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Entscheidung 12 U 203/21


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 12. Zivilsenat Entscheidungsdatum 18.08.2022
Aktenzeichen 12 U 203/21 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0818.12U203.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 05.11.2021 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Neuruppin, Aktenzeichen 5 O 291/20, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagten sind des von ihnen eingelegten Rechtsmittels der Berufung verlustig, nachdem sie ihre Berufung zurückgenommen haben.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 40 % und die Beklagten zu 60 %.

4. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Neuruppin ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vorstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 100.000 € festgesetzt.

Gründe

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 05.11.2021, Aktenzeichen 5 O 291/20, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Wegen des Sach- und Streitstandes und zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats im Beschluss vom 12.07.2022 Bezug genommen. Die Stellungnahme der Klägerin im Schriftsatz vom 16.08.2022 gibt auch nach erneuter Beratung keinen Anlass für eine andere Entscheidung.

1.
Soweit die Klägerin sich darauf beruft, die Beklagten hätten Beweis durch Vernehmung von Zeugen angetreten und nicht durch Verwertung von Urkunden, das Vorgehen des Landgerichts widerspräche deshalb der Parteiherrschaft, erscheint bereits zweifelhaft, ob sie sich auf diese Betrachtung überhaupt berufen kann. Denn sie ist insoweit nicht Beweisführerin. Im Übrigen geht sie auf den Hinweis des Senates, sie habe mit der Berufung nicht vorgetragen, dass sie einem etwaigen Hinweis auf Verwertung der Aussagen als Urkundsbeweis ausdrücklich widersprochen hätte, nicht ein. Ferner liegt - worauf der Senat ausdrücklich abgestellt hat - keine den Zeugenbeweis ersetzende Beweisführung vor, sondern eine Verwertung der Angaben der Zeugen im Rahmen einer Urkunde. Dabei können - dies ist ebenfalls bereits ausgeführt - nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch Privaturkunden im Rahmen der freien Beweiswürdigung berücksichtigt werden. Ein Gebot der Heranziehung des sachnächsten Beweismittels folgt aus § 355 ZPO jedenfalls nicht.

2.
Hierauf, ebenso wie auf die weiteren Ausführungen zur Zulässigkeit der Verwertung der Urkunden kommt es jedoch nach den Hinweisen des Senates nicht an. Denn bereits nach dem unstreitigen Sachverhalt steht das Mitverschulden der Klägerin fest. Dabei kann die Darstellung ihres Verhaltens nicht auf die jeweilige Fahrbahnhälfte beschränkt werden. So hatten die Beklagten - letztlich in Übereinstimmung mit der Unfallhergangsbeschreibung der als Zeugen benannten (X) und (Y) - ausgeführt:

„Da die Fahrzeuge aus Richtung P… hinter dem Bus angehalten hatten, wäre es für die Klägerin, wenn sie schon nicht abwarten mochte, bis die Straße komplett frei von Fahrzeugen ist, problemlos möglich gewesen, zunächst einmal bis zur Mitte der Fahrbahn zu laufen und dann an dem Heck des Omnibusses vorbei in Richtung W… zu schauen. Ihr wäre sodann der herannahende Sattelzug ... nicht verborgen geblieben. Wäre sie in der Situation stehen geblieben, wäre nichts passiert. Sie wäre nicht in die Gegenfahrbahn gelaufen und der Beklagte zu 1) hätte Zeit gehabt, auf die zu reagieren und abzubremsen... Nach der Zeugenaussage der Zeugen (X) und (Y) schaute sie während des Überquerens der ersten Fahrbahnhälfte zusätzlich auch noch auf ihr Mobiltelefon und schaute weder links noch rechts, war also offenbar überhaupt nicht auf den Straßenverkehr konzentriert. Auf das warnende Hupen des Zeugen (Y) reagierte sie sodann, indem sie ihre Schritte weiter beschleunigte, anstatt zurückzutreten...“

