Gericht | VG Potsdam 6. Kammer | Entscheidungsdatum | 11.07.2022 | |
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Aktenzeichen | 6 L 831/20 | ECLI | ECLI:DE:VGPOTSD:2022:0711.6L831.20.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 1 Abs 1 BtMG, § 29 Abs 1 S 1 Nr 1 BtMG, § 5 Abs 2 LFGB, § 39 Abs 1 aF LFGB, § 39 Abs 2 Nr 4 Alt 1 aF LFGB, § 13 Abs 1 OBG BB, Art 2 UAbs 3 Buchst g EGV 178/2002, Art 138 Abs 1 S 1 Buchst a EUV 2017/625, Art 3 Abs 2 Buchst a Nr iv EUV 2015/2283, Art 14 Abs 1 EGV 178/2002, Art 138 Abs 2 Buchst d EUV 2017/625, Art 138 Abs 2 Buchst g EUV 2017/625, Art 6 Abs 2 EUV 2015/2283 |
1. Getrocknete nicht entharzte Blüten von Nutzhanf können Betäubungsmittel sein (hier bejaht).
2. Sollten getrocknete Hanfblüten als Lebensmittel anzusehen sein, wären sie als neuartiges Lebensmittel ohne Zulassung nicht verkehrsfähig.
3. Bei Überschreitung des ARfD-Wertes ist Hanfblütentee als gesundheitsschädlich anzusehen (hier bejaht).
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage VG 6 K 2255/20 wird angeordnet, soweit sie die Zwangsmittelandrohung zum Gegenstand hat.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
2. Der Wert des Streitgegenstands wird auf 35.000,-- Euro festgesetzt.
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ergangene behördliche Verfügung, mit der ihm unter Androhung von Zwangsmitteln untersagt wird, Hanfblüten als Lebensmittel in Verkehr zu bringen und mit der ihm gleichzeitig aufgegeben wird, derart bereits in Verkehr gebrachte Produkte zurückzunehmen.
Er produziert in seinem landwirtschaftlichen Betrieb Hanfprodukte, die er über einen Online-Shop vertreibt. Zudem beliefert er den Einzel- und Großhandel mit seinen Erzeugnissen, die aus Nutzhanf hergestellt sind. Insbesondere vertreibt er getrocknete Hanfblüten unter anderem unter der Bezeichnung „Hanfbütentee“.
Ab Oktober 2017 führte der Antragsgegner beim Antragsteller lebensmittelrechtliche Kontrollen durch. Sodann begutachteten mehrere Landeslabore Proben unterschiedlicher Sorten des vom Antragsteller vertriebenen „Hanfblütentees“ wie nachfolgend dargestellt. Sie ermittelten die jeweilige Konzentration von psychoaktivem Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) sowie von entsprechend aktivierbarer Delta-9-Tetrahydrocannabinolsäure (THC-Säure), aus deren Summe sich der Gesamt-THC-Gehalt zusammensetzt. Ferner ermittelten die Labore, ob bei der Aufnahme von einer Tasse eines daraus aufgebrühten Tees die akute Referenzdosis für die Aufnahme von THC von einem Mikrogramm (μg) pro Kilogramm Körpergewicht bezogen auf einen Erwachsenen überschritten wäre und bejahten bei einer Überschreitung eine Gesundheitsgefährdung.
lfd. Nr. | Datum des Gut-achtens | Labor | Sorte | THC | THC-Säure | Gesamt-THC | Über-schreitung des ARfD-Werts |
1) | 09.09.19 | Hessisches Landeslabor K | Finola | 445 ± 61 | 353 ± 4 | 733 | ja |
2) | 09.09.19 | Hessisches Landeslabor K | Santica | 117 ± 7 | 77 ± 8 | 179 | ja |
3) | 07.10.19 | Chemisches und Veterinär-untersuchungs-amt K | Finola | 287 ± 83 | * | 204 | ja |
4) | 05.12.19 | Landeslabor B | Finola | * | * | 264 | ja |
5) | 05.12.19 | Landeslabor B | Fedora | * | * | 209 | ja |
6) | 06.02.20 | Landesunter-suchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen in C | Finola | * | * | 417 | ja |
* Wert nicht gesondert ermittelt
Alle aufgeführten Gutachten stuften zudem die untersuchten Cannabisblüten unionsrechtlich als sogenanntes neuartiges Lebensmittel ein, das in Ermangelung einer erforderlichen Zulassung nicht verkehrsfähig sei. Im Gutachten Nr. 3) wurde der Anteil an THC-Säure nicht ermittelt.
Unter dem 11. Februar 2020 hörte der Landrat des Landkreises P den Antragsteller unter Verweis auf die zwischen dem 9. September 2019 und dem 6. Februar 2020 ergangenen gutachterlichen Stellungnahmen zu der Absicht an, ihm das Inverkehrbringen von Hanfblüten zu untersagen, da es sich um ein neuartiges Lebensmittel handele, für das er die erforderliche Zulassung nicht besitze.
Mit Bescheid vom 2. April 2020, zugestellt am 7. April 2020, verfügte der Landrat des Landkreises P gegenüber dem Antragsteller:
„1. Die von Ihnen erzeugten bzw. be- und verarbeiteten Hanfblüten dürfen als Lebensmittel nicht mehr in Verkehr gebracht werden. Frist: unverzüglich
2. Bereits von Ihnen im Einzelhandel- und Großhandel in Verkehr gebrachte Produkte, welche Hanfblüten enthalten, sind durch Sie zurückzunehmen. Frist: unverzüglich
Gemäß § 39 Abs. 7 LFGB haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Maßnahmen keine aufschiebende Wirkung.
Für die Maßnahmen ordne ich gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die sofortige Vollziehung an. Dies betrifft die Rücknahme der Produkte Ihrerseits aus dem stationären Einzel- und Großhandel sowie die Beendigung des Verkaufs mittels Fernkommunikationsmittel.
Sollten Sie dieser Anordnung nicht, nicht fristgemäß oder nicht vollständig nachkommen, drohe ich Ihnen gemäß §§ 26 Abs. 1, 27 Abs. 1 und 2 Nr. 1, 28, 29 und 30 Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Brandenburg (VwVGBbg) ein Zwangsgeld in Höhe von 1000 Euro an.“
Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, sie stütze ihre Verfügung auf § 39 LFGB. Danach treffe sie die notwendigen Maßnahmen, um die Einhaltung lebensmittelrechtlicher Vorschriften sicherzustellen. Sie bezog sich zur Begründung auf die in der Anhörung genannten Gutachten. Die vom Antragsteller vertriebenen Hanfblüten seien unionsrechtlich als neuartige Lebensmittel anzusehen. Nach dem offiziellen Novel-Food-Katalog der EU seien lediglich Hanfsamen, Hanfsamenöl, Hanfsamenmehl sowie entfettetes Hanfsamenprotein vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang verzehrt worden. In der Unionsliste der zugelassenen neuartigen Lebensmittel sei kein Eintrag für Cannabis sativa L. bzw. Hanfblüten vorhanden. Zum Schutze des Verbrauchers könne ein weiteres Inverkehrbringen von Hanfblüten als Lebensmittel nicht geduldet werden. Die gesetzte Frist zur Beseitigung des Mangels sei unter Berücksichtigung der Interessen des Verbrauchers und seiner, des Antragstellers, Pflicht zur Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften angemessen. Die sofortige Vollziehung der Verfügung werde im öffentlichen Interesse angeordnet. Der Zeitverzug der aufschiebenden Wirkung eines etwaigen Widerspruchsverfahrens könne im Sinne des Verbraucherschutzes nicht hingenommen werden. Ein privates Interesse an der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs müsse hier im öffentlichen Interesse der sofortigen Vollziehung der Maßnahmen zurückstehen.
Der Antragsgegner erhielt folgendes weiteres Ergebnis einer Untersuchung:
lfd. Nr. | Datum | Labor | Sorte | THC | THC-Säure | Gesamt-THC | Über-schreitung des ARfD-Werts |
7) | 01.04.20 | Landesunter-suchungsamt R | Finola | * | * | 1083 | ja |
* Wert nicht gesondert ermittelt
Am 23. April 2020 erhob der Antragsteller Widerspruch. Er trug im Wesentlichen vor, die Behörde habe keine Einzelfallprüfung vorgenommen, ob Hanfblüten als neuartiges Lebensmittel anzusehen seien. Einem Eintrag im Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission komme nur Indizwirkung zu. Überdies seien die dort genannten und im angefochtenen Bescheid aufgeführten Pflanzenteile der Cannabis sativa-Pflanze dort nur beispielhaft aufgeführt. Eine Verzehrgeschichte für Cannabisblüten ergebe sich bereits aus dem „Kochbuch“ des B aus dem Jahr 1475 n. Chr. Dort werde beschrieben, dass man bei der Zubereitung des Heißgetränks die Blüten und Blätter der Cannabispflanze gemeinsam verwendete und zermahlte und dass man dieses zermahlene Ergebnis dann nicht roh verzehrte, sondern in einem eisernen Topf aufkochte, um es dann zu trinken. Dies ergebe sich aus der beigefügten englischen Übersetzung des auf Latein verfassten Originalrezepts. Zudem habe der Landesverband Berlin Bündnis 90 / die Grünen in seinem mehrere tausend Auflagen umfassenden Papier von Oktober 1995 verschiedene Hanfrezepte veröffentlicht. Im Speziellen in dem Rezept „Majoun“ würden Hanfblüten ausdrücklich als geläufige Zutat aufgeführt. Die in der Veröffentlichung dargestellten Rezepte stellten zwar als solche traditionelle Zubereitungen von (THC-haltigem) Cannabis aus anderen Teilen der Welt dar. Sie seien aber 1995 bereits derart in Europa bekannt gewesen, dass der Landesverband die Verzehrmöglichkeit von heimischem Hanf der deutschen Bevölkerung empfehlender Weise nahegebracht habe. Überdies ergebe sich eine Verwendungsgeschichte aus der Expertise der CIS Clinical Investigation Support Pharmaforschung GmbH vom 11. Januar 2016. Dort heiße es u.a., dass in Europa jährlich 7,5 t Hanfblüten für die Produktion von essentiellen Ölen für die Nahrungs- und Getränkeindustrie verarbeitet würden und die entsprechende gesetzliche Grundlage bereits im Jahre 1970 geschaffen worden sei. Auch habe die Europäische Kommission im Jahre 1998 anlässlich des Inkrafttretens der Novel-Food-Verordnung schriftlich bestätigt, dass sich der Ständige Lebensmittelausschuss der EU-Kommission am 18. Dezember 1997 mit der Frage der Verwendung von Hanf in Lebensmitteln ausführlich befasst habe. Es sei anhand der der Kommission vorliegenden Daten und Informationen übereinstimmend seitens des Ständigen Lebensmittelausschusses als erwiesen angesehen und festgestellt worden, dass Lebensmittel, die Teile der Hanfpflanze enthielten, wie unter anderem Hanfblüten, nicht als neuartige Lebensmittel einzustufen seien. Die Bundesregierung habe im Jahre 2019 ausdrücklich bestätigt, dass die Stellungnahmen der Kommission weiter Gültigkeit hätten. Die Hanfgesellschaft Berlin habe sich im Jahre 1997 dahin geäußert, dass nach einer Umfrage unter 40 Unternehmen in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und England vor dem 15. Mai 1997 rund 115.000 Liter Getränke mit Hanfblüten/-blättern verkauft worden seien. Zudem habe im Jahre 1986 ein gewisser Vilnius Mintus in seiner Veröffentlichung „Upyte“ einen Eintrag für Cannabis-Sativa-Tee. Damit seien auch die Rücknahmeverfügung und die Zwangsgeldandrohung rechtswidrig. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei rechtswidrig, da sie nur floskelhaft begründet worden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 3. August 2020, zugestellt am 4. August 2020, wies der Landrat des Landkreises Prignitz den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, Rechtsgrundlage für die Verfügung sei § 39 des Lebensmittel- Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuches – LFGB – i.V.m. Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 2015/2283. Mehrere amtlichen Gutachten seien zum Ergebnis gekommen, dass es sich bei den vom Antragsteller vertriebenen Hanfblüten um ein neuartiges Lebensmittel handele, dem indes die erforderliche Zulassung fehle. Soweit der Antragsteller den Eintrag im Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission hinsichtlich bestimmter dort genannter Pflanzenteile als nicht abschließend ansehe, stehe dies im Widerspruch zu der Auffassung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Auch von anderen Ländern oder Verbänden der EU würden Listen mit Pflanzen und Pflanzenteilen geführt, welche als Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel verwendet würden. So seien Blüten der Pflanze Cannabis sativa L. im österreichischen Lebensmittelbuch für die Herstellung teeähnlicher Erzeugnisse nicht zugelassen; Cannabis sativa L. sei in der BELFRIT-Liste als gefährliche Pflanze gelistet, die nicht als oder in Lebensmitteln verwendet werden dürfe. Dagegen sei diese Pflanze in der EuroFIR-NETTOX Plant List nicht erwähnt und in der Inventory List of Herbals Considered as Food seien von der Pflanze Cannabis sativa L. nur Blätter und Samen zugelassen. Aus der vom Antragsteller vorgelegten englischen Übersetzung des Buches von B ergebe sich, dass dort die Herstellung eines Safts bzw. Nektars beschrieben werde, der letztlich als Extrakt Wein oder Kuchen oder anderen Lebensmitteln zugesetzt werden konnte. Damit habe es sich allerdings nicht um einen teeähnlichen Aufguss gehandelt. Auch ergebe sich aus jenem Buch nichts zur Verbreitung dieses Rezepts. Der Text erwecke auch eher den Eindruck, dass es sich um die Beschreibung einer arzneilichen Wirkung und nicht um die eines Lebensmittels gehandelt habe. Bei der Veröffentlichung des Vilnius Mintus habe es sich um einen Tee gehandelt, der Lungenkranken gegeben wurde, also um ein Arzneimittel. Was das Rezept des Landesverbands Bündnis 90 / Die Grünen angehe, so sei dies mit einer Auflage von 3.000 Stück angegeben. Selbst wenn dieses Rezept doppelt so viele Menschen erreicht habe, wären dies im Jahre 1995 nur 0,007% der Gesamtbevölkerung gewesen. In den Rezepten dort werde zudem auch von „Shit“ und „Haschisch“ gesprochen. Daher sei davon auszugehen, dass jenes Rezept nicht die Verwendung von THC-armem Nutzhanf betroffen habe. Zudem spreche das damalige Verbot des Hanfanbaus gegen einen Nachweis eines nennenswerten Verzehrs von Hanfblüten als Lebensmittel vor Mai 1997. Das Gutachten der CIS betreffe die Verwendung von Hanfblüten für die Herstellung von essentiellen Ölen für die Nahrungs- und Getränkeindustrie sowie für medizinische Zwecke. Damit werde ebenfalls kein nennenswerter Verzehr belegt. Insoweit beträfen die Argumente des Antragstellers nicht den Konsum von Hanfblüten als Lebensmittel, sondern als Arzneimittel, Droge oder Lebensmittelaroma.
