Gericht | OLG Brandenburg 12. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 25.04.2022 | |
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Aktenzeichen | 12 U 19/22 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:0425.12U19.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 10.01.2022 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Potsdam, Az. 8 O 78/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
I.
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Kauf eines Kraftfahrzeugs geltend, das nach ihrer Behauptung vom sogenannten „Abgasskandal“ betroffen sein soll.
Die Klägerin erwarb am 18.01.2017 von der Brandenburg A… GmbH einen VW T6 2.0 TDI zum Kaufpreis von 40.150 € mit einem Kilometerstand von 10 km. Das Fahrzeug ist mit einem Motor vom Typ EA 288 (Euro 6) ausgestattet. Die Klägerin hat behauptet, das Fahrzeug habe mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen wie eine Zykluserkennung in Form einer Fahrkurvenerkennung, ein Thermofenster und eine OBD-Manipulation aufgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB bzw. § 831 Abs. 2 BGB zu. Das Gericht sei vom Vorhandensein einer oder mehrerer unzulässiger Abschalteinrichtungen in dem klägerischen Fahrzeug nicht überzeugt. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 18.01.2022 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 04.02.2022 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Berufung, die sie – nach Fristverlängerung bis zum 11.04.2022 – mit einem am 04.04.2022 eingegangen Schriftsatz begründet hat. Mit der Berufung wiederholt und vertieft sie ihren erstinstanzlichen Vortrag. Unter Berufung auf den Statusbericht Diesel KBA-Termin (Technik) vom 21.10.2015, die Entscheidungsvorlage Applikationsrichtlinien & Freigabevorlagen EA 288 vom 18.11.2015 und selbige zum Motor EA 189 sowie die Abweichungen der Emission während des NEFZ und im realen Betrieb geht sie davon aus, dass die Beklagte die Typengenehmigungsbehörde bewusst über das Abgasverhalten getäuscht habe. Das Fahrzeug verfüge über eine durch Fahrkurvenerkennung gesteuerte Abgasnachbehandlung, aufgrund der diese im Rahmen des Prüfstandes anders als im realen Fahrbetrieb erfolge. Auch das Thermofenster sei als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO (EG) 715/2007 zu bewerten. Darüber hinaus habe die Beklagte ein manipuliertes On-Board-Diagnosesystem verwendet. Das Landgericht habe insoweit die Anforderungen an ihre Substantiierungspflicht rechtsfehlerhaft überspannt.
Sie hat angekündigt zu beantragen:
Das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Potsdam vom 10.01.2022 wird abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Schadenersatz i.H.v. 30.244,53 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.02.2021 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs VW T6 Transporter mit der FIN ….
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges VW T6 Transporter mit der FIN … seit dem 06.02.2021 im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 825,15 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.02.2021 zu zahlen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gem. §§ 517 ff. ZPO eingelegte Berufung ist nach einstimmiger Auffassung des Senats offensichtlich unbegründet. Die Rechtssache weist auch weder grundsätzliche Bedeutung auf, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Eine mündliche Verhandlung ist auch nicht aus sonstigen Gründen geboten. Es ist daher die Zurückweisung der Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmig gefassten Beschluss beabsichtigt.
Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffenden Gründen, auf die Bezug genommen wird, abgewiesen. Das Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung. Die mit der Berufung – neben ausführlichen rechtlichen Ausführungen – im Wesentlichen wiederholten Argumente der Klägerin aus der ersten Instanz lassen eine andere rechtliche Würdigung nicht zu.
1.
Ein Schadensersatzanspruch ergibt sich nicht aus den §§ 826, 31 BGB.
a) Voraussetzung dieses Anspruchs ist ein sittenwidriges Handeln der Beklagten. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 –, Rn. 15, juris).
