anderen – etwa deshalb, weil nunmehr er allein die angegriffenen Handlungen unterlassen müsse – ist darin schon deshalb nicht zu sehen, weil es dem Verletzer grundsätzlich offensteht, seinerseits gegen gleichartige Verletzungshandlungen seiner von dem Verband nicht angegriffenen Mitbewerber vorzugehen (BGH, Urteil vom 17.08.2011 – I ZR 148/10 – GRUR 2012, 411; Urteil vom 05.10.2017 – I ZR 172/16 – GRUR 2017, 1281 jeweils m.w.N.). Allenfalls können besondere Umstände, insbesondere sachfremde Erwägungen, im Einzelfall eine andere Beurteilung nahelegen. Im Streitfall ist bereits nicht festzustellen, dass der Kläger Verletzungshandlungen der eigenen Mitglieder planmäßig duldet. Die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe seinen Mitgliedern einen Abmahnschutz zwar nie zugesichert, einen solchen Schutz aber in der Praxis konsequent gelebt, ist nicht schlüssig dargelegt.

Der von der Beklagten in Bezug genommenen Aussage der Frau H… S… in deren Vernehmung durch das Landgericht Heilbronn im Verfahren 21 O 38/19 KfH am 05.12.2019 (Seite 4 f. der Anlage B14, Band „Anlagen zum Schriftsatz vom 30.09.2020“) lässt sich hierfür nichts entnehmen. Nach den Angaben der Zeugin sei die Einhaltung der wettbewerbsrechtlichen Regelungen zwar nicht Gegenstand der routinemäßig einmal im Jahr stattfindenden Kontrollen der Webshops der Mitglieder. Neben sog. „Web-Checks“, die auf Antrag der Mitglieder durchgeführt würden, fänden insoweit jedoch sporadisch, bei Gelegenheit Überprüfungen der Webshops der Mitglieder statt. Ferner gab die Zeugin an, auf Beschwerden gegen Mitglieder vorzugehen.

Zur Darlegung einer planmäßigen Verschonung der eigenen Mitglieder genügt ferner nicht das erstinstanzlich aus Schriftsätzen anderer Rechtsstreite (LG Rostock – 6 HK O 120/20; LG Stuttgart – 37 O 41/20 KfH; LG Darmstadt – 15 O 14/20 sowie mittelbar LG Heilbronn – 21 O 38/19 KfH) zitierte Vorbringen, wonach bei Mitgliedern des Klägers in einer Reihe von Fällen Wettbewerbsverstöße auffindbar gewesen seien. Denn die Annahme einer planmäßigen Duldung von Wettbewerbsverstößen der eigenen Mitglieder erfordert über das Vorliegen entsprechender Verstöße hinaus zumindest, dass der Kläger hiervon Kenntnis hatte und gleichwohl untätig geblieben ist oder er sich dieser Kenntnis bewusst verschlossen hat. Hierfür fehlt es an jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten.

Die Beklagte, die, wie oben ausgeführt, für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Klägers darlegungs- und beweisbelastet ist, kann sich demgegenüber auch nicht auf eine sekundäre Darlegungslast des Klägers berufen. Eine solche Erklärungslast setzte zunächst einen prozessual beachtlichen Vortrag der (primär) darlegungsbelasteten Partei voraus (vgl. etwa BGH, Urteil vom 08.12.2021 – VIII ZR 190/19 – NJW 2022, 1238), an dem es hier bereits fehlt. Zudem kommt eine sekundäre Darlegungslast des Prozessgegners nur in Betracht, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat. Letzteres lässt sich vorliegend nicht feststellen. Denn ebenso wie es möglich war, die in den vorgenannten Verfahren geltend gemachten Wettbewerbsverstöße festzustellen, wäre es der Beklagten möglich nachzuverfolgen, ob und ggf. in welcher Zeitspanne diese vermeintlichen Verstöße bei Mitgliedern des Klägers abgestellt worden sind. Die Möglichkeit dessen belegen die im hiesigen Berufungsverfahren als Anlagen B51 und B52 vorgelegten Schriftsätze (Blatt 1181 ff. d.A.), welche in den vorgenannten Verfahren in zweiter Instanz bei dem Oberlandesgericht Stuttgart bzw. Oberlandesgericht Frankfurt eingereicht worden sind, sowie der als Anlage B54 vorgelegte Schriftsatz an das Oberlandesgericht Köln (Blatt 1279 ff. d.A.). Dem darin gehaltenen Vortrag einschließlich der abgedruckten Online-Inserate lässt sich nicht entnehmen, dass die in den betreffenden landgerichtlichen Verfahren gerügten Beanstandungen bei Mitgliedern des Klägers – in zumindest nicht unerheblichem Umfang – unverändert fortbestanden.

