Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 26.07.2022 | |
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Aktenzeichen | OVG 2 B 2/20 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2022:0726.OVG2B2.20.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 53 Abs 1 AufenthG, § 53 Abs 2 AufenthG, § 54 Abs 1 Nr 1 AufenthG, § 55 Abs 1 Nr 2 AufenthG, § 55 Abs 2 Nr 2 AufenthG, § 60 AufenthG, § 81 Abs 4 S 1 AufenthG, Art 8 MRK |
Auch in einem Fall, in dem ein Ausländer, ohne das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einzuschalten, Umstände vorträgt, die ein Abschiebungsverbot insbesondere im Sinne von § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG zur Folge haben könnten und in dem die Ausländerbehörde über das Vorliegen eines solchen Abschiebungsverbotes unter Beteiligung des Bundesamts entscheiden muss (vgl. § 72 Abs. 2 AufenthG), können Gefahren im Herkunftsstaat, die - sollten sie zutreffen - die Schwelle zu einem solchen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot überschreiten würden, bei der Ausweisung im Rahmen der Interessenabwägung nicht berücksichtigt werden.
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Insoweit wird das Urteil des Verwaltungsgerichts für wirkungslos erklärt.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen der Kläger 2/3 und der Beklagte 1/3.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Kläger und Beklagter dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweils andere Teil vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und begehrt die Verlängerung einer ihm zuvor erteilten Aufenthaltserlaubnis.
Der Kläger wurde am 9... in Berlin geboren, ist ledig, kinderlos und besitzt die Staatsangehörigkeit Sri Lankas. Er spricht nach eigenen Angaben Tamilisch und besitzt den Realschulabschluss. Eine begonnene Ausbildung im Bereich Kfz-Mechatronik brach er ab. Im Anschluss hieran war er für ein Jahr bei einem Schnellrestaurant beschäftigt. Danach absolvierte er ein mehrere Monate andauerndes Praktikum bei einer Kfz-Firma, die ihn anstellte und deren Betrieb er schließlich als Inhaber weiterführte. Er leidet an der Hauterkrankung Urtikaria (Nesselsucht), die ärztlich und medikamentös behandelt wird.
Aufenthaltsrechtlich war er zunächst im Besitz einer Duldung. Am 9. April 2001 erhielt er eine Aufenthaltsbefugnis. Ab dem 2. September 2003 wurden ihm fortlaufend befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt. Zuletzt erhielt er vom Beklagten eine bis zum 14. Juli 2016 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, deren Verlängerung er am 7. Juli 2016 beantragte.
Der Kläger ist mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Mit Urteil vom 30. Januar 2014, rechtskräftig seit dem 7. Februar 2014, erteilte ihm das Amtsgericht Tiergarten wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit Nötigung eine richterliche Weisung und ordnete eine Sperre für die Fahrerlaubnis bis zum 29. Juni 2014 an. Er hatte am 6. Oktober 2013 ein von ihm geführtes Kraftfahrzeug abrupt abgebremst und es bewusst unmittelbar vor ein anderes Kraftfahrzeug gelenkt, so dass der Fahrer des anderen Kraftfahrzeuges eine Kollision nur durch eine Gefahrenbremsung hatte verhindern können. Am 17. Februar 2015, rechtskräftig seit dem 18. Juni 2015, verurteilte ihn das Amtsgericht Tiergarten wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 30,00 Euro. Am 17. April 2018, rechtskräftig seit dem 16. Mai 2018, verurteilte ihn das Landgericht Duisburg wegen vorsätzlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen und mit vorsätzlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten. Nach den Feststellungen des Landgerichts Duisburg hatten er, sein Bruder und zwei Cousins beschlossen, am 29. Mai 2016 in einem Parkhaus den Partner einer Cousine zu treffen, da dieser der Cousine gegenüber gewalttätig geworden war. Nachdem zunächst ein Mittäter auf den Partner der Cousine eingeschlagen hatte, hatten sich der Kläger, weitere Mittäter sowie ein Bekannter des Opfers an der Auseinandersetzung beteiligt. Beim Verlassen des Tatortes hatte der Kläger sodann das Fahrzeug des Opfers genutzt, um aus dem Parkhaus auszufahren. Hierbei war er auf zwei Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes sowie auf zwei in dem Parkhaus tätige Techniker, die das Geschehen bemerkt und versucht hatten, ihm den Fluchtweg zu versperren, zugefahren und hatte sie mit dem Kraftfahrzeug erfasst, obgleich er im letzten Moment noch versucht hatte, eine Kollision zu vermeiden. Die Opfer hatten leichte bis schwere Verletzungen erlitten, die unterschiedlich intensiv und teilweise längerfristig stationär behandelt werden mussten. Wegen dieser Tat war der Kläger vom 29. Juli 2016 bis zum 16. Mai 2018 in Untersuchungshaft und sodann im offenen Vollzug der Strafhaft untergebracht. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin setzte die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe des Klägers mit Beschluss vom 29. Juli 2019 ab dem 1. September 2019 zur Bewährung aus.
Während des offenen Vollzuges arbeitete der Kläger zunächst in einem Handy-Reparatur-Shop. Anschließend war er im Werksdienst beschäftigt und bestritt seinen Lebensunterhalt eigenen Angaben zufolge durch eine Tätigkeit als Bauhelfer und als Bürogehilfe, z.T. im Rahmen eines sog. Minijobs. Seit Januar 2022 arbeitet er in Vollzeit als Bürokraft.
Noch vor der Strafaussetzung zur Bewährung durch das Landgericht Berlin, mit Bescheid des Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 17. Oktober 2018, wies der Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1), lehnte seinen Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels ab (Ziffer 2), drohte ihm die Abschiebung nach Sri Lanka an (Ziffer 3) und befristete die Sperrwirkung des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Ausweisung auf fünf Jahre (Ziffer 4). Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass durch das Verhalten des Klägers die Gefahr erneuter Straftaten bestehe und das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers dessen privates Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiege. Auch zur Abschreckung anderer Ausländer sei die Ausweisung notwendig. Die bestehende persönliche Bindung des Klägers zur Bundesrepublik Deutschland könne insbesondere mit Blick auf seine Straffälligkeit und die an den Tag gelegte kriminelle Energie keine derart feste Integration belegen, dass bei ihm von einem „faktischen Inländer" gesprochen werden könne.