Soweit der Antragsteller zwei Bestätigungen der EU-Kommission aus dem Jahre 1998 anführe, in denen es heiße, dass Lebensmittel, die Teile der Hanfpflanze enthielten, nicht unter die damals gültige Novel-Food-Verordnung (EG) Nr. 258/97 fielen, habe seinerzeit der Eintrag für Cannabis sativa L. einen abweichenden Wortlaut zur gegenwärtig gültigen Fassung besessen. Soweit die Bundesregierung im Jahre 2019 die Gültigkeit jener Bescheinigungen bestätigt habe, sei dies mit dem Hinweis verbunden gewesen, dass immer eine Einzelfallprüfung erforderlich sei. Auch fehle den Bescheinigungen nicht der Anwendungsbereich, wenn man Tee aus Hanfblüten als Novel-Food einstufe. Denn immerhin seien Hanfblüten zum Bierbrauen zugelassen. Es werde auch nicht verkannt, dass der Novel-Food-Katalog keine verbindliche Wirkung habe. Denn die materielle Beweislast gegen die Einstufung als neuartiges Lebensmittel trage der Lebensmittelunternehmer, auch bei einer bloßen Indizwirkung für die Neuartigkeit des Lebensmittels.
Ohne Erfolg müsse auch der Verweis auf eine Umfrage der Hanfgesellschaft Berlin aus dem Jahre 1997 bleiben, wonach 115.000 Liter Getränke mit Hanfblüten bzw. –blättern verkauft worden seien. Denn aus dem Umstand, dass vom Harz befreite Blüten möglicherweise vor 1997 zur Bierherstellung eingesetzt wurde, lasse sich nichts für eine generelle Tradition für die Verwendung von harzhaltigen Blüten ableiten. Aus der Umfrage gehe auch nicht hervor, wie viele dieser Getränke Bier waren und in wie vielen der restlichen Hanfblüten und nicht –blätter verwendet worden seien.
Die Anordnung sei geboten zum Schutze der Verbraucher vor einem ohne erforderliche Zulassung in Verkehr gebrachten neuartigen Lebensmittel. Eine Gefahr gehe von neuartigen Lebensmitteln insoweit aus, als es aufgrund einer fehlenden Verzehrgeschichte keine Langzeitstudien über eventuelle Auswirkungen auf die Gesundheit gebe. Bei Hanfblüten seien besonders die im Harz enthaltenen Cannabinoide zu erwähnen, von denen sogar bekannt sei, dass sie ab einer gewissen Menge und Dauer der Einnahme gesundheitliche Beeinträchtigungen bzw. Wirkungen hervorriefen. Alle vorliegenden Gutachten hätten die Hanfblütentees des Antragstellers wegen eines zu hohen Delta-9-THC-Gehalts als nicht sicher eingestuft. Die Anordnung diene damit auch der Verhinderung eines Verstoßes gegen das unionsrechtliche Verbot, neuartige Lebensmittel ohne Zulassung in Verkehr zu bringen. Der Durchsetzung dieses Ziels diene ferner die Verfügung, bereits in Verkehr gebrachte Produkte zurückzunehmen. Bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung sei sich die Behörde der besonderen Ausnahmesituation bewusst gewesen. Bei der Abwägung widerstreitender Interessen komme dem Schutz der Bevölkerung vor möglichen Gesundheitsgefahren durch neuartige Lebensmittel überragende Bedeutung zu. Mit Rücksicht darauf habe eine Entscheidung in der Hauptsache nicht abgewartet werden können. Auf eine konkrete Gesundheitsgefahr komme es in diesem Zusammenhang nicht an. Denn das besagte Verbot diene gerade dazu sicherzustellen, dass kein neuartiges Lebensmittel in Verkehr gebracht werde, das nicht zuvor auf Gesundheitsgefahren untersucht worden sei. Angesichts des durchweg festgestellten erhöhten THC-Gehalts in den Hanfblütentees des Antragstellers könne eine Gefahr für die Gesundheit der Verbraucher nicht ausgeschlossen werden.
Am 4. September 2020 hat der Antragsteller zum Geschäftszeichen VG 6 K 2255/20 Klage erhoben und am selben Tage um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er trägt im Wesentlichen vor, bereits die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei rechtswidrig, da sie lediglich floskelhaft sei und die besonderen Umstände des Einzelfalles nicht erkennen lasse. Dieser Begründungsmangel sei auch nicht heilbar. Die Verfügung sei ferner materiell rechtswidrig, da es sich bei den vom ihm vertriebenen Hanfblüten nicht um ein neuartiges Lebensmittel handele. Denn hierfür gebe es tatsächlich eine nennenswerte und nachweisbare Verzehrgeschichte vor dem 15. Mai 1997. Soweit es in dem Eintrag für „Cannabis sativa L.“ im Novel-Food-Katalog der Europäischen Union heiße
„In the European Union, the cultivation of Cannabis sativa L. varieties is permitted provided they are registered in the EU’s ‘Common Catalogue of Varieties of Agricultural Plant Species’ and the tetrahydrocannabinol (THC) content does not exceed 0.2 % (w/w). Some products derived from the Cannabis sativa plant or plant parts such as seeds, seed oil, hemp seed flour, defatted hemp seed have a history of consumption in the EU and therefore, are not novel.“,
schließe die Behörde unzutreffend, dass lediglich die dort genannten Produkte Hanfsamen, Hanfsamenöl, Hanfsamenmehl sowie entfettetes Hanfsamenprotein über eine Verzehrgeschichte verfügten. Entgegen der behördlichen Auffassung sei die Aufzählung nicht abschließend. Aus dem negativen Eintrag für „Cannabinoids“ im Novel-Food-Katalog folge nichts Gegenteiliges, da dort nur von Extrakten die Rede sei, um die es hier nicht gehe. Zudem komme nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes einem Eintrag im Novel-Food-Katalog lediglich eine Indizwirkung zu. Auch könne der Antragsgegner aus fehlenden Informationen und Hinweisen bezüglich Hanfblüten im Novel-Food-Katalog nicht rückschließen, dass keine Verbrauchshistorie für Hanfblüten existiere. Denn die Bundesregierung habe eine Verzehrhistorie für entharzte Hanfblüten und Hanfblätter zur Aromatisierung von bierähnlichen Getränken und als Bestandteil von Kräuter- und Früchtetees für die Zeit vor Mai 1997 bestätigt.
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) stufe zwar laut einer Stellungnahme im Internet alle Lebensmittel, die Cannabinoide enthielten, als neuartige Lebensmittel ein, die als solche nur nach vorheriger Zulassung verkehrsfähig seien. Auch hätten verschiedene Verwaltungsgerichte die Verkehrsfähigkeit von Produkten verneint, die Cannabidiol enthielten. Doch sei es jeweils nicht um die hier streitigen Hanfblüten gegangen. Tatsächlich seien diese Lebensmittel ausweislich des Novel-Food-Katalogs der Europäischen Kommission nicht neuartig.
Eine Verzehrgeschichte vor dem 15. Mai 1997 werde bereits durch eine entsprechende Erwähnung in der englischen Übersetzung des Kochbuchs des B aus dem Jahre 1475 belegt. Dabei bedeute der dort verwendete Begriff „clods“ im Deutschen „Blüten“. Der Umstand, dass das ursprünglich auf Latein verfasste Werk im 16. Jahrhundert ins Italienische, Französische und Deutsche übersetzt worden sei, zeige seine Verbreitung. Selbst wenn vornehmlich Kranke jenes Rezept zu sich genommen haben sollten, nehme es ihm nicht die Lebensmitteleigenschaft. Gleiches gelte für eine mögliche berauschende Wirkung der Zubereitung. Zwar könne aus einer Verwendung als Arzneimittel oder Betäubungsmittel keine Tradition als Lebensmittel hergeleitet werden. Doch das Rezept betreffe nicht die Herstellung eines Arznei- oder Betäubungsmittels. Ausweislich des EU-Leitfadens könne die Verzehrhistorie insbesondere durch Rezepte und Kochbücher belegt werden. Aber schon der Titel des Buches „The World’s First Printed Cookbook“ zeige, dass es bei dem Rezept um die Verwendung von Hanfblüten in Wein und Kuchen, mithin in alltäglichen Lebensmitteln gehe. Der dort angebrachte Hinweis, dass alles, was übermäßig sei, schädlich sei oder kriminell sein könne, belege zusätzlich, dass es sich um eine empfohlene nicht-übermäßige Verwendung und nicht um (strafbaren) Betäubungsmittelkonsum handele. Immerhin sei übermäßiger Konsum auch bei Alkohol, Kaffee oder Zucker schädlich und dabei handele es sich auch um Lebensmittel. Der Hinweis auf eine gesundheitsfördernde Wirkung ändere daran nichts. Auch der Antragsgegner gehe nicht davon aus, dass das Erzeugnis tatsächlich pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch wirksam sei. Soweit es sich um ein historisches Werk handele, stehe das dem Nachweis nicht entgegen, da es nur auf eine Verwendung vor dem Stichtag ankomme.
Zudem finde sich in einem mehrere tausend Exemplare umfassenden Papier des Landesverbandes Berlin Bündnis 90 / die Grünen von Oktober 1995 eine Sammlung von Hanfrezepten, darunter ein Rezept „Majoun“, bei dem Hanfblüten als geläufige Lebensmittelzutat aufgeführt sei. Das damalige Wahlergebnisses von 7,3 % belege die Verbreitung dieses Rezepts. Dem stehe nicht entgegen, dass das Betäubungsmittelgesetz zwischen 1982 und 1996 Cannabis einschließlich Nutzhanf als Betäubungsmittel eingestuft habe. Denn es sei statistisch belegt, dass der Anteil der Bevölkerung in Europa, der im Jahre 1995 Cannabis konsumiert habe, bei 12 % gelegen habe. Überdies stelle das Betäubungsmittelgesetz den Verzehr von Hanfblüten nicht unter Strafe. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners führe die Einstufung eines Lebensmittels als Droge nicht zum Verlust der Lebensmitteleigenschaft.
Die Europäische Kommission habe im Jahre 1998 mehrfach gegenüber Marktteilnehmern bestätigt, dass Lebensmittel, die Teile der Hanfpflanze enthielten, nicht unter die Verordnung über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten aus dem Jahre 1997 fielen, ferner, dass Hanfblüten, die zur Herstellung von bierähnlichen Getränken verwendet würden, als Lebensmittelzutaten und nicht als Zusatzstoffen gölten. Nach einer Stellungnahme der Bundesregierung aus dem Jahre 2019 hätten jene Bescheinigungen der Europäischen Kommission nach wie vor Gültigkeit. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners sei für eine Verzehrhistorie nach Maßgabe des EU-Leitfadens nicht allein darauf abzustellen, ob sowohl der gleiche Pflanzenteil als auch die gleiche Verarbeitungsweise vorliege. Denn aus diesen Voraussetzungen folge nicht, dass eine Verzehrhistorie für ein bestimmtes Lebensmittel für jede einzelne Rezeptur nachgewiesen werden müsse. Der Leitfaden stelle vielmehr darauf ab, ob durch eine Verarbeitung die Zusammensetzung des Lebensmittels verändert oder das Lebensmittel aus einem neuen Ausgangsstoff oder durch ein neues Produktionsverfahren hergestellt werde. Danach sei hier entscheidend, ob die Hanfblüten einer zusätzlichen Verarbeitung unterzogen worden seien. Solange – wie hier – die Hanfblüten als gemeine Lebensmittelzutat benutzt würden, liege gerade keine maßgebliche Veränderung des Lebensmittels vor, die zu einem Ausschluss der Verzehrhistorie führen könne. Diese Betrachtung decke sich mit dem lebensmittelrechtlichen Begriffsverständnis des Merkmals „natürliche Stoffe“. Es sei widersprüchlich, wenn der Antragsgegner von einer Verzehrhistorie bei Hanfsamen, Hanfsamenöl, Hanfsamenmehl sowie entfettetem Hanfsamenprotein ausgehe und die Aufzählung im Novel-Food-Katalog für abschließend halte, gleichzeitig aber feststelle, dass Hanfblüten als Zutat zum Bierbrauen zugelassen seien, obwohl sie im Novel-Food-Katalog nicht mit einer Verwendungshistorie gelistet seien. Für die Frage der Verzehrhistorie sei es ausreichend, dass Hanfblüten als Lebensmittelzutat beim Bierbrauen verwendet worden seien; ein Nachweis der Verwendung von Hanfblüten für die Zubereitung von Tee sei dagegen nicht erforderlich, weil anderenfalls bereits die Schaffung neuer Rezepte oder die Verwendung in einer anderen Lebensmittelsparte (Getränk statt Speisen) zur Einstufung als neuartiges Lebensmittel führen würde. So beschränke auch der Novel-Food-Katalog z.B. die Verwendbarkeit von Hanfsamen nicht auf einen bestimmten Bereich. Die Grenze zum Erfordernis eines gesonderten, weiteren Verzehrnachweises sei vielmehr erst dann überschritten, wenn eine nicht neuartige Zutat weitgehenden physikalischen, chemischem und biologischen Änderungen unterzogen werde, etwa bei der Herstellung von Isolaten. Hanfblüten-Tees hingegen seien kein aus der Hanfblüte abgeleitetes Produkt und daher angesichts nachgewiesener Verzehrgeschichte, die sich nicht zuletzt aus einer Untersuchungen von Hupf u.a. zu Schweizer Hanfbier aus dem Jahre 1997 ergebe, nicht zulassungsbedürftig.