Auch kann die Beklagte ihre Behauptung eines selektiven Vorgehens nicht auf den Vortrag stützen, die Anzahl der vom Kläger gegen eigene Mitglieder geführten Verfahren falle gegenüber der Zahl der Fälle, in denen der Kläger gegen Nichtmitglieder vorgegangen sei, kaum ins Gewicht. Abgesehen davon, dass damit ein Vorgehen des Klägers gegen eigene Mitglieder – auch wenn dieses nach Auffassung der Beklagten nur „Feigenblattcharakter“ habe – unstreitig ist, ist schon nicht erkennbar, ob das Verhältnis der gegenüber Mitgliedern einerseits und Nichtmitgliedern andererseits geltend gemachten Wettbewerbsverstöße von dem Verhältnis der Anzahl der Mitglieder des Klägers einerseits und der mit diesen im Wettbewerb stehenden Nichtmitglieder andererseits abweicht. Zudem hat der Kläger – teils unter Beweisantritt – dargelegt, dass der Kläger Mitglieder bei der rechtssicheren Gestaltung ihrer Online-Auftritte unterstütze und bei festgestellten Rechtsverstößen zunächst einen entsprechenden Hinweis mit der Aufforderung zur Beseitigung der Verstöße erteile, ehe kostenpflichtige Abmahnungen ausgesprochen oder Gerichtsverfahren geführt würden. Ausgehend von diesem Vorbringen ist es ohne weiteres plausibel, dass der Kläger deutlich seltener mit seinen Mitgliedern als mit Nichtmitgliedern in streitigen Auseinandersetzungen steht. Dies ist von der Beklagten zwar bestritten worden; sie hat allerdings trotz der ihr obliegenden Beweislast ein Beweisangebot nicht unterbreitet. Soweit sie diesem Vortrag den als Anlage B16 vorgelegten Schriftsatz an das Oberlandesgericht Hamm zum dortigen Verfahren I-4 U 97/19 vom 14.02.2020 (Band „Anlagen zum Schriftsatz vom 30.09.2020“) entgegenhält, genügt dies nicht. Darin ist für den dortigen und hiesigen Kläger vorgetragen worden, dass näher bezeichnete Wettbewerbsverstöße „lediglich nicht gerichtlich durch den Kläger angegriffen worden“ seien, der Kläger „seine Mitglieder außergerichtlich anhält, die entsprechenden Hinweise auf bestehende Herstellergarantien vorzuhalten“, und dass der Kläger „unter Vorlage gerichtlicher Verfahren nachgewiesen [hat], dass er ebenfalls gegen Mitglieder vorgeht“. Dieser Vortrag steht mithin nicht im Widerspruch zum hiesigen Vorbringen, sondern entspricht diesem.

Ebenso wenig lassen sich den von der Beklagten angeführten Gerichtsentscheidungen tatsächliche Anhaltspunkte entnehmen, die im vorliegenden Rechtsstreit mit dem nach § 286 ZPO erforderlichen Grad an Gewissheit auf eine planmäßige Verschonung der eigenen Mitglieder durch den Kläger schließen lassen. Zwar ist in den vorgenannten Entscheidungen des Oberlandesgerichts Rostock und des Landgerichts Bielefeld angenommen worden, dass die hiesige Klägerin nicht gegen eigene Mitglieder vorgehe. Diesen Feststellungen liegen jedoch keine weitergehenden Erkenntnisse, sondern Würdigungen des jeweiligen Prozessstoffes zu Grunde, die nicht auf den vorliegenden Rechtsstreit übertragbar sind.

