Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 90. Senat | Entscheidungsdatum | 25.05.2022 | |
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Aktenzeichen | OVG 90 H 2.19 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2022:0525.OVG90H2.19.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 92 HeilBKG BE, § 16 ÄKammerG, § 17 ÄKammerG, § 24 ÄKammerG, § 33 ÄKammerG, § 1 GOÄ, § 1 KHEntgG, § 86 VwGO, § 88 VwGO, § 130 VwGO, § 411a ZPO |
1. Im berufsgerichtlichen Verfahren kann das in einem Zivilprozess eingeholte schriftliche Sachverständigengutachten aufgrund einer Verwertungsanordnung als Beweismittel verwendet werden.
2. Zur Ahndung des Berufsvergehens eines Schönheitschirurgen.
Auf die Berufung des Beschuldigten wird das Urteil des Berufsgerichts für Heilberufe vom 7. Mai 2019 geändert. Gegen den Beschuldigten wird eine Geldbuße in Höhe von 17.000 Euro verhängt.
Der Beschuldigte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Beschuldigte ist am ...196... in ... geboren, deutscher Staatsangehöriger und seit dem 3. Juli 1998 im Besitz der ärztlichen Approbation. Er betrieb eine staatlich konzessionierte Privatklinik in Berlin (-Klinik) als eingetragener Kaufmann (e.K.), in der er insbesondere ästhetische Operationen durchführte. Die Ärztekammer Berlin, deren Mitglied der Beschuldigte ist, erkannte bei ihm am 1. März 2014 die Facharztqualifikation Hals-Nasen-Ohrenheilkunde an. Der Beschuldigte ist verheiratet. Seine Ehefrau ist Kosmetikerin und arbeitete in der Privatklinik mit. Berufsrechtlich ist der Beschuldigte nicht vorbelastet. Wie der Verteidiger vorträgt, sei der Beschuldigte seit Ende 2018 nicht mehr ärztlich tätig und habe die Klinik Ende April 2019 geschlossen. Er erklärt, auf seine Rechte aus der Approbation nicht verzichten zu wollen.
Das Fehlen einer Berufshaftpflichtversicherung des Beschuldigten bereits in den Jahren 2003 bis 2005 war Anlass für Überprüfungen durch die Einleitungsbehörde. Die Patientin N... zeigte wegen der an ihr vorgenommenen Schönheitsoperation den Beschuldigten mit Email vom 13. November 2012 bei der Ärztekammer Berlin an. Das im Mai 2013 von ihr initiierte Strafverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Berlin eingestellt, weil der erforderliche Strafantrag nicht innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis von Tat und Täter gestellt worden sei. Das von der Patientin gegen den Beschuldigten geführte zivilgerichtliche Schmerzensgeldverfahren endete mit einem Vergleich (Zahlung von 12.000 Euro). Das Landgericht Berlin hatte ein am 21. Juni 2012 abgeschlossenes Sachverständigengutachten der Fachärztin für plastische und ästhetische Chirurgie Dr. P... eingeholt.
Die Einleitungsbehörde hat am 23. Juni 2016 bei dem Berufsgericht für Heilberufe eine Anschuldigungsschrift eingereicht mit den fünf Anschuldigungspunkten gegen den Beschuldigten, in Berlin
1. zwischen dem 15. und 18. Oktober 2009 seine Honorarforderungen nicht auf der Grundlage der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) bemessen zu haben sowie bei der ärztlichen Behandlung der Patientinnen N... und B...B... seinen Beruf nicht gewissenhaft ausgeübt und dem ihm bei seiner Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen nicht entsprochen zu haben,
2. es seit einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt nach dem 18. Oktober 2009 unterlassen zu haben, der Patientin B...B... auf deren Verlangen Einsicht in die sie betreffenden Krankenunterlagen zu gewähren,
3. es in der Zeit nach dem 2. März 2010 bis zum 30. Januar 2011 unterlassen zu haben, der Patientin N...B... auf deren Verlangen Einsicht in die sie betreffenden Krankenunterlagen zu gewähren,
4. zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt nach dem 17. Oktober 2009 seinen Beruf nicht gewissenhaft ausgeübt und dem ihm bei seiner Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen nicht entsprochen zu haben,
5. vom 16. August 2006 bis 30. Juni 2011 sowie vom 2. Juli 2012 bis 7. Januar 2013 sich im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit nicht hinreichend gegen Haftpflichtansprüche versichert zu haben,
und dadurch seine Berufspflichten als Arzt verletzt zu haben. Die Einleitungsbehörde hat darin Verstöße gegen § 2 Abs. 2, § 10 Abs. 2, § 12 Abs. 1, § 21 Berufsordnung der Ärztekammer Berlin (BO) gesehen und dem Beschuldigten im Einzelnen folgende Sachverhalte vorgeworfen:
Zu 1. Der Beschuldigte habe sich am 15. Oktober 2009 für die Durchführung der bei den Patientinnen N... und B...B... geplanten Operationen sowie für die prä- und postoperativen Behandlungen vorab vereinbarte Pauschalpreise zahlen lassen. Den Vorgaben der GOÄ entsprechende Rechnungen habe er den Patientinnen für seine ärztlichen Leistungen nicht ausgestellt.
Der Beschuldigte habe am 17. Oktober 2009 bei der Patientin N...B...eine operative Bauchdeckenstraffung in Regionalanästhesie durchgeführt, die aufgrund der zu hoch gesetzten Operationsnarbe nicht den Regeln und Standards der ärztlichen Kunst entsprochen habe und bei der kein Anästhesist oder eine ausgebildete medizinische Fachkraft zur erforderlichen Überwachung der Vitalparameter der Patientin anwesend gewesen sei.
Der Beschuldigte habe am 18.Oktober 2009 bei der Patientin B...B... eine Nasen- und Brustoperation in Lokalanästhesie durchgeführt, bei der ebenfalls kein Anästhesist oder eine ausgebildete medizinische Fachkraft zur erforderlichen Überwachung der Vitalparameter der Patientin anwesend gewesen sei.
Zu 2. Der Beschuldigte habe dem Begehren der Patientin B...B..., ihr die Fotos zu zeigen, die dieser vor der Operation von ihrer Nase gemacht hatte, pflichtwidrig nicht entsprochen.
Zu 3. Der Beschuldigte habe der Patientin N...B... die von ihr mit Schreiben vom 2. März 2010 herausverlangten Fotos, die dieser vor, während und nach der Operation von den Operationsarealen gemacht hatte, pflichtwidrig erst nach Klageerhebung und auf Verlangen des Landgerichts am 31. Januar 2011 überlassen.
Zu 4. Der Beschuldigte habe die von der Patientin N...B... am 15. Oktober 2009 unterzeichneten Aufklärungsbögen ohne deren Wissen zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt nach dem 17. Oktober 2009 nachträglich um die sich bei der Operation realisierten Risiken ergänzt und diese dem Landgericht am 31. Januar 2011 vorgelegt.
Zu 5. Der Beschuldigte sei vom 16. August 2006 bis 30. Juni 2011 sowie vom 2. Juli 2012 bis 7. Januar 2013 entgegen besserem Wissen nicht berufshaftpflichtversichert gewesen.
Das Berufsgericht für Heilberufe hat den Beschuldigten – zugestellt am 1. Juli 2016 – darüber belehrt, dass er wesentliche Mängel des behördlichen Verfahrens oder der Anschuldigungsschrift geltend machen und Beweisanträge stellen müsse innerhalb von zwei Monaten und welche Folgen eintreten könnten bei späterer Äußerung. Der Beschuldigte hat am 1. September 2016 beantragt, die Eröffnung abzulehnen und nebst ausführlicher Begründung die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Kunstgerechtheit der Bauchoperation insbesondere mit Blick auf die Operationsnarbe beantragt. Das erstinstanzliche Gericht hat durch Beschluss vom 15. Februar 2019 das berufsgerichtliche Verfahren eröffnet mit den fünf von der Einleitungsbehörde formulierten Anschuldigungspunkten. Es hat die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 7. Mai 2019 zur Absicht angehört, die Vorwürfe zu 2, 3 und 4 auszuscheiden.
