Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 17.08.2022 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 S 28/22 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2022:0817.OVG3S28.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 106 Abs 2 S 4 SchulG BB, § 106 Abs 4 S 3 SchulG BB, § 4 Abs 2 S 2 GrSchulV BB, § 4 Abs 3 S 2 Nr 4 GrSchulV BB |
1. § 106 Abs. 2 Satz 4 BbgSchulG, wonach sich bei deckungsgleichen Schulbezirken im Fall der Übernachfrage die Auswahl nach der Nähe der Wohnung zur Schule und nach dem Vorliegen eines wichtigen Grundes gemäß § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG richtet, lässt keinen Raum für eine Differenzierung nach der Anzahl oder dem besonderen Gewicht der wichtigen Gründe.
2. Die generelle Annahme eines besonderen wichtigen Grunds für die Aufnahme eines Geschwisterkindes an einer Montessori-Schule ist nicht damit zu vereinbaren, dass der brandenburgischen Gesetzgeber einen allgemeinen Geschwistervorrang auch für Montessori-Schulen nicht geregelt hat.
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 27. Juli 2022 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsgegner.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das allein Gegenstand der Prüfung durch das Oberverwaltungsgericht ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern, mit dem das Verwaltungsgericht dem Antragsgegner aufgegeben hat, das Kind der Antragsteller vorläufig für das Schuljahr 2022/2023 in die Jahrgangsstufe 1 der aufzunehmen.
Die Beschwerde wendet sich ohne Erfolg gegen die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die Vergabe der 50 für die Aufnahme in der Klassenstufe 1 zur Verfügung stehenden Schulplätze sei rechtswidrig erfolgt, weil sie nicht den Vorgaben des § 106 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG entspreche. Ist - wie in der Stadt Potsdam gemäß § 106 Abs. 2 BbgSchulG, § 2 Abs. 1 der Schulbezirkssatzung vom 24. April 2020 - ein deckungsgleicher Schulbezirk gebildet worden, so richtet sich, wenn die Zahl der Anmeldungen die Aufnahmekapazität einer Schule übersteigt, die Auswahl nach der Nähe der Wohnung zur Schule und nach dem Vorliegen eines wichtigen Grundes gemäß § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG (§ 106 Abs. 2 Satz 4 BbgSchulG). Nach § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG kann das staatliche Schulamt aus wichtigem Grund den Besuch einer anderen als der zuständigen Schule im Sinne des § 106 Abs. 4 Satz 1 bzw. Satz 2 BbgSchulG gestatten, insbesondere wenn pädagogische Gründe hierfür sprechen (Nr. 3) oder soziale Gründe vorliegen (Nr. 4).
Die Beschwerde geht selbst davon aus, dass der Antragsgegner - wie auch aus dem vorgelegten „Verwaltungsvorgang Aufnahmeverfahren und Kapazitäten“ zu erkennen - „Kinder, die zusätzlich noch den wichtigen Grund eines Geschwisterkindes an der -Schule vorweisen können, gegenüber Kindern, für die allein der wichtige Grund des Wunsches der Beschulung nach der Montessori-Pädagogik geltend gemacht und anerkannt wurde“ vorrangig aufgenommen habe. Diese Praxis unterliegt indessen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Für die von der Beschwerde vertretene Auffassung, das Vorliegen eines weiteren wichtigen Grundes im Sinne des § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG rechtfertige „grundsätzlich eine vorrangige Aufnahme“ gegenüber solchen Kindern, für die lediglich ein wichtiger Grund geltend gemacht worden sei, fehlt es an einer Anknüpfung im Gesetz. Nach § 106 Abs. 2 Satz 4 BbgSchulG richtet sich im Falle der Übernachfrage die Auswahl „nach der Nähe der Wohnung zur Schule und nach dem Vorliegen eines wichtigen Grundes gemäß § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG“. Eine Differenzierung nach der Zahl der vorliegenden wichtigen Gründe oder - wie im Fall des trotz einer Entfernung von mehr als 11 km zwischen Wohnung und Schule mit einem vergleichbaren „Rang“ wie im sonderpädagogischen Feststellungsverfahren zugewiesene Kinder aufgenommenen Kindes geschehen - nach ihrer Gewichtigkeit sieht § 106 Abs. 2 Satz 4 BbgSchulG nicht vor. Dies zeigt sich auch daran, dass die Bestimmung keine Vorgaben oder Kriterien für eine solche Gewichtung enthält. Nichts anderes gilt für die gleichlautende Regelung des § 4 Abs. 2 Satz 3 Grundschulverordnung (GV), zu der es in Nr. 5 Abs. 2 der Verwaltungsvorschriften zur Grundschulverordnung (VV-GV) heißt, es seien im Fall der Übernachfrage zuerst die Kinder aufzunehmen, die einen wichtigen Grund für die Aufnahme darlegen können, im Weiteren erfolge die Aufnahme nach der Nähe der Wohnung.