Den Widerspruch des Klägers gegen die Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung in Ziffer 4 des Bescheides wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 2018 zurück.
Auf die am 15. November 2018 gegen die Ziffern 1, 2 und 3 des Bescheides vom 17. Oktober 2018 erhobene Klage, die der Kläger mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2018 mit Einverständnis des Beklagten auf Ziffer 4 des fraglichen Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2018 erstreckt hat, hat das Verwaltungsgericht den Beklagten mit Urteil vom 30. August 2019 unter Aufhebung von Ziffer 4 des Bescheides vom 17. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2018 verpflichtet, über die Sperrwirkungen der Ausweisung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Ausweisung sei rechtmäßig. Es bestehe ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, dem kein gleichgewichtiges Bleibeinteresse gegenüberstehe. Der Aufenthalt des Klägers gefährde auch weiterhin zwar nicht aus spezialpräventiven, wohl aber aus generalpräventiven Gründen die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Die Straftat, die Anlass zu der Ausweisungsentscheidung gegeben habe, bringe eine besondere Missachtung der Rechtsordnung, der staatlichen Institutionen und des Gewaltmonopols des Staates zum Ausdruck. Der Kläger habe sich bewusst mit weiteren Familienangehörigen zusammengetan, um eine ggf. strafrechtlich relevante Angelegenheit innerhalb des Familiengefüges zu „klären". Es stelle ein grundlegendes Interesse der Bundesrepublik Deutschland dar, Fälle der Selbstjustiz und der Akzeptanz von außerstaatlichen Strafmechanismen durch Ausländer zu unterbinden und zu verhindern. Dies gelte insbesondere, wenn davon ausgegangen werden könne, dass ein derartiges Vorgehen ohne die Einbindung staatlicher Institutionen in der Herkunftsgesellschaft des Ausländers akzeptiert sei und praktiziert werde. Bei Straftaten, die mit einer solchen Motivation begangen würden, bestehe in höchstem Maße ein Anlass für den Staat, andere Ausländer durch eine Ausweisungsentscheidung hiervon abzuhalten. Das - danach anzunehmende - generalpräventive Ausweisungsinteresse sei auch noch aktuell und bestehe fort. Nach einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers. Angesichts dessen habe dieser keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Rechtliche Bedenken gegen die Abschiebungsandrohung bestünden nicht.
Mit Beschluss vom 19. Februar 2020 hat der Senat auf Antrag des Klägers die Berufung gegen dieses Urteil zugelassen.
Zur Begründung der Berufung führt der Kläger aus, die Ausweisung sei unverhältnismäßig und verletze ihn in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Das Verwaltungsgericht habe die für die Abwägung wesentlichen Umstände nicht ausreichend ermittelt und das Gewicht der in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellenden Belange nicht ausreichend zu seinen Gunsten berücksichtigt und teilweise auch verkannt. Insbesondere sei nicht ausreichend beachtet worden, dass er in Berlin geboren und aufgewachsen sei und seine gesamte Sozialisation hier erfahren habe. Er sei hier zur Schule gegangen und durch die hiesigen Lebensverhältnisse geprägt worden. Außerdem habe sich das Verwaltungsgericht mit der Strafsache nicht ausreichend auseinandergesetzt und die Strafakte nicht beigezogen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei ihm keine Selbstjustiz anzulasten. Er sei vielmehr verurteilt worden, weil er beim Fluchtversuch mehrere Zeugen, die versucht hatten, ihn aufzuhalten, verletzt habe. Im Urteil des Landgerichts Duisburg sei festgehalten, dass er sich hierbei in einer Situation der vollständigen Überforderung befunden habe und das ganze Geschehen völlig außer Kontrolle geraten sei. Er habe sowohl damals als auch während des Strafvollzugs tiefe Reue gezeigt und versucht, den Schaden wiedergutzumachen. Im Übrigen sei die Annahme des Verwaltungsgerichts, Selbstjustiz sei „in der Herkunftsgesellschaft … akzeptiert ... und praktiziert", unzutreffend. Im Land seiner Staatsangehörigkeit gehöre er nicht der Mehrheitsgesellschaft, sondern einer Minderheit an. Wegen seiner Erkrankung sei er im Fall seiner Ausreise in seiner Erwerbsfähigkeit eingeschränkt.Seine Familie verfüge nur über geringe Einkünfte und könne ihn in Sri Lanka nicht unterstützen. Sri Lanka befinde sich aktuell in einer Wirtschaftskrise mit Engpässen bei der Versorgung u.a. mit Medikamenten und Grundnahrungsmitteln.
Mit Bescheid vom 8. Oktober 2019 hat der Beklagte ein neues Einreise- und Aufenthaltsverbot ausgesprochen und auf vier Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland befristet. Über die hiergegen erhobene Klage ist noch nicht entschieden worden.
Mit Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 19. Juli 2021 ist der Kläger wegen eines am 8. Juli 2020 begangenen verbotenen Kraftfahrzeugrennens zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen verurteilt worden. Das Amtsgericht Tiergarten hat dem Kläger die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen und eine Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis von vier Monaten festgesetzt. Auf die Berufung des Klägers hat das Landgericht Berlin dieses Urteil mit Urteil vom 4. Mai 2022, rechtskräftig seit dem 12. Mai 2022, dahin geändert, dass die Anzahl der Tagessätze auf 120 und die Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis auf drei Monate herabgesetzt wurde. Der Kläger hat eine Bescheinigung vom 27. April 2022 über die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Einzelintervention im Umfang von zwölf Stunden eingereicht.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Beklagte Ziffer 3 des Bescheides vom 17. Oktober 2018 aufgehoben. Daraufhin haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 30. August 2019 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung der Ziffern 1 und 2 des Bescheides des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 17. Oktober 2018 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er macht geltend, das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass das öffentliche Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers allein aus generalpräventiven Gründen überwiege. Im Übrigen sei die Ausweisung im Hinblick auf die jüngste strafgerichtliche Verurteilung des Klägers auch aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge, die Akte 1... sowie das dazu gehörende Vollstreckungsheft der Staatsanwaltschaft Duisburg, das Gefangenenbuch der JVA O... zur Buchnummer 5..., die Akte 2... der Staatsanwaltschaft Berlin, die Akte (... - Bewährungsheft - des Landgerichts Berlin sowie die Akte 2... des Amtsgerichts Tiergarten Bezug genommen, die vorgelegen haben und - soweit erheblich - Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
1. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in Bezug auf die Abschiebungsandrohung in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren einzustellen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist hinsichtlich der Teilerledigung wirkungslos (vgl. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 ZPO).