Das Berufsgericht für Heilberufe hat ausweislich des am 7. Mai 2019 verkündeten Urteils eine Ausscheidung vorgenommen und zur Grundlage seiner Entscheidung nur noch die Anschuldigungspunkte 1 und 5 genommen. Es hat in Anwendung des Berliner Kammergesetzes geurteilt, der Beschuldigte habe sich eines einheitlich zu würdigenden Berufsvergehens schuldig gemacht, eine nach § 17 Abs. 1 KammerG zu ahndende Berufspflichtverletzung begangen und gegen die zur Tatzeit geltende Berufsordnung der Ärztekammer Berlin vom 30. Mai 2005 verstoßen. Er habe sich unerlaubt Pauschalpreise zahlen lassen und Rechnungen nach der GOÄ nicht gestellt (zumindest grob fahrlässiger Verstoß gegen § 2 Abs. 2, § 12 Abs. 1 BO). Deren Regelungen gälten, wie vom Bundesgerichtshof im Urteil vom 23. Juni 2006 – III ZR 223/05 – entschieden, auch für Ärzte in einer Privatklinik. Die Bauchoperation verstoße gegen die Regeln der ärztlichen Kunst, wie das im Zivilprozess zwischen der Patientin und dem Beschuldigten eingeholte Gutachten beweise, auf das sich das Gericht gemäß § 411a ZPO stützen könne. Der Beschuldigte habe die Schnittführung zu hoch angesetzt. Der Beschuldigte hätte außerdem die Betäubung beider Patientinnen während der Operationen durch eine geeignete Person überwachen lassen müssen, wie das Gutachten beweise (jeweils fahrlässige Verstöße gegen § 2 Abs. 2, 3 BO und Nr. 2 der Grundsätze korrekter ärztlicher Berufsausübung in Kapitel C). Schließlich sei das Fehlen einer Berufshaftpflicht für rund 4 ½ Jahre ein vorsätzlicher Verstoß gegen § 21 BO. Der Beschuldigte sei wiederholt auf seine Pflicht hingewiesen worden. Die Ärztekammer Berlin habe aufgrund eines Rahmenvertrags einen abschlussbereiten Versicherer für alle Kammermitglieder gehabt. Aufgrund dieser Feststellungen hat das Berufsgericht für Heilberufe eine mittlere Sanktion für angemessen angesehen und nach weiteren Erwägungen und Abwägungen gegen den Beschuldigten eine Geldbuße in Höhe von 20.000 Euro verhängt.
Der Beschuldigte hat gegen das seinem Verteidiger am 21. Mai 2019 zugestellte Urteil bei dem Berufsgericht für Heilberufe am 20. Juni 2019 Berufung einlegen und die Berufung beim Berufsobergericht für Heilberufe am Montag, dem 22. Juli 2019, samt Antragstellung begründen lassen.
Der Beschuldigte ist der Auffassung, das Berufsgericht für Heilberufe habe formelles und materielles Recht verletzt. Das Gericht habe das Sachverständigengutachten aus dem Zivilverfahren verfahrensfehlerhaft einbezogen. Es fehle an einem Gerichtsbeschluss zur Verwertung des Gutachtens sowie an einem Hinweis, nach § 411a ZPO vorzugehen. Die Aktenbeiziehung als solche hätte einen Urkundenbeweis eröffnet. Die Verwertung als Gutachten unterliege anderen Regeln. Ohne Unterrichtung habe der Beschuldigte nicht seine prozessualen Rechte ausüben, insbesondere Einwendungen erheben und die Anhörung der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung beantragen können. Gegen das Gutachten sei gemäß § 412 Absatz 1 ZPO anzuführen, dass es im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits sieben Jahre alt gewesen sei. Deswegen hätte dessen Aktualität abgeklärt werden müssen. Die Gutachterin sei von der Patientin N...B... wegen Befangenheit abgelehnt worden, wenn auch ohne Erfolg. Ein weiterer Befangenheitsantrag der Patientin sei aufgrund des geschlossenen Vergleichs nicht mehr gestellt worden. Das Berufsgericht für Heilberufe hätte das in sein Ermessen gemäß § 412 Abs. 2 ZPO einstellen müssen, zumal die Sachverständige selbst nicht weiter habe involviert werden wollen. Der Beschuldigte beruft sich des Weiteren auf seinen Antrag auf Sachverständigengutachten im Schriftsatz vom 1. September 2016. Der Antrag sei vom Gericht nicht durch Beschluss abgelehnt worden. Zwar sei der Antrag nicht in der mündlichen Verhandlung gestellt worden (§ 86 Abs. 2 VwGO), was jedoch gemäß § 24 KammerG i.V.m. § 41 DiszG nicht nötig gewesen sei. Die Sachverständige hätte, auch wenn der Beschuldigte das nicht ausdrücklich beantragt habe, angesichts von dessen Beanstandungen am Gutachten zur mündlichen Verhandlung geladen werden müssen. Da sie sich quasi selbst für befangen erklärt habe, habe der Beschuldigte nicht mehr davon ausgehen können, dass eine ergänzende Gutachtenerläuterung geleistet werden könnte und dürfte. Deshalb sei ein Antrag auf neues Gutachten gestellt worden. Dem Berufsgericht für Heilberufe hätte es oblegen, die Verteidigung darauf hinzuweisen, dass die Gutachterin auf Antrag anzuhören gewesen wäre. Der Beschuldigte beanstandet weiter, dass das Berufsgericht für Heilberufe nicht die Patientin N...B... als Zeugin vernommen habe. Die Frage eines Behandlungsfehlers hinsichtlich der Narbe hätte verlangt, die Aufklärung der Patientin zu untersuchen. Die Gutachterin habe geschrieben, das gewählte Verfahren wäre nur dann standesgemäß gewesen, insofern die Patientin die zusätzliche vertikale Narbe in der Mitte der horizontalen Narbe infolge des Bauchnabelversatzes explizit vor der Operation ausgeschlossen hätte und die Lage der Narbe im oberen Bereich des Unterbauchs gewünscht hätte. Zur Aufklärung hätte in diesem Fall gehören müssen, dass die Patientin darüber informiert worden wäre, dass die Narbe durch übliche Badebekleidung mit kleiner tiefsitzender Bikinihose bzw. mit tiefsitzendem Slip nicht bedeckt werden könne und damit sichtbar sein würde. Die Gutachterin habe zusammengefasst zwei Möglichkeiten beschrieben, darunter bei adäquater Aufklärung der Patientin wegen der Narbe ein indiziertes Vorgehen und eine Möglichkeit der modifizierten Bauchdeckenstraffung. Für diese Möglichkeit streite schon die Behandlungsdokumentation. Selbst wenn sie nicht ausreichend sein sollte, gelte im vorliegenden Verfahren doch keine zivilrechtliche Vermutungsregel, die zudem widerleglich sei. Die Patientin hätte von Amts wegen gehört werden müssen. Der Beschuldigte beruft sich auf einen „ChefärzteBrief“ vom 1. November 2007, wonach ein Rechtsanwalt im Hinblick auf das Urteil des BGH vom 23. März 2006 – III ZR 223/05 – erläutert habe, Privatkliniken könnten ohne Bindung an gesetzliche Vorgaben abrechnen; das Krankenhausentgeltgesetz finde nach dessen § 1 Abs. 2 auf Privatkliniken keine Anwendung, so dass sie nicht nach dem DRG-Fallpauschalensystem abrechnen müssten. Sie könnten laut dem Rechtsanwalt ihre Vergütungssätze relativ frei wählen, dürften nicht sittenwidrig handeln. Der Beschuldigte trägt des Weiteren vor, der Vorwurf des Vorsatzes hinsichtlich der Versicherungslücke sei unzureichend begründet. Die Ärztekammer Berlin sei selbst davon ausgegangen, dass dem Beschuldigten Schreiben aus den Jahren 2009 