Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung
Aufgrund von Wartungsarbeiten konnten seit Januar 2024 keine neuen Entscheidungen veröffentlicht werden. Alle Entscheidungen mit Stand vom 31. Dezember 2023 sind jedoch abrufbar. Zurzeit werden die noch ausstehenden Entscheidungen nachgepflegt.

Entscheidung S 26 AS 289/21


Metadaten

Gericht SG Neuruppin 26. Kammer Entscheidungsdatum 31.08.2022
Aktenzeichen S 26 AS 289/21 ECLI ECLI:DE:SGNEURU:2022:0831.S26AS289.21.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Beklagte wird unter Abänderung seiner mit dem Bescheid vom 12. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. April 2021 verlautbarten endgültigen Festsetzungsverfügungen verpflichtet, die endgültigen Ansprüche des Klägers auf Gewährung von passiven Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01. Oktober 2019 bis zum 31. März 2020 ohne Berücksichtigung eines Einkommens aus selbständiger Tätigkeit festzusetzen und entsprechende Leistungen unter Berücksichtigung bereits gezahlter Leistungen zu gewähren.

Die mit dem Bescheid vom 12. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. April 2021 verlautbarte Erstattungsverfügung des Beklagten wird aufgehoben.

Der Beklagte hat dem Kläger die ihm entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens – dem Grunde nach – zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger begehrt höheres Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01. Oktober 2019 bis zum 31. März 2020.

Der im Oktober 1963 geborene und alleinstehende Kläger, der zusammen mit seiner Mutter in einem Einfamilienhaus lebt, ist seit 1997 als Handwerksmeister mit einem Geschäft für Elektro- und Hausgeräte sowie Lampen in Neuruppin selbständig tätig und bezieht vom beklagten Jobcenter ergänzend passive Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II.

Nach vorläufigen Leistungsbewilligungen (verlautbart mit Bescheid vom 07. November 2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25. Februar 2020, unter Berücksichtigung eines bereinigten Einkommens aus selbständiger Tätigkeit im Umfang eines monatlichen Betrages in Höhe von jeweils 281,47 Euro) setzte der Beklagte den Leistungsanspruch des Klägers unter Berücksichtigung eines bereinigten monatlichen Einkommens aus selbständiger Tätigkeit in Höhe eines Betrages von jeweils 345,51 Euro endgültig fest (abschließende Festsetzung für den Zeitraum vom 01. Oktober 2019 bis zum 31. März 2020, verlautbart mit Bescheid vom 12. Januar 2021). Zugleich wurde die Erstattung von Leistungen für den genannten Zeitraum in Höhe eines Betrages von insgesamt 226,32 Euro verlangt. Den hiergegen mit Schreiben vom 02. Februar 2021 erhobenen Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06. April 2021 als unbegründet zurück. Unter Berücksichtigung der von dem Kläger gemachten Angaben zu seinen Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben, die einen Verlust im Umfang eines Betrages von insgesamt 1.106,79 Euro ergeben hätten, ergebe sich – davon abweichend – ein Gewinn in Höhe eines Betrages von 3.192,32 Euro, was einem monatlichen Gewinn in Höhe eines Betrages von 531,89 Euro entspreche, der nach Bereinigung mit einem monatlichen Betrag in Höhe von 345,51 Euro zu berücksichtigen sei. Die von dem Kläger angegebenen Betriebsausgaben seien nicht plausibel: Unter Anwendung der maßgeblichen Richtsatzsammlungen des Bundesministeriums der Finanzen für das Jahr 2018 könnten – entgegen der Angaben des Klägers – lediglich maximale Warenkosten in Höhe von 69 Prozent der Betriebseinnahmen (ohne Privatentnahmen von Waren und ohne Umsatzsteuer) Berücksichtigung finden. Hierneben seien die Betriebsausgaben für Büromaterial und Porto sowie für Tilgung betrieblicher Darlehen im Umfang von 362,55 Euro und 600,00 Euro zu reduzieren. Die aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen seien in Höhe eines Gesamtbetrages von 226,32 Euro zu erstatten.

Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 30. April 2021 – eingegangen am gleichen Tage – bei dem erkennenden Gericht Klagen erhoben, mit denen er seine auf Gewährung von passiven Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem SGB II ohne Berücksichtigung von Einkommen aus selbständiger Tätigkeit und auf Aufhebung der Erstattungsverfügung gerichteten Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, keine der vorgelegten Rechnungen über den Wareneinkauf sei von dem Beklagten beanstandet worden, weshalb davon auszugehen sei, dass diese Kosten notwendig und plausibel seien. Eine nachträgliche fiktive Korrektur anhand der Richtsatzsammlungen sei unzulässig, zumal auch der auf dieser Grundlage ermittelte Wert unzutreffend sei.