Die Annahme einer gezielten Verschonung der eigenen Mitglieder rechtfertigt sich schließlich nicht aus der Erwägung der Beklagten, wonach diese Begünstigung von Mitgliedern gegenüber Nichtmitgliedern das plausibelste Motiv für eine Mitgliedschaft im Kläger sei. Der Kläger ist dem mit der Darlegung der bereits angeführten Informations- und Beratungsleistungen, welche den Mitgliedern angeboten würden, entgegengetreten.

(3)

Die weiteren von der Beklagten angeführten Gesichtspunkte rechtfertigen ebenfalls nicht die Annahme, dass der Kläger bei der Geltendmachung von Ansprüchen überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen.

Dass der Kläger einer freien Mitarbeiterin, Frau H… S… – der Schwester der 1. Vorsitzenden – ein Bruttogehalt in Höhe von 120 € pro Stunde zahlt, lässt nicht darauf schließen, dass es dem Kläger bei der Abmahntätigkeit und der Geltendmachung von Vertragsstrafen vorrangig darum geht, Einnahmen zu generieren und bestimmten Personen unangemessen hohe Zahlungen zukommen zu lassen. Der Kläger hat unbestritten vorgetragen, dass diese Mitarbeiterin seit der Gründung des Klägers in dessen Tätigkeit eingebunden sei und sich durch ihre dort fast zehn Jahre währende kontinuierliche Arbeit sowie durch Fortbildungen Spezialkenntnisse im Verbandswesen, im RDG, im UWG und seinen Nebengesetzen sowie in Bereichen des Lebensmittelrechts, insbesondere betreffend Nahrungsergänzungsmittel und diätische Lebensmittel, erworben habe. Dass der Kläger eine vergleichbar spezialisierte Mitarbeiterin zu geringeren Kosten hätte beschäftigen können oder ein derartiges Spezialwissen zur Erledigung der Aufgaben des Klägers nicht erforderlich sei, hat die Beklagten nicht dargelegt und ist auch sonst nicht offenkundig. Entsprechendes gilt hinsichtlich des Verweises der Beklagten auf die Ausführungen im Urteil des Landgerichts Köln vom 26.01.2022 (81 O 35/21, Anlage B56, Blatt 1385 ff. d.A.) zu Zahlungen des Beklagten an dessen Vorstandsmitglieder und Mitarbeiter.

Soweit die Beklagte meint, ein vorrangig auf die Erzielung von Vertragsstrafen gerichtetes Interesse des Klägers daraus herleiten zu können, dass Abmahnschreiben standardmäßig und systematisch zu weit gefasst würden, fehlt es ebenfalls an einer hinreichenden Darlegung. Soweit die Beklagte geltend macht, auch die streitgegenständliche Abmahnung vom 04.11.2019 enthalte eine in mehrfacher Hinsicht zu weit gehend formulierte Unterlassungserklärung, ist bereits nicht ersichtlich, dass die der Beklagten vorliegend vom Kläger vorgeschlagene Unterlassungsverpflichtungserklärung (Blatt 29 d.A.) offensichtlich über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausgeht. Insbesondere greift der von der Beklagten erhobene Einwand gegen die darin enthaltene Formulierung, wonach Grundpreis und Gesamtpreis „jeweils unmissverständlich, klar erkennbar (in unmittelbarer Nähe) und gut lesbar“ anzugeben seien, in der Sache nicht durch (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 19.05.2022 – I ZR 69/21 – GRUR-RS 2022, 15055). Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich auch daraus, dass das Oberlandesgericht Hamm im Urteil vom 29.06.2010 (I-4 U 24/10 – Anlage B38, Blatt 582 ff. d.A.) sowie das Landgericht Bielefeld im Urteil vom 26.01.2021 (15 O 26/19 – Anlage B28, Blatt 424 ff. d.A.) jeweils angenommen haben, der hiesige Kläger habe in den dortigen Streitfällen zu weit gefasste Unterlassungserklärungen begehrt, nicht auf ein insoweit standardmäßiges bzw. systematisches Vorgehen schließen. Schon angesichts der unstreitig hohen Zahl der vom Kläger geltend gemachten Wettbewerbsverletzungen kann nämlich ohne weiteres nicht angenommen werden, dass hierin ein planmäßiges Vorgehen und nicht lediglich Abweichungen von der herrschenden Rechtsauffassung im Einzelfall zu erkennen sind.