Danach kann zwar die heimliche Verwendung einer als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizierenden Software (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 a.a.O. juris Rn. 17; Beschluss vom 08.01.2019 – VIII ZR 225/17, juris Rn. 6 ff.) sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB sein und daher Ansprüche des gutgläubigen Käufers wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung rechtfertigen. Denn es steht einer bewussten arglistigen Täuschung des Käufers gleich, wenn ein Fahrzeughersteller im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typgenehmigungen der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes zu erschleichen und die derart betroffenen Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer hinsichtlich des uneingeschränkten Fortbestands der Typgenehmigung gezielt ausnutzt (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 a.a.O., juris Rn. 25).
b) Im Streitfall hat die Klägerin jedoch nicht substantiiert vorgetragen, dass ihr Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung, vergleichbar mit der im Motor EA 189 verbauten Prüfstandserkennung, versehen war, und die Beklagte das Kraftfahrtbundesamt arglistig über das Vorhandensein einer solchen Abschalteinrichtung getäuscht hat.
Dabei geht der Senat im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes davon aus, dass eine Behauptung erst dann unbeachtlich ist, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufgestellt worden ist. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können. Vom Kläger kann insbesondere nicht verlangt werden, dass er im Einzelnen darlegt, weshalb er vom Vorhandensein einer oder mehrerer Abschalteinrichtungen ausgeht und wie diese konkret funktionieren. Vielmehr ist von ihm nur zu fordern, dass er greifbare Umstände anführt, auf die er den Verdacht gründet, sein Fahrzeug weise eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen auf (BGH, Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19 –, Rn. 8ff, juris). Solche Umstände hat die Klägerin nicht vorgetragen.
aa) Der Umstand, dass die Beklagte im Motortyp EA 189 eine unzulässige Abschalteinrichtung nebst Prüfstanderkennung ("Umschaltlogik") verwendet hat, stellt noch keinen greifbaren Anhaltspunkt dafür dar, dass dies auch beim Motortyp EA 288 der Fall gewesen ist (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 04.12.2020 – 9a U 2074/19, juris Rn. 30; OLG Stuttgart, Urteil vom 19.01.2021, 16a U 196/19, juris Rn. 54; OLG Hamm, Urteil vom 29.06.2021, I-13 U 434/20, juris Rn. 73; OLG Schleswig, Urteil vom 11.01.2022 – 7 U 84/21, juris Rn. 37).
bb) Die Überschreitung der zulässigen Grenzwerte für den Stickoxidausstoß im Straßenbetrieb bei Einhaltung der Grenzwerte im Prüfstandsbetrieb ist als solche ebenfalls nicht geeignet, den Rückschluss auf eine unzulässige Abschalteinrichtung zu ziehen (vgl. OLG Stuttgart a.a.O., juris Rn. 59 ff.; OLG Frankfurt, Urteil vom 07.10.2020, 4 U 171/18, juris Rn. 44; OLG Hamm, a.a.O., juris Rn. 75; OLG Schleswig a.a.O., juris Rn. 38). Denn für Fahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 6 ist allein der NEFZ-Prüfzyklus maßgeblich, der viele reale Bedingungen im Straßenverkehr (u.a. Drehzahl, Beladung, Außentemperatur, Höhenunterschiede) nicht abbildet.