Auf die Unterscheidung zwischen entharzten und nicht-entharzten Hanfblüten komme es nicht an, zumal der Antragsgegner im angefochtenen Bescheid danach auch nicht differenziert habe. Außerdem betreffe diese Unterscheidung den THC-Gehalt der Hanfblüten, also die Frage der Dosierung bei der Zubereitung von Tee, nicht aber die Frage, ob Hanfblüten als solche ein verkehrsfähiges Lebensmittel seien.
Der Antragsgegner könne sich nicht auf die Stellungnahme des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit – BVL – stützen, wonach derzeit keine Fallgestaltung bekannt sei, wonach Cannabidiol (CBD) in Lebensmitteln […] verkehrsfähig wäre. Denn die Bundesregierung habe in einer Stellungnahme im Jahre 2019 lediglich isolierte Cannabinoide oder mit Cannabinoiden angereicherte Extrakte als zulassungspflichtiges Lebensmittel eingestuft. Die Einschätzung des BVL stehe auch im Widerspruch zum Positiveintrag im Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission, da dort ausdrücklich als erlaubt geltende Pflanzenteile von Cannabis Sativa ebenfalls CBD enthielten. So sei etwa in den Blättern und Samen der Hanfpflanze eine erhebliche Menge CBD enthielten.
Schließlich könnten entgegen dem Vortrag des Antragsgegners Hanfblüten nicht gleichzeitig Lebensmittel und Betäubungsmittel sein. Da aber der Antragsteller Hanfblüten gleichzeitig für ein Lebens- und ein Betäubungsmittel halte, sei es nur konsequent, wenn sie im Falle der Einstufung als Betäubungsmittel eine Verzehrhistorie als Lebensmittel haben könnten. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes verbiete die Cannabis betreffende Ausnahmevorschrift des Betäubungsmittelgesetzes den Verkauf von unverarbeiteten Cannabisprodukten nicht, solange ein Missbrauch zu Rauschzwecken ausgeschlossen sei. Da letztes vorliegend der Fall sei, stellten die von ihm vertriebenen Hanfblüten kein Betäubungsmittel dar. Soweit der Bundesgerichtshof weiter ausführe, dass die Tatsache, dass es sich bei dem im dortigen Verfahren vertriebenen Hanfblütentee um ein Lebensmittel handele, keine andere Wertung gebiete, stelle er damit klar, dass die Einstufung als Betäubungsmittel der Klassifizierung als Lebensmittel nicht entgegenstehe.
Die Gutachter der Landeslabore, auf die sich der Antragsgegner berufe, seien nicht unabhängig, sondern stünden im Lager des Antragsgegners.
Der Antragsteller beantragt dem Wortlaut seines Antrags nach,
die aufschiebende Wirkung der Klage VG 6 K 2255/20 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er hält an dem angefochtenen Verwaltungsakt fest und trägt im Wesentlichen vertiefend vor, den Antragsteller treffe als Lebensmittelunternehmer die Pflicht zu überprüfen, ob Lebensmittel, die er in der Europäischen Union in Verkehr bringe, neuartige Lebensmittel seien. Von der Möglichkeit der Konsultation des im Bundesgebiet hierfür zuständigen BVL habe er bislang keinen Gebrauch gemacht, obwohl ihm bekannt sei, dass der Status von Hanfblüten nicht eindeutig sei.
Soweit sich der Antragsteller auf die englische Übersetzung des Buches von B beziehe, mache er sich die Stellungnahme des Landeslabors Berlin-Brandenburg vom 12. November 2020 zu Eigen. Das damalige Rezept belege auch nicht die Bereitung von Tee. Denn dieser werde durch Aufgießen mit Wasser erzeugt, während nach dem Rezept von P Hanfbestandteile in Öl gekocht würden.
Was das Rezept des Landesverbands Berlin Bündnis 90 / Die Grünen vom Oktober 1995 angehe, so werde in den Rezepten auch nicht die Verwendung von Hanfblüten zur Tee-Bereitung erwähnt. Aus den vom Antragsteller angeführten statistischen Verwendungswerten lasse sich nicht entnehmen, welchen Anteil illegaler Cannabiskonsum ausmache.
Aus den schriftlichen Bestätigungen der Kommission aus dem Jahre 1998 könne der Antragsteller ebenfalls nichts herleiten, weil nach dem vorgenannten Maßstab eine Verwendung von Hanfblüten bei der Bierherstellung nicht aussagekräftig für die Frage sei, ob es sich bei Hanfblüten für die Tee-Bereitung um ein neuartiges Lebensmittel handele. Schon die dort verwendete geringe Konzentration beigemischter Hanfblüten verleihe ihnen die Funktion eines Aromas. Zudem seien die dort verwendeten Hanfblüten entharzt gewesen. Dieses Merkmal sei auch nicht ohne Belang, zumal der Antragsteller gerade keine nicht-entharzten Hanfblüten vertreibe.
Die Einordnung als neuartiges Lebensmittel bemesse sich nicht danach, ob das Erzeugnis natürlicher Herkunft sei. Anders als der Antragsteller meine, sei auch nicht der Umstand einer herkömmlichen Lebensmittelzubereitungsmethode für sich genommen ausschlaggebend, wie das Beispiel der Zistrose zeige, die natürlich wachse und angebaut werde, jedoch als Novel Food eingestuft worden sei, weil die Pflanze vorher nicht zur Teezubereitung verwendet worden sei.
Unionsrechtlich gehörten zwar Arzneimittel und Betäubungsmittel nicht zu den Lebensmitteln. Auf die Abgrenzung komme es jedoch nicht an, da die streitige Frage nicht endgültig durch die Lebensmittelüberwachungsbehörde getroffen werden könne. Da die Hanfblüten zur Zubereitung von Tee vom Antragsteller in Verkehr gebracht würden, seien sie unionsrechtlich Lebensmittel. Die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestätige lediglich, dass Cannabisprodukte Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes seien, sofern nicht der Missbrauch zu Rauschzwecken ausgeschlossen sei. Der Umkehrschluss, dass ein Betäubungsmittel gleichzeitig Lebensmittel sein könne, verbiete sich wegen entgegenstehender gesetzlicher Regelung. In Anbetracht jener Entscheidung sei es am Antragsteller nachzuweisen, dass die von ihm eingesetzten Hanfbestandteile und die daraus hergestellten Produkte vor Mai 1997 nicht zu Rauschzwecken eingesetzt worden seien, um eine lebensmittelrechtliche Verzehrhistorie belegen zu können.
Ein gegen den Antragsteller von der Staatsanwaltschaft Neuruppin im Zusammenhang mit dem Vertrieb des streitgegenständlichen Hanfblütentees wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eingeleitetes strafrechtliches Ermittlungsverfahren (Az. 358 Js 7114/20) ist am 15. Oktober 2020 eingestellt worden.
Folgende weitere Untersuchungsergebnisse sind danach beim Antragsgegner eingegangen:
lfd. Nr. | Datum | Labor | Sorte | THC | THC-Säure | Gesamt-THC | Über-schreitung des ARfD-Werts |
8) | 16.11.20 | Hessisches Landeslabor K | Finola | 145 ± 42 | * | 103 | ja |
9) | 26.01.21 | Landesunter-suchungsanstalt für das Gesund-heits- und Vete-rinärwesen des F | Earlina | 82 ± 10 | 226 ± 27 | 271 | nein |
10) | 03.08.21 | Hessisches Landeslabor K | Santica | 146 ± 24 | * | 250 | ja |
11) | 03.08.21 | Hessisches Landeslabor K | Felina | 152 ± 25 | * | 186 | ja |
* Wert nicht gesondert ermittelt
Alle zuletzt genannten Gutachten enthalten die Einschätzung, dass es sich bei Hanfblüten um ein neuartiges Lebensmittel handele. Soweit im Gutachten Nr. 9) eine auf die Konzentration von THC bezogene Gesundheitsgefährdung verneint wird, weist das Gutachten auf den Umstand hin, dass der untersuchte Aufguss ohne den vom Hersteller empfohlenen Zusatz von Fett erstellt worden sei; Aufgrund der lipophilen Eigenschaften von Delta-9-THC sei davon auszugehen, dass es bei einem Zusatz von Fett zu einer höheren Auslastung der akuten Referenzdosis komme.
Die in den Gutachten zu 4) und 5) sowie 7) bis 11) untersuchten Packungen mit getrockneten Hanfblüten enthalten die Herstellerempfehlung, die Hanfblüten unter Zusatz von Fett aufzubrühen, ferner den Hinweis, es würden 0,5 g Hanfblüten pro Tasse benötigt. Es werde empfohlen, nicht mehr als eine Tasse pro Tag zu trinken. Die im Übrigen begutachteten Packungen enthalten dagegen nur die Empfehlung, beim Aufbrühen Fett hinzuzusetzen.
Der Antragsteller hat ein Urteil des obersten polnischen Verwaltungsgerichts vom 17. Februar 2022 vorgelegt, wonach u.a. Hanfblüten eine Verzehrhistorie vor dem maßgeblichen Stichtag der Novel-Food-Verordnung aufwiesen. Der Antragsgegner hält dem entgegen, dass solches diesem Urteil nicht zu entnehmen sei, zumal der Rechtsstreit lediglich wegen unzureichender Sachaufklärung an die Vorinstanz zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte und den Verwaltungsvorgang des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässige Antrag, der bei sachgerechter Auslegung (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO) dahin zu verstehen ist, dass der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage VG 6 K 2255/20 beantragt, hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
1. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung u.a. in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Var. 1 VwGO anordnen. Nach letzterer Vorschrift entfällt die aufschiebende Wirkung u.a., wenn dies – wie hier in Bezug auf die Tenorpunkte 1 und 2 des angefochtenen Bescheides – durch Bundesgesetz vorgeschrieben ist. Nach § 39 Abs. 7 des Lebensmittel- Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuches vom 3. Juni 2013 (BGBl. I S. 1426, zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Mai 2021, BGBl. I S. 1087 – LFGB) haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Anordnungen, die der Durchführung bestimmter Verbote dienen, keine aufschiebende Wirkung. Dabei betrifft die Vorschrift des § 39 Abs. 7 Nr. 4 LFGB das durch § 5 Abs. 2 LFGB geregelte Verbot, Stoffe, die keine Lebensmittel sind und deren Verzehr gesundheitsschädlich im Sinne von Art. 14 Abs. 2 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ist, als Lebensmittel in den Verkehr zu bringen (hierzu sogleich 2 c)). Die Vorschrift des § 39 Abs. 7 Nr. 1 LFGB regelt das unionsrechtliche Verbot nach Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, Lebensmittel in Verkehr zu bringen, die gesundheitsschädlich und daher nicht sicher sind (sogleich 2 e)). Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gilt im Übrigen auch dann, wenn die Rechtsgrundlage der betreffenden Anordnung unmittelbar geltendes Unionsrecht ist (OVG Hamburg, Beschluss vom 5. September 2011 – 5 Bs 139/11 –, juris Rn. 11; VG Würzburg, Beschluss vom 10. Februar 2021 – W 8 S 21.117 – juris Rn. 20; Rathke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Loseblattkommentar, Stand November 2021, § 39 LFGB Rn. 56; Boch, in: Boch, Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, 8. Online-Auflage 2019, § 39 LFGB Rn. 24, vgl. sogleich 2 d)). Gleiches gilt gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Var. 2, Satz 2 VwGO i.V.m. § 16 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Brandenburg (VwVGBbg) bei Rechtsbehelfen gegen Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung, zu denen gemäß § 28 VwVGBbg die mit dem angefochtenen Bescheid verfügte Zwangsgeldandrohung gehört (sogleich 3.). Soweit die Behörde gleichwohl die sofortige Vollziehung angeordnet hat, ist dies unschädlich.
Bei der Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen auf Grund summarischer Erfolgsprüfung kommt dem Vollzugsinteresse umso größeres Gewicht zu, je geringer die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Oktober 2014 – BVerwG 7 VR 4.13 –, juris Rn. 10). Vorliegend wird sich der angegriffene Bescheid hinsichtlich der Tenorpunkte 1) und 2) des Ausgangsbescheides voraussichtlich als rechtmäßig erweisen.