2. Im Übrigen ist die zulässige Berufung des Klägers unbegründet.
a. Die Ausweisung in dem Bescheid des Beklagten vom 17. Oktober 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
aa. Rechtsgrundlage für die Ausweisung des Klägers, zu dessen Gunsten kein besonderer Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3, 3a, 3b oder 4 AufenthG eingreift, ist § 53 Abs. 1 AufenthG. Dabei findet das Aufenthaltsgesetz in der aktuell gültigen Fassung Anwendung, die dieses Gesetz durch Art. 4a des Gesetzes vom 23. Mai 2022 (BGBl. I S. 760) erhalten hat. Denn maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2017 - 1 C 28/16 - juris Rn. 16).
bb. Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 AufenthG liegen vor. Nach dieser Bestimmung wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Das ist vorliegend der Fall.
(1) Der Aufenthalt des Klägers gefährdet zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG die öffentliche Sicherheit und Ordnung.
(a) Es liegt ein besonders schwerwiegendes öffentliches Interesse an der Ausweisung des Klägers vor. Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG u.a. dann besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Das trifft auf den Kläger zu. Dieser ist nämlich mit Urteil des Landgerichts Duisburg vom 17. April 2018 wegen vorsätzlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen und mit vorsätzlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt worden.
(b) Auch bei Verwirklichung eines Tatbestands nach § 54 AufenthG bedarf es stets der Feststellung, dass die vom Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 3/16 - juris Rn. 26). Das ist vorliegend zwar nicht aus generalpräventiven, aber aus spezialpräventiven Gründen der Fall.
(aa) Zwar ist mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, dass die Annahme einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch allein auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden kann. Denn von dem weiteren Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann auch dann eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn zwar bei ihm selbst keine (Wiederholungs-) Gefahr mehr anzunehmen ist, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2019 - 1 C 21/18 - juris Rn. 17).
Ein generalpräventives Ausweisungsinteresse ist jedoch entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht gegeben. Das Verwaltungsgericht berücksichtigt nicht hinreichend, dass das Maß der durch eine Ausweisung zu erreichenden Verhaltenssteuerung bei den einzelnen Straftaten unterschiedlich ist und eine generalpräventive Ausweisung nur dann in Betracht kommt, wenn bei der jeweils in Rede stehenden Straftat nach der Lebenserfahrung damit zu rechnen ist, dass sich andere Ausländer von einer Ausweisung beeindrucken lassen. Daran fehlt es regelmäßig etwa bei Anlasstaten, denen keine übergreifende Bedeutung beizumessen ist, namentlich bei Hang- oder Leidenschaftstaten, denen kein rational gesteuertes Verhalten zugrunde liegt (vgl. Fleuß in: BeckOK AuslR, Stand: April 2022, Rn. 32 zu § 53 AufenthG). Entscheidend ist, ob der Sachverhalt derart singuläre Züge in der Person des Klägers, seiner Lebenssituation, den Umständen der Tatbegehung oder der Ausweisungsanordnung selbst aufweist, dass die beabsichtigte Abschreckungswirkung nicht eintritt (vgl. VGH München, Beschluss vom 5. Oktober 2021 - 10 ZB 21.1725 - juris Rn. 12; BVerwG, a.a.O., Rn. 23).
Danach ist die Ausweisung des Klägers nicht geeignet, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Verstöße gegen die Rechtsordnung abzuhalten. Wie bei „elementar-eruptive(n) Gewalttat(en)“ allgemein (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1980 - 1 C 90.76 - BVerwGE 60, 75 <78>) fehlt der Anlasstat aufgrund der besonderen Umstände der Tatbegehung die Eignung, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Verstöße gegen die Rechtsordnung abzuhalten. Zwar ist der Kläger wiederholt mit einem Fehlverhalten im Straßenverkehr strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die Höhe der gegen ihn im Rahmen der Anlasstat verhängten Freiheitsstrafe erklärt sich jedoch vorrangig aus den vom Kläger zu verantwortenden Tatfolgen. Diesen allerdings liegt in erster Linie ein Augenblicksversagen des Klägers in einer psychischen Ausnahmesituation zugrunde. „Hektik und ein Gefühl der Überforderung“ empfindend hat er vor dem Hintergrund eines durch Dritte beobachteten Vortatgeschehens sein Interesse, sich seiner Verantwortung durch Flucht zu entziehen, über das Interesse der Tatopfer an deren körperlicher Unversehrtheit gestellt. Er hat das von ihm geführte Fahrzeug nicht rechtzeitig abgebremst, sondern seine Flucht fortgesetzt und dabei mehrere Personen z.T. erheblich verletzt. Eine solche konkret an ein Augenblicksversagen anknüpfende und auf einer Situation der Überforderung beruhende Verurteilung vermag eine hinreichende Abschreckungswirkung zugunsten anderer Ausländer nicht zu bewirken.