cc) Soweit sich die Klägerin auf eine manipulierte Abgasnachbehandlung durch Verwendung einer Fahrkurvenerkennung stützt, hat sie neben allgemeinen Ausführungen zum Abgasverhalten von Fahrzeugen mit dem Motor EA 288 keine belastbaren Anknüpfungspunkte dargetan, die für den Verbau einer solchen Fahrkurve in ihrem Fahrzeug sprechen, nachdem sie selbst zum einen auf die Entscheidungsvorlage „Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA 288“ vom 18.11.2015 Bezug nimmt, nach der in Neufahrzeugen ab der KW 22/2016 die Fahrkurvenerkennung nicht mehr vorgesehen gewesen, und das Fahrzeug der Klägerin erstmals im Januar 2017 zugelassen worden ist. Zudem ergibt sich aus der Volkswagenpräsentation zu EA 288 vom 02.10.2015 ebenfalls, dass die dort dargestellten Umschaltstrategien nicht zu einem unterschiedlichen Emissionsverhalten zwischen der Strategie 1 und 2 führen sollen. Ebenso soll in den Fahrzeugen mit dem Modus EA 288 nur noch der Modus 1 Verwendung finden. Wie aus den vorgelegten Richtlinien hervorgeht, wurde in der Vorlage 2015 Einvernehmen mit dem Kraftfahrtbundesamt erzielt, gemäß der in der dortigen Anlage beigefügten Richtlinie die Software zu überarbeiten, so dass bei Neufahrzeugen keine Prüfstandserkennung mehr möglich ist. Die Klägerin ist auch erstinstanzlich dem Vortrag des Beklagten nicht entgegen getreten, dass entsprechende Unterlagen dem Kraftfahrtbundesamt vorlagen. Es besteht deshalb kein Anhalt für die Annahme, das im Januar 2017 erstzugelassene Fahrzeug der Klägerin weise (noch immer) eine rechtswidrige Prüfstandserkennung auf. Die Klägerin stellt ihre Behauptungen vielmehr anhaltslos in den Raum. Es gibt keinen Vortrag, der objektivierbar anhand von Fahrdaten auch nur die Vermutung für ein solches Steuerungsverhalten zuließe. Der Vortrag geht über Allgemeinplätze nicht hinaus und steht darüber hinaus im offenen Widerspruch zu den Datenerfassungen der Untersuchungskommission „Volkswagen“ im Bericht aus April 2016. Nach dem Bericht der Untersuchungskommission ergaben die durchgeführten Untersuchungen auch für bis dahin zugelassene Fahrzeuge, dass sowohl die im Prüfstand als auch im "NEFZ Straße" gemessenen Stickoxidemissionen keinen Anlass zu Beanstandungen gaben. Dies gilt auch für die Fahrkurvenerkennung und die hieran geknüpften Funktionen in EA 288-Fahrzeugen, die dem KBA vorgestellt wurde. Dies nahm das KBA offenbar zum Anlass, um den EA 288-Motor eingehend zu untersuchen. Eine unzulässige Abschalteinrichtung konnte das KBA dabei – wie u.A. aus der Vielzahl der von der Beklagten vorgelegten amtlichen Auskünfte des KBA aus anderen Verfahren hervorgeht – nicht feststellen, und es hat auch die Fahrkurvenerkennung nicht als solche bewertet. Die Fahrkurvenerkennung wird danach zur Umschaltung der Betriebsmodi der Abgasrückführung im Rahmen der Typprüfung genutzt, wobei eine Verringerung der Raten der Abgasrückführung durch die Abgasnachbehandlung kompensiert werden kann, und nicht als unzulässige Abschalteinrichtung bewertet. Daraus folgt ebenfalls zugleich, dass die Beklagte die Fahrkurvenerkennung gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt offengelegt hat, sodass von einer arglistigen Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes und einem vorsätzlich sittenwidrigen Verhalten der Beklagten keine Rede sein kann (vgl. OLG München, Urteil vom 15.06.2021 – 9 U 5466/20, Rn. 36 ff., juris; OLG Köln, Urteil vom 30.06.2021 – 5 U 254/19, Rn. 38 juris; zum Ganzen auch Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 11. Januar 2022 – 7 U 84/21 –; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 05. Januar 2022 – 2 U 61/21 –; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 17. Dezember 2021 – 8 U 11/21 –, juris). Selbst die von der Klägerin als Anlage K 16 vorgelegten Messdaten bescheinigen (mit Ausnahme des realen Fahrbetriebes) nur unwesentliche Abweichungen der Emissionen trotz Abweichungen im Prüfzyklus, die bei einer bewussten Manipulation des Abgasverhaltens nach ihren Ausführungen von der Erkennung des NEFZ nicht erfasst sein könnten.
dd) Aus dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung (sogenanntes Thermofenster) folgt ebenfalls kein Anspruch aus § 826 BGB.
