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Entscheidung VG 3 K 2417/17.A


Metadaten

Gericht VG Potsdam 3. Kammer Entscheidungsdatum 10.08.2022
Aktenzeichen VG 3 K 2417/17.A ECLI ECLI:DE:VGPOTSD:2022:0810.3K2417.17.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt.

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13. April 2017 wird insoweit aufgehoben, als die Asylanträge der Kläger in den Ziffern 1 bis 3 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurden und dem Kläger zu 1) aufgrund dessen in Ziffer 5 eine lediglich einwöchige Ausreisefrist gesetzt worden ist. Hinsichtlich der Klägerin zu 2) wird die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 4 bis 6 des Bescheids verpflichtet, ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten trägt der Kläger zu 1) 3/8 und die Klägerin zu 2) 1/4, von den außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1) trägt die Beklagte 1/4 und von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2) die Beklagte 1/2. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Gerichtskosten werde nicht erhoben, mit Ausnahme der Kosten, die der Dolmetscherin durch den Termin am 10. August 2022 entstanden sind, die die Kläger tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin zu 2) begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise – sowie der Kläger zu 1) primär – die Zuerkennung von subsidiärem Schutz, weiter hilfsweise die Feststellung, dass Abschiebungsverbote vorliegen.

Die mittlerweile volljährigen Kläger sind Geschwister und nach eigenen Angaben tschadische Staatsangehörige muslimischen Glaubens. Sie reisten als Minderjährige am 17. Oktober 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihr Asylantrag galt an diesem Tag gestellt, da sich ihr Vater, dem zwischenzeitlich ein Abschiebungsverbot erteilt wurde, zum damaligen Zeitpunkt mit einer Aufenthaltsgestattung in Deutschland aufhielt, vgl. § 14a Abs. 2 Satz 3 AsylG.

In der Anhörung gab der Kläger zu 1) an, sie – die Kläger – seien bei der Großmutter aufgewachsen, nachdem ihre Mutter 2011 verstorben sei. Die Großmutter sei mit ihnen „nicht mehr klar gekommen“, weshalb der Vater sie nach Deutschland „geholt“ habe. Dies deckt sich mit den Angaben des Vaters der Kläger in der Anhörung der Klägerin zu 2). Ferner sei der Kläger zu 1) zwei Jahre zur Schule gegangen, die Klägerin zu 2) habe keine Schule besucht. Im Tschad lebe noch die Großfamilie.

Mit Bescheid vom 13. April 2017 lehnte das Bundesamt die Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und von subsidiärem Schutz als offensichtlich unbegründet ab (Ziffern 1 bis 3) und stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziffer 4). Die Kläger wurden aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen und drohte ihnen bei nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in den Tschad an (Ziffer 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6). Die Voraussetzungen des internationalen Schutzes lägen offensichtlich nicht vor. Der Asylantrag der Kläger sei nach § 30 Abs. 1 und 2 AsylG offensichtlich unbegründet. Die Kläger seien offensichtlich keine Flüchtlinge, weil sie ihr Heimatland verließen, um offenkundig einer wirtschaftlich schlechten Situation zu entgehen; ihre Großmutter sei mit der Erziehung überfordert und sie deshalb zum Vater nach Deutschland geschickt worden. Ihnen drohe offensichtlich kein ernsthafter Schaden. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Sie seien bei einer Rückkehr in den Tschad gemeinsam mit ihrem Vater und dessen Familie in der Lage, aus eigener Kraft bzw. mithilfe der im Tschad lebenden Familie des Vaters das Existenzminimum zu sichern. Eine Gefahr für Leib oder Leben drohe nicht. Die Ausreisefrist von einer Woche ergäbe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG.

Mit ihrer am 25. April 1017 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.

Die Klägerin zu 2) ist Mutter einer Tochter und eines Sohnes, die im Februar 2018 und im Februar 2020 in Frankreich geboren worden sind und die nach der Einreise in Deutschland ebenfalls einen Asylantrag gestellt haben.