Weder der Vortrag der Beklagten als auch die zitierten Darstellungen der Zeugen vom Unfallhergang beschränken mithin das unkonzentrierte Verhalten der Klägerin auf den Zeitpunkt des Betretens der Fahrbahn als solche oder auch auf die erste Fahrbahnhälfte. Vielmehr liegt hier ein einheitlicher Ablauf auch im Übergang von der rechten auf die linke Fahrbahnhälfte vor, der letztlich zum Unfall beigetragen hat. Es bleibt danach auch ohne Zweifel, dass sich die Beklagten die entsprechenden Aussagen der Zeugen (X) und (Y) zu eigen gemacht haben, insbesondere, nachdem sie auch die gerichtliche Inaugenscheinnahme der Ermittlungsakte als Beweismittel benannt und die Aussagen als Anlage zum Schriftsatz beigefügt haben.

Für die Annahme, eine Partei könnte den Vortrag allein auf die rechte Fahrbahnhälfte beziehen, gab es weder einen Anhalt, noch war dem Vortrag der Klägerin zu entnehmen, dass sie den Sachvortrag nicht umfassend zur Kenntnis genommen und gewürdigt hätte. Es bedurfte daher auch keines entsprechenden Hinweises des Landgerichts.

Der nunmehr abweichende Vortrag der Klägerin ebenso wie der in der Stellungnahme erstmals erfolgte Beweisantritt durch Vernehmung der Zeugen (X) und (Y) ist nach § 531 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen. Die Klägerin trägt keine belastbaren Umstände vor, die ihren erstmals im Schriftsatz vom 16.08.2022 erfolgten verspäteten Beweisantritt entschuldigen könnte.

3.
Schließlich verbleibt es bei der Haftungsverteilung im Rahmen der gebotenen Abwägung der Verursachungsanteile. Zwar trifft es zu, dass bei der Bestimmung der von Schädiger und Geschädigten zu tragenden Haftungsquoten in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des § 254 Abs. 1 BGB in erster Linie auf die Verursachungsbeiträge abzustellen ist. Dabei bleiben aber in einem weiteren Schritt das Maß des beiderseitigen Verschuldens und andere relevante Umstände nicht unberücksichtigt (Rüßmann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 254 BGB (Stand: 01.02.2020), Rn. 33; BGH, Urteil vom 13. Mai 1997 – XI ZR 84/96 –, Rn. 23; Urteil vom 14. Oktober 1971 – VII ZR 313/69 –, BGHZ 57, 137-153, Rn. 45 juris). Mithin sind zwanglos auch subjektive Umstände des Tatgeschehens in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Dabei ist der Senat - wie bereits ausgeführt wurde - auch davon ausgegangen, dass ein Kraftfahrer die Verkehrsvorschriften grundsätzlich zu kennen hat und den Beklagten zu 1 ein erheblicher Verschuldensvorwurf trifft. Dabei kann allerdings der Zusammenhang mit der erheblichen objektiven Geschwindigkeitsüberschreitung nicht ausgeblendet werden. Aus Sicht des Senates liegt hier im Rahmen der Gesamtbetrachtung gerade kein Fall vor, der eine jedes Mitverschulden der Klägerin, die ebenfalls die Verkehrsvorschriften kennen musste, überwiegende Haftung der Beklagten begründen könnte. Wenn die Klägerin ausführt, bereits wenige Stundenkilometer weniger hätten den Unfall vermeiden können, hat der Senat diese Umstände ebenfalls - so auch in der Kausalitätsbetrachtung - berücksichtigt. Im Übrigen wäre der Unfall ebenso vermeidbar gewesen, wenn die Klägerin die Gebote des § 25 Abs. 3 StVO beachtet hätte.

4.
Der Senat teilt die Auffassung der Klägerin nicht, dass hier von der obergerichtlichen Rechtsprechung abgewichen wird. Im Übrigen handelt es sich bei der Bewertung des Mitverschuldens um eine Frage des Einzelfalls. Eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO ist mithin zulässig. Für die Zulassung der Revision ist in einem solchen Fall kein Raum.

5.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO. Die Beklagten haben ihre Berufung zurückgenommen.

Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.