Ein generalpräventives Ausweisungsinteresse liegt auch nicht deshalb vor, weil die Straftat, die Anlass zu der Ausweisungsentscheidung gegeben hat, wie das Verwaltungsgericht meint, eine „besondere Missachtung der Rechtsordnung, der staatlichen Institutionen und des Gewaltmonopols des Staats zum Ausdruck“ gebracht hätte. Denn der Kläger ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht wegen eines „Aktes der Selbstjustiz“ verurteilt worden. Als „Akt der Selbstjustiz“ könnte allenfalls das vom Strafgericht gerade nicht abgeurteilte Vortatgeschehen, die Schläge gegen den ehemaligen Partner der Cousine des Klägers, bezeichnet werden. „Tatgeschehen“ des Urteils des Landgerichts Duisburg war jedoch ausschließlich die Flucht des Klägers vom Ort der vorangegangenen körperlichen Auseinandersetzung.
(bb) Die Ausweisung des Klägers ist jedoch aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger erneut Verkehrsstraftaten begehen wird.
Für die dem Gericht in Fällen spezialpräventiver Ausweisungen obliegende Beurteilung, ob nach dem Verhalten des Ausländers damit zu rechnen ist, dass er erneut die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, bedarf es einer Prognose, bei der der Grad der Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen und Art und Ausmaß möglicher Schäden zu ermitteln und zu einander in Bezug zu setzen sind. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Bei der insoweit zu treffenden Prognose ist nicht allein auf das Strafurteil und die diesem zugrunde liegende Straftat abzustellen. Einzubeziehen sind vielmehr die Gesamtpersönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Gerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13/11 - juris Rn. 12 und 18; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Juli 2017 - OVG 11 B 12.16 - juris Rn. 35).
Danach ist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eine vom Kläger ausgehende hohe Wiederholungsgefahr in Bezug auf Verkehrsstraftaten gegeben. Denn der Kläger ist mehrfach mit solchen Straftaten - jeweils unter Verwendung eines Kraftfahrzeuges - in Erscheinung getreten. Bereits vor der Tat, die den Anlass für die Ausweisungsentscheidung gegeben hat, hatte er am 6. Oktober 2013 in Gestalt einer vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit Nötigung ein Verkehrsdelikt begangen, das erkennen ließ, dass er zu aggressivem Verhalten im Straßenverkehr neigt. Knapp drei Jahre später, am 29. Mai 2016, kam es dann zu der Anlasstat. Hierbei hat der Kläger ein Kraftfahrzeug bewusst als Mittel zum Eingriff in den Straßenverkehr genutzt und mehreren Personen z.T. erhebliche Schäden zugefügt. Dem Fehlverhalten des Klägers lag in beiden Fällen jeweils eine fehlerhafte Einstellung zu den Gefahren des motorisierten Straßenverkehrs sowie eine Überschätzung der eigenen fahrerischen Fähigkeiten zugrunde. Insoweit ist es unerheblich, dass der Kläger vor der Tat, die Anlass zu der Ausweisung gegeben hat, nicht wegen Körperverletzungsdelikten strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Entscheidend ist, dass die von dem Kläger vor der Anlasstat begangene vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit Nötigung bereits erkennen ließ, dass der Kläger, wenn er sich provoziert oder unter Druck gesetzt fühlt, der körperlichen Unversehrtheit Dritter zumindest gleichgültig gegenübersteht. Dabei besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass es zu weiteren Schäden kommen wird. Denn die vom Kläger begangenen Verkehrsstraftaten bergen die Gefahr erheblicher Schäden für Leib und Leben Dritter und damit gerade für besonders wichtige Rechtsgüter.
Davon, dass der Kläger diese Verhaltensweisen überwunden hätte, kann nicht ausgegangen werden. Insbesondere ist nicht festzustellen, dass eine Zäsur im Leben des Klägers eingetreten wäre, welche die hinreichend sichere Gewissheit bieten würde, er habe sein vergangenes hohes Aggressionspotenzial überwunden und werde in Zukunft keine weiteren Straftaten der in Rede stehenden Art mehr begehen. Soweit im Rahmen der Strafvollstreckung positive Ansätze zu erkennen waren und dem Kläger, etwa in der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt des O... vom 14. März 2019, in dem kriminalprognostischen psychologischen Kurzgutachten vom 17. Juni 2019 sowie bei der Aussetzung des Strafrests zur Bewährung, eine positive Legalprognose gestellt wurde, ist dieser positiven Entwicklung durch die am 8. Juli 2020 begangene erneute Verkehrsstraftat die Grundlage entzogen worden. Diese Tat, die den zuvor begangenen Verkehrsstraftaten insoweit ähnelt, als der Kläger erneut im Straßenverkehr seine Interessen über die Interessen Dritter gestellt und hierdurch zumindest abstrakte Gefahren für Leib und Leben anderer begründet hat (vgl. zu § 315d StGB als abstraktem Gefährdungsdelikt Hecker in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, Rn. 1 zu § 315d), rechtfertigt die Annahme, dass der Kläger auch in Zukunft weitere ähnliche Straftaten im Bundesgebiet begehen wird. Dabei fällt insbesondere ins Gewicht, dass der Kläger sein erneutes Fehlverhalten an den Tag gelegt hat, obwohl er wegen der Tat, die der Ausweisungsentscheidung zugrunde liegt, noch unter Bewährung stand. Außerdem konnte den Kläger selbst der Umstand, dass das vorliegende ausländerrechtliche Verfahren noch anhängig war und er angesichts dessen damit rechnen musste, bei weiteren strafrechtlichen Verfehlungen sein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland zu verlieren, nicht von der Begehung der neuen Verkehrsstraftat abhalten.
Dabei rechtfertigt der vom Kläger eingereichte aktuelle Bericht seiner Bewährungshelferin keine andere Entscheidung. Hierfür ist die Zeitspanne, die seit der letzten Tat vom 8. Juli 2020 bis zum Berichtszeitpunkt verstrichen ist, zu kurz. Darüber hinaus befasst sich der Bericht in erster Linie mit dem Verhalten des Klägers gegenüber der Bewährungshelferin sowie mit seinen Aktivitäten in Beruf und Freizeit. Neue Umstände, die der Annahme erneuter Straffälligkeit in der Zukunft maßgeblich entgegenstehen könnten, nennt er nicht.