Die Klägerin zu 2) hat in der den Asylantrag ihrer Kinder betreffenden Anhörung am 8. Oktober 2021 vorgetragen, sie habe von 2017 bis Juni 2021 in Frankreich gelebt und sich Anfang 2019 von Ihrem Partner, dem Vater ihrer Kinder, getrennt. Sie habe Angst vor ihm und seiner im Tschad lebenden Familie. Er habe ihr gedroht, sie zu töten. Seine Familie wolle nicht, dass die Kinder bei ihr blieben, den Grund kenne sie nicht; die Familie möge sie nicht. Bei Rückkehr in den Tschad befürchte sie, dass die Familie ihres Ex-Partners ihr die gemeinsamen Kinder wegnehme. Auch habe der Ex-Partner gedroht, die Tochter im Tschad beschneiden zu lassen. Ihm gefalle nicht, dass sie sich an die europäische Kultur anpassten. Sie habe zu ihm keinen Kontakt. Mit Bescheid vom 26. Oktober 2021 hat das Bundesamt für die Kinder der Klägerin zu 2) ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG festgestellt. Zur Begründung führte es aus, den Kindern drohe – ausgehend davon, dass sie gemeinsam mit der Klägerin zu 2) in den Tschad zurückkehren würden – eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung und die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Die Familie verfüge im Tschad über kein unterstützungsfähiges familiäres Netzwerk, auch ihr Ex-Partner würde sie und die Kinder nicht unterstützen. Im Tschad existiere kein staatlich soziales Auffangnetz. Es sei kaum wahrscheinlich, dass die Klägerin zu 2), die nie die Schule besucht habe und noch nie einer Beschäftigung nachgegangen sei, angesichts der desolaten wirtschaftlichen Verhältnisse eine Arbeit fände. Verschärfend komme die Corona-Pandemie hinzu.

Zur Begründung ihrer hiesigen Klage verweist die Klägerin zu 2) darauf, bei Rückkehr in den Tschad drohe ihr eine geschlechtsspezifische Verfolgung durch ihren Ex-Partner und dessen Familie, die sie töten und ihr die Kinder wegnehmen wolle, sowie in Form der Gefahr, ihre Tochter nicht vor Genitalverstümmelung schützen zu können. Ihr Ex-Partner habe ihr „vor kurzem“ Drohnachrichten per Whatsapp geschickt. Der Kläger zu 1) müsse bei Rückkehr damit rechnen, aufgrund des Verhaltens seiner Schwester, der Klägerin zu 2), im Tschad selbst zur Rechenschaft gezogen und angegriffen zu werden. Sollte er allein in seine Heimat zurückkehren, ergäbe sich „möglicherweise“ eine Bedrohung durch die Familie des Ex-Partners seiner Schwester daraus, dass ihre Kinder ihm gegenüber als Druckmittel eingesetzt würden. Ihm sei subsidiärer Schutz zuzuerkennen, auch weil er ohne familiäres Netzwerk nicht in der Lage wäre, seinen Lebensunterhalt zu sichern.

Die Prozessbevollmächtigte hat die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte und hinsichtlich des Klägers zu 1) auch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zurückgenommen.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. April 2017 insoweit aufzuheben, als die Asylanträge der Kläger in den Ziffern 1 bis 3 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurden, und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids zu verpflichten, der Klägerin zu 2) die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen,

hilfsweise ihr sowie dem Kläger zu 1) subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen,

hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Tschads vorliegen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die angefochtenen Bescheide.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 VwGO.

Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wobei zugunsten der Kläger die Erklärung der Prozessbevollmächtigten dahin auszulegen ist, dass die Rücknahme nicht die Antragsablehnung in Ziffer 1 bis 3 des Bescheids als offensichtlich unbegründet erfasst, ist das Verfahren nach § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.