2. Rechtsgrundlage für die Verfügungen in Ziffern 1) und 2) des angefochtenen Bescheides ist § 13 Abs. 1 Gesetzes über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden in der Fassung vom 21. August 1996 (GVBl. I S. 266, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Juni 2019, GVBl. I S. 3 – OBG) i.V.m. § 5 Abs. 2 LFGB. Dabei versteht das Gericht unter den Hanfblüten, deren Inverkehrbringen diese Verfügung untersagt, den zwischen den Beteiligten im Streit stehenden Hanfblütentee.
a. Wegen Untersagung des Inverkehrbringens der streitgegenständlichen Fertigpackungen mit getrockneten Hanfblüten – Ziffer 1) der Verfügung – kann sich der Antragsgegner nicht auf die im angefochtenen Bescheid bezeichnete Rechtsgrundlage des § 39 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 LFGB in der bis zum 9. August 2021 geltenden Fassung stützen, wonach die zuständigen Behörden u.a. zur Beseitigung festgestellter Verstöße oder zur Verhütung künftiger Verstöße sowie zum Schutz vor Gefahren für die Gesundheit insbesondere das Inverkehrbringen von Erzeugnissen verbieten konnten. Dies folgt bereits daraus, dass es sich bei dem Verbot des Inverkehrbringens von Erzeugnissen, um einen Dauerverwaltungsakt handelt und daher maßgeblicher Zeitpunkt der Rechtslage diejenige der Entscheidung des Gerichts ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. November 2008 – OVG 5 B 18.06 –, juris Rn. 26). Die aufgrund des Vierten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften (4. LFGBuaÄndG) vom 27. Juli 2021 (BGBl. I S. 3274) seit dem 9. August 2021 geltende Fassung des Gesetzes enthält jedoch in § 39 LFGB die vom Antragsgegner bezeichnete Rechtsgrundlage nicht mehr, sondern verweist insoweit auf die Ermächtigungsgrundlage in den Artt. 137, 138 der Verordnung (EU) Nr. 2017/625.
Wegen der in Ziffer 2) des angefochtenen Bescheides verfügten Rücknahme bereits in den Handel gebrachter Produkte, die Hanfblüten enthalten, ist die Anwendung der im angefochtenen Bescheid inhaltlich angesprochenen Rechtsgrundlage des § 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 LFGB a.F., wonach die zuständigen Behörden durch Anordnung verhindern konnten, dass ein Erzeugnis, das den Verbraucher noch nicht erreicht hat, auch durch andere Wirtschaftsbeteiligte weiter in Verkehr gebracht wird (Rücknahme), nicht wegen des maßgeblichen Zeitpunkts der Sach- und Rechtslage ausgeschlossen. Denn es handelt sich insoweit nicht um einen Dauerverwaltungsakt, so dass angesichts dessen belastenden Charakters auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen ist. Gleichwohl ist die Vorschrift des § 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 LFGB a.F. nicht anwendbar, weil sie durch die im Wesentlichen gleichlautenden Vorschriften der Artt. 137, 138 der gemäß Art. 288 UAbs. 2 AEUV unmittelbar geltenden Verordnung (EU) Nr. 2017/625 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 über amtliche Kontrollen […] des Lebens- und Futtermittelrechts […] (ABl. EU L 95/1), die seit dem 14. Dezember 2019 gelten (Art. 167 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 2017/625) verdrängt werden. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts erstreckt sich insoweit auch auf gleichlautende Vorschriften mitgliedstaatlichen Rechts (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Oktober 1973 – Rs. 34/73 –, Rn. 9 ff., juris; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 288 AEUV Rn. 21; wegen der bereits zuvor bestehenden Subsidiarität des § 39 LFGB gegenüber dem Unionsrecht vgl. VG Cottbus, Beschluss vom 8. Januar 2020 – 3 L 230/19 – juris Rn. 13 ff.).
b. Auch die Artt. 137, 138 der Verordnung (EU) Nr. 2017/625 die die vorangegangene Verordnung (EU) 882/2004 mit Wirkung vom 14. Dezember 2019 aufgehoben hat, dürften keine taugliche Rechtsgrundlage bieten für das angefochtene Verbot des Inverkehrbringens der vom Antragsteller vertriebenen Fertigpackungen mit getrockneten Hanfblüten sowie die Anordnung der Rücknahme der vom Antragsteller vertriebenen Fertigpackungen mit getrockneten Hanfblüten. Zwar ergreifen nach Art. 138 Abs. 1 Satz 1 lit. a der Verordnung (EU) Nr. 2017/625 die zuständigen Behörden, wenn ein Verstoß festgestellt wird, geeignete Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den Verstoß beendet und dass er erneute Verstöße dieser Art verhindert und beschränken insbesondere nach Art. 138 Abs. 2 lit. d der Vorschrift das Inverkehrbringen von Waren und ordnen nach Art. 138 Abs. 2 lit. g der Verordnung (EU) Nr. 2017/625 die Rücknahme von Waren an. Doch dies hilft nicht darüber hinweg, dass der Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 2017/625 hier bereits nicht eröffnet sein dürfte.
Denn soweit die Verordnung (EU) Nr. 2017/625 in der hier allein in Betracht kommenden Variante des Art. 1 Abs. 2 lit. a die Einhaltung von Vorschriften betrifft, die entweder auf Unionsebene oder von den Mitgliedstaaten zur Anwendung von Unionsrecht in diesen Bereichen erlassen wurden und Lebensmittel und Lebensmittelsicherheit betreffen (vgl. auch Erwägungsgrund 20 dieser Verordnung), sind hiervon die vorliegend streitigen Fertigpackungen mit getrockneten Hanfblüten voraussichtlich nicht erfasst. Denn diese sind nach Auffassung des Gerichts als Betäubungsmittel einzustufen und aus diesem Grunde keine Lebensmittel.
Die Lebensmitteleigenschaft bestimmt sich nach Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts […] (ABl. EG L 31/1). Gemäß Unterabsatz 1 dieser Vorschrift sind Lebensmittel alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Zwar können teeähnliche Erzeugnisse (vgl. Nrn. I A 3, I D 3 der Leitsätze für Tee, teeähnliche Erzeugnisse, deren Extrakte und Zubereitungen vom 2. Dezember 1998 – BAnz. Nr. 66a vom 9. April 1999, GMBl. Nr. 11 S. 228 vom 26. April 1999 –, zuletzt geändert am 5. März 2013 – BAnz. AT vom 12. Dezember 2013 B6, GMBl. Nr. 63 S.1265 vom 17. Dezember 2013) wie der hier streitige Hanfblütentee nach diesem Maßstab grundsätzlich Lebensmittel darstellen, weil sie – in Form der Zubereitung eines Aufgusses – dazu bestimmt sind, von Menschen aufgenommen zu werden. Allerdings regelt Art. 2 UAbs. 3 lit. g der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, dass Betäubungsmittel und psychotrope Stoffe im Sinne des Einheitsübereinkommens der Vereinten Nationen über Suchtstoffe, 1961, und des Übereinkommens der Vereinten Nationen über psychotrope Stoffe, 1971, nicht zu den Lebensmitteln gehören.
Lebensmittel und Betäubungsmittel stehen nach Maßgabe von Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 im Verhältnis der Alternativität (OVG Münster, Beschluss vom 2. März 2021 – 9 B 1574/20 –, juris Rn. 53; Streinz, in: Schulze/Janssen/Kadelbach, Europarecht, 4. Aufl. 2020, § 25 Rn. 15; Boch, a.a.O.; Holle, ZLR 2021, 480, 481). Der Antragsteller kann aus der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 24. März 2021 – 6 StR 240/20 –, juris) nichts Gegenteiliges herleiten. Denn soweit der Bundesgerichtshof dort feststellt, dass es sich bei dem dort streitgegenständlichen „Hanftee“ um ein Betäubungsmittel handelte (a.a.O., Rn. 8 ff.) und sodann ausführt, es gebiete die Tatsache keine andere Wertung, dass es sich bei dem vertriebenen Hanftee um ein Lebensmittel handele, (a.a.O., Rn. 23) verhält sich das Gericht ersichtlich nicht zum Regelungsgehalt von Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002.
Diese Ausschlussklausel des Art. 2 UAbs. 3 lit. g der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ist bei den hier betroffenen Hanfblüten erfüllt. Denn sie sind als Teile der Pflanze Cannabis sativa L. in Liste I des Einheitsübereinkommens der Vereinten Nationen über Suchtstoffe, 1961 (BGBl II 1977, 111, 157) aufgeführt. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über psychotrope Stoffe, 1971 führt zu Nr. 10 der Liste I Tetrahydrocannabinole auf (BGBl. II 1976, 1477, 1508), insbesondere Delta-9-Tetrahydrocannabinol (BGBl. II 1978, 1239). Soweit diese Listen zwischenzeitlich überholt sind und sich der aktuelle Stand der Stoffe, die als Betäubungsmittel oder psychotrope Stoffe angesehen werden, aus den vom International Narcotics Control Board herausgegebenen Listen ergibt (abrufbar und www.incb.org), ändert dies nichts daran, dass für die Frage, welche Betäubungsmittel und psychotropen Stoffe nicht zu den Lebensmitteln gehören, die Anhänge der oben genannten Abkommen maßgeblich bleiben (Boch, a.a.O., § 2 Rn. 39; zur möglichen künftigen Entwicklung vgl. Lachenmeier/Walch, LMuR 2020, 379).
Bei der Abgrenzung zwischen Lebens- und Betäubungsmitteln im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 wird z.T. für Erzeugnisse, die gegessen oder getrunken werden, eine regelhafte Zuordnung zu den Lebensmitteln vertreten, soweit nicht ausnahmsweise ein Positivbefund der das Erzeugnis prägenden Stoffe mit berauschender oder suchtbildender Wirkung vorliegt (Meyer, in: Meyer/Streinz, LFGB – BasisVO, 2. Aufl. 2012, Rn. 194). Andere wollen in besonderem Maße berücksichtigen, ob das Erzeugnis traditionell den Lebensmitteln zugeordnet wird und maßgeblich auf die Intensität der Wirkung abstellen (Rathke, a.a.O., EG-Lebensmittel-Basisverordnung Art. 2 Rn. 221). Der EuGH dagegen verweist wegen der Einordnung eines Stoffes als Betäubungsmittel bzw. Suchtstoff in Ermangelung einer eigenständigen unionsrechtlichen Begriffsbestimmung auf die genannten völkerrechtlichen Übereinkommen von 1961 und 1971 (Urteil vom 16. Dezember 2010 – C-137/09 –, EuZW 2011, 219 ff., Rn. 36 ff.; Urteil vom 19. November 2020 – C-663/18 –, LMuR 2021, 21 ff., Rn. 50). Deren Maßgaben entspreche die Rechtslage in den Mitgliedstaaten. Da die Schädlichkeit von Suchtstoffen, einschließlich derjenigen auf Hanfbasis, allgemein anerkannt sei, sei ihr Inverkehrbringen in allen Mitgliedstaaten verboten; lediglich ein streng überwachter Handel, der der Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke diene, sei davon ausgenommen (EuGH, Urteil vom 19. November 2020, a.a.O. Rn. 59). Außerhalb dessen bestehe für Suchtstoffe ein Verkehrsverbot (EuGH, Urteil vom 19. November 2020, a.a.O. Rn. 61). Unter diesen Voraussetzungen folgt bereits aus der Einordnung eines Stoffes als Betäubungsmittel oder Suchtstoff – und damit auch hier – ein Ausschluss von der Lebensmitteleigenschaft. Zwar ist in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt, dass dieser Grundsatz nicht ausnahmslos gilt. So legt der EuGH das Einheitsübereinkommen von 1961 dahin aus, dass vom Wortlaut des Übereinkommens erfasstes „Cannabis“ gleichwohl vom Anwendungsbereich des Abkommens ausgenommen sein kann (EuGH, Urteil vom 19. November 2020, a.a.O. Rn. 71 ff.). Dies setzt allerdings voraus, dass die dabei in Bezug genommenen Blüten- und Fruchtstände der Cannabispflanze nur eine völlig unbedeutende Menge psychoaktiven Wirkstoffs enthalten und daher für die menschliche Gesundheit unschädlich sind, wie dies etwa bei entharzten Blüten- oder Fruchtständen dieser Pflanze der Fall ist (EuGH, a.a.O., Rn. 75). So verhält es sich indes im vorliegenden Fall nicht. Denn die getrockneten Cannabisblüten, die der Antragsteller vertreibt, sind gerade nicht entharzt (vgl. zur Gesundheitsschädlichkeit im Einzelnen sogleich c)).
Diese vom EuGH vorgenommene Auslegung der völkerrechtlichen Verträge, die die unionsrechtliche Definition des Lebensmittels in Bezug nimmt, korrespondiert – ohne dass es hierauf noch entscheidend ankommen dürfte – im Ergebnis mit der Einordnung von Cannabis als Betäubungsmittel, wie sie der deutsche Gesetzgeber in Ansehung der völkerrechtlichen Verpflichtungen im Betäubungsmittelgesetz geregelt hat. Denn danach handelt es sich bei den vom Antragsteller vertriebenen getrockneten Hanfblüten um ein Betäubungsmittel. Für deren Definition verweist § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) auf die Anlagen I bis III des Gesetzes. In der Anlage I (zu § 1 Abs. 1 BtMG) ist Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) als nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel aufgeführt, sofern nicht die unter den Buchstaben a) bis e) geregelten Ausnahmen vorliegen. In Betracht kommt hier nur die Ausnahme zu Buchstabe b). Danach sind Cannabispflanzen und deren Pflanzenteile kein Betäubungsmittel, wenn sie aus dem Anbau in Ländern der Europäischen Union bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen mit zertifiziertem Saatgut stammen oder ihr Gehalt an Tetrahydrocannabinol 0,2 Prozent nicht übersteigt und der Verkehr mit ihnen (ausgenommen der Anbau) ausschließlich gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken dient, die einen Missbrauch zu Rauschzwecken ausschließen. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 24. März 2021 – 6 StR 240/20 –, juris) setzt der „gewerbliche Zweck“ nicht voraus, dass dieser auch beim Endabnehmer vorliegen muss (BGH, a.a.O., Rn. 19; anders bis dahin z.B. OLG Zweibrücken, Urteil vom 25. Mai 2010 – 1 Ss12/13 –, juris Rn. 8; Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 9. Aufl. 2019, Teil 1 Rn. 48., weitere Nachweise bei Niermann/Schulte, ZLR 2021, 336, 339). Steht daher – wie hier – eine Veräußerung an Endabnehmer in Rede, kommt es für die Betäubungsmitteleigenschaft von Blütenständen der Cannabispflanze darauf an, ob beim Endabnehmer ein Missbrauch zu Rauschzwecken ausgeschlossen ist. Dies ist hier allerdings nicht der Fall.