Unerheblich für die Prognose ist ferner, dass dem Kläger die Fahrerlaubnis derzeit entzogen und er bisher stets beim Führen eines Kraftfahrzeuges straffällig geworden ist. Denn zum einen ist es dem Kläger in der Vergangenheit gelungen, die Fahrerlaubnis zurückzuerhalten und es ist nichts dafür ersichtlich, dass ihm dies nicht erneut gelingen könnte. Zum anderen kann auch nicht verlässlich ausgeschlossen werden, dass er ohne Fahrerlaubnis am motorisierten Straßenverkehr teilnehmen könnte.
Dass die danach anzunehmende erhebliche Gefahr weiterer Straftaten gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs und die hiermit einhergehende Gefahr einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit unbeteiligter Dritter durch den Kläger zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gleichwohl ausgeräumt wäre, ergibt sich auch nicht aus der von ihm eingereichten Bescheinigung über die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Einzelintervention im Umfang von zwölf Stunden. Diese Maßnahme reicht vor dem Hintergrund des jahrelangen wiederholten massiven Fehlverhaltens des Klägers im Straßenverkehr schon von ihrem Umfang her nicht aus, um nunmehr von einer nachhaltigen Verhaltensveränderung beim Kläger ausgehen zu können.
Der Umstand, dass die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung bisher nicht widerrufen worden ist, steht der Annahme einer Wiederholungsgefahr in diesem Zusammenhang nicht entgegen. Denn im Fall des Klägers ist die Frage eines Bewährungswiderrufs ausweislich der beigezogenen Akte von der zuständigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin noch gar nicht geprüft worden. Eine Indizwirkung, die einer solchen Entscheidung des Strafgerichts ggf. zukommen würde (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2021 - 2 BvR 860/21 - juris Rn. 19 m.w.N.), muss der Senat insoweit bei seiner Prognoseentscheidung nicht berücksichtigen. Unabhängig hiervon ist jedoch festzustellen, dass aufenthaltsrechtlich besonders ins Gewicht fällt, dass der Kläger seine jüngste Straftat begangen hat, während das vorliegende Verfahren in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der gegen ihn ergangenen Ausweisung noch schwebte. Einer Person, die selbst in einer solchen aufenthaltsrechtlich prekären Situation nicht straffrei bleibt, ist jedenfalls in dieser Hinsicht keine positive Prognose zu stellen.
Vor diesem Hintergrund bieten auch die vergleichsweise stabilen familiären Verhältnisse des Klägers nicht die Gewähr dafür, dass er in Zukunft straffrei leben wird, zumal diese Verhältnisse bereits zum Zeitpunkt der Begehung der Anlasstat gegeben waren und ihn nicht von seinem kriminellen Fehlverhalten abgehalten haben. Hinzu kommt, dass die den Kläger potentiell stabilisierende Verbindung zu seiner früheren Verlobten nach eigenen Angaben zwischenzeitlich beendet worden ist.
(2) Ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse steht dem Kläger nicht zur Seite. Insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht vor. Zwar ist der Kläger im Bundesgebiet geboren worden. Er hält sich aber nicht seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Dies setzte nämlich einen zum Zeitpunkt der Ausweisung durchgehend rechtmäßigen Aufenthalt für die Dauer von fünf Jahren voraus (vgl. Cziersky-Reis in: Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, Rn. 11 zu § 55 und § 55 Abs. 3 AufenthG). Daran fehlt es, weil die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Ausweisungsbescheides aufgrund des Verlängerungsantrags nur nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG fingiert war. Aus § 55 Abs. 3 AufenthG ergibt sich, dass Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nur dann als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 des § 55 AufenthG berücksichtigt werden, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels später - anders als im Fall des Klägers - entsprochen wurde.
Ob dem Kläger zumindest ein schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 2 AufenthG zuzuerkennen ist, kann offenbleiben. Nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthGwiegt das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG insbesondere u.a. dann schwer, wenn der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält. Diese Voraussetzungen lägen vor, wenn der Kläger zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Ausweisung eine Aufenthaltserlaubnis besessen hätte. Das wäre jedoch nur dann der Fall, wenn die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG einen solchen Besitz vermittelt hätte (vgl. zu § 26 Abs. 4 AufenthG verneinend: BVerwG, Urteil vom 30. März 2010 - 1 C 6.09 - juris Rn. 21). Ob hiervon auszugehen ist, braucht letztlich nicht entschieden zu werden. Denn selbst wenn dies anzunehmen wäre, ginge die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Klägers aus.
(3) Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiegt dessen Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet nämlich sogar bei einem anzunehmenden schwerwiegenden Bleibeinteresse. Der Befund, dass für ein solches Überwiegen indiziell bereits der Umstand spricht, dass ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt, dem allenfalls ein schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenübersteht, bestätigt sich bei der gebotenen Betrachtung der Umstände des Einzelfalls. Eine Abwägung aller zu berücksichtigenden Umstände ergibt nämlich, dass es im Fall des Klägers bei dem Überwiegen des typisierten Ausweisungsinteresses verbleibt und die Ausweisung des Klägers verhältnismäßig ist. Entscheidend sind hierbei die zu Lasten des Klägers zu berücksichtigende Schwere der der Ausweisungsentscheidung zugrunde liegenden Tat, der Umstand, dass er bis in die jüngste Zeit wiederholt straffällig wurde, seine Integration in die deutsche Gesellschaft nicht vollständig erfolgt ist sowie die bestehende Wiederholungsgefahr. Vor diesem Hintergrund sind dem Kläger die mit seiner Aufenthaltsbeendigung verbundenen Härten zuzumuten.