Im Übrigen hat die Klage in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang Erfolg. Es wird auf die Feststellungen im Bescheid des Bundesamts vom 13. April 2017 und hinsichtlich der Klägerin zu 2) auch auf den Bescheid des Bundesamts vom 26. Oktober 2021 betreffend die Asylanträge ihrer Kinder Bezug genommen; abweichend bzw. ergänzend gilt Folgendes:

1. Die Einschätzung des Bundesamtes, der Antrag der Kläger sei nach § 30 Abs. 1 und 2 AsylG offensichtlich unbegründet, ist rechtswidrig.

Zunächst besteht für die Kläger in der hier zu entscheidenden Konstellation hinsichtlich der (isolierten) Anfechtung der Offensichtlichkeitsentscheidung des Bundesamtes ein Rechtsschutzbedürfnis. Ein Rechtsschutzbedürfnis ergibt sich hier jedenfalls daraus, dass der Klage bei der Antragsablehnung als offensichtlich unbegründet keine aufschiebende Wirkung zukommt und der Antrag der Kläger auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung vorliegend mit Beschluss vom 8. Mai 2017 abgelehnt wurde (VG 6 L 559/17.A), vgl. § 75 Abs. 1 AsylG. Bei sonstiger Ablehnung im Sinne von § 38 Abs. 1 AsylG würde die Klage jedoch aufschiebende Wirkung entfalten; auch würde die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist 30 Tage (nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens) betragen, während bei offensichtlicher Unbegründetheit dem Ausländer lediglich eine Ausreisefrist von einer Woche aufzuerlegen ist (vgl. so auch: VG Cottbus, Urteil vom 22. September 2022 – VG 3 K 1489/16.A – S. 5 ff d. UA, n.v.; VG Trier, Urteil vom 13. Februar 2019 – 1 K 6155/17.TR – juris Rn. 59 ff. m.w.N.; VG Bayreuth, Urteil vom 22. August 2018 – B 8 K 17.31115 – juris Rn. 29; so auch bereits: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11. November 1997 – A 14 S 412/97 – juris Rn. 37). Auf die Frage, ob das Rechtsschutzbedürfnis für eine isolierte Aufhebung der Offensichtlichkeitsentscheidung nach § 30 Abs. 1 AsylG im Falle eines erfolgreich durchgeführten Eilverfahrens fehlt, weil mit dem Ausspruch keine negativen Folgen (mehr) für den Asylbewerber verbunden sind (arg. ex § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG; vgl. OVG Magdeburg, Beschluss vom 25. Juli 2019 – 2 L 57/18 – juris Rn. 10 m.w.N.; VG Berlin, Urteil vom 13. August 2020 – 34 K 639.17 A – juris Rn. 14), kommt es damit vorliegend nicht an.

Die isolierte Anfechtungsklage ist auch begründet. Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 und 2 AsylG sind vorliegend nicht erfüllt. Danach ist ein Antrag dann offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Bundesamtes vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt die Ablehnung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2006 – 2 BvR 2063/06 – juris). Es muss sich aufdrängen, dass weder die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter noch für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes gegeben sind (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 16. März 2017 – 9 L 146.17 A – juris Rn. 7; vgl. grundsätzlich hierzu: Bergmann, in: ders./Dienelt/Bergmann, AsylG, 13. Aufl. 2020, § 30 Rn. 7).

So liegt der Fall hier jedenfalls mit Blick auf die Angaben der Kläger im gerichtlichen Klageverfahren nicht. Maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage ist auch hinsichtlich der Beurteilung der Offensichtlichkeitsentscheidung der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, § 30 i.V.m. § 77 Abs. 1 AsylG (vgl. Schröder, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 30 Rn. 45; VG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 9. September 2003 – A 1 K 11256/03 – juris Rn. 4 m.w.N.). Der Vortrag der Kläger ist nicht – wie es das Gesetz in richtlinienkonformer Auslegung (vgl. Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 8 lit. a der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes) gebietet – etwa ohne Belang und von vornherein ungeeignet, im Fall der Kläger die Zuerkennung internationalen Schutzes zu tragen. Es drängt sich nicht auf, dass im Fall der Klägerin zu 2) die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und im Fall des Klägers zu 1) die Voraussetzungen für die Gewährung des subsidiären Schutzes nicht vorliegen. Auf die nachfolgenden Ausführungen wird verwiesen.

