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Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung - uneingeschränkter Arbeitsmarktzugang - Vorbeschäftigungszeit - längerer Voraufenthalt - leitender Angestellter - Spezialitätenkoch


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 17.05.2022
Aktenzeichen OVG 3 S 9/22 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2022:0517.OVG3S9.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 18 Abs 2 AufenthG, § 19c AufenthG, § 39 AufenthG, § 1 BeschV, § 3 Nr 1 BeschV, § 9 BeschV, § 11 Abs 2 BeschV

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 15. März 2022 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers - VG 3 K 1585/21 - gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchbescheids der Landrätin des Landkreises Uckermark vom 15. Juni 2021 wird insgesamt angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Das für die Entscheidung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO maßgebliche Vorbringen des Antragstellers rechtfertigt die Änderung der angegriffenen Entscheidung und führt zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, deren Erfolgsaussichten danach als zumindest offen zu beurteilen sind.

Es spricht Überwiegendes für die Annahme des Antragstellers, er könne sich für die rechtzeitig beantragte Verlängerung der ihm zuletzt für eine Beschäftigung als leitender Angestellter erteilten Aufenthaltserlaubnis darauf berufen, dass inzwischen jedenfalls die Voraussetzungen des § 19c AufenthG i.V.m. § 9 BeschV vorliegen. Dies muss der abschließenden Klärung im Verfahren der Hauptsache vorbehalten bleiben.

Der Antragsteller war bis zum 30. Januar 2014 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis für eine Beschäftigung als Spezialitätenkoch im Restaurant „... in S.... Im Mai 2014 erteilte ihm die Antragsgegnerin eine zuletzt bis 28. November 2019 verlängerte Aufenthaltserlaubnis für eine Beschäftigung als leitender Angestellter (§ 3 Nr. 1 BeschV) desselben Restaurants. Bereits im behördlichen Verfahren und vor dem Verwaltungsgericht hat der Antragsteller geltend gemacht, es komme nicht entscheidend auf die erneute Darlegung der Voraussetzungen für die Weitererteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19d AufenthG (gemeint war offenbar: § 19c AufenthG) i.V.m. § 3 BeschV an, da er bereits seit Februar 2016 die Voraussetzungen für die Erteilung einer „offenen Beschäftigungserlaubnis“ gemäß § 9 BeschV erfülle. Dem ist das Verwaltungsgericht nicht gefolgt, weil § 9 BeschV allein besage, dass in bestimmten Fällen die Zustimmung der Arbeitsagentur nicht erforderlich sei.

Es spricht indes mehreres dafür, dass es für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19c AufenthG bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 BeschV nicht darauf ankommt, ob die Aufnahme der beabsichtigten Beschäftigung noch von einer weiteren Rechtsgrundlage nach der Beschäftigungsverordnung gedeckt ist.

Die Regelung des § 9 BeschV wird von der Bundesagentur für Arbeit und in der Literatur so verstanden, dass damit ein eigenständiger Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnet ist, für den es keiner weiteren Rechtsgrundlage mehr bedarf (vgl. BA, Fachliche Weisungen AufenthG und BeschV, Stand 06/2021, Ziff. 39.9.1; Breidenbach, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 01.07.2021, § 9 BeschV Rn. 1). Die Vorschrift ermögliche somit auch den Wechsel in eine andere Tätigkeit, für die nach der Beschäftigungsverordnung nicht erstmals eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden darf (vgl. Offer/Mävers, BeschV, 2016, § 9 Rn. 1).

Für diese Auslegung dürfte bereits der Regelungszusammenhang sprechen. Mit dem am 1. März 2020 in Kraft getretenen Fachkräfteeinwanderungsgesetz vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1307) sind in § 19c AufenthG verschiedene Aufenthalte zum Zweck der Beschäftigung zusammengefasst worden. Die Vorschrift umfasst in Absatz 1 Beschäftigungsaufenthalte, die sich aus der Beschäftigungsverordnung ergeben. Diese Verordnung ist auch nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG und § 39 AufenthG von Bedeutung, wonach die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Ausübung einer Beschäftigung der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit bedarf, soweit nicht durch Gesetz, zwischenstaatliche Vereinbarung oder die Beschäftigungsverordnung bestimmt ist, dass die Ausübung der Beschäftigung ohne deren Zustimmung zulässig ist. Damit übereinstimmend bestimmt § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeschV zum Anwendungsbereich der Verordnung, diese regele u.a., in welchen Fällen ein Aufenthaltstitel, der einer Ausländerin oder einem Ausländer die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt, nach § 39 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit erteilt werden darf. Die Erfüllung der Voraussetzungen des § 9 BeschV dürfte deshalb nicht allein von der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit freistellen, sondern neben dieser Erleichterung des Verfahrens zugleich bedeuten, dass eine Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung auf der Grundlage des § 19c Abs. 1 AufenthG unabhängig davon erteilt werden darf, ob ein anderer Tatbestand der Beschäftigungsverordnung gegeben ist, der auch die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung (mit oder ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit) erlaubt hätte.