und 2010 sowie der Bescheid vom 23. August 2011 nicht zugegangen seien. Gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 21. Oktober 2011 hätten Zweifel bestanden, die zur Aufhebung des Bescheids geführt hätten. Es sei mithin nicht überzeugend, von Vorsatz insbesondere im Zeitraum 16. August 2006 bis 30. Juni 2011 auszugehen. Der Beschuldigte habe auch keine Kenntnis von dem Rahmenvertrag mit einer Versicherung gehabt. Der Beschuldigte hält schließlich die Geldbuße in Höhe von 20.000 Euro für weit übersetzt. Er beruft sich auf das Senatsurteil vom 28. Februar 2019 – OVG 90 H 2.18 – (juris Rn. 109). Das Berufsgericht für Heilberufe gehe zu Unrecht von einem schweren Berufsvergehen aus. Der Kernbereich ärztlicher Tätigkeit sei nicht über Einzelfälle hinaus tangiert. Ihm sei nicht grobe Fahrlässigkeit vorwerfbar. Auch die Staatsanwaltschaft habe nicht Leichtfertigkeit erkennen können. Die Gutachterin habe keine groben Behandlungsfehler festgestellt. Das Berufsgericht habe die Verfahrensdauer nicht hinreichend gewürdigt. Bei korrekter Subsumtion sei die Dauer nicht erst seit 2013 zu bemessen. Wegen der zwischenzeitlichen Versicherung sei eine Zäsur eingetreten und die von Juli 2012 bis Januar 2013 bestehende Versicherungslosigkeit ein neuer Sachverhalt. Das Berufsgericht für Heilberufe habe die Belastung durch den zivilrechtlichen Vergleich und das Strafverfahren nicht gewürdigt und das langjährige Wohlverhalten des Beschuldigten unerwähnt gelassen. Der Kern der Vorwürfe resultiere aus dem Jahr 2009. Das Berufsgericht für Heilberufe habe auch die Einkommensverhältnisse des Beschuldigten fehlerhaft gewürdigt, der zur Zeit der mündlichen Verhandlung seit einem halben Jahr keine Patienten mehr behandelt habe und dessen Ehefrau als Angestellte der Klinik mit deren Schließung ebenfalls kein Einkommen mehr erzielt habe. Die Prognose des künftigen Verhaltens des Beschuldigten sei vom Berufsgericht für Heilberufe nicht einbezogen worden. Der Beschuldigte bedürfe keiner Pflichtenmahnung mehr.
Der Beschuldigte, der zunächst mit dem angekündigten Hauptantrag die Zurückverweisung an das Berufsgericht für Heilberufe begehrt hat, stellt nur noch den ursprünglichen Hilfsantrag,
das Urteil des Berufsgerichts für Heilberufe vom 7. Mai 2019 zu ändern und gegen ihn eine angemessen herabgesetzte Geldbuße zu verhängen.
Die Einleitungsbehörde beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Einleitungsbehörde hält das erstinstanzliche Urteil für überzeugend und die Vernehmung der Patientin als Zeugin wegen der Platzierung der Höhe des Bauchschnitts für entbehrlich. Die Annahme sei lebensfremd, die Patientin hätte eine 27 cm lange Narbe im sichtbaren Bereich gewünscht. Der Beschuldigte habe jedenfalls seit 2005 um die Pflicht zur Berufshaftpflichtversicherung gewusst. Die Geldbuße sei nicht zu hoch, sondern setze eher an der Untergrenze des Angemessenen an. Besonders schwer wiege, dass die rund fünfjährige Zeit ohne Versicherung eine Wiederholungstat sei.
Die Aufsichtsbehörde hat im Berufungsverfahren nicht Stellung genommen und keinen Antrag gestellt.
Das Berufsobergericht für Heilberufe hat in der Hauptverhandlung angeordnet, das schriftliche Gutachten von Dr. P... zu verwerten, und den Beteiligten ermöglicht, insoweit Anträge zu stellen und sich zu dessen Inhalt zu äußern. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Untersuchungs- und Verwaltungsvorgänge der Ärztekammer Berlin verwiesen.
Das Berufsobergericht für Heilberufe wendet nach §§ 92, 94 Abs. 2 Nr. 1 BlnHKG das Berliner Kammergesetz – im Folgenden: KammerG – an, da dem Beschuldigten ein Berufsvergehen vorgeworfen wird, das vor dem 30. November 2018 begangen wurde. Die Anwesenheit der Aufsichtsbehörde in der Hauptverhandlung, die erklärt hat, nicht daran teilzunehmen, ist nach § 24 KammerG i.V.m. § 3 DiszG und § 102 Abs. 2 VwGO entbehrlich gewesen.
Die nach § 33 Abs. 1 KammerG eingeräumte Berufung ist vom Beschuldigten zulässig eingelegt worden. Er hat sie nach § 33 Abs. 2 KammerG rechtzeitig und ordnungsgemäß bei dem Berufsgericht für Heilberufe eingelegt und gegenüber dem Berufsobergericht für Heilberufe begründet (vgl. näher OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Februar 2019 – OVG 90 H 2.18 – juris Rn. 48 unter Hinweis auf dessen Urteil vom 25. September 2018 – OVG 90 H 2.13 – juris Rn. 23). Die Berufung ist angesichts des erkennbaren Begehrens des Beschuldigten von Anfang an zulässig gewesen. Der ursprüngliche gestellte und an sich unstatthafte Hauptantrag auf Zurückverweisung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. März 1996 – 6 B 16.96 – juris Rn. 5; Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 130 VwGO, Rn. 3) wäre im Anwendungsbereich von § 130 VwGO (der nach Köhler, in: Köhler/Baunack, BDG, 7. Aufl. 2021, § 66 Rn. 2; Wittkowski, in: Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, § 66 Rn. 1; Rudisile, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2021, § 130 Rn. 3 im Disziplinarrecht, mithin auch im Heilberuferecht anwendbar sein soll) nur als Verfahrensantrag zulässig, der notwendig mit einem Sachantrag zu verbinden wäre. Der Beschuldigte hat davon abweichend einen – auf eine geringere Geldbuße zielenden – Sachantrag ursprünglich nur als Hilfsantrag gestellt, der erst nach abschließender Entscheidung über den Hauptantrag zu würdigen wäre. Haupt- und Hilfsantrag sind allerdings der Auslegung zugänglich (§ 24 KammerG i.V.m. § 3 DiszG und § 88 VwGO und BVerwG, Beschluss vom 13. März 1996 – 6 B 16.96 – juris Rn. 5). Dem erkennbaren Begehren des Beschuldigten (und dem ursprünglichen Hilfsantrag) entspricht der in der Hauptverhandlung nach § 86 Abs. 3 VwGO angeratene Antrag.
Gemäß § 24 KammmerG, § 41 DiszG, § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG gelten für das Berufungsverfahren die Bestimmungen über das erstinstanzliche Verfahren vor dem Verwaltungsgericht entsprechend, soweit das Gesetz nichts Abweichendes regelt. Die zweite Instanz entscheidet mithin eigenständig, übt eigene Ahndungsgewalt aus (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Oktober 2021 - OVG 80 D 5/20 - juris Rn. 32; Wittkowski, in: Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, § 65 Rn. 2). Deshalb sind etwaige Fehler der ersten Instanz grundsätzlich folgenlos, soweit sie in zweiter Instanz nicht wiederholt werden. Das betrifft auch die Beweiserhebung. Zu beachten ist allerdings bei einem Rechtsmittel allein des Beschuldigten nach § 24 KammerG i.V.m. § 3 DiszG und § 129 VwGO das Verböserungsverbot (Wittkowski, in: Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, § 66 Rn. 1).