2. a) Die Klägerin zu 2) hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Sie hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei Rückkehr in den Tschad eine geschlechtsspezifische Verfolgung droht.

Es ist Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich eine Verfolgung ergibt, in schlüssiger Form vorzutragen (§ 25 Abs. 1 Satz 1 AsylG), wobei von ihm grundsätzlich zu erwarten ist, dass er die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und der Furcht vor einer Rückkehr ausreichend substantiiert, detailreich und widerspruchsfrei vorträgt. Er muss unter Angabe von Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus welchem sich ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. März 1987 – 9 C 321/85 – juris). Hierzu gehört eine Schilderung der in seine Sphäre fallenden Ereignisse, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 1989 – 9 B 405/89 – juris). Das Gericht muss die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des behaupteten individuellen Schicksals des Asylsuchenden und von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung gewinnen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 1989 – 9 B 239/89 – juris). Die Schilderungen der Klägerin zu 2) in der Anhörung vor dem Bundesamt betreffend den Asylantrag ihrer Kinder und die darauf bezugnehmenden Angaben ihrer Prozessbevollmächtigten im hiesigen Klageverfahren und in der mündlichen Verhandlung genügen zur Annahme, der Klägerin zu 2) drohe im Tschad Verfolgung aufgrund ihres Geschlechts, nicht. Das Gericht ist schon nicht davon überzeugt, dass die Familie des Ex-Partners sie bei einer Rückkehr in ihr Heimatland suchen würde. Sie ist im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen und hat damit auch nicht die Gelegenheit genutzt, ihren Vortrag und die Gefahr einer Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit glaubhaft zu machen. Sie ist ihrer Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht ausreichend nachgekommen. Selbst wenn zu unterstellen wäre, die Familie des Ex-Partners würde tatsächlich ein Interesse am Auffinden der Klägerin zu 2) haben, ist offen, wie die Familie von ihrer Rückkehr Kenntnis erlangen und in der Lage sein sollte, diese auszuspüren. Ein öffentliches Meldewesen existiert im Tschad nicht (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 15. November 2013 an das VG Cottbus; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 7. Januar 2022 an das VG Braunschweig). Darüber hinaus ist auch nicht glaubhaft gemacht, dass der Klägerin zu 2) eine geschlechtsspezifische Verfolgung droht. Der Vortrag der Prozessbevollmächtigten, ihr, der Klägerin zu 2), drohe die Tötung durch die im Tschad lebende Familie des Ex-Partners, weil sie entgegen der Tradition und geschlechtsbezogenen Rollenverteilung die Kinder nach der Trennung von ihrem Partner, dem Vater der Kinder, „mitgenommen“ habe, wurde erstmals in der mündlichen Verhandlung angebracht. Demgegenüber trug die Klägerin zu 2) in der Anhörung am 8. Oktober 2021 lediglich vor, sie kenne die Gründe für die Drohung nicht, die Familie ihres Ex-Partners möge sie nicht. Ein Bezug zu einem asylbezogenen Merkmal im Sinne von §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 AsylG ist nicht erkennbar. Soweit eine Bedrohung durch den Ex-Partner selbst geltend gemacht wird, soll dieser ausweislich der Angaben der Kläger in Frankreich leben. Im Übrigen fehlt es auch insoweit an einer Glaubhaftmachung; insbesondere wurden die „vor kurzem“ per Whatsapp geschickten Drohnachrichten nicht vorgelegt.

b) Auch der Hilfsantrag der Klägerin zu 2) bleibt ohne Erfolg. Sie hat keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG. Dass ihr bei Rückkehr in den Tschad ein ernsthafter Schaden droht, hat sie ebenfalls nicht glaubhaft gemacht.