Unschlüssig ist ferner das Vorbringen der Beklagten, wonach ein Missverhältnis zwischen den Einnahmen des Klägers und den von ihm eingegangenen Kostenrisiken bestehe. Der diesbezügliche Tatsachenvortrag der Beklagten erschöpft sich im Wesentlichen in der – zumal bestrittenen und nicht unter Beweis gestellten – Behauptung zur Anzahl der von der Kanzlei des Beklagtenvertreters bearbeiteten Streitfälle, die wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche des Klägers zum Gegenstand haben. Mit dem unter Beweis gestellten Vortrag des Klägers zu den Einnahmen und dem Mitgliederbestand des Vereins setzt sich die Beklagte nicht auseinander. Auch ist unstreitig geblieben, dass der Kläger seine finanziellen Verpflichtungen, insbesondere gegenüber Gerichten, beauftragten Rechtsanwälten und kostenerstattungsberechtigten Gegnern, stets vollständig erfüllt.

Der Umstand, dass in der Kanzlei der Beklagtenvertreter aus dem Zeitraum seit Anfang 2019 mehr als 75 vom Kläger eingeleitete Abmahnverfahren vorliegen, in denen Unterlassungsansprüche nicht weiterverfolgt worden sein sollen, rechtfertigt ohne weiteres ebenfalls nicht den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs. Schon die Vielzahl der – auch von der Beklagten – zitierten gerichtlichen Entscheidungen zu vom Kläger geltend gemachten wettbewerblichen Unterlassungsansprüchen sprechen gegen die Annahme, die Tätigkeit des Klägers sei vorrangig auf die Verfolgung von Vertragsstrafenansprüchen, statt auf die Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen gerichtet.

Da im Ergebnis nach dem Vortrag der Parteien in diesem Rechtsstreit keiner der von der Beklagten geltend gemachten Aspekte hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Vorgehens des Klägers bietet, führt auch eine zusammenfassend anzustellende Gesamtwürdigung nicht zu der Annahme eines missbräuchlichen Vorgehens des Klägers.

e)

Ohne Erfolg wendet sich die Beklagte des Weiteren gegen die Höhe der vom Kläger bestimmten Vertragsstrafe von 3.000 €.

Die Vorschrift des § 13a Abs. 3 UWG in der ab dem 02.12.2020 geltenden Fassung (im Folgenden auch: n.F.) steht der Höhe der im Streitfall geforderten Vertragsstrafe nicht entgegen. Nach der Vorschrift dürfen Vertragsstrafen eine Höhe von 1.000 € nicht überschreiten, wenn die Zuwiderhandlung angesichts ihrer Art, ihres Ausmaßes und ihrer Folgen die Interessen von Verbrauchern, Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern in nur unerheblichem Maße beeinträchtigt und wenn der Abgemahnte in der Regel weniger als 100 Mitarbeiter beschäftigt. Ob bereits infolge der hier angegriffenen werbenden Tätigkeit über das Internet eine unerhebliche Beeinträchtigung in diesem Sinne ausscheidet (so wohl OLG Koblenz, Urteil vom 06.12.2020 – 9 U 595/20 – GRUR-RR 2021, 318), kann dahinstehen. Denn § 13a UWG kommt auf den vorliegenden Fall von vornherein nicht zur Anwendung, weil § 15a UWG den Anwendungsbereich der Vorschrift auf solche Abmahnungen beschränkt, die ab dem 02.12.2020 zugegangen sind. Die der hier in Rede stehenden Unterlassungsvereinbarung zu Grunde liegender Abmahnung des Klägers hat der Beklagten indes bereits im November 2019 erhalten.