Ein Arzt begeht ein Berufsvergehen (Begriff in § 27 Satz 1 KammerG) gemäß § 16 Abs. 1 KammerG, wenn er als Kammerangehöriger (oder sonstiger im Gesetz bestimmter Berufsangehöriger) seine Berufspflichten verletzt. Die Berufspflichten ergeben sich weitgehend aus dem ärztlichen Satzungsrecht, das wiederum vielfach unbestimmte Rechtsbegriffe enthält. Das ist generell nicht zu beanstanden, wie das Berufsobergericht für Heilberufe in seinem Urteil vom 28. Februar 2019 – OVG 90 H 2.18 – juris Rn. 80 ausgeführt hat. Bei Berufspflichtverletzungen können berufsgerichtliche Maßnahmen ergehen (§ 17 KammerG). Das Gesetz benennt nicht explizit die Ahndungszwecke. Die Bezugnahme des Gesetzes auf das Disziplinarrecht ist allerdings richtungweisend. Ein Berufsvergehen ist einheitlich zu würdigen (so der Senat zuletzt in den Urteilen vom 20. September 2019 – OVG 90 H 1.18 – juris Rn. 34 und vom 28. Februar 2019 – OVG 90 H 2.18 – juris Rn. 78). Das ärztliche Berufsrecht ist als Teil des staatlichen Disziplinarrechts nicht repressiv und damit tatbezogen. Vielmehr ist vorrangig das Gesamtverhalten und die Gesamtpersönlichkeit des Beschuldigten im Hinblick auf die sich aus dem gezeigten Verhalten ergebenden Zweifel an der Zuverlässigkeit seiner Berufsausübung zu würdigen; dabei steht die individuelle Pflichtenmahnung im Vordergrund. Neben dem Gewicht des Berufsvergehens ist dabei die Prognose des künftigen Verhaltens des Beschuldigten und hierbei die Frage entscheidend, in welchem Umfang es einer pflichtenmahnenden Einwirkung bedarf, um ein berufsrechtliches Fehlverhalten zukünftig zu unterlassen (Senatsurteil vom 28. Februar 2019 – OVG 90 H 2.18 – juris Rn. 109). Die schärfste Sanktion ist allerdings die Feststellung, dass ein Beschuldigter unwürdig ist, seinen Beruf auszuüben (§ 17 Abs. 1 Nr. 5 KammerG). Das Berufsvergehen kann sich wie ein Dienstvergehen der Beamten aus einer Mehrzahl von Handlungen und Pflichtenverstößen zusammensetzen, die nach Möglichkeit durch eine einheitliche Maßnahme geahndet werden sollen. Es ist nicht erforderlich, dass zwischen den einzelnen Pflichtenverstößen ein inhaltlicher, zeitlicher oder örtlicher Zusammenhang besteht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Oktober 2021 – 2 B 34.21 – juris Leitsatz 1). Für jede Pflichtverletzung ist jedoch die Verjährung gemäß § 16 Abs. 3 KammerG zu beachten (anders in § 15 DiszG und § 15 BDG formuliert).
Dem Berufsobergericht für Heilberufe hat zunächst die Feststellung oblegen, ob die angeschuldigten und im gerichtlichen Eröffnungsbeschluss, der maßgeblich ist (vgl. Senatsurteil vom 20. September 2019 – OVG 90 H 1.18 – juris Rn. 47), fixierten Pflichtverletzungen vom Beschuldigten tatsächlich begangen wurden und noch unverjährt sind. Dabei hat es die von dem Berufsgericht für Heilberufe ausgeschiedenen Anschuldigungspunkte ebenfalls außer Acht gelassen (vgl. indes zur Möglichkeit der erneuten Einbeziehung BVerwG, Beschluss vom 20. August 2013 – 2 B 8.13 – juris Rn. 9 f.; Wittkowski, in: Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, § 65 Rn. 2).
Der Beschuldigte beging schuldhaft alle ihm im 1. und 5. Anschuldigungspunkt vorgeworfenen Pflichtverletzungen.
Zum 1. Anschuldigungspunkt, erster Vorwurf: Die Vereinnahmung von Pauschalpreisen vor der Durchführung von Schönheitsoperationen in zwei Fällen am 15. Oktober 2009 steht nach den behördlichen Ermittlungen und dem Eingeständnis des Beschuldigten zur Überzeugung des Berufsobergerichts für Heilberufe fest. Darin ist – mit dem Berufsgericht für Heilberufe – ein zumindest grob fahrlässiger Verstoß gegen die Berufspflichten des Beschuldigten aus § 2 Abs. 2, § 12 Abs. 1 der seinerzeit geltenden Berufsordnung der Ärztekammer Berlin vom 30. Mai 2005 (BO) zu erkennen. Danach hat der Arzt seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm bei seiner Berufsausübung entgegengebrachen Vertrauen zu entsprechen (§ 2 Abs. 2 BO). In § 12 Abs. 1 Satz 1, 2 BO heißt es, die Honorarforderung müsse angemessen sein. Für die Bemessung sei die Amtliche Gebührenordnung (GOÄ) die Grundlage, soweit nicht andere gesetzliche Vergütungsregelungen gälten.
Der Beschuldigte hätte die Gebührenordnung für Ärzte einhalten müssen. Schönheitsoperationen in sogenannten Privatkliniken sind weder ausdrücklich noch stillschweigend aus deren Anwendungsbereich herausgenommen. Das stand mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23. März 2006 – III-ZR 223/05 – fest (siehe a.a.O. in juris, Leitsatz und Rn. 1). Die vom Beschuldigten geschlossenen Pauschalvereinbarungen genügen auch nicht den Anforderungen des § 2 GOÄ.
Die Gebührenordnung für Ärzte, die als Rechtsverordnung des Bundes ohne weiteres vom Beschuldigten zu beachten war und nicht erst eines Anwendungsbefehls in der Berufsordnung bedurft hätte, schreibt in § 1 Abs. 1 vor, dass die Vergütungen für die beruflichen Leistungen der Ärzte sich nach dieser Verordnung bestimmen, soweit nicht durch Bundesgesetz etwas anderes bestimmt ist. Der Beschuldigte bezieht sich mit seinem Hinweis auf eine Ausgabe des „ChefärzteBrief“ auf das Gesetz über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen – Krankenhausentgeltgesetz – (KHEntgG) aus dem Jahr 2002. Nach dessen § 1 in der vom 17. März 2009 bis 31. Dezember 2015 geltenden Fassung waren die vollstationären und teilstationären Leistungen der DRG-Krankenhäuser nach diesem Gesetz und dem Krankenhausfinanzierungsgesetz zu vergüten; bestimmte Krankenhäuser wurden aus der Anwendung genommen. Der Beschuldigte nahm die Schönheitsoperationen weder voll- noch teilstationär, sondern ambulant vor. Dazu bestimmte § 1 Abs. 3 Satz 2 KHEntgG a.F., die ambulante Durchführung von Operationen und sonstigen stationsersetzenden Eingriffen werde für die gesetzlich versicherten Patienten nach § 115b SGB V und für sonstige Patienten nach den für sie geltenden Vorschriften, Vereinbarungen oder Tarifen vergütet. Die angesichts dessen kaum nachvollziehbare Behauptung in der Ausgabe des „ChefärzteBrief“, bei Privatkliniken für Schönheitsoperationen blieben Honorarvereinbarungen bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit frei, mag erwägenswert sein, wenn die Kliniken als juristische Personen organisiert sind. Der Beschuldigte war als eingetragener Kaufmann persönlich der Vertragspartner der Patientinnen, die „-Klinik“ nur die Etablissementbezeichnung. Als ärztlich handelnde natürliche Person kann er sich der Gebührenordnung für Ärzte nicht entziehen. Der Beschuldigte hat auf Nachfrage in der Berufungsverhandlung nicht behauptet, die besagte Ausgabe des „ChefärzteBrief“ gekannt und danach gehandelt zu haben. Stattdessen hat er sich auf eine angeblich verbreitete Praxis bei Schönheitsoperationen bezogen. Eine solche Verkehrssitte vermag indes nicht die gesetzlichen Regelungen abzuschaffen.