c) Die Klägerin zu 2) hat indes einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Der Bescheid des Bundesamts vom 13. April 2017 ist in den Ziffern 4 bis 6 rechtswidrig und verletzt die Klägerin zu 2) insoweit in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Dies ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) wegen der Unvereinbarkeit mit Art. 3 EMRK insbesondere dann der Fall, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung der ernsthaften Gefahr der Todesstrafe, der Folter oder der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt wäre (vgl. EGMR, Urteil vom 23. März 2016, F.G./Schweden, Nr. 43611/11, juris, Rn. 10; Urteil vom 28. Juni 2011, Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 u.a., juris, Rn. 212).

Die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kann sich zum einen aus individuellen Umständen in einer Person des Ausländers ergeben. Zum anderen kann sie aber auch in besonderen Ausnahmefällen aus der allgemeinen Sicherheits- und humanitären Lage im Abschiebezielstaat resultieren. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK annehmen zu können. Es bedarf eines besonderen Ausnahmefalles, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008, N./Vereinigtes Königreich, Nr. 26565/05, juris, Rn. 42; EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011, a.a.O., Rn. 278; BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23, 25; BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 6). Für die Annahme einer solchen extremen Gefahrenlage ist erforderlich, dass die drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sind, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen (st. Rspr., vgl. nur BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 ff. m.w.N.).

Dies ist dann der Fall, wenn sich die betroffene Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (BVerwG, Urteil vom 18. Februar 2021 – 1 C 4.20 – juris Rn. 65). Ob auch diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten am Ort der Abschiebung, insbesondere der wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung, sowie der persönlichen Umstände des Ausländers zu prüfen. Maßgebliche Faktoren sind dabei Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, die familiäre Situation und Verwandtschaftsverhältnisse, soziale oder andere Schwächen, ethnische, kulturelle oder religiöse Überlegungen, politische und soziale Verbindungen und Vereinbarkeiten, Sprachkenntnisse, Bildungs-, Berufs- und Arbeitshintergrund und -möglichkeiten sowie ggf. erlittene Verfolgung und deren psychische Auswirkungen (BVerwG, Urteil vom 18. Februar 2021, a.a.O, Rn. 31).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Gericht davon überzeugt, dass der Klägerin zu 2) in ihrem besonderen Einzelfall bei Rückkehr in den Tschad mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage droht, die zu einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK führt.

Die Republik Tschad zählt zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. Tschad belegt Platz 187 von 189 im Human Development Index 2020 und ist laut Climate Change Vulnerability Index 2016 das am stärksten durch den Klimawandel gefährdete Land. Das Land ist mit wiederkehrenden extremen Wetterbedingungen wie Dürren und Überschwemmungen konfrontiert, während es an institutionellen und kommunalen Kapazitäten fehlt, um sich anzupassen und die Folgen abzumildern (OCHA, Country Profile, September 2019). Die schwierigen klimatischen Bedingungen führen in dem stark landwirtschaftlich geprägten Staat zu Armut und Unterernährung (vgl. World Food Programme, https://www.wfp.org/countries/chad, abgerufen am 3. Juni 2022). 66,3 % der Bevölkerung (so für das Jahr 2011: Bertelsmann-Stiftung, BTI 2022 - Chad Country Report, S. 17), anderen Angaben zufolge 80 % (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Tschad vom 23. Mai 2016, S. 17), leben unterhalb der Armutsgrenze.