Der Kläger beantragt (nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß),

den Beklagten unter Abänderung seiner mit dem Bescheid vom 12. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. April 2021 verlautbarten endgültigen Festsetzungsverfügungen zu verpflichten, die endgültigen Ansprüche des Klägers auf Gewährung von passiven Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01. Oktober 2019 bis zum 31. März 2020 ohne Berücksichtigung eines Einkommens aus selbständiger Tätigkeit festzusetzen und entsprechende Leistungen zu gewähren

sowie

die mit dem Bescheid vom 12. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. April 2021 verlautbarte Erstattungsverfügung des Beklagten aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die Begründung der angefochtenen Entscheidungen und nimmt darüber hinaus Bezug auf seinen Vortrag in dem zwischen den identischen Beteiligten vor der erkennenden Kammer geführten Rechtsstreit mit dem sozialgerichtlichen Aktenzeichen S 26 AS 633/20.

Die Beteiligten mit ihren Prozesserklärungen vom 30. April 2022 sowie vom 04. Mai 2022 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie auf die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand von Beratung und Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

Die Klagen haben Erfolg.

1. Über die Klagen konnte die Kammer gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu zuvor ihr Einverständnis erteilt haben und weil das Gericht vor seiner Entscheidung – ebenso wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung – weder zur vorherigen Darstellung seiner Rechtsansicht (vgl hierzu etwa Bundessozialgericht, Beschluss vom 03. April 2014 – B 2 U 308/13 B, RdNr 8 mwN) noch zu einem vorherigen umfassenden Rechtsgespräch verpflichtet ist (vgl hierzu etwa Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R, RdNr 23).

2. Gegenstand des Klageverfahrens sind die mit dem Bescheid vom 12. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. April 2021 verlautbarten endgültigen Festsetzungsverfügungen, mit denen der Beklagte abschließend über den Leistungsanspruch des Klägers für den Zeitraum vom 01. Oktober 2019 bis zum 31. März 2020 entschieden und zudem den von dem Kläger zu erstattenden Betrag auf einen Betrag in Höhe von insgesamt 226,32 Euro festgesetzt hat. Streitgegenstand sind dementsprechend die Leistungsansprüche des Klägers für den genannten Zeitraum sowie der Erstattungsanspruch des Beklagten.

3. a) Gegen die sozialverwaltungsbehördlichen Festsetzungsverfügungen wendet sich der Kläger – in sinnentsprechender Auslegung seines Vorbringens (vgl § 123 SGG) – zutreffend mit der kombinierten Abänderungsanfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 2 SGG, § 54 Abs 1 S 1 Regelung 3 SGG, § 54 Abs 4 SGG sowie § 56 SGG). Diese Kombination ist immer dann die statthafte Klageart, wenn das Klageziel auf die Abänderung der abschließenden Entscheidung gerichtet ist und soweit – wie hier – Leistungen abschließend in geringerer Höhe als vorläufig bewilligt festgestellt worden sind und zugleich die Feststellung höherer (als vorläufig bewilligter) endgültiger Leistungen verlangt wird (vgl zu den einzelnen Konstellationen: Bundessozialgericht, Urteil vom 11. November 2021 – B 14 AS 41/20 R, RdNr 11 mwN).

Demgemäß richtet sich das Klageziel neben der mit Abänderungsanfechtungsklagen im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 2 SGG zu verfolgenden Änderung der sozialverwaltungsbehördlichen Leistungsverfügung (vgl zum sog Monatsprinzip die Regelungen des § 11 Abs 2 S 1 SGB II, § 11 Abs 3 S 1 SGB II, § 20 Abs 1 S 3 SGB II, § 37 Abs S 2 SGB II sowie § 41 Abs 1 S 2 SGB II; vgl dazu auch Bundessozialgericht, Urteil vom 30. März 2017 – B 14 AS 18/16 R, RdNr 18 sowie Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Juli 2008 – B 14 AS 26/07 R, RdNr 28) auch darauf, den Beklagten mit einer entsprechenden Verpflichtungsklage im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 3 SGG iVm § 56 SGG zu verpflichten auszusprechen, dass ihm – dem Kläger – abschließend höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zustehen, als mit den angegriffenen sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen festgesetzt worden sind (vgl hierzu nur Bundessozialgericht, Urteil vom 08. Februar 2017 – B 14 AS 22/16 R, RdNr 10f unter Hinweis auf die ähnliche ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Klage auf Zuschuss statt Darlehen: Bundessozialgericht, Urteil vom 13. November 2008 – B 14 AS 36/07 R, RdNr 13; Urteil vom 19. Mai 2009 – B 8 SO 7/08 R, RdNr 10 sowie Urteil vom 06. August 2014 – B 4 AS 57/13 R, RdNr 12). Auch die zusätzlich erhobene Leistungsklage im Sinne von § 54 Abs 4 SGG iVm § 56 SGG ist statthaft, weil der Kläger nicht nur eine abschließende Festsetzung in Höhe der vorläufigen Festsetzung, sondern darüber hinaus die Gewährung von über die vorläufige Gewährung hinausgehenden Leistungen begehrt (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 12. September 2018 – B 4 AS 39/17 R, RdNr 11 mwN sowie Bundessozialgericht, Urteil vom 01. Dezember 2016 – B 14 AS 34/15 R, RdNr 10 mwN).