Die Verordnungsbegründung, nach der mit § 9 BeschV die zuvor in § 3b BeschV enthaltenen Regelungen über den uneingeschränkten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt nach zweijähriger Beschäftigung oder dreijährigem Aufenthalt übernommen werden sollten, und nach der dies dazu beitragen sollte, dass ausländische Fachkräfte leichter erkennen können, ab wann sie nach erster Zulassung zur Beschäftigung uneingeschränkt in Deutschland arbeiten dürfen (BR-Drs. 182/13, S. 31), bestätigt die Bedeutung der Vorschrift als eigenständige Grundlage für den Arbeitsmarktzugang.

Diese Auslegung eröffnet nicht etwa die Möglichkeit einer Umgehung der zeitlichen Begrenzung bestimmter Beschäftigungen, wie z.B. nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BeschV der Beschäftigung von Spezialitätenköchinnen und Spezialitätenköchen in Spezialitätenrestaurants, denn durch § 9 Abs. 2 Nr. 2 BeschV wird die Anrechnung zeitlich begrenzter Beschäftigungen auf die Zeit der Vorbeschäftigung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 BeschV ausgeschlossen. Für den Antragsteller wirkt sich dieser Ausschluss der Anrechnung nicht nachteilig aus, da er sich auf eine nach der Beschäftigungsverordnung nicht zeitlich begrenzte Vorbeschäftigung als leitender Angestellter berufen kann.

Die Voraussetzungen des § 9 BeschV liegen voraussichtlich vor. Der Antragsteller erfüllt mit der ihm zuletzt für eine Beschäftigung als leitender Angestellter erteilten Aufenthaltserlaubnis die Voraussetzung nach § 9 Abs. 1 BeschV, wonach die Regelung nur Personen begünstigt, die bereits im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder einer Blauen Karte EU sind. Da es sich um eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Beschäftigung handelt, stellt sich hier nicht die Frage, ob auch nach Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes daran festzuhalten ist, dass die von § 9 Abs. 1 BeschV vorausgesetzte Aufenthaltserlaubnis keine solche sein darf, die kraft Gesetzes zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. August 2018 - 1 C 22.17 - juris; dazu VGH Mannheim, Beschluss vom 31. Januar 2022 - 11 S 1085/21 - juris).

Die mit der Beschwerde vorgelegten Unterlagen über die bisherige Beschäftigung des Antragstellers sowie die Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet, für den er durchgängig im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis war, sprechen zudem dafür, dass sowohl die weitere Voraussetzung einer mindestens zweijährigen rechtmäßigen versicherungspflichtigen Beschäftigung im Bundesgebiet (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BeschV) als auch die alternative Voraussetzung eines dreijährigen rechtmäßigen Voraufenthalts (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BeschV) erfüllt sein dürften. Ob gegen die Rechtmäßigkeit der Vorbeschäftigung oder des Voraufenthalts eingewandt werden kann, der Antragsteller sei mangels hinreichender deutscher Sprachkenntnisse schon in der Vergangenheit nicht in der Lage gewesen, die Funktion eines leitenden Angestellten auszuüben, muss der tatsächlichen und rechtlichen Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Die aufschiebende Wirkung deshalb zu versagen, erschiene im Hinblick darauf nicht als interessengerecht, dass der Antragsgegnerin die fehlenden deutschen Sprachkenntnisse des Antragstellers nach Lage der Akten bereits bei der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltserlaubnis für eine Beschäftigung als leitender Angestellter bekannt waren und diese Aufenthaltserlaubnis ohne Nachweis verbesserter Sprachkenntnisse mehrfach verlängert wurde.

Der Annahme offener Erfolgsaussichten steht auch nicht die Erwägung im Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 2021 entgegen, die Erteilung einer arbeitgeberunabhängigen Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 9 BeschV sei ebenfalls zurückzuweisen, weil es dann an einem konkreten Arbeitsplatzangebot mangelte oder, falls doch ein Arbeitsplatzangebot bestünde, die bestehende Sprachbarriere der Kommunikation mit dem potentiellen Arbeitgeber und den sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden arbeitsrechtlichen und betrieblichen Beziehungen hinderlich wäre. Der Antragsteller hatte gegenüber dieser vom Verwaltungsgericht nicht aufgegriffenen Erwägung schon erstinstanzlich auf den aktenkundigen Arbeitsvertrag vom 30. April 2019 hingewiesen, der nach wie vor Gültigkeit besitze. Die für ein konkretes Arbeitsplatzangebot (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG) erforderliche verbindliche Willenserklärung des Arbeitgebers, eine bestimmte Stelle mit dem Ausländer besetzen zu wollen, dürfte damit belegt sein. Da der Antragsteller in dem Betrieb bereits langjährig beschäftigt ist, lässt sich auch nicht annehmen, er erfülle nicht die vom Arbeitgeber vorausgesetzten sprachlichen Anforderungen. Auf die Bedeutung der fehlenden Deutschkenntnisse bei potentiellen anderen Arbeitgebern dürfte es nicht entscheidungserheblich ankommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 8 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).