Lebengrundlage für den überwiegenden Teil der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (etwa 70 % mit hohem Anteil von Subsistenzwirtschaft). Ein moderner Privatsektor existiert nur in Ansätzen, produzierende Betriebe gibt es nur wenige (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 23. Mai 2016, S. 17). Mehr als 80 % der berufstätigen Tschader arbeiten im informellen Sektor oder als Selbstständige (ebd.). Es existiert ein Mindestlohn, doch wird dieser häufig nicht durchgesetzt, insbesondere im informellen Sektor (US-Department of State, Country Report on Human Rights Practices: Chad, 30. September 2021, S. 12). Auch das Problem nicht ausgezahlter Löhne ist verbreitet (ebd.). Ein wirksamer Krankenversicherungsschutz fehlt. Nach wie vor sind die ländlichen Gebiete unzureichend versorgt und die Bevölkerung weist einen sehr schlechten allgemeinen Gesundheitszustand auf. Vor allem die Mütter- und Kindersterblichkeit ist im afrikanischen Vergleich sehr hoch (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, a.a.O.).

Die Mehrheit der Bevölkerung ist zum Überleben von ethnischen, familiären und Clan-Strukturen abhängig (Bertelsmann-Stiftung, BTI 2022 - Chad Country Report, 2022, S. 25). Wie in nahezu allen Staaten hat die Coronavirus-Pandemie Einfluss auch auf die Wirtschaft der Republik Tschad (vgl. OCHA, Chad Situation Report, 31. August 2020, S. 3). Pandemiebedingte Beschränkungen wurden aber vollständig aufgehoben (Al Wihda, Tchad: toutes les mesures de prévention contre la Covid-19 sont levées, 16. Juni 2022, https://www.alwihdainfo.com/Tchad-toutes-les-mesures-de-prevention-contre-la-Covid-19-sont-levees_a114499.html, abgerufen am 11. August 2022), sodass insbesondere auch eine Arbeitsaufnahme wieder uneingeschränkt möglich ist.

Nach dem gewaltsamen Tod des seit 30 Jahre regierenden Staatspräsidenten, Idriss Déby Itno, im April 2021 hat ein militärischer Übergangsrat unter Vorsitz seines Sohns, Mahamt Idriss Déby Itno, die Macht übernommen. Das Land befindet sich in einer politischen Transitionsphase (Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise: Tschad, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/ tschadsicherheit/225774, abgerufen am 11. August 2022). Hinzu kommt, dass sich die Lebensmittelsituation seit Anfang 2022 weiter verschärft hat. Aufgrund mangelnder Getreidelieferungen und dem Anstieg der Weltmarktpreise für Getreide infolge des Ukrainekrieges rief der Vorsitzende des militärischen Übergangsrats den Ernährungsnotstand für den Tschad aus und bat um internationale Unterstützung (BAMF, Briefing Notes, 13. Juni 2022, S. 13 f.). Den UN zufolge sollen im Jahr 2022 mehr als ein Drittel der tschadischen Bevölkerung und damit ca. 5,5 Mio. Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sein. Laut Schätzungen des Welternährungsprogramms im März 2022 sollen mit Beginn der ertragsarmen Saison im Juni 2022 etwa 2,1 Mio. Menschen im Tschad von schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen sein (ebd.).

Es ist davon auszugehen, dass die die Klägerin zu 2) mit ihren vier und zwei Jahre alten Kleinkindern im Familienverband in den Tschad zurückkehren würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 45/18 – juris). Die humanitäre Lage im Tschad ist für eine dreiköpfige Familie mit zwei Kleinkindern, die im Tschad über kein familiäres oder soziales Netzwerk verfügen, derzeit derart schlecht, dass von einer Abschiebung zwingend abzusehen ist. Die Klägerin zu 2) hat ausweislich ihrer von der Beklagten unbestrittenen Angaben nie die Schule besucht, keine Ausbildung absolviert und nie gearbeitet. Es kann daher nicht angenommen werden, dass sie in der Lage wäre, ein Obdach zu finden, neben der Betreuung ihrer Kinder eine Berufstätigkeit auszuüben und ein Einkommen für eine dreiköpfige Familie zu erwirtschaften. Sie verfügt über keine unterstützungsfähigen Verwandten im Tschad. Ihr Vater und ihre Geschwister leben in Deutschland, ihre Mutter ist verstorben, ihre Großmutter, sollte sie überhaupt noch leben, war schon zum Zeitpunkt ihrer Ausreise aus dem Tschad nicht mehr fähig, für die damals minderjährigen Kläger zu sorgen. Die Aufnahme- und Unterbringungssituation der Klägerin zu 2) im Tschad ist damit völlig ungeklärt.

Da die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Streitgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen bilden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Juli 2017 – BVerwG 1 VR 3.17 – juris Rn. 71 f.), bedarf es keiner Entscheidung mehr über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf die Klägerin zu 2).

In Folge des zugesprochenen Abschiebungsverbots ist hinsichtlich der Klägerin zu 2) neben Ziffer 4 des Bescheids vom 13. April 2017 auch die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 aufzuheben. Auch das in Ziffer 6 des Bescheids verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot ist aufzuheben, da dieses nach Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots auf der Grundlage nach § 60 Abs. 5 AufenthG entfällt.

3. Hinsichtlich des Klägers zu 1) ist die Klage in Bezug auf die in Ziffer 5 verfügte Dauer der Ausreisefrist begründet und im Übrigen unbegründet. Es wird in vollem Umfang auf die Gründe des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend gilt Folgendes:

a) Er hat keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG. Ein ernsthafter Schaden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht ihm nicht. Soweit seine Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung angab, eine Bedrohung ergäbe sich „möglicherweise“ daraus, dass die Kinder seiner Schwester, der Klägerin zu 2), bei seiner Rückkehr in den Tschad durch die Familie ihres Ex-Partners gegen ihn als Druckmittel eingesetzt würden, reicht eine bloße Möglichkeit oder abstrakte Vermutung zur Annahme, ihm drohe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden, nicht aus.

b) Es liegen auch keine Gründe vor, welche die hilfsweise beantragte Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Tschad rechtfertigen.

Trotz der geschilderten wirtschaftlich schwierigen Lage und insbesondere des derzeitigen Ernährungsnotstands in der Republik Tschad steht nicht zu erwarten, dass der 20-jährige Kläger zu 1) dort nicht in der Lage wäre, seine Existenz zu sichern. Auch er ist in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen und hat damit auch die Gelegenheit nicht wahrgenommen, persönliche Defizite oder Schwächen zu schildern, die zur Annahme einer Gefahrenlage für ihn führen. Mangels entgegenstehender Angaben ist mithin zugrunde zu legen, dass es sich bei ihm um einen alleinstehenden Mann ohne Unterhaltspflichten handelt, sodass er ausschließlich seinen eigenen Lebensunterhalt zu erwirtschaften hat. Er spricht eine der Landessprachen und ist mit den kulturellen und sozialen Verhältnissen im Tschad vertraut. Die Prozessbevollmächtigte gab in der mündlichen Verhandlung an, er habe jüngst die 10. Klasse mit einem Schulabschluss beendet, sodass er über einen für tschadische Verhältnisse überdurchschnittlichen Bildungsgrad verfügt. Dieser verleiht ihm einen Vorsprung gegenüber den üblicherweise auf dem Arbeitsmarkt zu findenden Bildungsbiografien. Zu den zumutbaren Arbeiten, auf die ein Asylbewerber verwiesen werden kann, gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt und die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, ausgeübt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2007 – 1 C 24.06 – juris Rn. 11; BVerwG, Beschluss vom 13. Juli 2017 – 1 VR 3.17 – juris Rn. 119). Derartige Arbeitsmöglichkeiten existieren auch im Tschad. Zudem bewies der Kläger zu 1) eine besondere Gewandtheit, indem er als Minderjähriger allein mit seiner Schwester vom Tschad nach Europa reiste. Es ist nach alledem anzunehmen, dass er mithilfe der im Tschad bestehenden ethnischen Strukturen, bei Rückkehr alsbald ein Netzwerk wird aufbauen und über Kontakte eine Arbeitsstelle wird finden können. Auch kann er auf finanzielle Unterstützung seiner in Deutschland lebenden Verwandten hoffen.

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG scheidet für ihn ebenfalls aus.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies kann aus individuellen Gründen der Fall sein, kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht. Eine solche Ausnahme können die im Zielstaat herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage darstellen, wenn bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage vorläge. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahr ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit in dem Sinn drohen, dass er im Fall der Abschiebung sozusagen sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wäre. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren, wenn also z.B. der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre.

Von diesem Maßstab ausgehend bietet § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz als § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK. Liegen also die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen – wie hier – nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante extreme Gefahrenlage aus (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 453).

c) Nach den unter Ausführungen unter 1. steht ferner fest, dass Ziffer 5 des Bescheids aufzuheben ist, soweit dem Kläger zu 1), gestützt auf § 36 Abs. 1 AsylG, eine nur einwöchige Ausreisefrist gesetzt worden ist. Im Übrigen bestehen gegen die auf § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung jedoch keine Bedenken. Eine untrennbare Verknüpfung zwischen der Fristsetzung für die Ausreisepflicht und der Abschiebungsandrohung besteht grundsätzlich nicht. Wird die zusammen mit einer Abschiebungsandrohung verfügte Ausreisefrist als rechtswidrig aufgehoben, ist die verbleibende Abschiebungsandrohung zwar unvollständig, behält aber gleichwohl ihren eigenen Regelungsgehalt, sodass die Abschiebungsandrohung selbst nicht rechtswidrig ist und dementsprechend auch nicht aufgehoben werden muss, nur weil die Fristsetzung ihrerseits rechtswidrig ist. Die Abschiebung kann in diesen Fällen lediglich nicht vollzogen werden, bevor die Behörde erneut eine Frist gesetzt hat und diese abgelaufen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. April 2001 – 9 C 22/00 – juris).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 4 VwGO. Die getroffene Kostenentscheidung trägt dabei dem unterschiedlichen Gewicht des Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten sowie der teilweise erfolgten Klagerücknahme Rechnung. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG grundsätzlich nicht erhoben; eine Auferlegung bleibt im Rahmen des § 155 Abs. 4 VwGO aber ausnahmsweise möglich (VG Cottbus, Urteile vom 10. Februar 2022 – VG 3 K 3082/17.A – S. 8 d. UA und vom 16. März 2021 – 3 K 974/17.A – S. 15. f. d. UA, jeweils n.v.; VG Kassel, Urteil vom 22. Februar 2018 – 1 K 302/17.KS.A – juris Rn. 37 ff. m.w.N.; Neundorf, in: BeckOK, Ausländerrecht, Stand: Januar 2021, § 83b AsylG, Rn. 3; Olbertz, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Februar 2022, § 155 Rn. 24; a.A. Hofmann, in: ders., Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 83b AsylVfG, Rn. 5). Dem Kläger können daher auch Dolmetscherkosten auferlegt werden, wenn dieser unentschuldigt nicht am Termin teilnimmt oder dies erst so spät mitteilt, dass eine Abladung des Dolmetschers bzw. der Dolmetscherin im ordnungsgemäßen Geschäftsgang nicht mehr in Betracht kommt (VG Kassel, Urteil vom 22. Februar 2018 – a.a.O.; VG Cottbus, Urteile vom 10. Februar 2022 und vom 16. März 2021, jeweils a.a.O.).

So liegt der Fall hier. Die Kläger sind im Termin zur mündlichen Verhandlung unentschuldigt nicht erschienen. Die Mehrkosten sind durch ihr Verschulden entstanden.

Sie wurden mit gerichtlichem Schreiben vom 29. Juni 2022 unter Hinweis auf § 155 Abs. 4 VwGO gebeten, ein Nichterscheinen zur mündlichen Verhandlung dem Gericht rechtzeitig mitzuteilen, damit die geladene Dolmetscherin abgeladen werden kann. Dies ist nicht geschehen. Die Dolmetscherin ist umsonst erschienen, wobei ihr Kosten entstanden sind.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.