Ob bei dem Verkehr mit Cannabispflanzen und deren Pflanzenteilen ein Missbrauch zu Rauschzwecken ausgeschlossen ist, bemisst sich danach, ob deren THC-Gehalt so gering ist, dass ihr Konsum keine psychotropen Wirkungen hervorrufen kann (Patzak, a.a.O. Rn. 45; Rottmeier, PharmR 2020, 446, 449; vgl. auch LG Braunschweig, Urteil vom 28. Januar 2020 – 4 KLs 804 Js 26499/18 (5/19), 4 KLs 5/19 – juris Rn. 77 ff., insoweit bestätigt durch BGH, Urteil vom 24. März 2021 – 6 StR 240/20 –, juris Rn. 24 ff.). So verhält es sich jedoch bei den vom Antragsteller vertriebenen Cannabisblüten nicht. Welche Menge an THC erforderlich ist, um einen Rausch hervorzurufen, ist nicht abschließend geklärt, zumal es hierfür insbesondere auf die Einzelheiten der jeweiligen Konsumform sowie die Konstitution der jeweils konsumierenden Person ankommt (Lachenmeier/Walch, LMuR 2020, 379, 383 f.). Ob die Grenze bei 15 mg THC verläuft (so z.B. LG Braunschweig, a.a.O., Rn. 195 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84 –, juris Rn. 20) oder bereits bei 10 mg oder nur 5 mg (vgl. Lachenmeier/Walch, a.a.O., S. 384), bedarf keiner Entscheidung. Denn mit den vom Antragsteller vertriebenen Cannabisblüten lassen sich ohne Weiteres 15 mg THC generieren.
Die Cannabisblüten enthalten, wie die vom Antragsgegner vorgelegten Gutachten ausweisen, im Durchschnitt einen Gesamt-THC-Gehalt von mindestens 360 mg/kg. Dieser Wert umfasst sowohl den Gehalt an THC als auch denjenigen an THC-Säure, einer Vorstufe zu THC, die sich bei geeigneter Erhitzung durch Decarboxylierung zu psychoaktivem THC umwandelt (Lachenmeier, Bock, Deych, Sproll, Rajcic de Rezende und Walch, DLR 2019, 351, 357). Die Einbeziehung von THC-Säure ist unabhängig von einer womöglich abweichenden (vgl. Lachenmeier u.a., DLR 2019, a.a.O.) lebensmittelrechtlichen Praxis schon deswegen angezeigt, weil es vorliegend um die betäubungsmittelrechtliche Frage eines möglichen Missbrauchs zu Rauschzwecken geht. Das – z.T. durch Erhitzen aktivierte – THC ist lipophil und lässt sich z.B. durch die Verwendung von Butter fast vollständig extrahieren (vgl. LG Braunschweig, a.a.O. Rn. 216 ff.). Beträgt der Gehalt an Gesamt-THC in dem zu betrachtenden Pflanzenmaterial 360 mg/kg, so werden unter der Annahme eines 100%igen Übergangs etwa 42 g (0,015 g : 0,036%) Cannabisblüten benötigt, um die für einen Rausch jedenfalls erforderliche Menge an THC bereitzustellen. Die Verwendung einer solchen Menge liegt auch nicht außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit. Denn der Antragsteller bietet Cannabisblüten nicht nur zum Preis von 7,50 Euro je 25 g-Packung an – 42 g Cannabisblüten würden dabei rund 12,60 Euro kosten –, sondern auch in Gebinden von 200 g für 52 Euro (https://hanflinge.de/produktkategorie/hanfblueten-cbd/, zuletzt aufgerufen am 30. Mai 2022). 42 g Cannabisblüten würden dabei 10,92 Euro kosten. Beide Varianten sind weit entfernt von einem Preis, bei dem sich aufdrängen müsste, dass ein möglicher Konsument aus Kostengründen von dieser Vorgehensweise Abstand nehmen würde.
Für die Einordnung der streitigen getrockneten Hanfblüten als Betäubungsmittel ist es im Übrigen ohne Belang, dass die Staatsanwaltschaft Neuruppin, ein ursprünglich gegen den Antragsteller in diesem Zusammenhang eingeleitetes Strafverfahren eingestellt hat. Denn daraus erwächst für das vorliegende Verfahren keine Bindungswirkung. Dies folgt im Umkehrschluss aus dem Fehlen einer Regelung wie § 3 Abs. 4 StVG, die zur Vermeidung abweichender Entscheidungen von Strafgericht und Verwaltungsbehörde (vgl. Dronkovic, in: Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 3 Abs. 4 StVG Rn. 16) eine Bindungswirkung strafrechtlicher Entscheidungen für das Verwaltungsverfahren positiv regelt.
c. Rechtsgrundlage für die Tenorpunkte 1) und 2) der angegriffenen Ordnungsverfügung sind vielmehr die §§ 13 Abs. 1, 11 OBG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 LFGB. Nach § 13 OBG kann eine (zuständige) Ordnungsbehörde bzw. Sonderordnungsbehörde gemäß § 11 OBG die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren. Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 LFGB ist es verboten, Stoffe, die keine Lebensmittel sind und deren Verzehr gesundheitsschädlich im Sinne des Artikels 14 Absatz 2 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ist, als Lebensmittel in den Verkehr zu bringen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
aa. Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist der Antragsgegner zuständig. Er ist gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches und weiterer Vorschriften vom 28. Juni 2006 (GVBl. I S. 74, 83, zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. Januar 2016 – GVBl. I Nr. 5 S. 19 – AGLFGB) als Sonderordnungsbehörde zuständig u.a. für die Lebensmittelüberwachung im Sinne des LFGB und der Verordnung (EG) Nr. 178/2002. Der Antragsgegner hat den Antragsteller ferner nach § 28 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes – VwVfG – i.V.m. § 1 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Brandenburg – VwVfGBbg – vor Erlass der Ordnungsverfügung angehört.
Soweit der Antragsgegner die Tenorpunkte 1) und 2) des angefochtenen Bescheides mit einer als „unverzüglich“ bezeichneten Frist versehen hat, macht dies die Verfügung nicht unbestimmt im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfGBbg. Zwar wird eine mit der Formulierung „unverzüglich“ gesetzte Frist in der obergerichtlichen Rechtsprechung allgemein als unbestimmt erachtet, soweit sie sich als eine von Verschuldenserwägungen (vgl. § 121 BGB) in der Person des Pflichtigen abhängige Befolgungsfrist darstellt (vgl. z.B. OVG Münster, Beschluss vom 12. Juli 1991 – 4 B 3581/90 –, juris Rn. 14; OVG Bautzen, Urteil vom 27. Januar 2009 – 4 B 809.06 –, juris Rn. 52 ff. m.w.N.). Doch gilt dies nicht ausnahmslos. So verhält es sich etwa dann anders, wenn die sich Formulierung „unverzüglich“ lediglich als überflüssiger Zusatz zu einer bestimmten Fristsetzung darstellt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Mai 2018 – OVG 1 S 44.18 –, S. 9 f. des amtlichen Entscheidungsabdrucks). Auch hier führt der Umstand, dass die Behörde dem Antragsteller Pflichten zur „unverzüglichen“ Befolgung aufgibt, nicht auf eine Unbestimmtheit der Verfügung.
Denn der Regelungsinhalt eines Verwaltungsakts ergibt sich aus dessen gesamtem Inhalt, vor allem aus der hierzu gegebenen Begründung (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 1992 – BVerwG 1 C 36.89 –, juris Rn. 18) einschließlich der Begründung des Widerspruchsbescheides (BVerwG, Urteil vom 3. September 1991 – BVerwG 1 C 55.88 –, juris Rn. 17). Bezieht man diese vorliegend ein, so ist unzweifelhaft, dass dem Antragsteller in Bezug auf die Frist eine sofortige Befolgung der betreffenden Anordnungen aufgegeben wurde. Dies folgt zunächst aus der Begründung des Ausgangsbescheides, in dem es heißt, zum Schutze des Verbrauchers könne ein weiteres Inverkehrbringen der Hanfblüten nicht geduldet werden (S. 3 des Bescheides). Noch deutlicher formuliert dies der Widerspruchsbescheid, in dem es heißt, im Interesse der Gesundheit des Verbrauchers könne im Sinne des vorbeugenden Verbraucherschutzes ein weiteres Inverkehrbringen von Hanfblütentees mit sofortiger Wirkung nicht mehr gestattet werden (S. 9 des Widerspruchsbescheides).
Es spricht im Übrigen Überwiegendes dafür, dass die Behörde die Formulierung „unverzüglich“ aus dem Regelungszusammenhang der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 übernommen hat. So heißt es etwa in deren Art. 19 Abs. 1, dass ein Lebensmittelunternehmer, wenn er erkennt, dass ein von ihm eingeführtes Lebensmittel nicht den Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit entspricht, „unverzüglich“ Verfahren einleitet, um das betreffende Lebensmittel vom Markt zu nehmen. Dem in diesem Zusammenhang verwendeten Merkmal „unverzüglich“ dürfte – schon angesichts ihres unionsrechtlichen Ursprungs –nicht die an § 121 BGB orientierte Bedeutung „ohne schuldhaftes Zögern“ sondern vielmehr die Bedeutung „sofort“ zukommen. Dies folgt aus einem Vergleich des deutschen Verordnungstextes mit den englisch- und französischsprachigen Ausgaben. Denn in der englischsprachigen Version heißt es an dieser Stelle: „immediately“ und in der französischsprachigen Version: „immédiatement“. Beiden Wörtern kommt im Deutschen die Bedeutung „sofort“ zu (vgl. PONS Wörterbuch Studienausgabe Englisch-Deutsch / Deutsch-Englisch, 1. Aufl. 2006; PONS Kompaktwörterbuch Plus Französisch, Neubearbeitung 2021).
bb. Der Bescheid ist hinsichtlich der Tenorpunkte 1) und 2) auch materiell rechtmäßig. Der Rückgriff auf die ordnungsbehördliche Generalklausel des § 13 OBG ist zulässig, da speziellere lebensmittelrechtliche Ermächtigungsgrundlagen – wie oben zu a. und b. ausgeführt – nicht anwendbar sind.
(1) Der Tatbestand der §§ 13 Abs. 1 OBG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 LFGB ist erfüllt. Eine Gefahr im Sinne des § 13 Abs. 1 OBG ist die im Einzelfall bestehende konkrete Gefahr, für deren Annahme die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts im konkreten Einzelfall genügt. Dem Begriff der öffentlichen Sicherheit unterfällt u.a. die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, so dass bei einem Verstoß gegen geltende öffentlich-rechtliche Vorschriften stets eine Störung und weitere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vorliegt (vgl. Graulich, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, E III. 5 Rn. 88 f.). So liegt es hier in Bezug auf § 5 Abs. 2 Nr. 1 LFGB, wonach es verboten ist, Stoffe, die keine Lebensmittel sind und deren Verzehr gesundheitsschädlich im Sinne des Artikels 14 Absatz 2 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ist, als Lebensmittel in den Verkehr zu bringen. Die Anwendung dieser Vorschrift ist nicht durch vorrangiges Unionsrecht gesperrt (so die Begründung des Regierungsentwurfs zum zur Neuordnung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts vom 24. August 2004, BT-Drs. 15/3657, S. 51 zu der inhaltlich entsprechenden Vorschrift des § 5 Nr. 2 LFGB der Entwurfsfassung). Zwar regelt Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, dass gesundheitsschädliche Lebensmittel nicht in Verkehr gebracht werden dürfen. Von jener Regelung werden indes nur Lebensmittel erfasst, während der Regelungsbereich des § 5 Abs. 2 Nr. 1 LFGB das Inverkehrbringen von Stoffen betrifft, die gerade keine Lebensmittel sind (vgl. Rathke, a.a.O., § 5 LFBG Rn. 13; Boch, a.a.O. § 5 Rn. 18; vgl. kritisch zum Anwendungsbereich der Vorschrift Meisterernst, a.a.O., § 5 LFGB Rn. 7).
Der Antragsteller bringt Fertigpackungen mit getrockneten Hanfblüten in Verkehr. Im Anwendungsbereich des LFGB ist für die Bestimmung des Begriffs „in den Verkehr bringen“ nach § 3 Abs. 3 LFGB Rückgriff auf die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 zu nehmen. Inverkehrbringen ist gemäß Art. 3 Nr. 8 der Verordnung (EG) 178/2002 das Bereithalten für Verkaufszwecke einschließlich des Anbietens zum Verkauf oder jeder anderen Form der Weitergabe, gleichgültig, ob unentgeltlich oder nicht, sowie den Verkauf, den Vertrieb oder andere Formen der Weitergabe selbst. So verhält es sich beim Antragsteller. Denn er bietet seine Produkte sowohl für Endverbraucher als auch für Händler zum Verkauf an. Der Antragsteller bringt die getrockneten Cannabisblüten ferner als Lebensmittel in Verkehr (vgl. oben bb.). Da die hier streitgegenständlichen getrockneten Cannabisblüten aber als Betäubungsmittel den Ausschlusstatbestand des Art. 2 UAbs. 3 lit. g der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 erfüllen (vgl. oben b.) handelt es sich bei ihnen tatsächlich nicht um ein Lebensmittel.