Gegen eine Differenzierung nach Zahl und Gewichtigkeit der vorliegenden wichtigen Gründe spricht auch der Umstand, dass - wie die vom Antragsgegner vorgenommene Gruppenbildung zeigt - mit jeder weiteren Untergruppe das vom Gesetzgeber gleichrangig - sogar an erster Stelle - genannte Kriterium der Wohnungsnähe an Gewicht verliert. Der Antragsteller, dessen Wohnung nach den Angaben im Verwaltungsvorgang 2.100 m von der Schule des Antragsgegners entfernt liegt, wäre zusammen mit fünf anderen in gleicher Entfernung wohnenden Kindern auf Rang 41 aufgenommen worden, wenn - abgesehen von den fünf im sonderpädagogischen Feststellungsverfahren zugewiesenen Kindern - lediglich auf die beiden im Gesetz genannten Kriterien abgestellt worden wäre.
Demgegenüber bleibt die Annahme der Beschwerde, die „bevorzugte Aufnahme von Kindern, die mehrere wichtige Gründe auf sich vereinen können“, rechtfertige sich „aufgrund der hohen Bedeutung des wichtigen Grundes i.S.v. § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG“ angesichts der fehlenden normativen Anknüpfung spekulativ. Sie überzeugt auch deshalb nicht, weil sie die Möglichkeit nicht berücksichtigt, dass ein wichtiger Grund im Einzelfall bedeutsamer erscheinen kann als mehrere andere. Für eine solche Gewichtung fehlt es - wie ausgeführt - an Vorgaben des Gesetz- oder Verordnungsgebers. Ebenso wenig enthält § 106 Abs. 2 Satz 4 BbgSchulG Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Auswahlentscheidung allein der pädagogischen Einschätzung der Schulleiterin bzw. des Schulleiters überantwortet hätte, so dass hier nicht zu entscheiden ist, ob eine derartige Regelung zulässig wäre.
Unabhängig davon ist die pauschale Annahme des Antragsgegners, allen Kindern, deren Geschwisterkind die von ihm geleitete Schule bereits besuche, stehe ein (weiterer) wichtiger pädagogischer Grund zur Seite, weil „es einem Kind schwerlich zu vermitteln ist, warum es nach einem völlig anderen Schulkonzept als sein Geschwisterkind unterrichtet wird, insbesondere warum es im Gegensatz zu seinem älteren, ebenfalls schulpflichtigen Geschwisterkind Hausaufgaben zu erledigen hat und unter dem Leistungsdruck einer Notengebung steht“, was „durchaus zu Verwerfungen innerhalb der Familie“ und dazu führen könne, „dass das jüngere Kind sich zu Unrecht schlechter behandelt fühlt und dem Besuch der anderen Schule ablehnend gegenübersteht“ nicht damit zu vereinbaren, dass der Gesetzgeber in § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG einen allgemeinen Geschwistervorrang gerade nicht vorgesehen und auch für Montessori-Schulen keine andere Regelung getroffen hat (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Oktober 2019 - OVG 3 S 99.19 - juris Rn. 4, unter Hinweis auf den in der Plenarsitzung vom 19. September 2018 abgelehnten Gesetzentwurf Drs. 6/9400). Auch § 4 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 GV sieht nur vor, dass ein wichtiger Grund im Einzelfall vorliegen kann, wenn (insbesondere) Geschwisterkinder bereits die nicht zuständige Schule (§ 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG) besuchen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).