Zum 1. Anschuldigungspunkt, zweiter Vorwurf: Der Beschuldigte verstieß, als er am 17. Oktober 2009 eine operative Bauchdeckenstraffung durchführte, aufgrund des zu hoch gesetzten Operationsschnitts gegen die Regeln und Standards der ärztlichen Kunst. Damit verstieß er fahrlässig gegen seine Berufspflichten aus § 2 Abs. 2 BO, § 2 Abs. 3 BO samt Nr. 2 der Grundsätze korrekter ärztlicher Berufsausübung in Kapitel C. Danach ist die gewissenhafte Ausführung der gebotenen medizinischen Maßnahmen nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Februar 2019 – OVG 90 H 2.18 – juris Rn. 81).
Der Beschuldigte stellt den hohen Schnitt, der oberhalb der von einem Slip abgedeckten Körperpartien verläuft, nicht in Abrede, hält die unüblich hohe Schnittführung allerdings nach den, wie er behauptet, Besonderheiten der Haut und der Körperproportionen der Patientin für unvermeidlich und behauptet weiter, sie vor der Operation darüber informiert und deren Einwilligung erhalten zu haben.
Das Berufsobergericht für Heilberufe hat sich anhand des schriftlichen Gutachtens der Fachärztin für plastische und ästhetische Chirurgie Dr. P... davon überzeugt, dass der Beschuldigte gegen die Regeln der ärztlichen Kunst verstieß.
Der erkennende Senat für Heilberufe ist befugt, das schriftliche Gutachten aus dem zivilgerichtlichen Schmerzensgeldprozess seinem Urteil als Sachverständigenbeweis zugrunde zu legen. Im berufsgerichtlichen Verfahren gilt wie im gerichtlichen Disziplinarverfahren, dass die Tatsachengerichte nach § 58 Abs. 1 BDG und § 86 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 65 Abs. 1 BDG grundsätzlich selbst und von Amts wegen diejenigen Tatsachen zu ermitteln und festzustellen haben, die für den Nachweis des Berufsvergehens (bzw. Dienstvergehens) und die Bemessung der Sanktion von Bedeutung sind. Entsprechend § 86 Abs. 1 VwGO folgt daraus die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen der Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Dies gilt gemäß § 58 Abs. 1, § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG auch für die Berufungsinstanz (BVerwG, Beschluss vom 29. März 2017 – 2 B 26.16 – juris Rn. 7 m.w.N. zum gerichtlichen Disziplinarverfahren). Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Tatsachengericht über die Art der heranzuziehenden Beweismittel und den Umfang der Beweisaufnahme im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen nach Ermessen. Dies gilt auch für die Einholung von Gutachten oder die Ergänzung vorhandener Gutachten oder Arztberichte und selbst dann, wenn eine solche Maßnahme der Sachverhaltsermittlung von einem Beteiligten angeregt worden ist. Die Aufklärungspflicht verlangt nicht, dass ein Tatsachengericht Ermittlungen anstellt, die aus seiner Sicht unnötig sind, weil deren Ergebnis nach seinem Rechtsstandpunkt für den Ausgang des Rechtsstreits unerheblich ist (BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 2016 – 2 B 18.15 – juris Rn. 56 zum gerichtlichen Disziplinarverfahren; Herrmann, in: Herrmann/Sandkuhl, Beamtendisziplinarrecht, Beamtenstrafrecht, 2. Aufl. 2021, Rn. 758). Die gerichtliche Aufklärungspflicht ist verletzt, wenn sich das Gericht auf ein Sachverständigengutachten stützt, das objektiv ungeeignet ist, ihm die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln. Dies ist im Allgemeinen der Fall, wenn das vorliegende Gutachten auch für den Nichtsachkundigen erkennbare Mängel aufweist, etwa nicht auf dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft beruht, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, unlösbare inhaltliche Widersprüche enthält oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Sachverständigen gibt. Die Verpflichtung zur Ergänzung des vorliegenden Gutachtens folgt nicht schon daraus, dass ein Beteiligter dieses als Erkenntnisquelle für unzureichend hält (BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 2016 – 2 B 18.15 – juris Rn. 57).
Das Gericht ist nach § 24 KammerG, § 3 DiszG, § 98 VwGO i.V.m. § 411a ZPO befugt, ein in einem anderen Gerichtsverfahren eingeholtes schriftliches Sachverständigengutachten zu verwerten. Es bedarf dazu keines besonderen Beweisbeschlusses. Denn ein Beweisbeschluss ist gemäß § 98 VwGO i.V.m. § 358 ZPO nur nötig, wenn ein „besonderes Verfahren“ in Gang gesetzt wird (vgl. Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 98 Rn. 3). Das besondere Verfahren der Beweiserhebung ist, soweit es um das schriftliche Gutachten geht, bereits abgeschlossen. Die Verwertung eines vorhandenen Gutachtens nach § 411a ZPO nimmt den Beteiligten des zweiten Gerichtsverfahrens nicht die Rechte, den Sachverständigen abzulehnen oder die mündliche Erörterung des Gutachtens zu verlangen (Greger, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 411a ZPO, Rn. 1 unter Hinweis auf BT-Drs. 15/1508 S. 20). Selbstverständlich ist ihnen auch die Kenntnisnahme vom Inhalt des schriftlichen Gutachtens zu ermöglichen. Eine Verwertungsanordnung ist zumindest ratsam, wenn nicht geboten (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2011 – IV ZR 49/11 – juris Rn. 8; BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2020 – 2 B 30.19 – juris Rn. 21; Siebert, in: Saenger, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 411a Rn. 3). Eine bloße Verwertungshandlung könnte dem nicht genügen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2020 – 2 B 30.19 – juris Rn. 25, aber auch Rn. 27; anders BVerwG, Beschluss vom 29. Mai 2009 – 2 B 3.09 – NJW 2009, 2614; Greger, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, Vorbemerkungen zu §§ 402-414, Rn. 11; siehe auch Rudisile, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2021, § 98 Rn. 173a). Das Berufsobergericht für Heilberufe hat hier nach Anhörung der Beteiligten in der Hauptverhandlung eine Verwertungsanordnung ausgesprochen.
Der erkennende Senat für Heilberufe hat keinen Grund, Frau Dr. P...von Amts wegen für befangen zu halten. Die Vorwürfe der im Zivilprozess gegen den Beschuldigten klagenden Patientin gingen dahin, die Gutachterin würde ihre Beeinträchtigungen verharmlosen, weil sie selbst eine Muslima und die Ärztin eine Jüdin sei, was daraus geschlossen wurde, dass sie im Jüdischen Krankenhaus praktiziert. Außerdem habe sie beschwichtigend auf ihr Wehklagen reagiert. Wären die Vorwürfe berechtigt, hätte die Bestellung eines anderen Gutachters voraussichtlich die Folge, dass die Pflichtverletzungen noch gravierender als von Frau Dr. P...bescheinigt zu bewerten wären. Insofern käme das vorliegende Gutachten dem Beschuldigten zugute. Die Vorwürfe der klagenden Patientin waren indes haltlos bzw. unsubstantiiert.