Die „Thermofenster-Problematik“ ist mittlerweile höchstrichterlich geklärt (vgl. BGH, Urteil vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 19; BGH, Beschluss vom 19.09.2021, VII ZR 223/20 Rn. 14; BGH, Beschluss vom 13.10.2021 – VII ZR 50/21 Rn. 16; BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721; BGH, Urteil vom 23.09.2021 – III ZR 200/20, NJW 2021, 3725).
Dabei kann unterstellt werden, dass es sich beim Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung um eine unzulässige Abschalteinrichtung Sinne des Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO (EG) 715/2007 handelt. Der darin liegende Gesetzesverstoß ist aber für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedarf es vielmehr weiterer Umstände. Voraussetzung ist zunächst eine Täuschung der Genehmigungsbehörde. Hier übersieht die Klägerin, dass die Beklagte spätestens mit der Offenlegung im Oktober/November 2015 das Kraftfahrtbundesamt auch über die Verwendung eines Thermofensters in Kenntnis gesetzt hat. In der Folge ist der hier streitgegenständliche Motor weder durch das Kraftfahrtbundesamt noch durch das Bundesministerium für Verkehr beanstandet worden und war nicht von Rückrufaktionen betroffen. In dem Bericht der Untersuchungskommission heißt es dazu: „Hinweise, die aktuell laufende Produktion der Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA 288 (Euro 6) seien ebenfalls von Abgasmanipulationen betroffen, haben sich hierbei auf Grundlage der Überprüfungen als unbegründet erwiesen.“
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rückrufaktion gemäß Schreiben vom 17.04.2019 – von der die Klägerin jedenfalls nach eigenem Vortrag nicht betroffen war. Denn diese betrafen lediglich technische Konformitätsabweichungen, die keine unzulässigen Abschalteinrichtungen darstellten. Dies ergibt sich ebenfalls aus den vorgelegten amtlichen Auskünften des KBA. Die Klägerin greift diesen Gesichtspunkt zudem mit der Berufung nicht mehr auf. Eine - unterstellte - Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes bei der Typengenehmigung hätte sich aufgrund eines danach geänderten Verhaltens der Handelnden zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses nicht mehr als sittenwidrig dargestellt (OLG Köln, Urteil vom 28. April 2021 – 5 U 129/20 –, Rn. 35, juris). Im Übrigen würden auch aus einer etwaig unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass für die Beklagte tätige Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Selbst wenn die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren erforderliche Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 13.10.2021 a.a.O.).
Ferner setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit voraus, dass die gesetzlichen Vertreter der Beklagten bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20 –, Rn. 13, juris). Dass Thermofenster in der Autoindustrie zur Anwendung gelangen, war auch vor 2015 bekannt. Anders als in den Fällen einer Umschaltlogik, wo sich aufdrängt, dass eine solche gesetzeswidrig ist, kann dies für ein „Thermofenster“ nicht ohne weiteres vermutet und damit aus der bloßen Existenz eines solchen auf einen Schädigungsvorsatz geschlossen werden. Deren Zulässigkeit wurde wenigstens kontrovers diskutiert (vgl. dazu OLG Bamberg, Urteil vom 15.04.2021 – 1 U 341/19 –, Rn. 40; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 25.02.2021 – 5 U 99/20 –, Rn. 113, juris). Auch die Schlussanträge der Generalanwältin in der Rechtssache C-693/18 zur Auslegung der Artikel 3 und 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zeigen die verschiedenen Rechtsauffassungen in der Auslegung der Reichweite der Begriffe und Ausnahmeregelungen. Dies ergibt sich zum einen aus der Vorlage selbst, aber auch aus der dort in Bezug genommenen abweichenden Stellungnahme der italienischen Regierung. Nach der in Deutschland vertretenen Auffassung, insbesondere nach dem Bericht der vom Bundesverkehrsministerium eingesetzten Untersuchungskommission „Volkswagen“ Stand