Die Klagen sind dabei zulässigerweise gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 S 1 SGG) im Höhenstreit, was auch zulässig ist (vgl hierzu und zu der Zulässigkeit auch bei einer Kombination lediglich aus Anfechtungs- und Verpflichtungsklage: Bundessozialgericht, Urteil vom 11. November 2021 – B 14 AS 41/20 R, RdNr 12 f mwN). Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Grundurteils im Höhenstreit ist eine so umfassende Aufklärung zu Grund und Höhe des Anspruchs, dass mit Wahrscheinlichkeit von einer höheren Leistung ausgegangen werden kann, wenn der Begründung der Klage gefolgt wird. Diese Voraussetzungen liegen vor: Ausgehend von dem Vortrag des Klägers kommen mit Blick auf die von ihm dargestellte Einkommenssituation in jedem streitbefangenen Monat höhere Leistungen als abschließend festgestellt in Betracht.

b) Soweit sich der Kläger – ebenfalls in sinnentsprechender Auslegung seines Vorbringens (vgl § 123 SGG) – zugleich auch gegen die sozialverwaltungsbehördliche Erstattungsverfügung wendet, verfolgt er dieses Begehren zu Recht mit einer isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG), die auf Aufhebung der Erstattungsverfügung – einen den Kläger belastenden Verwaltungsakt im Sinne des § 31 S 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) – gerichtet ist.

c) Die so verstandenen statthaften Klagen sind auch im Übrigen zulässig.

4. Die zulässigen Klagen sind auch begründet.

a) Die gegen die endgültige Festsetzungsverfügung des Beklagten erhobene – insgesamt zulässige – Abänderungsanfechtungsklage ist im Sinne der Regelung des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 2 SGG begründet, denn die mit dem angegriffenen Bescheid des Beklagten verlautbarte endgültige Leistungsfestsetzung im Sinne einer Höchstbetragsfestsetzung ist rechtswidrig und beschwert den Kläger in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten (vgl § 54 Abs 2 S 1 SGG). Entgegen der Auffassung des Beklagten steht dem Kläger ein höherer Anspruch auf Gewährung von Leistungen zu.

aa) Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch des Klägers auf abschließende Feststellung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den hier streitgegenständlichen Zeitraum ist die Regelung des § 41a Abs 3 S 1 SGB II sowie die §§ 19 ff iVm §§ 7 ff SGB II und die Regelungen der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung – Alg II-V), jeweils in der Fassung, die die genannten Regelungen vor dem streitbefangenen Zeitraum hatten, was auch für die weiteren zitierten Vorschriften gilt. Denn in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungsabschnitte ist das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden (sog Geltungszeitraumprinzip, vgl dazu nur Bundessozialgericht, Urteil vom 26. November 2020 – B 14 AS 23/20 R, RdNr 14 mWN).

Gemäß § 19 Abs 1 S 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II, das gemäß § 19 Abs 1 S 3 SGB II den Regelbedarf, die Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung umfasst. Die Grundvoraussetzungen, um Arbeitslosengeld II zu erhalten (§ 7 Abs 1 S 1 SGB II), erfüllte der Kläger (§ 7 Abs 3 Nr 1 SGB II), der im streitgegenständlichen Zeitraum 55 Jahre beziehungsweise 56 Jahre alt war (vgl § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II), erwerbsfähig war (§ 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II) und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatte (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II); auch ein von Leistungen nach dem SGB II ausschließender Tatbestand lag nicht vor.

bb) Der Kläger war in einem größeren Umfang als der Beklagte angenommen hat, hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II.