Ihr Verzehr ist auch gesundheitsschädlich. Gesundheitsschädlich im Sinne von Art. 14 Abs. 2 lit. a i.V.m. Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ist, was den Menschen in seinem normalen Verhalten beeinträchtigt. Hierzu gehören Störungen des Nervensystems (vgl. Rathke, a.a.O., Art. 14 Rn. 38; VG Würzburg, Beschluss vom 10. Februar 2021 – W 8 21.117 –, juris Rn. 50) . Eine das Nervensystem betäubende Wirkung besitzen Betäubungsmittel bereits dem Wortsinn nach wesensgemäß (vgl. zum Begriff des Betäubungsmittels Exner, in Bohnen/Schmidt, BeckOK, 12. Edition, Stand 15. September 2021, § 1 BtMG Rn. 1 ff.). Bei dem hier inmitten stehenden THC handelt es sich im Besonderen um eine berauschende Wirkung (vgl. oben b.).
Im Übrigen ist eine tatsächliche Schädigung der Gesundheit nicht erforderlich, vielmehr die Eignung zur Gesundheitsschädigung, welche ihrerseits voraussetzt, dass der jeweilige Stoff bestimmt feststellbare Eigenschaften aufweist, die eine Gesundheitsschädigung verursachen können (OVG Hamburg, Beschluss vom 5. September 2011– 5 Bs 139/11 –, juris Rn. 12; Rathke, a.a.O. EG-Lebensmittel-Basisverordnung Art. 14 Rn. 38 f.). Bei wahrscheinlichen sofortigen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, insbesondere bei Überschreitung eines sogenannten ARfD-Wertes ist stets von der Gesundheitsschädlichkeit des betreffenden Lebensmittels auszugehen (Meisterernst, in: Streinz/Meisterernst, a.a.O., Basis-VO Art. 14 Rn. 64; Patzak/Keuth, Anm. zu BGH, Urteil vom 24. März 2021 – 6 StR 240/20 –, NStZ 2021, 549, 553; vgl. differenzierend: Rathke/Edelhäuser, in: Zipfel/Rathke, a.a.O., RHmV § 1 Rn. 95). Die akute Referenzdosis – ARfD – bezeichnet dabei die geschätzte Menge eines Stoffs in einem Lebensmittel, ausgedrückt mit Bezug auf das Körpergewicht, die den in geeigneten Studien gewonnenen Daten zufolge ohne nennenswertes Risiko für den Verbraucher über einen kurzen Zeitraum — normalerweise an einem Tag — unter Berücksichtigung besonders gefährdeter Bevölkerungsgruppen (z.B. Kinder und Ungeborene) aufgenommen werden kann (vgl. Definition in Art. 3 Abs. 2 lit. i der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 vom 23. Februar 2005 (ABl. EU L 70, S. 1 ff.).
Nach diesem Maßstab ist der vom Antragsteller vertriebene Hanfblütentee bei der in diesem Verfahren nur gebotenen überschlägigen Prüfung als gesundheitsschädlich anzusehen. Denn praktisch alle vom Antragsgegner in das Verfahren eingeführten Gutachten stellen eine deutliche Überschreitung des ARfD-Wertes fest. Soweit die jeweiligen behördlichen Gutachten dabei einen ARfD-Wert von 1 μg Delta-9-THC pro kg Körpergewicht und Tag zugrunde legen, begründet dies keine Rechtmäßigkeitszweifel. Denn es handelt sich um einen Wert, den die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) im Jahre 2015 für die Konzentration von THC in Lebensmitteln ermittelt hat (EFSA Journal 2015;13(6):4141, S. 1 ff.). Dieser ist für die Frage der Gesundheitsschädlichkeit von Lebensmitteln zu beachten. Denn um das allgemeine Ziel eines hohen Maßes an Schutz für die menschliche Gesundheit (Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002) zu erreichen, stützt sich das Lebensmittelrecht auf Risikoanalysen (Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002) insbesondere in Gestalt von Gutachten der EFSA (Artt. 6 Abs. 3, 22 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002). Der Festlegung durch die EFSA hat sich das Bundesinstitut für Risikobewertung angeschlossen (vgl. BfR, BfR empfiehlt Akute Referenzdosis als Grundlage zur Beurteilung hanfhaltiger Lebensmittel, Stellungnahme Nr. 006/2021 vom 17. Februar 2021; veröffentlicht unter https://www.bfr.bund.de/cm/343/bfr-empfiehlt-akute-referenzdosis-als-grundlage-zur-beurteilung-hanfhaltiger-lebensmittel.pdf, Stand: 5. April 2022). In der Rechtsprechung wird dieser Wert, soweit ersichtlich, nicht in Zweifel gezogen (vgl. etwa VGH Mannheim, Beschluss vom 9. März 2022 – 9 S 3426/21 –, juris Rn. 13; OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. Dezember 2019 – 13 ME 320/19 –, juris Rn. 50). Diese Maßgaben müssen erst Recht Anwendung finden bei der Beurteilung der Gesundheitsschädlichkeit eines Stoffes, der als Lebensmittel in Verkehr gebracht wird, ohne ein solches zu sein.
Aus dem Urteil des EuGH vom 19. November 2020 (– C-663/18 –, juris) lässt sich für die Frage der Gesundheitsschädlichkeit von Hanfblütentee nichts Gegenteiliges ableiten. Denn jenes Vorabentscheidungsverfahren betrifft die Einordnung von in der Flüssigkeit einer elektronischen Zigarette enthaltenem Cannabidiol – CBD – als Suchtstoff und überlässt die Bewertung der Gesundheitsrisiken im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung des konkreten Produkts den nationalen Gerichten (EuGH, a.a.O., Rn. 72, 75, 93 und 95; VGH Mannheim, Beschluss vom 9. März 2022, a.a.O. Rn. 16 m.w.N.). Bei dieser Sachlage kann der Antragsteller nichts aus dem Einwand herleiten, die Landeslabore stünden im Lager des Antragsgegners. Denn mit diesem pauschalen Vorbringen sind keine Zweifel an der Richtigkeit der jeweiligen Untersuchung noch am angelegten Maßstab dargetan.
(2) Das als Rechtsfolge für die Behörde eröffnete Ermessen hat der Antragsgegner beanstandungsfrei ausgeübt, § 114 Satz 1 VwGO. Dies folgt bereits daraus, dass sich die von der Behörde gewählten Maßnahmen im Rahmen dessen halten, was das vorrangige Unionsrecht für den Fall vorsieht, dass die zuständige Behörde ein nicht sicheres, weil gesundheitsschädliches Lebensmittel feststellt. Lebensmittel, die nicht sicher sind, dürfen gemäß Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 nicht in Verkehr gebracht werden. Gemäß Art. 138 Abs. 1 Satz 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 2017/625 ergreifen die zuständigen Behörden im Falle eines Verstoßes – u.a. gegen unionsrechtliche Vorschriften der Lebensmittelsicherheit (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. a der Verordnung (EU) Nr. 2017/625) – die geeigneten Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den Verstoß beendet und dass er erneute Verstöße dieser Art verhindert. Zu den – nicht abschließend aufgeführten – Maßnahmen zählt Art. 138 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 2017/625 insbesondere das Verbot des Inverkehrbringens (Art. 138 Abs. 2 lit. d) und die Anordnung der Rücknahme von Waren (Art. 138 Abs. 2 lit. g), wobei es sich um geeignete Maßnahmen handeln muss (Art. 138 Abs. 1 Satz 1 lit. b) und bei der Entscheidung über die zu ergreifenden Maßnahmen die Art des Verstoßes und das bisherige Verhalten des Unternehmers in Bezug auf die Einhaltung der Vorschriften zu berücksichtigen sind (Art. 138 Abs. 1 Satz 2). Dies wiederum entspricht im Wesentlichen den Maßgaben des § 39 Abs. 2 Nrn. 2 und 4 LFGB a.F., auf den die Behörde den angefochtenen Bescheid laut dessen Begründung gestützt hat.
Die verfügten Maßnahmen genügen diesen Vorgaben. Sie sind geeignet, die Gesundheit potentieller Endverbraucher der vom Antragsteller vertriebenen getrockneten Cannabisblüten zu schützen; ein milderes, gleichwirksames Mittel ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Maßnahmen sind auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Insbesondere hat der Antragsgegner die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers berücksichtigt, jedoch dem überragenden Interesse des Gesundheitsschutzes den Vorrang gegeben. Die von der Behörde angestellten Erwägungen beziehen sich auf das Inverkehrbringen eines neuartigen Lebensmittels, das eine hierfür erforderliche Zulassung nicht besitzt (Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 2015/2283 des europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über neuartige Lebensmittel […], ABl. EU L 327/1), welche ihrerseits den Nachweis voraussetzt, dass es kein Sicherheitsrisiko für die menschliche Gesundheit mit sich bringt (Art. 7 Abs. 2 lit.a der Verordnung (EU) Nr. 2015/2283). Diese Erwägungen müssen erst Recht Anwendung finden, wenn es sich bei einem gesundheitsschädlichen Erzeugnis nicht einmal um ein Lebensmittel handelt.
cc. Vor diesem Hintergrund ist es unschädlich, dass der Antragsgegner die Tenorpunkte 1) und 2) des angefochtenen Bescheides auf die unzutreffende Rechtsgrundlage des § 39 Abs. 2 LFGB a.F. gestützt hat. Denn die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig oder rechtswidrig ist, richtet sich nach dem Recht, das geeignet ist, die getroffene Regelung zu rechtfertigen. Erweist sie sich aus anderen als in dem Bescheid angegebenen Gründen als rechtmäßig, ohne dass sie durch den Austausch der Begründung in ihrem Wesen geändert würde, dann ist der Verwaltungsakt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht rechtswidrig (BVerwG, Urteil vom 31. März 2010 – BVerwG 8 C 12.09 –, juris Rn. 16; OVG Lüneburg, Beschluss vom 9. Februar 2021 – 13 ME 580/20 –, juris Rn. 37). So liegt der Fall hier. Denn der Regelungsgehalt der angegriffenen Ordnungsverfügung bliebe unverändert, wenn er statt auf § 39 Abs. 2 LFGB a.F. auf § 13 Abs. 1 OBG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 LFGB gestützt würde. Der Tenor der Grundverfügung bliebe unberührt und es wären auch keine wesentlich anderen oder zusätzlichen Ermessenserwägungen erforderlich.
Es kann auf sich beruhen, ob die angefochtene Verfügung auch zur Verhinderung eines Verstoßes gegen das Verbot des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG oder, falls man Cannabis als ein – ebenfalls vom Begriff des Lebensmittels abzugrenzendes (Streinz, a.a.O., § 25 Lebensmittel- und Arzneimittelrecht Rn. 15) – Arzneimittel im Sinne von Art. 2 UAbs. 3 lit. d der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 halten wollte, zur Verhinderung eines Verstoßes gegen § 95 des Arzneimittelgesetzes, jeweils gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 bzw. Nr. 3 der Verordnung über die Zuständigkeiten im Arzneimittelwesen vom 27. Oktober 1992 (GVBl. II/92, [Nr. 65], S. 693, zuletzt geändert durch Verordnung vom 8. Dezember 2021, GVBl. II/21, [Nr. 99]) hätte erlassen werden können. Denn in Ermangelung einer Spezialität gilt aus Gründen einer effizienten Gefahrenabwehr vorbehaltlich entgegenstehenden Rechts eine Befugnisnorm bereits dann als einschlägig, wenn ihre Voraussetzungen erfüllt sind und die zuständige Behörde von der betreffenden Vorschrift Gebrauch machen will (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.10.1991 – BVerwG 7 C 2.91 –, juris Rn. 18). So liegt es hier, weil der Antragsgegner gegen den Vertrieb des streitigen Hanfblütentees ersichtlich auf lebensmittelrechtlicher Grundlage vorgehen wollte. Diejenige Behörde, deren Verfügung zuerst ergeht, bestimmt danach, welche Ermächtigungsgrundlage einschlägig ist (Büscher, JA 2010, 719, 723).
d. Selbst wenn die vom Antragsteller vertriebenen getrockneten Cannabisblüten nicht als Betäubungsmittel, sondern als Lebensmittel anzusehen sein sollten, würde sich an der Rechtmäßigkeit der Tenorpunkte 1) und 2) des angefochtenen Bescheides nichts ändern. Rechtsgrundlage für die hier inmitten stehenden Verfügungen ist dann Art. 138 Abs. 1 i.V.m Abs. 2 lit. d und lit..g der Verordnung (EU) Nr. 2017/625 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 2015/2283 (sogenannte Novel-Food-Verordnung).
aa. Nimmt man an, dass es sich bei dem Hanfblütentee des Antragstellers um ein Lebensmittel im Sinne von Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 handelt, sind die übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen der genannten Vorschriften erfüllt. Nach Art. 138 Abs. 1 Satz 1 lit. a der Verordnung (EU) 2017/625 ergreifen die zuständigen Behörden, wenn ein Verstoß festgestellt wird, geeignete Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den Verstoß beendet und dass er erneute Verstöße dieser Art verhindert und beschränken insbesondere nach Art. 138 Abs. 2 lit. d der Vorschrift das Inverkehrbringen von Waren und ordnen nach Art. 138 Abs. 2 lit. g der Vorschrift die Rücknahme von Waren an.