(a) Bei der nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorzunehmenden Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls sind neben den sich aus den §§ 54 und 55 AufenthG ergebenden schwerwiegenden oder besonders schwerwiegenden Ausweisungs- oder Bleibeinteressen gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Februar 2022 - 1 C 6/21 - juris Rn. 33). Außerdem sind die Kriterien in den Blick zu nehmen, die nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einzubeziehen sind, um die Ausweisung als in einer demokratischen Gesellschaft notwendig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK anzusehen (sog. Boultif/Üner-Kriterien, vgl. EGMR <GK>, Urteil vom 18. Oktober 2006 - 46410/99 - juris Rn. 57 ff.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind dies insbesondere die Art und Schwere der begangenen Straftat, die seither vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, die familiäre Situation, die Kenntnis des Partners von der Straftat bei der Begründung der Beziehung, das Interesse und das Wohl eventueller Kinder, insbesondere deren Alter, der Umfang der Schwierigkeiten, auf die Kinder oder der Partner im Heimatland des Ausländers treffen würden, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die Dauer des Aufenthalts des Ausländers im Aufenthaltsstaat, die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen des Ausländers zum Gastland sowie zum Bestimmungsland.
Zu Gunsten des Klägers in die Abwägung einzustellen ist danach, dass er in der Bundesrepublik Deutschland geboren ist und sein gesamtes bisheriges Leben in Deutschland verbracht hat. Sein Aufenthalt war hierbei stets legal. Er beherrscht die deutsche Sprache, hat einen Realschulabschluss erreicht, wurde in Deutschland sozialisiert und ist mit den hiesigen Lebensverhältnissen eingehend vertraut. Auch der ganz überwiegende Teil der sozialen Kontakte des Klägers besteht im Bundesgebiet. Seine gesamte engere Familie lebt in der Bundesrepublik Deutschland. Insbesondere zu seiner Mutter hat der Kläger eigenen Angaben zufolge einen engen Bezug, wobei allerdings die Bindung eines erwachsenen Kindes zu den Eltern und Geschwistern nicht mit dem gleichen Gewicht in die Abwägung einzustellen ist, wie dies bei einem Minderjährigen der Fall ist. In wirtschaftlicher Hinsicht ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass dieser zeitweise bei einem Schnellrestaurant sowie kurzzeitig als Pflegehelfer tätig war, er nach einem Praktikum in einer Kfz-Firma diese übernommen und selbst geführt hat und er während des offenen Vollzuges und nach seiner Haftentlassung - soweit ersichtlich - durchgehend gearbeitet hat. Danach ist zu konstatieren, dass die Ausweisung einen nicht unerheblichen Eingriff in das Familien- und Privatleben des Klägers bedeutet.
Zu Lasten des Klägers ist demgegenüber bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass ihm trotz seines dauerhaften Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland seit seiner Geburt zu keinem Zeitpunkt eine Niederlassungserlaubnis erteilt worden ist. Auch wirtschaftlich ist ihm keine vollständige Integration geglückt. Eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker hat er - wenn auch möglicherweise unverschuldet - ohne Abschluss abgebrochen. Über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt er auch weiterhin nicht. Seine Erwerbsbiographie ist zudem durch einen häufigen Wechsel des Arbeitsplatzes und Tätigkeitsfeldes geprägt. Zwischenzeitlich hat er nur auf der Basis eines sog. Minijobs gearbeitet. Seine Erwerbsbiographie erweckt insoweit den Eindruck eines jungen Menschen, der sich seinen Lebensunterhalt durch „Jobben“ erwirtschaftet, ohne wirklich im Berufsleben angekommen zu sein.
Negativ hat namentlich die fehlende Rechtstreue des Klägers hohes Gewicht. Zum Zeitpunkt der Anlasstat war er bereits zweimal (im Alter von 20 bzw. 21 Jahren) strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die Anlasstat weist zudem eine erhebliche Schwere auf, aufgrund derer er zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt worden ist. Seit der Begehung dieser Tat sind zwar inzwischen gut sechs Jahre und seit der Verurteilung gut vier Jahre verstrichen. Noch während der Bewährungszeit und noch während der Anhängigkeit des vorliegenden Verfahrens über die Rechtmäßigkeit der gegen ihn verfügten Ausweisung ist er jedoch - trotz der zuvor erlittenen Untersuchungs- und Strafhaft - erneut straffällig geworden. Dies lässt nur den Schluss auf ein nachhaltig gestörtes Verhältnis zur hiesigen Rechtsordnung zu.
(b) Die Annahme, dass angesichts dessen - bis hierhin - das öffentliche Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt, steht im Einklang mit Art. 8 EMRK. Denn aus Art. 8 EMRK folgt grundsätzlich kein Recht des Ausländers, in ein bestimmtes Land einzureisen und sich dort aufzuhalten. Selbst für Ausländer der „zweiten Generation“, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, ist es bei entsprechend schwerwiegenden Verstößen und bei einem entsprechend gewichtigen Interesse des Staates an ihrer Ausweisung nicht unzumutbar, in das Land ihrer Staatsangehörigkeit zurückzukehren, sofern sie nicht aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und ihnen wegen der Besonderheiten des Falls ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist (vgl. Europäischer Gerichtshofs für Menschenrechte <EGMR>, Urteil vom 25. März 2010 - 40601/05 - „Mutlag“ juris Rn. 58 und 62; vgl. zur möglichen Ausweisung selbst „faktischer Inländer“ auch: BVerfG, Beschluss vom 25. August 2020 - 2 BvR 640/20 - juris Rn. 24). Der Status eines faktischen Inländers kommt dem Kläger jedoch aufgrund der oben genannten Umstände nicht zu.
(c) Die im Rahmen der Abwägung außerdem zu berücksichtigenden Verhältnisse zum bzw. im Heimatstaat des Klägers sowie die den Kläger erwartenden Integrationsschwierigkeiten im Heimatland rechtfertigen keine andere Entscheidung. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind bei der Entscheidung über die Ausweisung eines Ausländers drohende Beeinträchtigungen seiner Belange im Herkunftsstaat, die keinen strikten verfassungs- oder völkerrechtlichen Schutz in dem Sinne genießen, dass die deutschen Behörden unter allen Umständen verpflichtet wären, den Ausländer durch Absehen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vor ihrem Eintritt zu bewahren, in den Blick zu nehmen. Dies sind solche Nachteile, die das Gewicht eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nicht erreichen, aber gleichwohl so erheblich sind, dass sie sich auf die durch Art. 7 GRC und Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Belange des Ausländers auswirken können. Geltend gemachte Gefahren im Herkunftsstaat, die - sollten sie zutreffen - die Schwelle zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 AufenthG überschreiten würden, können demgegenüber bei der Ausweisung im Rahmen der Interessenabwägung jedenfalls insoweit nicht berücksichtigt werden, als für das Abschiebungsverbot eine ausschließliche Prüfungszuständigkeit des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Februar 2022, a.a.O., Rn. 34 f.).