Das Berufsobergericht für Heilberufe sieht auch keine Veranlassung, die Gutachterin von Amts wegen nach § 411 Abs. 3 ZPO zur mündlichen Erläuterung ihres Gutachtens zu laden, eine schriftliche Erläuterung bzw. Ergänzung zu verlangen oder aber wegen erkennbarer Fehler des schriftlichen Gutachtens von Amts wegen einen anderen Gutachter zu bestellen. Die Beteiligten haben darauf nicht bestanden, auch nicht der Beschuldigte, der das Gutachten für ungereimt bzw. das Ergebnis in einem Punkte für offen hält.
Die Einwände des Beschuldigten gegen den Gehalt und die Überzeugungskraft des Gutachtens sind unberechtigt. Die Gutachterin machte beginnend auf S. 16 ihrer Ausarbeitung „Allgemeine Erläuterungen zur ästhetischen Bauchdeckenstraffung“. Dort stellte sie die in der Fachliteratur angeführten Operationsvarianten für den Normalfall und für insbesondere personenbedingte Besonderheiten dar. Das Ziel aller Maßnahmen sei es, einen gestrafften Bauch zu kreieren und die durch Straffung resultierenden Narben möglichst so verlaufen zu lassen, dass sie von der – von der Patientin üblicherweise getragenen – Badekleidung verdeckt werden können. Dieses Hauptziel einer ästhetischen Bauchdeckenstraffung ist für das Gericht unmittelbar einleuchtend und deckt sich mit den Einlassungen des Beschuldigten in der Berufungsverhandlung. Dem werde „üblicherweise“ die auf S. 16 f. beschriebene Vorgehensweise gerecht mit zwei Schnittführungen je nach Art des Bikinislips. Dieses als Standard erscheinende Vorgehen findet sich auch in dem vom Beschuldigten verwendeten Aufklärungsvordruck wieder (Abbildung 1 mit der Unterschrift: „Narbenverlauf nach Schnittführung an der Obergrenze der Schambehaarung“ sowie Abbildung 2: „Narbenverlauf nach „W“-förmiger Schnittführung“).
Die Gutachterin beschreibt als erste Abweichung vom Standard für den Fall, dass sich im Oberbauch nicht ausreichend viel Gewebe befinde, welches mobilisiert werden könne, weswegen die Spannung zu groß würde, wiederum eine tiefe horizontale Schnittführung und senkrecht dazu „eine relativ kurze Narbe im Unterbauch“. Ob diese kleine vertikale Narbe von den Patienten akzeptiert werde, müsse vor der Operation mit ihnen besprochen werden (S. 17 Absatz 2). Die Gutachterin listete auf den folgenden Seiten ihrer allgemeinen Erläuterungen weitere Varianten bei besonderen Problemlagen an.
Aus dem auf die Patientin eingehenden Befundteil des Gutachtens ergibt sich, dass die Gutachterin jeden Anhaltspunkt für die Notwendigkeit, vom Standardfall abzuweichen, aus fachärztlicher Sicht ausschließt. Sie ergänzt auch, dass die Operationsdokumentation zeige, dass der Beschuldigte mit dem hohen Ansatz des Schnitts nicht auf eine Komplikation während der Operation reagiert, sondern diesen Ansatz von vornherein geplant habe. Das deckt sich mit der Einlassung des Beschuldigten in der Berufungsverhandlung und mit den – wann auch immer notierten – Anmerkungen des Beschuldigten im Aufklärungsbogen. Die Gutachterin führte auf Seite 26 ff. an, bei der Patientin sei ein grundsätzliches Prinzip der Bauchdeckenstraffung nicht eingehalten worden, nämlich die Platzierung der unteren recht langen horizontalen Narbe in der Badebekleidung. Bei ihr fänden sich anhand der vor der Operation angefertigten Fotos keine Hinweise bzw. Gründe dafür, dass die horizontale Narbe im Unterbauch derart hoch hätte angelegt werden müssen. Insofern der Grund für die hohe Anlage die ungenügende Strecke der Haut zwischen Bauchnabel und unterer Brustfalte gewesen sei, sodass diese Strecke nicht ausgereicht hätte, um den Defekt zwischen Nabel und Schambehaarung zu bedecken, so hätte als Alternative die Bauchdeckenstraffung mit horizontaler Narbe im vom Slip bedeckten Bereich am Rand der Schamhaargrenze mit kurzer vertikaler Narbe in der Mitte zur Verfügung gestanden. Die kurze vertikale Narbe in der Mitte wäre dann erforderlich gewesen, um das Loch zu verschließen, welches entstehe, wenn der Bauchnabel versetzt werde. Aus der Operationsaufklärung und aus den Unterlagen vor der Operation gehe nicht hervor, warum die hohe Schnittführung gewählt worden sei und nicht die Alternative mit kurzer vertikaler Narbe. Die Gutachterin legt weiter dar, es sei anhand der Fotos während der Operation zu erkennen, dass der Operationsplan von Anfang an verfolgt worden sei und nicht erst aufgrund operationstechnischer Komplikationen.
Die vom Beschuldigten reklamierte Uneindeutigkeit des schriftlichen Gutachtens wird von ihm vornehmlich an Seite 30 festgemacht, liegt indes nicht vor. Dort, in der auf Seite 29 beginnenden „Zusammenfassung“ schrieb die Gutachterin:
„Das gewählte Vorgehen wäre nur dann standardgemäß gewesen, insofern Frau B...die zusätzliche vertikale Narbe in der Mitte der horizontalen Narbe infolge des Bauchnabels explizit vor der Operation ausgeschlossen hätte und die Lage der Narbe im oberen Bereich des Unterbauches gewünscht hätte.
Zur Aufklärung hätte in diesem Fall gehören müssen, dass Frau B...darüber informiert worden wäre, dass die Narbe durch übliche Badebekleidung mit kleiner tief-sitzender Bikinihose bzw. mit tief-sitzende Slips nicht bedeckt werden kann und damit sichtbar sein würde.
Insofern die Aufklärung adäquat in Bezug auf die Alternativen sowie die Sichtbarkeit der horizontalen Narbe erfolgte, wäre dieses Vorgehen indiziert und eine Möglichkeit der modifizierten Bauchdeckenstraffung gewesen.“
Die Gutachterin knüpft mit diesem Teil der Zusammenfassung an die – von ihr in Abrede gestellte – Behauptung des Beschuldigten an, es habe bei der Patientin im Bauchbereich einen Gewebemangel gegeben. Sie bezieht sich für diesen Fall auf die erste Abweichung von der Standardoperation (dargestellt auf S. 17 Mitte im Gutachten), die zu einer im Slipbereich befindlichen langen horizontalen und einer mittigen kurzen vertikalen Narbe führt (die in den allgemeinen Ausführungen der Gutachterin genannten weiteren Abweichungen sind durch andere Schnittsetzungen gekennzeichnet). Der zweite und dritte Absatz in dem zitierten Text betrifft allein den ersten Absatz („in diesem Fall“; „dieses Vorgehen“). Die von der Gutachterin angeführte Bedingung dafür, den Kunstfehler auszuschließen, wäre gewesen, dass die Patientin die sichtbare mittige horizontale Narbe explizit ausgeschlossen hätte, nachdem sie aufgeklärt worden wäre, dass bei einem Verzicht auf einen kleinen vertikalen Schnitt eine hohe horizontale Narbe im sichtbaren Bereich nicht zu vermeiden wäre. Das deckt sich mit der Feststellung der Gutachterin in ihren allgemeinen Erläuterungen, dass bei Schönheitsoperationen der Willensäußerung der aufgeklärten Patientin maßgebende Bedeutung beizumessen sei.