April 2016 (Seite 121, 123ff), liegt ein Gesetzesverstoß durch die „von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenster“ jedenfalls nicht eindeutig vor, weil der Wortlaut der Verordnung unklar sei. Eine klare und eindeutige Rechtslage war nicht gegeben (vgl. auch OLG München, Beschluss vom 10.02.2020 – 3 U 7524/19 –, Rn. 14; Beschluss vom 29.09.2020 – 8 U 201/20 –, Rn. 28; OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.10.2020 – 17 U 296/19 –, Rn. 62, juris). Der Einsatz von Thermofenstern wird auch heute nicht generell als rechtswidrig angesehen. Vielmehr befindet sich die Beurteilung in der Entwicklung und ist zudem bereits tatbestandlich von verschiedenen Fragen abhängig. Dagegen, dass die Beklagte im Zusammenhang mit der Entwicklung des in seiner Wirkungsweise dargelegten Thermofensters aufgrund der von der Klägerin behaupteten und für einen Vorwurf der Sittenwidrigkeit erforderlichen Offensichtlichkeit des Rechtsverstoßes in dem Bewusstsein, möglicherweise einen Gesetzesverstoß zu begehen, gehandelt habe und dies zumindest billigend in Kauf genommen haben könnte, spricht zudem die Einschätzung des Kraftfahrtbundesamtes im Untersuchungsbericht. Das Kraftfahrtbundesamt hat bis heute den bekannten Sachverhalt nicht zum Anlass für einen Rückruf genommen. Der Beklagten kann nicht zum Vorwurf gereichen, die Vorschriften rechtlich ebenso zu bewerten wie das Kraftfahrtbundesamt. Jedenfalls aber steht dies dem Schluss auf ein sittenwidriges Handeln der Beklagten entgegen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 04.05.2021 – 16a U 202/19 –, Rn. 70; OLG München, Urteil vom 14.04.2021 – 15 U 3584/20 –, Rn. 71, juris). Eine möglicherweise falsche, aber vertretbare Gesetzesauslegung durch Organe der Beklagten genügt für die Feststellung der Sittenwidrigkeit nicht (BGH, Urteil vom 16.09.2021, a.a.O.; OLG Schleswig, Urteil vom 11.01.2022 a.a.O. Rn. 46; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25. März 2021 – 1 U 82/20 –, Rn. 8, m.w.N. OLG Koblenz, Urteil vom 08.01.2021 – 8 U 258/20 –, Rn. 50; Brandenburgisches Oberlandesgericht, a.a.O.).
ee) Ein Anspruch besteht auch nicht wegen eines fehlerhaft programmierten OBD-Systems. Das OBD-System kann schon per definitionem keine Abschalteinrichtung sein, da es nicht auf das Abgasreinigungssystem einwirkt, sondern lediglich Fehlfunktionen anzeigen soll. Es kann daher offenbleiben, ob das System falsch programmiert worden ist, da weder eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt, noch die Voraussetzungen eines deliktischen Anspruchs gegeben sind (OLG Schleswig, Urteil vom 11.01.2022 a.a.O. Rn. 55).
2.
Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB bestehen ebenfalls nicht. Abgesehen davon, dass eine Täuschungshandlung der Beklagten nicht vorliegt, fehlt es an der erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 19 ff.). Ebenso wenig bestehen Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, da diese Vorschriften keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sind (vgl. BGH a.a.O. Rn. 11 ff.).
3.
Vertragliche oder vorvertragliche Ansprüche aus §§ 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 BGB kommen ebenfalls nicht in Betracht, da die Klägerin das streitgegenständliche Fahrzeug nicht von der Beklagten, sondern von einem Autohaus erworben hat. Die ausschließlich im Bereich der Kapitalanlage entwickelten und angewandten Grundlagen der Prospekthaftung sind auf die vorliegende Fallkonstellation nicht übertragbar (vgl. OLG München, Urteil vom 30.07.2021 - 24 U 5540/20, juris Rn. 16 m.w.N.). Im Übrigen ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb die Beklagte ein besonderes Vertrauen der Klägerin in Anspruch genommen haben soll, nachdem im Jahre 2017 der Diesel-Abgasskandal bereits allgemein bekannt war.
4.
Mangels Hauptanspruch besteht auch kein Anspruch auf die begehrte Feststellung sowie auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
III.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).