aaa) Der zwischen den Beteiligten zu Recht nicht umstrittenen Bedarfshöhe stand – entgegen der Auffassung des Beklagten – kein zu berücksichtigendes Einkommen aus selbständiger Tätigkeit des Klägers gegenüber. Dieses errechnet sich aus den Betriebseinnahmen abzüglich der Betriebsausgaben. Von dem so berechneten und auf sechs Monate verteilten Einkommen sind Freibeträge abzusetzen. Als Einkommen sind gemäß § 11 Abs 1 S 1 SGB II Einnahmen in Geld zu berücksichtigen mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG. Die von dem Kläger erzielten Einnahmen unterfallen keiner der in § 11 Abs 1 S 1 SGB II benannten Ausnahmen. Bei den Einkünften, die dem Kläger zugeflossen sind, handelt es sich um Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit, so dass bei ihrer Berechnung (ergänzend zu § 11 Abs 2 SGB II) die Regelung des § 3 Alg II-V Anwendung findet. Betriebseinnahmen sind alle aus selbständiger Arbeit erzielten Einnahmen, die im Bewilligungszeitraum (§ 41 Abs 3 S 2 Nr 1 SGB II) tatsächlich zufließen. Nach den auch von dem Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben des Klägers hatte dieser im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum insgesamt Betriebseinnahmen in Höhe eines Betrages von 45.038,26 Euro.

Von diesen Betriebseinnahmen sind (in einem ersten Schritt) die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11 Abs 2 SGB II abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen (§ 3 Abs 2 Alg II-V). Gemäß § 3 Abs 3 S 1 Alg II-V sollen tatsächliche Ausgaben nicht abgesetzt werden, soweit diese ganz oder teilweise vermeidbar sind oder offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezuges der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechen. Ausgaben können bei der Berechnung nicht abgesetzt werden, soweit das Verhältnis der Ausgaben zu den jeweiligen Erträgen in einem auffälligen Missverhältnis steht (§ 3 Abs 2 S 4 Alg II-V). Nach den Angaben des Klägers, die auch der Beklagte – mit Ausnahme der Kosten für Büromaterial und Porto sowie der Tilgungskosten für betriebliche Darlehen – nicht konkret in Zweifel gezogen hat, betrugen die Betriebsausgaben in diesem Sinne insgesamt 46.190,05 Euro, so dass sich kein berücksichtigungsfähiges Gewinneinkommen ergibt, das die Hilfebedürftigkeit des Klägers einschränkt.

bbb) Entgegen der Auffassung des Beklagten kann dieser sich zur Bestimmung der Betriebsausgaben – hier der Warenkosten des klägerischen Betriebes – auch nicht auf die Richtsatzsammlungen des Bundesministeriums der Finanzen berufen. Nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (Urteil vom 29. September 2021 – L 31 AS 1048/16, RdNr 63 ff), der die Kammer folgt, weil sie sie für überzeugend hält, ist die zutreffende Anwendung der Richtsatzsammlungen des Bundesministeriums der Finanzen Voraussetzung für eine fiktive Bestimmung der Betriebsausgaben, ohne dass es darauf ankommt, ob die Richtsatzsammlungen grundsätzlich zur Bestimmung von Betriebsausgaben herangezogen werden können, was die Kammer mit Blick auf die Zielrichtung und die im Rechtskreis des SGB II nur in den gesetzlich erlaubten Fällen mögliche Pauschalierung indes für zweifelhaft hält. Auf Letzteres kommt es aber nicht an. Denn jedenfalls kommt nach der zitierten Rechtsprechung die Anwendung der Richtsatzsammlungen regelmäßig gar nicht in Betracht, wenn eine ordnungsgemäße Buchführung erfolgt ist (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. September 2021 – L 31 AS 1048/16, RdNr 64 aE). Da der Beklagte schon nicht dargetan hat, dass die Buchführung des Klägers fehlerhaft gewesen sein könnte, und sich Derartiges für die Kammer auch nicht aufdrängt und zudem nichts dafür ersichtlich ist, dass der Beklagte diese Frage überhaupt auch nur geprüft hätte, kommt die Anwendung der Richtsatzsammlungen von vornherein nicht in Betracht.

ccc) Da der Beklagte darüber hinaus – abgesehen von den geltend gemachten Betriebsausgabepositionen für Büromaterial und Porto sowie für die Tilgung betrieblicher Darlehen (dazu sogleich) – auch keine konkrete Einwände erhoben hat, die sich mit der Frage beschäftigen, ob und welche konkreten Ausgabepositionen ganz oder teilweise vermeidbar gewesen sind oder offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezuges der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprochen haben (§ 3 Abs 3 S 1 Alg II-V) oder mit der Frage, ob das Verhältnis der Ausgaben zu den jeweiligen Erträgen in einem auffälligen Missverhältnis stand (§ 3 Abs 2 S 4 Alg II-V), hat die Kammer keine Veranlassung diesen Fragen gleichsam „ins Blaue hinein“ (erstmals) nachzugehen. Auch insoweit ist es nur Aufgabe des Gerichts, die Entscheidung der Sozialverwaltungsbehörde zu überprüfen, nicht aber die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts erst zu schaffen (vgl für die Anfechtungssituation: Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 25).