Die Angriffe des Beschuldigten gegen das Gutachten, darin werde zum einen Literatur verwertet, die nach 2009 erschienen sei, es sei zum anderen vielleicht bereits veraltet, überzeugen nicht. Die von der Gutachterin zitierte Aussage Pitanguys (1981) zur Platzierung der Bauchnarbe im durch Kleidung abgedeckten Bereich ist auf dem Feld der Schönheitsoperationen in unserer Epoche gültig und evident. Wenn jüngst entwickelte Operationstechniken Narben noch weniger sichtbar sein ließen, wäre dem Beschuldigten nicht vorzuwerfen, dass er von ihr damals keinen Gebrauch machte. Dass neueste Erkenntnisse ergäben, eine horizontale Narbe im von der Badebekleidung abgedeckten Bereich sei aus gesundheitlichen Gründen unbedingt zu vermeiden, liegt gänzlich fern und wird auch vom Beschuldigten, einem Arzt, nicht zu seiner Entlastung behauptet.
Das Berufsobergericht für Heilberufe hat nicht die Patientin N...B...als Zeugin hören müssen dazu, ob und wie sie aufgeklärt wurde über die Platzierung des horizontalen Schnitts und ob sie insoweit vorab ihr Einverständnis erklärte. Deren Zeugenvernehmung hätte Bedeutung im Zusammenhang mit dem ausgeschiedenen Anschuldigungspunkt 4. Nach dem hier zu beurteilenden Anschuldigungspunkt 1 ist das angebliche Einverständnis der Patientin nicht entscheidend für die Feststellung des ärztlichen Kunstfehlers. Der Beschuldigte erklärt, die Aufklärungsbögen seien nicht verfälscht worden. Dann aber belegen sie, dass die Patientin überhaupt nicht über die Operationsvariante mit langer abgedeckter horizontaler Narbe und kurzer sichtbarer vertikaler Narbe belehrt wurde. Nach den Ausführungen der Gutachterin wäre diese Variante bei einem Gewebemangel zu wählen gewesen, der vorliegend zugunsten des Beschuldigten unterstellt werden kann. Eine dritte Variante, hier die vom Beschuldigten gewählte hohe horizontale Schnittführung, wäre erst dann in Betracht zu ziehen gewesen, wenn die hinreichend aufgeklärte Patientin den vertikalen Schnitt explizit abgelehnt hätte. Das war nicht der Fall. Auch der Beschuldigte behauptet nicht, diese Variante mit der Patientin überhaupt erörtert zu haben. Indem der Beschuldigte die schulmäßig gebotene erste Abweichung von der Standardoperation zugunsten der fernerliegenden Operationsausführung überging, verstieß er gegen seine Pflicht zur gewissenhaften Ausführung der gebotenen medizinischen Maßnahmen nach den Regeln der ärztlichen Kunst. Der Beschuldigte bewirkte durch seinen Fehler eine viel längere Narbe im sichtbaren Bereich, als es nach der Kunst der Schönheitsoperationen notwendig wäre.
Zum 1. Anschuldigungspunkt, dritter Vorwurf: Der Beschuldigte nahm entgegen den Leitlinien zum schlafindizierenden Mittel Dormicum (Midazolam) die Operationen am 17. und 18. Oktober 2009 ohne eine weitere Person vor, welche die Vitalparameter Blutdruck, Puls, Sauerstoffsättigung sowie Ansprechbarkeit der beiden Patientinnen als Maßstab für deren Wachheitsgrad überwacht hätte. Damit verstieß er fahrlässig gegen seine Berufspflichten aus § 2 Abs. 2 BO, § 2 Abs. 3 BO samt Nr. 2 der Grundsätze korrekter ärztlicher Berufsausübung in Kapitel C. Danach ist die gewissenhafte Ausführung der gebotenen medizinischen Maßnahmen nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich. Der Kunstfehler steht nach den überzeugenden Feststellungen im schriftlichen Gutachten fest. Dieses darf der Senat für Heilberufe wie ausgeführt verwerten. Der Beschuldigte gibt insoweit zu bedenken, dass die Leitlinien in den nachfolgenden Jahren abgemildert worden seien. Wäre das der Fall gewesen, hätte es den Verstoß des Beschuldigten gegen die Regeln der ärztlichen Kunst nicht ungeschehen gemacht. So wie ein Arzt keinen Kunstfehler begeht, wenn er wissenschaftlich anerkannte Therapien anwendet, die sich erst Jahre später als unbrauchbar oder gar schädlich herausstellen, lässt sich ein Arzt kunstwidrig auf ein Risiko ein, wenn er in Leitlinien vorgeschriebene Vorsichtsmaßnahmen unterlässt, die erst später aufgrund eines Zuwachses an wissenschaftlichen Erkenntnissen als unnötig erkannt werden. Es kommt hinzu, dass der Beschuldigte sich überhaupt nicht auf ein schon damals vorhandenes Sonderwissen für die Risikobewertung beruft. Er ging nach der Überzeugung des Berufsobergerichts für Heilberufe stattdessen das Risiko in der Hoffnung ein, es werde schon gutgehen. Das ist alles andere als gewissenhaft.
Zum 5. Anschuldigungspunkt: Der Beschuldigte verstieß in einem Zeitraum von insgesamt etwa 5 ½ Jahren gegen seine Pflicht zur Berufshaftpflichtversicherung nach § 21 BO. Das Fehlen einer Versicherung in den von der Einleitungsbehörde angeführten zwei Zeitabschnitten wird vom Beschuldigten eingeräumt. Der Beschuldigte verstieß vorsätzlich gegen die Versicherungspflicht. Es spricht viel dafür, dass alle approbierten Ärztinnen und Ärzte um ihre Pflicht zur Berufshaftpflichtversicherung wissen. Der Beschuldigte jedenfalls wusste Bescheid, weil er sich wenige Jahre zuvor aus diesem Grund in einer Auseinandersetzung mit der Einleitungsbehörde befand. Die vom Beschuldigten behaupteten Schwierigkeiten, als Schönheitschirurg eine abschlussbereite Versicherung zu finden, sind angesichts der Rahmenvereinbarung der Ärztekammer Berlin mit einem Anbieter kaum glaubhaft, es sei denn, die Versicherer hätten wegen eklatanter Versicherungsfälle im Anschluss an durchgeführte Schönheitsoperationen Abstand vom Beschuldigten gehalten. Die angeblichen Schwierigkeiten sind jedenfalls unerheblich. Denn ohne eine Berufshaftpflichtversicherung hätte sich der Beschuldigte der ärztlichen Betätigung enthalten müssen.