Vorliegend besteht zwar keine ausschließliche Prüfungszuständigkeit des Bundesamts, weil der Kläger weder in der Vergangenheit ein Asylverfahren durchlaufen noch aktuell sinngemäß ein Asylbegehren anhängig gemacht hat. Nach Auffassung des Senats können jedoch auch in einem solchen Fall, in dem ein Ausländer - ohne das Bundesamt einzuschalten - Umstände vorträgt, die ein Abschiebungsverbot insbesondere im Sinne von § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG zur Folge haben könnten und in dem die Ausländerbehörde über das Vorliegen eines solchen Abschiebungsverbotes unter Beteiligung des Bundesamts entscheiden muss (vgl. § 72 Abs. 2 AufenthG), nichts anderes gelten. Auch in einem solchen Fall können Gefahren im Herkunftsstaat, die - sollten sie zutreffen - die Schwelle zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 AufenthG überschreiten würden, bei der Ausweisung im Rahmen der Interessenabwägung nicht berücksichtigt werden. Denn nach der Systematik des Aufenthaltsgesetzes ist zwischen Aufenthaltsrechten einerseits und Vollzugshemmnissen andererseits zu unterscheiden. Bloße Vollzugshemmnisse begründen dabei grundsätzlich keine Berechtigung zum Aufenthalt. Es führte zu einer unklaren Durchbrechung dieser aufenthaltsrechtlichen Systematik, würden lediglich zeitweilig vollzugshemmende Hindernisse bereits bei der Ausweisung und nicht erst bei der Frage der Abschiebung berücksichtigt (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand: März 2022, Rn. 116 zu § 53 AufenthG), zumal anerkannt ist, dass der Zweck einer Ausweisung - wie bei der sog. inlandsbezogenen Ausweisung - auch in der bloßen Verschlechterung der aufenthaltsrechtlichen Position eines Ausländers liegen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. August 2004 - 1 C 25/03 - juris Rn. 15).
Gegen die Berücksichtigung der genannten Gefahren im Herkunftsstaat auch in Fällen der vorliegenden Art spricht zudem, dass es der Ausländer anderenfalls - mit potentieller Ergebnisrelevanz - in der Hand hätte, selbst den gerichtlichen Umfang der rechtlichen Überprüfung einer Ausweisungsverfügung zu bestimmen, indem er einen Asylantrag stellt oder von der Stellung eines solchen Asylantrags gerade absieht.
(aa) Hiervon ausgehend ist festzustellen, dass die dem Kläger drohenden Beeinträchtigungen seiner Belange im Herkunftsstaat, die keinen strikten verfassungs- oder völkerrechtlichen Schutz in dem Sinne genießen, dass die deutschen Behörden unter allen Umständen verpflichtet wären, ihn durch ein Absehen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vor ihrem Eintritt zu bewahren, der Ausweisung nicht entgegenstehen.
Zwar sind die Beziehungen des Klägers zum Heimatland gering. Er ist nach eigenen Angaben nur einmal für zwei Wochen in Sri Lanka gewesen, hat dort keine Verwandten mehr und spricht kein Singhalesisch. Sri Lanka ist für den Kläger aber auch kein vollkommen fremdes Land. Bei ihm ist als Einwanderer der zweiten Generation davon auszugehen, dass er die dortigen Lebensverhältnisse von seinen Eltern jedenfalls in Ansätzen vermittelt bekommen hat. Hierfür spricht insbesondere, dass er die tamilische Sprache spricht und in einem im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren eingereichten Lebenslauf sogar als Muttersprache bezeichnet hat. Danach besteht zwar eine Vermutung dafür, dass der Kläger bei einer Einreise nach Sri Lanka erheblichen Eingliederungsschwierigkeiten begegnen wird. Gründe, die die Annahme rechtfertigen, dass er sich dort nicht zumindest innerhalb der tamilischen Gesellschaft integrieren können wird oder ihm dies unzumutbar wäre, liegen jedoch nicht vor. Denn die Tamilen stellen mit 11,2 % der Bevölkerung die größte Minderheit in Sri Lanka. Diskriminierende Gesetze oder Verwaltungspraxen bestehen ihnen gegenüber nicht mehr (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrechtliche Lage in Sri Lanka vom 18. Dezember 2020, Seite 8).
Auch ist dem Kläger als jungem und lernfähigem Mann zuzumuten, dass er bei der Ausräumung sprachlicher Defizite an die vorhandenen Kenntnisse zumindest des Tamilischen anknüpft. Es ist davon auszugehen, dass er auch Singhalesisch lernen kann.
Anhaltspunkte dafür, dass er sich als junger Mann in Sri Lanka schlechterdings keine - einfache - Lebensgrundlage schaffen kann, sondern durchgehend auf Leistungen seiner Familienangehörigen angewiesen sein wird, bestehen bei allen anzunehmenden Eingliederungsproblemen nicht. Dass die Familienangehörigen des Klägers diesen nicht zumindest anfänglich für kurze Zeit unterstützen könnten, ist ebenfalls nicht zu erkennen. In dem der Ausweisung zugrunde liegenden Strafverfahren ist der Kläger durch mehrere Wahlverteidiger vertreten worden. Dies rechtfertigt die Annahme, dass die Angehörigen des Klägers zumindest in Notlagen willens und in der Lage sind, finanzielle Probleme zu überwinden, um ihm die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen.
In Hinblick auf etwaige Eingliederungsschwierigkeiten in Sri Lanka ist ferner zu berücksichtigen, dass der Kläger im Bundesgebiet ebenfalls noch erhebliche Integrationsleistungen zu erbringen hätte, und auch hier sein berufliches Fortkommen durch seine fehlende Ausbildung, seine Vorstrafen sowie durch seine Inhaftierung und Insolvenz beeinträchtigt ist.