Nach Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 2015/2283 dürfen nur zugelassene und in der Unionsliste (vgl. Anhang zur Durchführungsverordnung (EU) Nr. 2017/2470 der Kommission vom 20. Dezember 2017, ABl. EU L 351 S. 72) aufgeführte neuartige Lebensmittel nach Maßgabe der in der Liste festgelegten Bedingungen und Kennzeichnungsvorschriften als solche in den Verkehr gebracht werden. Neuartige Lebensmittel sind gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. a der Verordnung (EU) Nr. 2015/2283 alle Lebensmittel, die vor dem 15. Mai 1997 unabhängig von den Zeitpunkten der Beitritte von Mitgliedstaaten zur Union nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurden und in mindestens eine der dort folgenden genannten Kategorien fallen, von der lediglich die zur dortigen Nr. iv bezeichnete in Betracht kommt. Diese betrifft Lebensmittel, die aus Pflanzen oder Pflanzenteilen bestehen oder daraus isoliert oder erzeugt wurden, ausgenommen Fälle, in denen das Lebensmittel eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union hat und das Lebensmittel aus einer Pflanze oder einer Sorte derselben Pflanzenart besteht oder daraus isoliert oder erzeugt wurde, die ihrerseits gewonnen wurde mithilfe dort im Einzelnen geregelter Vermehrungsverfahren. Handelt es sich um ein neuartiges Lebensmittel im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 2015/2283 und liegt für dieses keine Zulassung vor, so ist das Lebensmittel nicht verkehrsfähig und gilt im Rechtssinne als „unsicher“ auch ohne Einzelfallprüfung (Streinz/Lamers, in: Streinz/Kraus, Lebensmittelrechtshandbuch, Loseblattkommentar Stand April 2021, Rn. 520). So liegt der Fall hier.
Die hier streitigen Cannabisblüten sind Teile der Pflanze Cannabis sativa L. im Sinne von Art. 3 Abs. 2 lit. a Nr. iv der Verordnung (EU) Nr. 2015/2283. Die Neuartigkeit eines Lebensmittels muss anhand aller Merkmale des Lebensmittels und des hierfür verwendeten Herstellungsvorgangs beurteilt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Januar 2009 – C-383/07 – juris Rn. 26 f.). Gegenstand der Betrachtung sind dementsprechend im vorliegenden Fall getrocknete unbehandelte Cannabisblüten. Denn es ist zu fragen, ob das Lebensmittel, das aus einer Pflanze oder deren Teilen besteht, eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel hat (Ballke, in: Zipfel/Rathke, a,a,O., VO (EU) 2015/2283 Art. 3 Rn. 91). Für diese Cannabisblüten ist die Gegenausnahme des Art. 3 Abs. 2 lit. a Nr. iv der Verordnung (EU) Nr. 2015/2283 allerdings nicht erfüllt. Denn bei der in diesem Verfahren nur gebotenen summarischen Prüfung spricht Überwiegendes dagegen, dass Cannabisblüten, wie sie der Antragsteller vertreibt, eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel vor dem 15. Mai 1997 besitzen.
Ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat ist in der Union noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls feststeht, dass dieses Lebensmittel oder diese Lebensmittelzutat vor dem Bezugszeitpunkt in keinem Mitgliedstaat in erheblicher Menge für den menschlichen Verzehr verwendet wurde (EuGH, Urteil vom 9. Juni 2005 – C-211/03 –, juris Rn. 88 zu der insoweit im Wesentlichen gleichlautenden Vorschrift des Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 258/97, die durch die Verordnung (EU) Nr. 2015/2283 aufgehoben wurde). Danach ist davon auszugehen, dass ein zur Annahme der Neuartigkeit des betreffenden Lebensmittels führender Verzehr durch Menschen in einer nicht erheblichen Menge dann anzunehmen ist, wenn das betreffende Lebensmittel in einem so geringen Umfang verzehrt worden ist, dass durch das Inverkehrbringen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ernst zu nehmende Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung nicht auszuschließen sind. Dagegen wurde ein Lebensmittel in nennenswertem Umfang innerhalb der Union verzehrt, wenn es im Hinblick auf den Umfang, in dem der Verzehr stattgefunden hat, zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung nicht (mehr) erforderlich erscheint, das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft erst nach einer Sicherheitsprüfung nach den Bestimmungen der Novel-Food-Verordnung zuzulassen (VG Cottbus, Beschluss vom 8. Januar 2020 – 3 L 230/19 –, juris Rn. 18 m.w.N.). Für eine solche Verwendungsgeschichte hat aber weder der Antragsteller hinreichende Anhaltspunkte vorgetragen noch ist sie sonst ersichtlich.
Das vom Antragsteller vorgelegte und in englischer Sprache verfasste angebliche Rezept des B in seinem Kochbuch von 1475 belegt eine solche Verwendungsgeschichte nicht. Die Überzeugungskraft der vorgelegten englischen Fassung – unbekannter Herkunft – leidet bereits darunter, dass sie sich nicht mit dem lateinischen Original (vgl. z.B. https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/ bsb11303248?page=104,105 oder https://la.wikipedia. org/wiki/Cannabis) in Übereinstimmung bringen lässt. Insbesondere die Passage „Add cannabis to nard oil in an iron pot; crush together over some heat until juice“, nach der Übertragung des Antragstellers ins Deutsche etwa „Fügen sie Cannabis zu Nardenöl in einem Eisentopf; alles zusammen bei geringer Hitze vermahlen bis ein Saft entsteht“ findet in den lateinischen Originalausführungen zur Cannabispflanze
„Vellitur et cannabis ipsa, ut linum. Decorticata post vindemiam funes ad usum praestat. Aiunt cannabin in Alabandica ferularum vicem in plagarum usum praebere, adeo magna in regione nascitur. Ex semine cannabis tunso cibaria quaedam fiunt, quae et stomacho et capiti ac denique membris omnibus plurimum nocent.“
bereits im Ansatz keine Entsprechung und erweckt daher den Eindruck einer freien Erfindung. Bereits bei oberflächlichen Lateinkenntnissen ist offensichtlich, dass der einzige Satz in der Originalfassung, die sich mit Verzehr beschäftigt – der letzte Satz der Passage – lediglich auf Hanfsamen abstellt („ex semine cannabis…“) und hierzu zudem nur darauf hingewiesen wird, dass daraus hergestelltes Essen („cibaria“) schädlich ist für den Magen, den Kopf und die Glieder. Dies wird bestätigt durch die historische Übersetzung ins Deutsche von 1542 (vgl. https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10149578? page =101), in der es heißt:
„Cannabis/Hanff wirt auch geseet wie der flachs. Nach dem weinlesen nimpe man in ab röst in berit in macht sail und strick zum gebrauche darauß. Man sagt das der Hanffe so groß im lande Alabandiaca wechst das er an die garn und netze gute starcke stecken gebe. Dürse Hanffkörner gestossenn seind gut zu etlichen speysen schadet aber dem Hürn magen haubt und schier allen gelidern.“
Insbesondere aber ist an keine Stelle des Originaltextes davon die Rede, dass Hanfblüten als Nahrung verwendet wurden. Darauf weist bereits der Bericht des Landeslabors Berlin-Brandenburg vom 12. November 2020, den der Antragsgegner in das Verfahren eingeführt hat, hin, ohne dass der Antragsteller dem entgegengetreten ist.
Auch aus der Veröffentlichung des Landesverbands Bündnis 90 / die Grünen vom Oktober 1995 kann der Antragsteller nichts herleiten. Bereits die Auflage von lediglich 3.000 Stück lässt nicht den Schluss zu, dass ein insgesamt mehr als nur unerheblicher Anteil der Bevölkerung hiervon Kenntnis genommen hat. Noch weniger belegt allein der Abdruck des Rezepts, dass es in einem hier relevanten Umfang praktiziert wurde. Überdies deuten diese Rezepte nicht auf eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel. Dagegen sprechen, worauf der Antragsgegner zutreffend verweist, bereits die Begrifflichkeiten der Rezepte, in denen von „Shit“, „Khif“ und „Gras“ die Rede ist. Dies impliziert, dass Berauschungszwecke beim Verzehr eine Rolle spielten. Eine Verwendung zur Nahrungsaufnahme, bei der keine Beeinträchtigung des Nervensystems zu erwarten war, wie es die Voraussetzung einer Verwendung gerade als sicheres Lebensmittel voraussetzt, und die Anlass für den Schluss geben könnte, dass die Sicherheit des Lebensmittels in einer Weise belegt sei, dass es keiner Zulassung mehr bedürfte, ergibt sich aus dieser Veröffentlichung nicht.
Aus dem Gutachten der CIS GmbH vom 11. Januar 2016 kann der Antragsteller ebenfalls nichts herleiten. Denn soweit ersichtlich betreffen die dortigen Ausführungen im Wesentlichen Hanfsamenöl. Soweit die Rede von Hanfblüten ist, geht es entweder um die hier nicht betroffene Herstellung von essentiellen Ölen oder die Angaben sind so unspezifisch, dass ein Bezug zu der hier inmitten stehenden Verwendung unbehandelter getrockneter Hanfblüten nicht ersichtlich ist (vgl. auch VG Würzburg, Beschluss vom 16. November 2021 – W 8 E 21.1399 –, juris Rn. 40).
In gleicher Weise unergiebig für den Antragsteller ist sein Verweis auf eine Umfrage der Hanfgesellschaft aus dem Jahre 1997, wonach vor dem 15. Mai 1997 u.a. 115.000 Liter Getränke mit Hanfblüten/-blättern in der EU vermarktet worden seien. Denn dabei ist nicht nur offen, auf welchen Zeitraum sich die Mengenangabe bezieht. Es bleibt auch unklar, in welchem Umfang die hier streitigen Hanfblüten verwendet wurden. Jedenfalls aber ist für die Bierherstellung allenfalls die Verwendung von entharzten Cannabisblüten bekannt geworden (BT-Drs. 19/11377 vom 4. Juli 2019, S. 3; Lachenmeier Bock, Deych, Sproll, Rajcic de Rezende und Walch, a.a.O. S. 365; eine Verwendung in nennenswertem Umfang für die Zeit vor 1997 verneinen Hupf/Gerstenberg/Zeitler, Brauwelt 1997, 2121, 2123), während für traditionelle Hanflebensmittel lediglich die Verwendung von Hanfsamen bzw. –blättern (als Kräutertee), nicht jedoch insbesondere der Blüten überliefert ist (Lachenmeier u.a., a.a.O., S. 363).
Die weiter vom Antragsteller angeführte Veröffentlichung der Gesellschaft für Denkmalschutz und Heimatkunde der Litauischen SSR „Upyte“ aus dem Jahre 1986 betrifft, worauf der Antragsgegner unwidersprochen hinweist, die Gabe von Cannabis an Lungenkranke, mithin eine Verwendung als Arzneimittel, die gemäß Art. 2 UAbs. 3 lit. d der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 keine Lebensmittel sind.
Auch aus dem sogenannten Novel-Food-Katalog (abrufbar im Internet unter https://ec.europa.eu/food/safety/novel-food/novel-food-catalogue_en) folgt nichts Entscheidendes für den Antragsteller. Es handelt sich dabei um eine Sammlung von Einstufungen aus der Sicht einer Arbeitsgruppe der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ob bestimmte Stoffe als neuartige Lebensmittel anzusehen sind. Sie ist unverbindlich (BGH, Urteil vom 16. April 2015 - I ZR 27/14 -, juris Rn. 33; Meisterernst, Lebensmittelrecht, 2019, § 14 Rn. 11) und nicht abschließend (so der Hinweis der Europäischen Kommission auf der Internetseite des Novel-Food-Katalogs). Soweit dem Novel-Food-Katalog Indizwirkung zukommt, ob ein Stoff von der Novel-Food-Verordnung erfasst ist (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 32), lässt sich dem entgegen der Auffassung des Antragstellers nichts dafür entnehmen, dass getrocknete unverarbeitete Cannabisblüten nicht als neuartiges Lebensmittel anzusehen sein sollten. Dort heißt es zu „Cannabis sativa L.“ sinngemäß, dass einige Produkte, die aus dieser Pflanze gewonnen werden wie z.B. (Hanf-)Samen, (Hanf-)Samenöl, (Hanf-)Samenmehl, entfetteter Hanfsamen eine Verzehrgeschichte in der EU besitzen und daher nicht neuartig sind. Dabei bedarf es keiner Entscheidung über die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob die Aufzählung der Produkte in diesem Eintrag abschließend ist oder nicht. Denn selbst wenn die Aufzählung nicht abschließend ist – worauf der Wortlaut hindeutet – so indiziert dies nicht, dass Cannabisblüten kein neuartiges Lebensmittel sind. Denn der Wortlaut des Eintrages enthält eine Einbeziehung („such as“) anderer als der beispielhaft genannten Produkte nur für solche, die den genannten vergleichbar sind. Dafür ist allerdings umso weniger ersichtlich als die Samen der Cannabispflanze – im Gegensatz zu deren Blüten – praktisch kein THC enthalten (vgl. i.E. ebenso: OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. Dezember 2019 – 13 ME 320/19 –, juris Rn. 24; vgl. ferner EuGH vom 19. November 2020 – C-663/18 –, juris Rn. 70 ff.).