Alle festgestellten Pflichtverletzungen sind weiterhin berufsgerichtlich zu ahnden, in keinem Fall ist die Fünfjahresfrist gemäß § 16 Abs. 3 KammerG abgelaufen. Das ergibt sich aus den nach § 16 Abs. 3 Satz 1 KammerG für entsprechend anwendbar erklärten Bestimmungen des Strafgesetzbuchs. Danach beginnt die Verjährung von fünf Jahren nach jeder Pflichtverletzung erst, sobald die Tat beendet ist (§ 78a Satz 1 StGB). Die einzelnen Pflichtverletzungen endeten am 15., 17., 18. Oktober 2009, 30. Juni 2011 und 7. Januar 2013. Die Verjährung wird nach § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB unterbrochen u.a. durch die Bekanntgabe gegenüber dem Beschuldigten, dass gegen ihn das Ermittlungsverfahren eingeleitet ist. Das hat der Vorstand der Ärztekammer Berlin am 13. Oktober 2014 bewirkt. Er hat am 6. Oktober 2014 die Einleitung eines förmlichen Untersuchungsverfahrens nach § 26 KammerG beschlossen. Gegenstand waren u.a. die Pauschalpreise, die zu hoch gesetzte Narbe, die Betäubung ohne hinzugezogene Kontrollperson bei beiden Operationen und die fehlende Berufshaftpflichtversicherung seit 2006. Die Ärztekammer Berlin hat den Beschuldigten mit Schreiben vom 9. Oktober 2014, zugestellt am 13. Oktober 2014, davon in Kenntnis gesetzt. An diesem Tag waren seit Beendigung der im 1. und 5. Anschuldigungspunkt vorgeworfenen Pflichtverletzungen noch keine fünf Jahre vergangen. Die insoweit von Neuem beginnende Verjährung (§ 78c Abs. 3 Satz 1 StGB) wäre spätestens zehn Jahre nach Beendigung der jeweiligen Pflichtverletzung eingetreten (vgl. § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB). Allerdings bleibt gemäß § 78c Abs. 3 Satz 3 StGB der § 78b StGB unberührt. § 78 Abs. 3 StGB lautet: Ist vor Ablauf der Verjährungsfrist ein Urteil des ersten Rechtszuges ergangen, so läuft die Verjährungsfrist nicht vor dem Zeitpunkt ab, in dem das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Das erstinstanzliche Urteil ist am 7. Mai 2019 verkündet worden. Die älteste der genannten Pflichtverletzungen wäre erst nach dem 15. Oktober 2019 verjährt gewesen.
Das aus den festgestellten Pflichtverletzungen zusammensetzte Berufsvergehen des Beschuldigten lässt eine Geldbuße in Höhe von 17.000 Euro notwendig, aber auch ausreichend erscheinen.
Dabei hat sich das durch das Verböserungsverbot gebundene Berufsobergericht für Heilberufe von Folgendem leiten lassen: Bei der Auswahl und der Bemessung der berufsgerichtlichen Maßnahme (§ 17 Abs. 1 KammerG) ist grundsätzlich das Gewicht der festgestellten Berufspflichtverletzung, die Persönlichkeit des Beschuldigten, das Ausmaß seiner Schuld, berufsrechtliche Vorbelastungen, aber auch die Notwendigkeit zu berücksichtigen, das Ansehen der Angehörigen des Berufsstandes zu wahren und das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität und Zuverlässigkeit eines Arztes zu sichern, um so die Funktionsfähigkeit des ärztlichen Berufsstandes zu gewährleisten. Bei der Schwere der Berufspflichtverletzung spielt auch eine Rolle, ob der Kern der ärztlichen Tätigkeit betroffen ist; zu den die Schuld und die Persönlichkeit beeinflussenden Faktoren gehören die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten sowie die Zahl der Pflichtverletzungen. Zum Kernbereich der ärztlichen Tätigkeit gehört der diagnostische und therapeutische Bereich im Verhältnis zwischen Arzt und Patienten (siehe zum Ganzen das Urteil des Senats vom 28. Februar 2019 – OVG 90 H 2.18 – juris Rn. 109 ff.).
Die Verhängung einer Geldbuße nimmt eine mittlere Position innerhalb der vom Gesetz bereitgestellten Ahndungsmöglichkeiten ein zwischen Warnung einerseits und der Feststellung andererseits, dass der Beschuldigte unwürdig ist, seinen Beruf auszuüben (vgl. § 17 Abs. 1 KammerG). Zudem bietet sie selbst eine Bandbreite der Ahndung bis hin zu einer Geldbuße in Höhe von 50.000 Euro (§ 17 Abs. 1 Nr. 3 KammerG). Bei deren Verhängung ist die Höhe unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen festzusetzen (§ 17 Abs. 3 Satz 1 KammerG). Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass der in § 17 Abs. 3 Satz 2 KammerG in Bezug genommene § 18 OWiG Zahlungserleichterungen ermöglicht, wenn dem Betroffenen nicht zumutbar ist, die Geldbuße sofort zu zahlen.
Die Ausführung der Operation unter Außerachtlassung der nach den Regeln der ärztlichen Kunst gebotenen Schnittführung mit tief angelegter langer Horizontalnarbe und nötigenfalls kurzer Vertikalnarbe hat hohes Gewicht. Das mit der Schönheitsoperation angestrebte Ziel wurde nach der vom Beschuldigten gewählten Ausführung gleichsam unvermeidlich verfehlt. Das Leid der Patientin, das zur Schmerzensgeldzahlung führte, ist nachvollziehbar. Der Beschuldigte hätte, wenn ihm persönlich die kunstgerechte Operation nicht durchführbar erschien, von der Operation Abstand nehmen müssen. Stattdessen drängte der Beschuldigte unter Hinweis auf seinen sehr gefüllten Operationskalender auf zügige Bezahlung und kurzfristige Operation. Er verkürzte auf diese Weise die Bedenkzeit der Patientin, obwohl er ihr nach eigener Angabe die Nachteile der ihm nötig erscheinenden hohen Schnittführung aufgezeigt haben will. Die Verletzung des Erfordernisses einer gesonderten Überwachung der Vitalparameter während der beiden Operationen hat ebenfalls hohes Gewicht. Der Beschuldigte erkaufte die Einsparung zusätzlichen Personals aus pekuniärem Interesse mit einem gesteigerten Risiko für Leib und Leben der beiden Patientinnen. Auch die vorsätzliche langjährige Operationstätigkeit ohne Berufshaftpflichtverletzung hat ein hohes Gewicht. Der Beschuldigte verfolgte wiederum ein pekuniäres Interesse und verlagerte das finanzielle Risiko auf seine Patienten. Der zweifache Verstoß gegen die GOÄ hat mittleres Gewicht.
Vor diesem Hintergrund hält das Berufsobergericht für Heilberufe die erstinstanzlich verhängte Geldbuße, die er wegen des Verböserungsverbots nicht höher hätte ansetzen dürfen, für eher milde. Dem Berufsgericht für Heilberufe ist auch darin zuzustimmen, dass die Einlassungen des Beschuldigten zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen keinen Grund zu Abstrichen an der Höhe der Geldbuße ergeben. Der Beschuldigte beruft sich auch nicht auf angespannte Verhältnisse. Die Dauer des Verfahrens veranlasst angesichts von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht zu einer Reduzierung der Geldbuße. Daran wäre nur zu denken, wenn bereits die mit dem berufsgerichtlichen Verfahren verbundenen beruflichen und wirtschaftlichen Nachteile positiv auf den Beschuldigten eingewirkt hätten (entsprechend BVerwG, Beschluss vom 12. Juli 2018 – 2 B 1.18 – juris Rn. 10). Die individuelle Pflichtenmahnung gebietet weiterhin die Verhängung einer Geldbuße, da der Beschuldigte an seiner Approbation festhält, was sein gutes Recht ist, und deswegen jederzeit wieder als Arzt tätig sein kann. Das Berufsobergericht für Heilberufe reagiert mit der Reduzierung der erstinstanzlich verhängten Geldbuße auf den Umstand, dass der Beschuldigte seit geraumer Zeit seine ärztliche Tätigkeit ruhen lässt und sie nach eigener Einlassung nicht wieder aufnehmen will. Die Einleitungsbehörde hat keine davon abweichenden Erkenntnisse mitgeteilt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 24 KammerG in Verbindung mit § 41 DiszG, § 77 Abs. 1 BDG, § 154 Abs. 1 VwGO. Die vom Ermessen des Berufsobergerichts für Heilberufe abhängende Maßnahme, die hier etwas geringer als im Urteil des Berufsgerichts für Heilberufe veranschlagt worden ist, führt zu keiner Kostenteilung (vgl. Köhler, in: Köhler/Baunack, BDG, 7. Aufl. 2021, § 77 Rn. 2).
Das Urteil ist unanfechtbar.