Dabei ist im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen davon auszugehen, dass der Kläger in Sri Lanka ausreichenden Zugang zu der von ihm benötigten medizinischen Versorgung haben wird. Denn nach den dem Eilverfahren des Klägers zugrunde liegenden und ihm dort mitgeteilten Erkenntnissen war die medizinische Versorgung in Sri Lanka bis in die jüngste Vergangenheit landesweit gut. Es gab kostenlose staatliche Krankenhäuser und notwendige Medikamente wurden größtenteils gratis zur Verfügung gestellt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrechtliche Lage in Sri Lanka vom 18. Dezember 2020, Seite 17). Nach der vom Verwaltungsgericht im Eilverfahren des Klägers (VG 11 L 137.19) eingeholten Einschätzung der Deutschen Botschaft in Colombo war die Krankheit Urtikaria in Sri Lanka bekannt und - auch im Notfall - behandelbar. Die von dem Kläger benötigten Medikamente waren sämtlich verfügbar. Schließlich sprachen nach der eingeholten Stellungnahme auch etwaige Sprachprobleme nicht gegen eine Behandlungsfähigkeit, da Ärzte in Sri Lanka zumindest in urbanen Gebieten des Englischen gut mächtig sind.
Die Probleme, die den Kläger bei einer Integration in die Lebensverhältnisse Sri Lankas treffen, stehen nach allem nicht außer Verhältnis zu den massiven Nachteilen, die er durch die Anlasstat den Tatopfern bereitet hat, und die es gilt, im Rahmen der bestehenden Wiederholungsgefahr für Dritte in Zukunft zu verhindern.
(bb) Soweit der Kläger auf die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Sri Lanka verweist und geltend macht, ihm drohten jedenfalls aktuell akute Versorgungsschwierigkeiten insbesondere im Hinblick auf die angesprochene Erkrankung und die hierfür benötigte Medikamentenversorgung, beruft er sich auf Abschiebungsverbote im Sinne von § 60 AufenthG. Denn diese Gefahren im Heimatland überschritten - sollten sie zutreffen - möglicherweise die Schwelle der Abs. 5 und 7 Satz 1 des § 60 AufenthG. Wie oben bereits ausgeführt sind derartige Umstände, insbesondere die Frage der aktuellen medizinischen Versorgungslage aufgrund der Wirtschaftskrise in Sri Lanka, bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung nicht zu berücksichtigen. Sie beziehen sich auf die jüngste, aktuelle Entwicklung in Sri Lanka, die sich noch nicht bereits derartig verfestigt hat, dass ihre Auswirkungen als Integrationsschwierigkeiten in die Abwägung einzustellen wären. Sie betreffen allein die Frage eines bei einer etwaigen Abschiebung zu berücksichtigenden zeitweiligen Vollzugshindernisses.
(b) Unerheblich ist schließlich, dass das Verwaltungsgericht die Befristungsentscheidung in dem Bescheid vom 17. Oktober 2018 aufgehoben hat. Hieraus folgt schon deshalb nicht, dass die Ausweisung des Klägers unverhältnismäßig wäre, weil der Beklagte mit Bescheid vom 8. Oktober 2019 eine neue Befristungsentscheidung erlassen hat.
b. Die Berufung bleibt auch insoweit ohne Erfolg, als der Kläger die Verlängerung des ihm bis zum 14. Juli 2016 erteilten Aufenthaltstitels erstrebt. Hierauf hat er zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keinen Anspruch (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).
aa. Die Erteilung bzw. die Verlängerung eines Aufenthaltstitels scheidet bereits gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG aus. Danach darf einem Ausländer - infolge des nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu erlassenden Einreise- und Aufenthaltsverbots - kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Zwar ist die Titelerteilungssperre nicht mehr - wie früher - eine automatische Folge der Ausweisung. Sie findet ihre Ursache vielmehr in dem Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Ein solches Verbot ist vorliegend jedoch - auch dann, wenn das mit Bescheid vom 17. Oktober 2018 konkludent ausgesprochene Verbot vom Verwaltungsgericht mit der Befristungsentscheidung konkludent aufgehoben worden sein sollte - wirksam erlassen worden. Denn der Beklagte hat mit Bescheid vom 8. Oktober 2019 ein neues Einreise- und Aufenthaltsverbot ausgesprochen und auf vier Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland befristet. Dieses Verbot ist unabhängig davon, dass der Kläger gegen den genannten Bescheid Rechtsmittel eingelegt hat, wirksam und entfaltet seine Rechtsfolgen (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 21. Januar 2020 - 11 S 3477/19 - NVwZ-RR 2020, 556 <557>, Rn. 23 ff.). Es ist unabhängig davon auch vollziehbar. Denn § 84 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG ist dahin auszulegen, dass Widerspruch und Klage gegen ein Einreise- und Aufenthaltsverbot keine aufschiebende Wirkung haben (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 13. November 2019 - 11 S 2996/19 - juris Rn. 41; offengelassen vom BVerwG, Beschluss vom 28. Mai 2020 - 1 VR 2/19 - juris Rn. 12).
bb. Außerdem liegen die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG nicht vor, weil ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG besteht. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens dem Beklagten aufzuerlegen, der durch Aufhebung der Abschiebungsandrohung der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in Sri Lanka Rechnung getragen und sich insoweit in die Rolle des Unterlegenen begeben hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Frage, ob die vom Kläger geltend gemachten Gefahren im Herkunftsstaat, die - sollten sie zutreffen - die Schwelle zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 AufenthG überschreiten würden, bei der Ausweisung im Rahmen der Interessenabwägung auch dann nicht berücksichtigt werden können, wenn für das Abschiebungsverbot keine ausschließliche Prüfungszuständigkeit des Bundesamts besteht, hat fallübergreifende Bedeutung und ist bisher höchstrichterlich nicht geklärt (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Februar 2022 - 1 C 6/21 - juris Rn. 34 „jedenfalls“).