Bei dieser Sachlage kann sich der Antragsteller auch nicht mit Erfolg auf die beiden Auskünfte der Europäischen Kommission aus dem Jahre 1998 berufen, in denen es heißt, der Ständige Lebensmittelausschuss sei zu der Übereinkunft gelangt, dass Lebensmittel, die Teile der Hanfpflanze enthielten, nicht unter die – mittlerweile aufgehobene – Verordnung (EG) Nr. 258/97 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten fielen. Es ist bereits fraglich, ob die genannten Auskünfte dahin verstanden werden können, dass alle Teile der Pflanze Cannabis sativa L. bei jedweder Verwendung nicht unter die Verordnung (EG) Nr. 258/97 fallen sollten. Denn in den Auskünften ist die Rede von Lebensmitteln, die Teile der Cannabispflanze enthalten. Der Wortlaut erfasst nicht die beim Antragsteller gegebene Konstellation, dass Teile der Cannabispflanze selbst das Lebensmittel bilden. Im Übrigen ist nicht erkennbar, in welchem Umfang die referierte Entscheidung auf einer Prüfung basiert, ob die dort angesprochenen Teile der Cannabispflanze vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang Gegenstand des menschlichen Verzehrs waren (vgl. EuGH, Urteil vom 14. April 2011 – C-327/09 –, juris Rn 30). Insofern kann es auf sich beruhen, dass die Bundesregierung den Stellungnahmen der Europäischen Kommission aus dem Jahre 1998 noch im Jahre 2019 weiterhin grundsätzlich Gültigkeit zumisst (vgl. BT-Drs. 19/11922 vom 25. Juli 2019, S. 2).
Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass es sich bei den genannten Schreiben der Europäischen Kommission um eine Festlegung gemäß Artt. 1 Abs. 3, 13 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 darüber handelt, ob Teile der Cannabispflanze unter die genannte Verordnung fielen (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 14. April 2011, a.a.O., Rn. 28 ff.), so dass die Frage der Verbindlichkeit einer solchen Festlegung auf sich beruhen kann (für die neue Rechtslage str., vgl. Streinz/Lamers, a.a.O., Rn. 516; Meisterernst, a.a.O. § 14 Rn. 12). Im Übrigen heißt es im Betreff jener beiden Schreiben der Europäischen Kommission, dass es sich um eine Anfrage bezüglich Teilen der Pflanze Cannabis sativa handele bzw. dass eine Mitteilung über die Meinung des Ständigen Lebensmittelausschusses (vgl. Art. 13 der (EG) Nr. 258/97) in Bezug auf Hanfprodukte erbeten worden sei. Spricht danach alles dafür, dass es sich bei den genannten Mitteilungen der Europäischen Kommission um rechtlich nicht bindende Einschätzungen handelte, so fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass jene Einschätzung – sollte sie im Sinne des Antragstellers zu verstehen sein – gegenwärtig noch fortbesteht. Denn in diesem Falle wäre nicht erklärlich, weshalb der fortlaufend aktualisierte Novel-Food-Katalog in Bezug auf Teile der Cannabispflanze eine Einschränkung auf Hanfsamen und vergleichbare Pflanzenteile enthält (vgl. i.E. ebenso VG Hannover, Beschluss vom 18. November 2019 – 15 B 3035/19 –, juris Rn. 26; VG Würzburg, Urteil vom 13. Juli 2020 – W 8 K 20.161 –, juris Rn. 35).
Ohne Erfolg beruft sich der Antragsteller auf das Urteil des obersten polnischen Verwaltungsgerichts vom 17. Februar 2022. Der Entscheidung lässt sich bereits die ihr vom Antragsteller beigemessene Feststellung einer Verzehrhistorie für Hanfblüten nicht entnehmen. Denn jenes Gericht hat die Sache gerade zur Aufklärung dieses Umstandes zurückverwiesen. Soweit diese Entscheidung wohl dem Eintrag im Novel-Food-Katalog für Cannabis sativa L. entnehmen will, dass er der Pflanze in ihrer Gesamtheit eine historische Verwendung als Lebensmittel zumisst, folgt ihr das Gericht aus den soeben dargelegten Gründen nicht. Gleiches gilt, soweit die Stellungnahmen der Europäischen Kommission aus dem Jahre 1997 wohl als konstitutive Entscheidung für die Frage angesehen werden, ob es sich bei Hanfblüten um ein neuartiges Lebensmittel handelt.
bb. Auf der Rechtsfolgenseite wären die auf dieser Grundlage getroffenen Anordnungen der Behörde rechtlich nicht zu beanstanden, da sie sich im Rahmen der von der Vorschrift selbst aufgeführten Handlungsvarianten handelt und ein Verstoß gegen höherrangiges Recht nicht ersichtlich ist (vgl. oben c. bb. (2)).
e. Wollte man den vom Antragsteller vertriebene Hanfblütentee als Lebensmittel, aber nicht als neuartiges Lebensmittel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 2015/2283 ansehen, würde dies den Antragsteller ebenfalls nicht zum Erfolg führen. Denn in diesem Fall ließe sich die angefochtene Untersagungs- und Rücknahmeverfügung unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Verkehrsfähigkeit im Sinne von Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 auf Art. 138 Abs. 1 Satz 1 lit. b, Abs. 2 lit. d und lit g der Verordnung (EU) 2017/625 stützen. Denn es spricht Überwiegendes dafür, dass der vom Antragsteller vertriebene Hanfblütentee als positiv gesundheitsschädlich im Sinne von Art. 14 Abs. 2 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 anzusehen ist (vgl. oben c. bb. (1)). Dieser Umstand dürfte es im Übrigen bereits für sich genommen ausschließen, dass diesem Produkt eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel (s.o. d.) zukommen kann.
3. Die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung unterliegt dagegen ernstlichen Zweifeln (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Damit überwiegt das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers das in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Var. 2, Satz 2 VwGO i. V. m. § 16 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Brandenburg vom 16. Mai 2013 (GVBl. I/13 Nr. 18, zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. Oktober 2018, GVBl. I/18 Nr. 22, S. 29 – VwVGBbg – begründete öffentliche Interesse an deren sofortiger Vollziehung.
Zwar sind die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen des § 3 VwVGBbg erfüllt. Danach kann ein Verwaltungsakt, der u.a. zu einer Handlung oder Unterlassung verpflichtet, vollstreckt werden, wenn ein gegen ihn gerichteter Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat (§ 3 Nr. 2 VwVGBbg). So liegt es hier. Denn die Klage VG 6 K 2255/20 besitzt wegen § 39 Abs. 7 Nrn. 1, 4 LFGB keine aufschiebende Wirkung.
Soweit sich die Zwangsgeldandrohung auf den Tenorpunkt 2) des angefochtenen Bescheides bezieht, mit dem die Behörde dem Antragsteller aufgegeben hat, von ihm bereits im Einzel- und Großhandel in Verkehr gebrachte Produkte, welche Hanfblüten enthalten, „unverzüglich“ zurückzunehmen, bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung. Die Rücknahmeverpflichtung ist bei verständiger Würdigung des Bescheides mit sofortiger Wirkung angeordnet (vgl. oben 2. c. aa.). Eine solche Frist ist allerdings nicht angemessen im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 2 VwVGBbg. Denn eine Frist ist nur dann angemessen und zumutbar, wenn sie das behördliche Interesse an der Schleunigkeit der Ausführung berücksichtigt und zugleich dem Betroffenen die nach der allgemeinen Lebenserfahrung erforderliche Zeit gibt, seiner Pflicht nachzukommen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Januar 2010 – OVG 11 S 17.09 –, S. 8 des amtlichen Entscheidungsabdrucks). Nach diesem Maßstab ist die Anordnung einer sofortigen Pflichterfüllung dann nicht angemessen, wenn hierfür im konkreten Fall bestimmte Vorbereitungshandlungen benötigt werden (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. September 2014 – OVG 10 S 8.13 –, juris Rn. 6). So liegt es hier. Die dem Antragsteller aufgegebene Rücknahme im Sinne von Art. 138 Abs. 2 lit. g der Verordnung (EU) Nr. 2017/625 ist zu verstehen im Sinne von Art. 19 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, auf die die Verordnung (EU) Nr. 2017/625 wegen der grundlegenden Bestimmungen des Lebens- und Futtermittelrechts der Union Bezug nimmt (vgl. ebenda Erwägungsgrund Nr. 4). Rücknahme in diesem Sinne bedeutet demnach „eine Warenrückholung ohne Medienbeteiligung bei den gewerblichen Abnehmern eines Erzeugnisses, die dem abgebenden Lebensmittelunternehmer im Rahmen seiner Rückverfolgbarkeitspflichten bekannt sind“ (Meisterernst, in: Streinz/Meisterernst, a.a.O., Rn. 20 mit Verweis auf Grube, ZLR 2012, 446, 451). Gegenständlich ist damit gemeint, dass der Lebensmittelunternehmer seine Kunden auffordert, die Ware wieder herauszugeben und die entsprechenden Maßnahmen – Aussortieren, Abtransport – selbst durchführt bzw. selbst durchführen lässt (Rathke, in: Zipfel/Rathke, a.a.O., Art. 19 EG-Lebensmittel-Basisverordnung, Rn. 20). Eine derartige Abfolge von Handlungen lässt sich indes nicht „sofort“ erledigen, sondern benötigt auch bei gebotener zügiger Ausführung eine gewisse Zeit.
Bei dieser Sachlage kann die Vollziehbarkeit der Zwangsgeldandrohung nicht bestehen bleiben, soweit sie sich auf den Tenorpunkt 1) des Bescheides bezieht. Eine teilweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist zwar grundsätzlich zulässig. Denn der Wortlaut des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO sieht diese Möglichkeit ausdrücklich vor. Eine solche teilweise Anordnung oder Wiederherstellung setzt aber die Teilbarkeit des Verwaltungsakts voraus. Eine Teilbarkeit ist gegeben, wenn der rechtlich unbedenkliche Teil nicht in einem untrennbaren inneren Zusammenhang mit dem rechtswidrigen Teil steht, sondern als selbständige Regelung weiter existieren kann, ohne ihren Bedeutungsinhalt zu verändern (BVerwG, Beschluss vom 1. Juli 2020 – BVerwG 3 B 1.20 – juris Rn. 14 ; OVG Berlin, Beschluss vom 26. August 2003 – OVG 2 B 16.03 –, juris Rn. 7; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018 § 113 Rn. 159). Bezogen auf die Vollzugsfähigkeit des Verwaltungsakts bedeutet dies, dass diese dergestalt teilbar sein muss, dass der von der Herstellung der aufschiebenden Wirkung erfasste Teil als „abspaltbares Minus“ gegenüber der Gesamtregelung qualifiziert werden kann. So liegt es hier indes nicht.
Dies ergibt sich aus folgender Erwägung: Der angefochtene Bescheid droht ein einheitliches Zwangsgeld an, wenn der Antragsteller den Tenorpunkten 1) und 2) nicht, nicht fristgemäß oder nicht vollständig nachkommt. Dies widerspricht im vorliegenden Fall nicht der Maßgabe des § 28 Abs. 4 VwVGBbg, dass das Zwangsgeld in bestimmter Höhe anzudrohen ist. Verschiedentlich wird die Androhung eines einheitlichen Zwangsgeldes für den Verstoß gegen mehrere Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflichten als Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz angesehen, weil unklar bliebe, für welche Handlung oder welches Unterlassen ein Zwangsgeld in welcher Höhe angedroht werde (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 17. August 1995 – 5 S 71/95 – juris Rn. 32; VG Aachen, Beschluss vom 21. September 2020 – 7 L 676/20 –, juris Rn. 35 f.; VG Berlin, Beschluss vom 6. August 2018 – VG 19 L 32.18 –, juris Rn. 37; Troidl, in: Engelhardt/App/Schlatmann, a.a.O., § 13 Rn. 4b). Das ist hier jedoch nicht der Fall. Denn der Antragsteller weiß vorliegend nicht nur, welche Unterlassung (Tenorpunkt 1) des Bescheides) und welche Handlung (Tenorpunkt 2)) von ihm erwartet werden, sondern auch, dass das volle Zwangsgeld fällig wird, wenn er nicht beiden Verpflichtungen vollständig und fristgemäß nachkommt (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 10. September 2003 – 13 B 1313/03 –, juris Rn. 8; Sadler/Tilmanns, in: Salder/Tilmanns, VwVG, VwZG, 10. Aufl. 2020, § 11 Rn. 35 f.). Er bleibt mithin nicht im Unklaren, dass das volle Zwangsgeld bereits dann fällig werden soll, wenn er einer der beiden Verpflichtungen nicht fristgemäß nachkommt. Handelt es sich danach jedoch um unselbständige Teile einer einheitlichen Verpflichtung (vgl. BVerwG, Gerichtsbescheid vom 26. Juni 1997 – BVerwG 1 A 10.95 –, juris Rn. 35), so ist die Zwangsmittelandrohung zwar nicht unbestimmt, aber gleichzeitig auch nicht teilbar, sodass die Rechtswidrigkeit der Androhung hinsichtlich Tenorpunkt 2) des angefochtenen Bescheides die Androhung auch im Übrigen erfasst.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Danach können die Kosten des Verfahrens einem Beteiligten abweichend von der durch § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO grundsätzlich für den Fall des teilweisen Obsiegens vorgeschriebenen Kostenteilung ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. So verhält es sich hier in Ansehung des Verhältnisses zwischen dem streitwertbestimmenden wirtschaftlichen Interesse des Antragstellers und der Höhe des – zumal grundsätzlich nicht streitwerterhöhenden (vgl. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Nr. Nr. 1.7.2) – angedrohten Zwangsgeldes. Den Streitwert hat das Gericht in Ermangelung anderweitiger Anhaltspunkte gemäß § 53 Abs. 1 GKG in Anlehnung an die Angaben des Antragstellers mit 70.000 Euro bemessen und diesen Wert wegen der Vorläufigkeit des Verfahrens halbiert.