ddd) Abgesehen davon, dass sich der Kläger nicht ausdrücklich dagegen gewandt hat, kann im Übrigen offen bleiben, ob der Beklagte die Kosten für Büromaterial und Porto sowie für die Tilgung betrieblicher Darlehen zu Recht nicht vollständig berücksichtigt hat. Denn selbst wenn dies zu Recht erfolgt sein sollte, würden die Betriebsausgaben gleichwohl die Betriebseinnahmen übersteigen.

cc) Wenn nach alledem zuungunsten des Klägers kein Einkommen zu berücksichtigen ist, steht ihm ein Anspruch auf endgültige Gewährung höherer passiver Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II zu, weshalb sich die angegriffenen Höchstbetragsfestsetzungen des Beklagten als rechtswidrig erweisen und der Kläger hierdurch auch in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten beschwert ist (vgl § 54 Abs 2 S 1 SGG); daher erweist sich auch die Abänderungsanfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 2 SGG als begründet.

b) Wenn danach die Abänderungsanfechtungsklage begründet ist, erweist sich auch die mit ihr kombinierte Verpflichtungsklage im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 3 SGG iVm § 56 SGG als begründet. Denn die Begründetheit dieser Verpflichtungsklage setzt in Verfahren der vorliegenden Art aufgrund des der Kombination immanenten Stufenverhältnisses ihrerseits eine zulässige und begründete Anfechtungsklage voraus. Zudem hat der Kläger gegen den Beklagten – wie dargelegt – einen Anspruch darauf, dass er – der Beklagte – endgültig höhere Leistungen nach dem SGB II festsetzt.

c) Wenn nach alledem die Anfechtungs- und die Verpflichtungsklagen begründet sind, gilt Gleiches auch für die mit ihnen kombinierten Leistungsklagen. Denn die Begründetheit der Leistungsklagen setzt in Verfahren der vorliegenden Art aufgrund des der Kombination immanenten Stufenverhältnisses ihrerseits eine zulässige und begründete Anfechtungs- und Verpflichtungsklage voraus. Zudem hat der Kläger gegen den Beklagten – wie dargelegt – einen Anspruch darauf, dass dieser ihm die aufgrund der gerichtlichen Entscheidung endgültig in einem größeren Umfang festgesetzten Leistungen – unter Berücksichtigung der bereits gezahlten Leistungen – gewährt.

d) Schließlich ist auch die gegen die Erstattungsverfügung gerichtete isolierte Anfechtungsklage begründet. Die mit dem angegriffenen Bescheid des Beklagten ebenfalls verlautbarte Erstattungsverfügung ist rechtswidrig und beschwert den Kläger in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten (vgl § 54 Abs 2 S 1 SGG). Ermächtigungsgrundlage hierfür ist § 41a Abs 6 S 3 SGB II. Gemäß § 41a Abs 6 S 1 SGB II sind die aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen sind auf die abschließend festgestellten Leistungen anzurechnen. Soweit im Bewilligungszeitraum in einzelnen Kalendermonaten vorläufig zu hohe Leistungen erbracht wurden, sind die sich daraus ergebenden Überzahlungen auf die abschließend bewilligten Leistungen anzurechnen, die für andere Kalendermonate dieses Bewilligungszeitraums nachzuzahlen wären (§ 41a Abs 6 S 2 SGB II). Überzahlungen, die nach der Anrechnung fortbestehen, sind zu erstatten (§ 41a Abs 6 S 3 SGB II). Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage sind nach der gerichtlichen Entscheidung, nach der dem Kläger endgültig sogar noch höhere Leistungen zustehen als vorläufig bewilligt worden waren, mangels bestehender Überzahlungen nicht (mehr) erfüllt, weshalb auch die angegriffene Erstattungsverfügung aufzuheben ist.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 S 1 SGG. Es entsprach dabei der Billigkeit, dass der Beklagte dem Kläger die ihm entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens – dem Grunde nach – zu erstatten hat, weil der Kläger mit seinem Begehren vollumfänglich obsiegte. Die Aufwendungen des Beklagten sind schon von Gesetzes wegen nicht erstattungsfähig (§ 193 Abs 4 SGG iVm § 184 Abs 1 SGG).

6. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben (§ 183 S 1 SGG).