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Entscheidung 25 Qs 42/21


Metadaten

Gericht LG Potsdam 5. Strafkammer Entscheidungsdatum 07.07.2021
Aktenzeichen 25 Qs 42/21 ECLI ECLI:DE:LGPOTSD:2021:0707.25QS42.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 27. Mai 2021 aufgehoben.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam legt dem Beschwerdeführer zu Last, am 21. April 2021 gegen 18.46 Uhr vorsätzlich ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt zu haben, obwohl er dazu infolge geistiger und körperlicher Mängel nicht in der Lage war und dadurch fahrlässig fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet zu haben, § 315c Abs. 1 Nr. 1 b, Abs. 3 Nr. 1 StGB. Der Beschwerdeführer sei am Steuer eingenickt und habe, als er beim Aufwachen ein parkendes Fahrzeug auf seiner Fahrbahn bemerkt habe, in einer Ausweichbewegung die Kontrolle über das Fahrzeug verloren und zwei parkende Fahrzeuge auf der gegenüberliegenden Seite sowie den Bordstein beschädigt.

Das Amtsgericht Potsdam – Ermittlungsrichterin – hat dem Beschuldigten mit Beschluss vom 27. Mai 2021 vorläufig die Fahrerlaubnis entzogen. Es bestünden dringende Gründe für eine Verurteilung und eine endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass der Beschwerdeführer einem Zeugen gegenüber geäußert habe, weggenickt zu sein. In seiner Einlassung räume der Beschwerdeführer darüber hinaus ein, einen „Blackout“ in Form einer Ohnmacht erlitten zu haben. Es sei lebensfremd, dass dieser Ausfall ohne Vorankündigung erfolgt sei.

Gegen diesen Beschluss hat der Beschuldigte über seinen Verteidiger mit Schreiben vom 1. Juni 2021 Beschwerde eingelegt, in der er darauf verweist, dass er gläubiger Muslim sei und am Tattag aufgrund des Fastenmonats Ramadan weder getrunken noch gegessen habe. Die Unterzuckerung, die offensichtlich Auslöser des Unfalls gewesen sei, sei ganz plötzlich eingetreten. Das religiöse Fasten als Auslöser des Ausfalls sei zwischenzeitlich beendet, was die Prognose erlaube, dass sich der Vorfall nicht wiederholen werde. Der Beschwerdeführer sei einsichtig. Weiter nimmt der Verteidiger Bezug auf ein beigebrachtes ärztliches Attest, wonach keine Hinweise für Erkrankungen, die die Fahrtauglichkeit beeinträchtigen, vorlägen.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landgericht vorgelegt.

II.

Die Beschwerde des Beschuldigten gegen die Anordnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO ist gemäß § 304 StPO statthaft. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Nach § 111a I StPO kann die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen werden wird. Voraussetzung für die Entziehung ist, dass sich aus einer im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs begangenen rechtswidrigen Tat die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ergibt. Nach § 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB ist dies bei der hier vorgeworfenen Tat nach § 315c StGB in der Regel anzunehmen.

Die Kammer teilt zunächst die Einschätzung des Amtsgerichts, dass ein dringender Tatverdacht vorliegt. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen, insbesondere der Zeugenaussagen und der Einlassung des Beschuldigten selbst, erscheint es als sehr wahrscheinlich, dass der Beschuldigte zum Unfallzeitpunkt infolge der Übermüdung und der Strapazen des Fastens nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen. Zwar führt nicht jegliche Ermüdung eines Kraftfahrers zur Bejahung der (vorsätzlichen) Begehung des § 315c I Nr. 1b StGB. Zu verlangen ist vielmehr ein Zustand, der für den Beschuldigten die erkennbare Erwartung eines nahenden Sekundenschlafes mit sich bringt (vgl. LG Traunstein, Beschluss vom 8. 7. 2011 - 1 Qs 225/11). Zu Recht weist das Amtsgericht daraufhin, dass ein plötzliches Blackout ohne Vorankündigung unter den Gegebenheiten der Tat, insbesondere des langen Fastens, lebensfremd ist.

 Es liegen jedoch besondere Umstände vor, von der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis ausnahmsweise abzusehen, da der Beschuldigte unwiderlegbar vorgebracht hat, infolge des ihm nach religiösen Vorschriften auferlegten Fastens während des Fastenmonats Ramadan habe zum Tatzeitpunkt eine Unterzuckerung vorgelegen.
Dem Gericht ist aus eigener Anschauung bekannt, dass Ursache für eine Unterzuckerung eine fehlende Mahlzeit in Verbindung mit körperlicher Anstrengung sein kann. In der Folge treten dann die typischen Symptome für Unterzuckerung wie Schwitzen, Zittern oder Schwindel auf. Ein Unterzucker bedeutet für den Organismus großen Stress. Der Körper muss vor allem die Versorgung des Gehirns sicherstellen, das auf Glukose als Energieträger zwingend angewiesen ist. Dazu beschleunigt er die Glykogenolyse (Zerlegung von Glykogen in Glukose) und die Zuckerneubildung (Gluconeogenese). Das wird dadurch erreicht, dass die Nebennieren vermehrt die Stresshormone Kortisol und Adrenalin ins Blut abgeben. In der Folgen entwickeln sich die typischen Symptome von Unterzucker: Schwindelgefühle, innere Unruhe und Reizbarkeit, plötzliches Schwitzen (Kaltschweißigkeit), Zittern, Hautblässe, Herzrasen und Blutdruckanstieg. Die Unterversorgung des Gehirns mit Glukose kann auch neurologische Symptome verursachen, und zwar bei fortschreitender Unterzuckerung. Anzeichen sind dann: Kopfschmerzen, Müdigkeit und Kraftlosigkeit, Konzentrationsstörungen und Desorientiertheit, Sprachstörungen, Missempfindungen, selten sogar Lähmungserscheinungen, Bewusstlosigkeit, Ohnmacht, Krampfanfälle, Koordinationsprobleme. Diese Probleme können auch sehr plötzlich auftreten.
Dass die Unterzuckerung auf andere, dem Beschuldigten bekannte Gründe zurückzuführen ist, kann derzeit nicht festgestellt werden. Die Fastenzeit ist beendet. Das Bundeszentralregister weist keine Eintragungen zu Verkehrsdelikten auf.
Es liegen deshalb ernsthafte Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich um eine Ausnahmesituation gehandelt hat. Eine Wiederholung und weitere Gefährdung der Allgemeinheit ist demnach - jedenfalls in dem hier maßgeblichen Zeitraum bis Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfindung - nicht zu befürchten.
Eine Abwendung von Gefahren erscheint hier deswegen bis zu einer endgültigen Klärung der Tatumstände im Rahmen der Hauptverhandlung nicht erforderlich. Die vorläufige Entziehung ist damit unverhältnismäßig. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB als ausgeschlossen erscheint. Die Einschätzung, ob bei dem Beschuldigten rücksichtsloses Verhalten vorlag, das ihn dazu verleitet hat, trotz Anzeichen körperlicher Schwäche am Steuer zu bleiben, bleibt den Erkenntnismöglichkeiten der Hauptverhandlung vorbehalten.

III.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten trägt mangels eines anderen Kostenschuldners die Staatskasse.