Die Höhe der vom Kläger geforderten Vertragsstrafe bleibt daher an dem Maßstab des § 315 Abs. 1 BGB zu überprüfen. Mit der zwischen den Parteien zustande gekommenen Unterlassungsvereinbarung hat sich die Beklagte für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung zur Zahlung einer vom Kläger „im Sinne von § 315 BGB zu bestimmenden angemessenen Vertragsstrafe“ verpflichtet. Danach hat der Kläger das Recht, im Falle einer Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht die Höhe der Vertragsstrafe gemäß § 315 Abs. 1 BGB nach seinem billigen Ermessen festzusetzen, die getroffene Bestimmung ist verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht, § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB. Dem Bestimmungsberechtigten steht mithin ein Ermessensspielraum zu, sodass die Bestimmung durch das Gericht nur zu ersetzen ist, wenn die durch § 315 Abs. 1, 3 BGB gezogene Billigkeitsgrenze überschritten ist, nicht dagegen schon, wenn das Gericht eine andere Festsetzung für richtig hält (vgl. etwa OLG Karlsruhe, Urteil vom 18.12.2015 – 4 U 191/14 – GRUR-RR 2016, 92; OLG Celle, Beschluss vom 23.11.2020 – 13 U 56/29 – juris). Auch daraus, dass nach der Unterlassungsvereinbarung die „Höhe [der Vertragsstrafe] im Streitfall vom zuständigen Gericht zu überprüfen ist“, folgt entgegen der Auffassung der Beklagten keine weitergehende gerichtliche Überprüfungskompetenz. Anderes ergibt sich auch nicht aus § 13a Abs. 4 UWG n.F. Denn diese Vorschrift betrifft die allein Angemessenheitskontrolle betragsmäßig fixierter (absoluter) Vertragsstrafen (vgl. Bornkamm/Feddersen in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Auflage 2022, § 13a UWG, Rn. 11).

Die vom Kläger getroffene Bestimmung der Vertragsstrafe auf 3.000 € überschreitet die mithin maßgebende Billigkeitsgrenze nicht.

Für die Bestimmung, was als angemessene Vertragsstrafe anzusehen ist, sind Schwere und Ausmaß der Zuwiderhandlung und deren Gefährlichkeit für den Gläubiger, das Ausmaß der Wiederholungsgefahr, das Verschulden des Verletzers und ggf. die Funktion der Vertragsstrafe als pauschalierter Schadensersatz entscheidend (vgl. BGH, Urteil vom 30.09.1993 – I ZR 54/91 – GRUR 1994, 146). Danach ist im Streitfall zu berücksichtigen, dass der von dem Kläger festgesetzte Betrag der Vertragsstrafe bereits niedriger liegt als der im Lauterkeitsrecht für durchschnittliche Verstöße als üblich angesehene Betrag in Höhe von 5.001 € (vgl. Senat, Urteil vom 20.04.2021 – 6 U 72/19 – GRUR-RS 2021, 10217), obwohl der inkriminierte Verstoß, auch infolge der Verbreitung der Werbung über das Internet, nicht als minderschwerer Fall qualifiziert werden kann. Das Vorbringen der Beklagten, in der Regel weniger als 100 Mitarbeiter zu beschäftigen, über nur geringe Marktbedeutung zu verfügen, aus dem Verstoß keinen zusätzlichen Umsatz oder Gewinn erzielt zu haben und kein Interesse an einer Wiederholung des streitgegenständlichen Verhaltens zu haben, erfordert bereits deshalb und mangels Darlegung näherer Umstände keine andere Würdigung.

2.

Der als Nebenforderung geltend gemachte Zinsanspruch rechtfertigt sich aus § 286 Abs. 1, §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

3.

Die Nebenentscheidungen folgen § 91 Abs. 1 Satz 1, § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 ZPO. Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, § 543 Abs. 2 ZPO. Die Streitwertfestsetzung begründet sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO.