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Entscheidung 7 K 7089/22


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 7. Senat Entscheidungsdatum 20.07.2022
Aktenzeichen 7 K 7089/22 ECLI ECLI:DE:FGBEBB:2022:0720.7K7089.22.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Abweichend vom Umsatzsteuerbescheid 2016 vom 25.01.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.05.2022 wird die Umsatzsteuer auf 4.326,48 € festgesetzt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin zu 49 % und dem Beklagten zu 51 % auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die von der Klägerin im Streitjahr erzielten Umsätze der Umsatzsteuer unterlagen.

Die Klägerin legte im Jahr 2007 die staatliche Prüfung in der Altenpflege nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Altenpflegegesetzes vom 17.11.2000 vor dem staatlichen Prüfungsausschuss erfolgreich ab. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales C… erteilte ihr mit einer Urkunde vom 10.06.2013 die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Altenpflegerin“ aufgrund des Altenpflegegesetzes. Am 10.06.2013 zeigte die Klägerin gemäß § 14 des Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst vom 25.05.2006 den Beginn ihrer Selbständigkeit beim Landesamt für Gesundheit und Soziales C… an.

Die Klägerin ist seit dem 01.03.2010 als Altenpflegerin selbständig tätig.

Ausweislich einer bei der Umsatzsteuerakte (angelegt 2022) –UA 2022– befindlichen Kontrollmitteilung erzielte die Klägerin im Streitjahr Bruttoeinnahmen von der Firma B… e. Kfr. in Höhe von 27.999,55 €. Einen auszugsweisen Ausdruck der Website dieser Firma hat das Gericht zur Gerichtsakte –GA– des Verfahrens 7 K 7068/21 (Bl. 341) genommen, worauf es Bezug nimmt. Im selben Verfahren hat der erkennende Senat am 04.04.2022 beschlossen, Beweis zu erheben über die Behauptung der Klägerin, sie habe in den Streitjahren 2017 bis 2019 im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit ausschließlich oder jedenfalls im Wesentlichen Leistungen der Behandlungspflege (z.B. Inbetriebnahme und Überwachung von Beatmungsgeräten, Injektionen, Verbandswechsel, die Dekubitusversorgung, das An- und Ausziehen von Kompressionstrümpfen ab Klasse 2, eine oro/traceale Sekretabsaugung, das Einreiben mit Dermatika, das Verabreichen eines Klistiers bzw eines Einlaufs, die Einmalkatheterisierung, das Wechseln einer Sprechkanüle gegen eine Dauerkanüle bei einem Tracheostomapatienten zur Ermöglichung des Schluckens, Maßnahmen zur Sekretlimitation bei Mukoviszidose oder Erkrankungen vergleichbaren Hilfebedarfs) u.a. durch Einholung einer schriftlichen Auskunft des in der B… e. Kfr. leitend tätigen D…. Nach den im Verfahren 7 K 7068/21 vorgelegten Unterlagen hatte die Klägerin gegenüber der B… e. Kfr. mit Rechnungen vom 27.02.2017 Nr. O1-17 über 857,50 € brutto und vom 08.01.2018 Nr. O1-18 über 1.302,00 € abgerechnet. Herr D… erteilte darauf mit Schriftsatz vom „15.06.2017“ (Eingang bei Gericht am 28.04.2022) die Auskunft, dass die B… e. Kfr. auf die sog. außerklinische Intensivpflege spezialisiert sei und dass deren Tätigkeit überwiegend die Behandlungspflege nach dem Sozialgesetzbuch –SGB– V und zum kleineren Anteil nach dem SGB XI umfasse. Die wichtigste Aufgabe sei das unregelmäßige Absaugen der meist tracheotomierten Patienten sowie die Überwachung der Beatmung. Da sie in der 1:1-Versorgung keine Hilfskräfte beschäftigten, übernähmen die Fachkräfte in den meisten Fällen ebenso die Grundpflege, die jedoch nur ca. 5 % ihres Umsatzes ausmache (Bl. 414 GA 7 K 7068/21).

Nach den vorliegenden Einnahme-Überschuss-Rechnungen/Schätzungsbescheiden erzielte die Klägerin folgende Bruttoeinnahmen aus Pflegeleistungen:

Jahr   

Einnahmen in €

2013   

Geschätzt: 8.000,00

2014   

43.488,17

2015   

38.718,31

2016   

Streitjahr

2017   

40.871,25

2018   

41.353,38

2019   

8.078,33

Für die Veranlagungszeiträume 2014 und 2015 setzte der Beklagte mit Bescheiden vom 02.03.2017 Umsatzsteuer fest. Mit Einspruchsentscheidung vom 31.05.2018 setzte er sie auf 7.050,14 € für 2014 und auf 6.181,84 € für 2015 herauf. Die dagegen erhobene Klage wies der erkennende Senat mit Urteil vom 24.08.2020 – 7 K 7096/18 im Wesentlichen als unbegründet zurück. Die Klage hatte lediglich in der Weise Erfolg, dass das Gericht die Umsatzsteuer 2014 auf 6.943,49 € herabsetzte, was der Beklagte mit einem Umsatzsteuerbescheid 2014 vom 30.11.2020 nachvollzog. Mit Beschluss vom 25.11.2021 – V B 83/20 verwarf der BFH die gegen das Senatsurteil vom 24.08.2020 – 7 K 7096/18 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wegen Versäumung der Beschwerdefrist als unzulässig.

Da die Klägerin weder ihre Umsatzsteuererklärung, noch ihre Einnahme-Überschussrechnung für das Streitjahr einreichte, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen und setzte ausgehend von Umsätzen zum Regelsteuersatz in Höhe von 30.000,00 € und Vorsteuer in Höhe von 950,00 € (Schätzungsvermerk Bl. 8 f. UA II) die Umsatzsteuer mit Bescheid vom 25.01.2019 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf 4.750,00 € und den Verspätungszuschlag auf 400,00 € fest. Dagegen legte die Klägerin am 25.02.2019 Einspruch ein, den sie unter Hinweis auf ihren Vortrag im Verfahren 7 K 7096/18 begründete, also geltend machte, dass sie ausschließlich umsatzsteuerfreie Umsätze erzielt habe.

Auch die Einkommensteuer 2016 setzte der Beklagte ausgehend von geschätzten Besteuerungsgrundlagen fest. Den dagegen gerichteten Einspruch wies er mit Einspruchsentscheidung vom 25.04.2022 als unbegründet zurück und setzte die Einkommensteuer auf 7.092,00 € herauf, wobei er von einem Gewinn der Klägerin in Höhe von 45.000,00 € ausging. Diese Einspruchsentscheidung wurde bestandskräftig.

Der Beklagte wies den Einspruch gegen die Umsatzsteuerfestsetzung mit Einspruchsentscheidung vom 06.05.2022 als unbegründet zurück und setzte die Umsatzsteuer auf 8.797,00 € herauf. Dabei ließ sich der Beklagte von der Überlegung leiten, dass die bisher angesetzten Umsätze in Höhe von 30.000,00 € hinter dem oberen Schätzungsrahmen zurückblieben. Nach den vorliegenden Unterlagen habe die Klägerin einen Stundensatz von 25,00 € zuzüglich diverser Zuschläge (insbesondere für Nacht- und Wochenenddienste) abgerechnet, so dass von einem durchschnittlichen Stundensatz von 30,00 € auszugehen sei. Bei einer geschätzten wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden ergäben sich wöchentliche Einnahmen in Höhe von 1.200,00 €, bei 46 Arbeitswochen also Einnahmen in Höhe von 55.200,00 €. Daher sei von einem Nettoumsatz in Höhe von 46.300,00 € auszugehen. Ein Vorsteuerabzug könne mangels entsprechender Angaben nicht berücksichtigt werden, so dass auch der Ansatz eines Eigenverbrauchs entfalle. Bei einer im Jahre 1960 geborenen Steuerpflichtigen erscheine der dargestellte Umsatz als realistisch. Nachweise dafür, dass die Klägerin umsatzsteuerfreie Leistungen nach § 4 Nr. 14 Umsatzsteuergesetz –UStG– oder § 4 Nr. 16 UStG erzielt habe, seien nicht vorgelegt worden.

Darauf hat die Klägerin am 20.05.2022 (mit unvollständigem Fax) bzw. am 27.05.2022 Klage erhoben.

Die Klägerin macht unter Bezugnahme auf ihren Vortrag im Verfahren 7 K 7068/21 geltend, ausschließlich umsatzsteuerfreie Leistungen erbracht zu haben. Sie erbringe nach erfolgreicher dreijähriger Fachausbildung mit behördlicher Zulassung, ergänzt mit attestierter Weiterqualifikation, ihre personalisierten Dienstleistungen ausschließlich im Bereich der Alten-/Heil-/Beatmungspflege. Aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union –EuGH– vom 08.10.2020 – C-657/19 – Finanzamt D, BFH/NV 2021, 174, ergebe sich, dass die von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten nach Art. 132 Mehrwertsteuersystemrichtlinie –MwStSystRL– von der Umsatzsteuer zu befreien seien. Nach der Rechtsprechung des EuGH könne auch die Klägerin als natürliche Person eine von der Umsatzsteuer befreite Einrichtung sein. Zu den steuerbefreiten Tätigkeiten gehörten insoweit auch die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung. Ferner seien die Umsätze der Klägerin nach § 4 Nrn. 14 und 16 UStG von der Umsatzsteuer befreit. Das Berufsprofil der Klägerin entspreche dem der Klägerin in dem Verfahren vor dem Landessozialgericht –LSG– Baden-Württemberg (Urteil vom 14.12.2018 – L 8 R 985/17; Bl. 302 ff. GA 7 K 7068/21). Dieses Urteil betrifft den sozialversicherungsrechtlichen Status einer Altenpflegerin. Eine ihrer Auftraggeberinnen, Beigeladene im sozialgerichtlichen Verfahren, gab an, die dortige Klägerin habe Intensiv-Pflege-Patienten gepflegt und betreut (1:1-Betreuung, 24 Stunden täglich, Grund- und Behandlungspflege, Bl. 306 GA 7 K 7068/21). Die Klägerin verweist des Weiteren auf die von ihr eingereichten Ausgangsrechnungen und Verträge mit ihren Auftraggebern und deren Zeugnis darüber, dass die Klägerin für sie ausschließlich Leistungen im Bereich der Behandlungs-, ggf. Grundpflege erbracht habe. Im Streitjahr sei sie für die Einrichtungen B… e. Kfr., E… und F… tätig geworden. Ferner könnten der Medizinische Dienst der Krankenkassen nach §§ 275b, 302 SGB V und die Klägerin des o.g. LSG-Verfahrens Auskünfte erteilen.

Sie verweist ergänzend auf ihren Vortrag im Verfahren 7 K 7096/18. Nach einer dabei vorgelegten eidesstattlichen Versicherung vom 11.09.2018 umfasse ihr Tätigkeitsfeld ausschließlich heilberufliche Leistungen wie folgende: Stellung und Verabreichung von Medikamenten, subkutane Infusionen, Bedienung einer Morphiumpumpe, Beatmung und Kontrolle der Beatmungsmaschinen, Absaugen und Wechsel von Trachialkanülen, Inhalation, Kolostomapflege, Wundversorgung etc. Sterbebegleitung, Dokumentationserstellung. In der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2020 hat ihr Bevollmächtigter bekundet, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen schon in den Jahren 2014 und 2015 nur zu Tätigkeiten in der Lage gewesen sei, die keine nennenswerte körperliche Anstrengung mit sich gebracht hätten. Sie sei ausschließlich in der Beatmungspflege tätig gewesen.

Schließlich sei zu berücksichtigen, dass der Beklagte die in seinem Bezirk ansässigen Alten- und Heilpflegerinnen G… und H… nicht zur Umsatzsteuer heranziehe und auch die Klägerin für 2013 nicht zur Umsatzsteuer herangezogen habe. Das Gleiche gelte auch für die anderweitig geführten Alten-/Gesundheitspflegerinnen I… und J…. Gegenüber der Klägerin für die Streitjahre gleichwohl Umsatzsteuer festzusetzen, verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz –GG–.

Die Klägerin beantragt,

abweichend vom Bescheid über Umsatzsteuer 2016 vom 25.01.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.05.2022 die Umsatzsteuer auf 0,00 € festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Klage unter Hinweis auf seinen Vortrag in den Parallelverfahren für unbegründet.

Das Gericht hat der Klägerin mit Schreiben vom 30.05.2022 (zugestellt am 04.06.2022) aufgegeben, ihre Klage bis zum 01.07.2022 zu substantiieren, u.a., ihre Gewinnermittlung 2016 und die den Umsätzen zugrundeliegenden Vereinbarungen und Rechnungen vorzulegen. Die genannten Unterlagen hat die Klägerin nicht vorgelegt.

Dem Gericht haben die Streitakten der Verfahren 7 K 7096/18, 7 K 7068/21 und 7 V 7002/22 sowie drei Bände Umsatzsteuerakten, je ein Band EÜR- und Umsatzsteuerhilfsakten vorgelegen, die der Beklagte für die Klägerin unter der Steuer-Nr. … führt, ferner ein Band Einkommensteuerakten, den der Beklagte für die Klägerin und ihren Ehemann unter der Steuer-Nr. … führt.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist teilweise begründet.

Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid i.S. des § 100 Abs. 1 und 2 Finanzgerichtsordnung -FGO- in ihren Rechten nur verletzt, soweit der Beklagte Nettoumsätze zum Regelsteuersatz in Höhe von 23.529,03 € gegenüber B… e. Kfr. der Umsatzsteuer unterworfen hat.

1. Da der Umsatzsteuerbescheid 2016 vom 25.01.2019 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand, war der Beklagte dem Grunde nach befugt, die Umsatzsteuer mit der Einspruchsentscheidung ohne einen Hinweis gemäß § 367 Abs. 2 Satz 2 Abgabenordnung –AO– erhöht festzusetzen.

2. a) Die Klägerin war im Streitjahr keine Kleinunternehmerin i.S. des § 19 UStG. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG 2016 wird die Umsatzsteuer nicht erhoben, wenn der Umsatz zuzüglich der darauf entfallenden Steuer im vorangegangenen Kalenderjahr 17.500,00 € nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr 50.000,00 € voraussichtlich nicht übersteigen wird. Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 UStG sind dabei steuerfreie Umsätze u.a. i.S. des § 4 Nr. 11 bis 28 UStG nicht zu berücksichtigen.

b) Nach den rechtskräftigen Feststellungen des erkennenden Senats in seinem Urteil vom 24.08.2020 – 7 K 7096/18 (Nichtzulassungsbeschwerde verworfen durch den BFH mit Beschluss vom 25.11.2021 – V B 83/20) erzielte die Klägerin im Jahre 2015 steuerpflichtige Bruttoumsätze in Höhe von 38.718,00 €. Auch wenn die Höhe der Vorjahresumsätze im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzung für das Jahr, für das die Geltung der Kleinunternehmerregelungen überprüft wird, grundsätzlich ohne Bindung an die Vorjahresfestsetzung zu ermitteln ist, der Vorjahresbescheid insoweit also kein Grundlagenbescheid ist (Schüler-Täsch in Sölch/Ringleb, UStG, Stand: EL 88 März 2020, § 19 Rn. 16), bedarf es keiner (erneuten) Überprüfung, ob den Feststellungen im Urteil vom 24.08.2020 – 7 K 7096/18 zu folgen ist.

Denn die Feststellungen sind auch für das hiesige Verfahren nach § 110 FGO bindend. Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger. Zum Streitgegenstand i.S. des § 110 Abs. 1 Nr. 1 FGO gehört die Teilmenge aller mit dem angefochtenen Verwaltungsakt erfassten Besteuerungsgrundlagen, zu denen das Gericht selbstentscheidende Feststellungen getroffen hat (Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: 156. Lieferung 4/2019, § 110 FGO Rn. 14 m.w.N.). Im Rahmen des Senatsurteils vom 24.08.2020 – 7 K 7096/18 war die Höhe der in 2015 erzielten steuerpflichtigen Umsätze tragend, so dass es insoweit selbstentscheidende Feststellungen getroffen hat.

3. Die Höhe der vom Beklagten angenommenen steuerbaren Umsätze ist nicht zu beanstanden. Insbesondere besteht der Schätzungsanlass gemäß § 162 AO fort, weil die Klägerin weder eine Umsatzsteuererklärung 2016, noch eine Einnahme-Überschuss-Rechnung 2016 vorgelegt hat. Der Beklagte hat eine nachvollziehbare Nachkalkulation vorgenommen, der die Klägerin nicht entgegengetreten ist. Die vom Beklagten angenommenen Einnahmen reichen zwar deutlich (um ca. 12.000,00 €) über die höchsten von der Klägerin erklärten Betriebseinnahmen hinaus, andererseits erscheint eine prozentuale Steigerung dieses Höchstwerts um ca. 27 % nicht ausgeschlossen. Ferner spricht auch der Umstand, dass die Klägerin und ihr Ehemann nicht gegen die auf gleichen Schätzungsgrundlagen beruhende Einspruchsentscheidung zur Einkommensteuer 2016 vorgegangen sind, dafür, dass sich die Schätzung des Beklagten in einem vertretbaren Rahmen hält.

4. Das Gericht kann weder feststellen, dass jegliche von der Klägerin erbrachte Pflegeleistungen (also auch, soweit sie in Grundpflegeleistungen bestehen) von der Umsatzsteuer befreit sind, noch, dass diese vollständig in Leistungen der sog. Behandlungspflege bestanden. Allerdings steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die von der Klägerin im Streitjahr gegenüber der B… e. Kfr. erzielten Umsätze in Höhe von 23.529,03 € netto als sog. Behandlungspflege nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei sind.

a) Die Leistungen der Klägerin sind nicht nach § 4 Nr. 16 UStG von der Umsatzsteuer befreit.

aa) Nach § 4 Nr. 16 UStG 2016 waren in 2016 von der Umsatzsteuer befreit die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen, die von

a) juristischen Personen des öffentlichen Rechts,

b) Einrichtungen, mit denen ein Vertrag nach § 132 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch besteht,

c) Einrichtungen, mit denen ein Vertrag nach § 132a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, § 72 oder § 77 des Elften Buches Sozialgesetzbuch besteht oder die Leistungen zur häuslichen Pflege oder zur Heimpflege erbringen und die hierzu nach § 26 Abs. 5 in Verbindung mit § 44 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch bestimmt sind,

d) Einrichtungen, die Leistungen der häuslichen Krankenpflege oder Haushaltshilfe erbringen und die hierzu nach § 26 Abs. 5 in Verbindung mit den §§ 32 und 42 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch bestimmt sind,

e) Einrichtungen, mit denen eine Vereinbarung nach § 111 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch besteht,

f) Einrichtungen, die nach § 142 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch anerkannt sind,

g) Einrichtungen, soweit sie Leistungen erbringen, die landesrechtlich als niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote nach § 45b des Elften Buches Sozialgesetzbuch anerkannt sind,

h) Einrichtungen, mit denen eine Vereinbarung nach § 75 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch besteht,

i) Einrichtungen, mit denen ein Vertrag nach § 8 Absatz 3 des Gesetzes zur Errichtung der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau über die Gewährung von häuslicher Krankenpflege oder Haushaltshilfe nach den §§ 10 und 11 des Zweiten Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte, § 10 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte oder nach § 54 Absatz 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch besteht,

j) Einrichtungen, die aufgrund einer Landesrahmenempfehlung nach § 2 der Frühförderungsverordnung als fachlich geeignete interdisziplinäre Frühförderstellen anerkannt sind,

k) Einrichtungen, die als Betreuer nach § 1896 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestellt worden sind, sofern es sich nicht um Leistungen handelt, die nach § 1908i Absatz 1 in Verbindung mit § 1835 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vergütet werden, oder

l) Einrichtungen, bei denen im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 25 Prozent der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind,

erbracht werden. Leistungen im Sinne des Satzes 1, die von Einrichtungen nach den Buchstaben b bis l erbracht werden, sind befreit, soweit es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, auf die sich die Anerkennung, der Vertrag oder die Vereinbarung nach Sozialrecht oder die Vergütung jeweils bezieht.

bb) Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin aufgrund von Vereinbarungen/Rechtsbeziehungen i.S. des § 4 Nr. 16 Buchst. b) bis k) UStG tätig wurde. Sie hat trotz entsprechender (mit Verfügung vom 04.07.2022 nochmals mit Nachdruck hervorgehobener) Aufforderung keine Vereinbarungen mit Auftraggebern vorgelegt. In den Parallelverfahren 7 K 7096/18 und 7 K 7068/21 hat sie privatrechtliche Dienstverträge vorgelegt, die sie mit Rechtssubjekten des Privatrechts abgeschlossen hatte. Soweit sie im Verfahren 7 K 7068/21 einen Vertrag mit der Einrichtung E… vorgelegt hat, für die sie auch im Streitjahr tätig gewesen sein will, lässt sich diesem zur genauen Art der Tätigkeit nichts entnehmen. Ob die Klägerin die Möglichkeit gehabt hätte, ihre Tätigkeit auch aufgrund von Verträgen mit den Sozialversicherungsträgern in gleicher Weise auszuüben, kann dahinstehen, weil es nur auf tatsächlich bestehende Vereinbarungen ankommt (EuGH, Urteil vom 08.10.2020 – C-657/19 – Finanzamt D, Mehrwertsteuerrecht –MwStR– 2020, 1059, Rn. 51; Bundesfinanzhof –BFH–, Urteil vom 24.02.2021 – XI R 30/20 (XI R 11/17), Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2021, 639, Rn. 41). Die Klägerin hat nach der in der UA 2022 vorliegenden Rechnung und den in den o.g. Parallelverfahren vorgelegten Rechnungen auch keine Vergütungen von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge erhalten, wie dies § 4 Nr. 16 Buchst. e) UStG voraussetzt. Ob die Auftraggeber der Klägerin die von diesen berechneten Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 25 % der Fälle von den vorgenannten Institutionen ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet bekamen (vgl. § 4 Nr. 16 Buchst. l) UStG), kann dahinstehen, weil dies nicht auf die Klägerin „abfärbte“. Insoweit wäre erforderlich gewesen, dass die Klägerin ihre Vergütungen unmittelbar von den genannten öffentlichen Trägern erhalten hätte (Hessisches Finanzgericht –FG–, Urteil vom 20.10.2021 – 1 K 736/19, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2022, 365, Revision anhängig unter dem Aktenzeichen V R 1/22; vgl. BFH, Beschluss vom 01.06.2021 – XI B 27/20, BFH/NV 2021, 1378). Davon geht auch der BFH in seinem Urteil vom 18.08.2015 – V R 13/14, MwStR 2016, 203, Rn. 9, aus. Soweit zwischenzeitlich Tendenzen bestanden, eine mittelbare Vergütung ausreichen zu lassen, ist der BFH ausgehend von dem Urteil des EuGH vom 08.10.2020 – C-657/19 – Finanzamt D, MwStR 2020, 1059, Rn. 51, davon wieder abgerückt (BFH, Urteil vom 24.02.2021 – XI R 30/20 (XI R 11/17), UR 2021, 639, Rn. 39; zustimmend: Wäger, UR 2022, 197 [203]). Anhaltspunkte dafür, dass dies im Streitfall anders zu würdigen wäre, insbesondere, weil dem Kostenträger die Person der Subunternehmerin bekannt gewesen und er deren Unterbeauftragung im Hinblick auf seine Eignung zur Leistungserbringung gebilligt habe (vgl. Wäger, UR 2022, 197 [203]), liegen nicht vor. Auch die Klägerin hat sich nicht darauf berufen. Nach den in anderen Verfahren (betreffend die Abzugsfähigkeit von Pflegeaufwand) vorgelegten Unterlagen erbringen Pflegekassen Pflegeleistungen auf der Grundlage zuerkannter Pflegegrade und allgemein abgeschlossener Vereinbarungen mit Pflegediensten, ohne dass die tatsächlich handelnden Pflegepersonen benannt werden.

b) Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) MwStSystRL als anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen erbracht zu haben. Denn es fehlt ihr an der insoweit erforderlichen Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter.

aa) Der Klägerin ist einzuräumen, dass die Pflege von pflegebedürftigen Personen – unabhängig davon, ob es sich um die sog. Grundpflege oder um die sog. Behandlungspflege handelt – in der Regel eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen darstellen. Auch eine natürliche Person kann eine Einrichtung i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) MwStSystRL sein (EuGH, Urteile vom 15.11.2012 – C-174/11 – Zimmermann, UR 2013, 35; vom 08.10.2020 – C-657/19 – Finanzamt D, MwStR 2020, 1059; BFH, Urteil vom 24.02.2021 – XI R 30/20 (XI R 11/17), UR 2021, 639, Rn. 34 m.w.N.). Unerheblich ist auch, ob die vertraglichen Beziehungen zu den Personen bestanden, denen die Dienste der Klägerin letztlich zugutekamen (EuGH, Urteil vom 08.10.2020 – C-657/19 – Finanzamt D, MwStR 2020, 1059, Rn. 34 ff.; BFH, Urteil vom 24.02.2021 – XI R 30/20 (XI R 11/17), UR 2021, 639, Rn. 29 ff.).

bb) (1) Die Erbringung der vorgenannten Leistungen ist jedoch nur dann gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) MwStSystRL von der Umsatzsteuer zu befreien, wenn sie durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen erbracht werden. Es kann nicht jede Person, die eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit ausübt, als eine vom Mitgliedstaat anerkannte Einrichtung angesehen werden, weil ansonsten die in Art. 132 MwStSystRL enthaltenen personellen Voraussetzungen der einzelnen Steuerbefreiungen durch die Rechtsprechung beseitigt werden würden (BFH, Urteil vom 24.02.2021 – XI R 30/20 (XI R 11/17), UR 2021, 639, Rn. 35). Insoweit steht den Mitgliedstaaten ein Ermessen zu (EuGH, Urteil vom 08.10.2020 – C-657/19 – Finanzamt D, MwStR 2020, 1059, Rn. 43; BFH, Urteil vom 24.02.2021 – XI R 30/20 (XI R 11/17), UR 2021, 639, Rn. 36, jeweils m.w.N.).

Nur wenn der Mitgliedstaat die Grenzen seines Ermessens bei der Bestimmung der anerkannten Einrichtungen i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) MwStSystRL nicht eingehalten hat, kann sich ein Steuerpflichtiger auch ohne eine solche Anerkennung auf die in dieser Vorschrift vorgesehene Steuerbefreiung berufen (EuGH, Urteile vom 08.10.2020 – C-657/19 – Finanzamt D, MwStR 2020, 1059, Rn. 45; vom 15.04.2021 – C-846/19 – EQ, MwStR 2021, 611, Rn. 71).

Zu den Gesichtspunkten, die der Mitgliedstaat bei seiner ermessensgerechten Bestimmung des Kreises der als Einrichtungen sozialen Charakters anerkannten Einrichtungen berücksichtigen muss, gehören

- das Bestehen spezifischer Vorschriften, bei denen es sich um nationale oder regionale Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit handeln kann,

- das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse,

- die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und

- die Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder durch andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit (EuGH, Urteile vom 08.10.2020 – C-657/19 – Finanzamt D, MwStR 2020, 1059, Rn. 44; BFH, Urteil vom 24.02.2021 – XI R 30/20 (XI R 11/17), UR 2021, 639, Rn. 36).

(2) Dieses Ermessen hat der deutsche Gesetzgeber dahingehend ausgeübt, dass er die Erbringung von Pflegeleistungen nur unter den in § 4 Nrn. 16 und 18 UStG normierten Voraussetzungen und nur für den von dieser Vorschrift erfassten Personenkreis von der Umsatzsteuer befreit hat. Wie unter I. 4. a) bb) ausgeführt, gehört die Klägerin nicht zu diesem Personenkreis.

Ein Ermessensfehler der Gesetzgebungsorgane und Behörden der Bundesrepublik Deutschland, der dahingehend zu korrigieren wäre, dass die Klägerin vom erkennenden Gericht als anerkannte Einrichtung sozialen Charakters zu würdigen wäre, ist nicht zu erkennen.

Allein der Umstand, dass die Klägerin als staatlich geprüfte Altenpflegerin einer Überprüfung durch eine öffentliche Stelle unterlegen hat, führt noch nicht zur erforderlichen Anerkennung. Denn nach der in § 4 Nr. 16 UStG zum Ausdruck gekommenen und vom Gericht zu respektierenden Entscheidung des Gesetzgebers sieht dieser darin allein keinen ausreichenden Gesichtspunkt für eine Anerkennung als Einrichtung sozialen Charakters. Anders als andere Steuerpflichtige, die von der Rechtsprechung über den Anwendungsbereich des § 4 Nrn. 15 ff. UStG hinaus als Einrichtungen sozialen Charakters i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) MwStSystRL anerkannt worden sind (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 24.03.2021 – V R 1/19, Deutsches Steuerrecht –DStR– 2021, 2064), stand die Klägerin nach Aktenlage nicht in Rechtsbeziehungen zu öffentlichen Stellen, und es nichts dafür ersichtlich, dass ihre Einbindung in die Erbringung von Pflegeleistungen durch ausdrückliche, darauf zielende gesetzliche Vorschriften vorgesehen war. Der Umstand, dass die Klägerin jedenfalls teilweise mittelbar für öffentliche Stellen tätig war, gebietet nicht, sie als Einrichtung sozialen Charakters anzuerkennen, weil ihre Auswahl als Leistende durch Privatrechtssubjekte, ihre Auftraggeber, erfolgt ist, auf die der Anerkennungsakt i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) MwStSystRL nicht delegiert werden kann (EuGH, Urteil vom 08.10.2020 – C-657/19 – Finanzamt D, MwStR 2020, 1059, Rn. 50)

Der Gesichtspunkt, dass die Tätigkeit der Klägerin im Gemeinwohlinteresse lag, zwingt nicht dazu, sie als Einrichtung sozialen Charakters anzuerkennen, da andernfalls die von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) MwStSystRL vorgesehene Möglichkeit, den Kreis der umsatzsteuerbefreiten Rechtssubjekte einzuschränken, leerlaufen würde (BFH, Urteil vom 24.02.2021 – XI R 30/20 (XI R 11/17), UR 2021, 639, Rn. 35).

Auch das Neutralitätsprinzip gebietet nicht, die Leistungen der Klägerin von der Umsatzsteuer zu befreien. Dass Steuerpflichtige, die anders als die Klägerin als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt sind, ihre Umsätze steuerbefreit erbringen, beruht auf der von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) MwStSystRL vorgenommenen Vorgabe und dem daraufhin dem nationalen Gesetzgeber eingeräumten Ermessen, welchen Steuerpflichtigen er diese Anerkennung zukommen lässt. Dass der Gesetzgeber dabei den als gemeinnützig anerkannten Steuerpflichtigen in § 4 Nr. 18 UStG eine sehr weitreichende Steuerbefreiung gewährt, steht im Einklang mit Art. 133 Unterabs. 1 Buchst. a) MwStSystRL, wonach eine entsprechende Einschränkung der nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) MwStSystRL gewährten Steuerbefreiung zulässig ist. Zudem handelt es sich nur um einen von mehreren bei der Gesamtwürdigung berücksichtigten Aspekt (ähnlich wohl EuGH, Urteil vom 15.04.2021 – C-846/19 – EQ, MwStR 2021, 611, Rn. 87). Abweichendes ergibt sich nicht aus dem Urteil des BFH vom 24.03.2021 – V R 1/19, DStR 2021, 2064, Rn. 47, in dem der BFH Billigkeitsregelungen im Zusammenhang mit dem Betrieb von Flüchtlingsunterkünften zugunsten der Anerkennung der Klägerin in dem bei ihm anhängigen Verfahren anführt. Denn die dort zitierten Billigkeitsregelungen führten dazu, dass die in § 4 Nr. 18 UStG genannten gemeinnützigen Körperschaften unabhängig von den ansonsten geltenden Vorgaben des § 4 Nr. 18 UStG ihre Leistungen im Zusammenhang mit der Aufnahme von Flüchtlingen steuerfrei erbringen konnten. Dass Steuerpflichtige, die in vertraglichen Beziehungen zu den Trägern der öffentlichen Gesundheits- und Sozialfürsorge stehen, wie es § 4 Nr. 16 UStG 2016 voraussetzt, bei in der Sache gleichartigen Tätigkeit von der Umsatzsteuer befreit sind, verstößt nicht gegen das Neutralitätsprinzip, weil sie aufgrund der Rechtsbeziehungen zu den Trägern der öffentlichen Gesundheits- und Sozialfürsorge weitergehender Dokumentationspflichten und Überwachungsmaßnahmen unterliegen, als dies nach Aktenlage bei der Klägerin der Fall ist. Ferner sieht der EuGH (Urteil vom 08.10.2020 – C-657/19 – Finanzamt D, MwStR 2020, 1059, Rn. 44) den Umstand, dass vertragliche Beziehungen zu öffentlichen Stellen bestehen, als einen für die Anerkennung sprechenden Gesichtspunkt an. Auch den Umstand, dass die vereinbarten Vergütungen unter der Überwachung öffentlicher Stellen festgelegt und jedenfalls teilweise aus öffentlichen Kassen beglichen werden, sieht der EuGH (Urteil vom 15.04.2021 – C-846/19 – EQ, MwStR 2021, 611, Rn. 87) als maßgebliches Differenzierungskriterium an. Die beiden letztgenannten Umstände liegen bei der Klägerin nicht vor. Sie hat im Übrigen auch nicht die Verhältnisse unter denen sie ihrer unternehmerischen Tätigkeit nachging, eingehend dargestellt, nicht einmal – was ihr ohne weiteres zuzumuten war – die mit ihren Auftraggebern geschlossenen Verträge und die an ihre Auftraggeber erteilten Rechnungen vorgelegt.

Da nach den hiesigen Feststellungen keine Umsätze der Klägerin aufgrund der Anerkennung als Einrichtung sozialen Charakters von der Umsatzsteuer befreit sind, kommt nicht in Betracht, dass eine solche Anerkennung auch auf die hier streitigen Umsätze Anwendung findet (vgl. zu einer solchen „Abfärbung“: BFH, Urteil vom 24.03.2021 – V R 1/19, DStR 2021, 2064, Rn. 48).

c) Soweit die Klägerin behauptet, andere Steuerpflichtige, die gleichartige Tätigkeiten wie sie ausübten, würden vom Beklagten und einem anderen Finanzamt nicht zur Umsatzsteuer herangezogen, ergibt sich daraus nichts zugunsten der Klägerin. Die Klägerin hat nicht dargelegt, in welcher Höhe und auf welchen vertraglichen Grundlagen die genannten Personen Umsätze erzielt haben, auch nicht, ob diese gegenüber den für sie zuständigen Finanzbehörden Beweismittel über die Erbringung von Leistungen der Behandlungspflege vorgelegt haben. Aus zwei, drei oder vier Steuerfällen ergibt sich auch kein strukturelles Vollzugsdefizit. Wie die Vielzahl veröffentlichter Gerichtsentscheidungen zur Steuerpflicht von Subunternehmern von nach § 4 Nrn. 15 ff. UStG steuerbefreiten Auftraggebern zeigt, ziehen die Finanzbehörden solche Subunternehmer jedenfalls dem Grunde nach zur Umsatzsteuer heran, wenn sie die dafür erforderliche gesetzliche Grundlage sehen. Ferner kann das Gericht nicht ausschließen, dass die benannten Altenpflegerinnen als Kleinunternehmerinnen i.S. des § 19 UStG nicht der Umsatzsteuer unterlagen, ggf. weil sie hinreichende Belege dafür vorgelegt haben, dass sie in einem erheblichen Umfang Leistungen der sog. Behandlungspflege erbracht haben (siehe dazu I. 4. b)). Schließlich vermittelt Art. 3 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf Gleichheit im Unrecht (BFH, Urteil vom 17.05.2017 – V R 52/15, Bundessteuerblatt –BStBl.– II 2018, 218, Rn. 37; Klein/Rätke, AO, 15. Aufl. 2020, § 85 Rn. 10 m.w.N.).

b) Allerdings hat der Beklagte für Nettoumsätze zum Regelsteuersatz in Höhe von 23.529,03 € zu Unrecht die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG versagt.

aa) Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a) Satz 1 UStG sind Umsätze aus Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden, steuerfrei. Dazu zählen Leistungen der sog. Behandlungspflege, jedoch nicht der sog. Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung, die von staatlich examinierten Altenpfleger(inne)n erbracht werden (BFH, Urteile vom 22.04.2004 – V R 1/98, BStBl. II 2004, 849; vom 18.01.2005 – V R 99/01, BFH/NV 2005, 1392; vom 21.04.2021 – XI R 12/19, UR 2021, 945, Rn. 24). Zur Behandlungspflege gehören z.B. Injektionen, Verbandswechsel, die Dekubitusversorgung, das An- und Ausziehen von Kompressionstrümpfen ab Klasse 2, eine oro/traceale Sekretabsaugung, das Einreiben mit Dermatika, das Verabreichen eines Klistiers bzw eines Einlaufs, die Einmalkatheterisierung, das Wechseln einer Sprechkanüle gegen eine Dauerkanüle bei einem Tracheostomapatienten zur Ermöglichung des Schluckens, Maßnahmen zur Sekretlimitation bei Mukoviszidose oder Erkrankungen vergleichbaren Hilfebedarfs (BFH, Urteil vom 18.01.2005 – V R 99/01, BFH/NV 2005, 1392; Wagner in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Stand: EL 90 Dezember 2015, § 37 SGB V Rn. 23). Auch Tätigkeiten, die mit dem Anlegen, Überwachen und Betreiben von Beatmungsgeräten einhergehen, gehören zur Behandlungspflege.

Unschädlich ist, dass die Leistungsbeziehungen der Klägerin nicht zu den gepflegten Personen bestanden (BFH, Urteil vom 21.04.2021 – XI R 12/19, UR 2021, 945, Rn. 30, 34).

bb) Im Streitfall ist das Gericht überzeugt, dass die Klägerin gegenüber der B… e. Kfr. nach § 4 Nr. 14 UStG Leistungen der Behandlungspflege erbracht hat, jedoch hat die Klägerin keine hinreichenden Belege dafür dargelegt, aus denen das Gericht die Überzeugung gewinnen könnte, dass weitere solche Leistungen erfolgt sind.

(1) Abweichendes ergibt sich nicht aus der von der Klägerin im Verfahren 7 K 7096/18 eingereichten eidesstattliche Versicherung, nach der sie ausschließlich heilberufliche Leistungen wie Stellung und Verabreichung von Medikamenten, subkutane Infusionen, Bedienung einer Morphiumpumpe, Beatmung und Kontrolle der Beatmungsmaschinen, Absaugen und Wechsel von Trachialkanülen, Inhalation, Kolostomapflege, Wundversorgung etc. Sterbebegleitung, Dokumentationserstellung erbringe. Dieser Vortrag erscheint jedenfalls in dieser Ausschließlichkeit nicht glaubwürdig, da die Tätigkeitsbeschreibung in den vorliegenden Vereinbarungen mit Auftraggebern in § 2 durchweg allgemein gehalten ist und in der Tätigkeitsbeschreibung bei Privatpersonen auch ausdrücklich Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung erwähnt. Ferner ist aus den in den Verfahren 7 K 7096/18 und 7 K 7068/21 eingereichten Unterlagen ersichtlich, dass die Klägerin gegenüber einer größeren Zahl von Auftraggebern tätig war, so dass nicht einmal bei summarischer Prüfung für die Jahre 2017 bis 2019 von einer vollständig der Behandlungspflege gewidmeten Tätigkeit ausgegangen werden konnte (vgl. den Senatsbeschluss vom 21.02.2022 – 7 V 7002/22, Seiten 16 bis 19). Soweit die Klägerin vorgetragen hat, sie sei nicht nur für die B… e. Kfr., sondern auch für die Einrichtungen E… und F… tätig geworden, hat sie dies weder nach Zeitraum und Umsatz konkretisiert, noch die von ihr insoweit in zumutbarer Weise erbringbaren Beweismittel (Rechnungen und ggf. Verträge) vorgelegt. Es ist nicht Sache des Gerichts, im Wege des Ausforschungsbeweises bei möglichen Auftraggebern anzufragen, ob und ggf. in welcher Höhe die Klägerin diesen gegenüber im Streitjahr in welcher Weise Umsätze erzielt hat.

(2) Soweit es die B… e. Kfr. betrifft, ergibt sich jedoch aus der Auskunft des Herrn D…, dass die Klägerin im Rahmen der von der B… e. Kfr. erteilten Aufträge Leistungen der Behandlungspflege erbracht hat. Aus den Angaben ergibt sich, dass die B… e. Kfr. im Wesentlichen intensivmedizinische Pflegeleistungen erbrachte, die als Leistungen der Behandlungspflege und damit als arztähnliche Leistungen i.S. des § 4 Nr. 14 UStG zu würdigen sind (vgl. BFH, Urteil vom 21.04.2021 – XI R 12/19, UR 2021, 945). Zwar bezog sich die Beweiserhebung formal auf die Jahre 2017 und 2018, jedoch spricht nichts dafür, dass die Verhältnisse im Streitjahr anders waren. Die Auskunft gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass es sich um besondere Verhältnisse der Jahre 2017 und 2018 handelte. Ferner erscheinen die Angaben glaubhaft. Es erscheint fernliegend, dass Einrichtungen, die sich nach dem nach außen dargestellten Profil schwerpunktmäßig oder sogar ausschließlich der Pflege schwerstpflegebedürftiger Patienten widmen, rein tatsächlich eine gänzlich andere Ausrichtung verfolgen, weil sie zur Deckung der Fixkosten der zur Durchführung von intensivpflegerischen Maßnahmen erforderlichen Geräte usw. auf die Vergütung entsprechend hoher Pflegesätze angewiesen sind. Dem entsprechend wäre es fernliegend, wenn die von einer solchen Einrichtung beauftragte Klägerin nicht im Wesentlichen mit intensivpflegerischen Tätigkeiten befasst worden wäre. Der Beklagte hat zudem auch auf die Verfügung vom 06.07.2022 keine substantiierten Einwendungen gegen die Würdigung der gegenüber der B… e. Kfr. erbrachten Umsätze als nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei erhoben.

Die neben der Behandlungspflege ausgeübten Grundpflegetätigkeiten treten angesichts ihrer nach der Auskunft des Herrn D… wirtschaftlich und tatsächlich untergeordneten Bedeutung hinter die Behandlungspflegeleistung als bloße Nebenleistung zurück. Davon geht erkennbar auch der BFH aus, der bei einem in einem Krankenhaus als Subunternehmer tätigen Intensivkrankenpfleger keinen Anlass gesehen hat, der Vorinstanz die Prüfung aufzugeben, ob mit der Tätigkeit des Intensivkrankenpflegers auch Leistungen der Grundpflege einhergingen (BFH, Urteil vom 21.04.2021 – XI R 12/19, UR 2021, 945).

c) Nach Abzug der o.g. Nettoumsätze in Höhe von 23.529,03 € von den bisher der Besteuerung zugrunde gelegten Nettoumsätzen in Höhe von 46.300,00 € verbleiben steuerpflichte Umsätze zum Regelsteuersatz in Höhe von 22.770,97 €, denen die festgesetzte Umsatzsteuer in Höhe von 4.326,48 € entspricht. Vorsteuer war aus den vom Beklagten angeführten Gründen nicht anzusetzen, wogegen die Klägerin keine Einwände erhoben hat.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung –ZPO– analog.