Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 2 U 19/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Zivilsenat Entscheidungsdatum 19.07.2022
Aktenzeichen 2 U 19/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0719.2U19.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 04.05.2022, Az. 3 O 23/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

        

Gründe

Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung auch aus sonstigen Gründen nicht geboten ist (§ 522 Abs. 2 ZPO).

Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger kann von der Beklagten weder den geltend gemachten Zinsschaden noch die durch die anwaltliche Vertretung in einem Widerspruchsverfahren und im staatshaftungsrechtlichen Vorverfahren entstandenen Rechtsverfolgungskosten ersetzt verlangen. Der insoweit darlegungsbelastete Kläger hat nicht schlüssig dargelegt, dass der Kanalanschlussbeitragsbescheid der Beklagten vom 17. September 2013, den die Beklagte nach Erlass einer Aufhebungs- und Erstattungssatzung vom 30. November 2016 durch Widerrufsbescheid vom 22. September 2017 widerrufen hat, rechtswidrig war. Auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung wird Bezug genommen.

Das Berufungsvorbringen rechtfertigt eine abweichende Betrachtungsweise nicht.

Dass im Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war, behauptet der Kläger selbst nicht. Die vom Kläger favorisierte Annahme einer hypothetischen Verjährung, wie sie von den Verwaltungsgerichten des Landes Brandenburg regelmäßig in Erwägung gezogen wird, lehnt der Senat in ständiger Rechtsprechung ab (vgl. zum Beispiel die Urteile vom 17. Dezember 2019, Az.: 2 U 66/17 und 2 U 33/18). Zur Begründung verweist der Senat auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. Juni 2019, Az: III ZR 93/18, das sich eingehend mit allen in diesem Zusammenhang relevanten Gesichtspunkten verfassungs- und abgabenrechtlicher Art auseinandergesetzt hat. Begründeter Anlass, hiervon abzuweichen, besteht nicht, zumal das Bundesverfassungsgericht diese Rechtsprechung der Zivilgerichte ausdrücklich für verfassungsgemäß erachtet hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 1. Juli 2020 - 1 BvR 2838/19 -). Mit Beschluss vom 17. Dezember 2020, Az.: III ZR 82/20, hat der Bundesgerichtshof an seiner Rechtsprechung auch mit Blick auf die weiterhin abweichende Sichtweise des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 4. September 2019, BeckRS 2019, 20378) ausdrücklich festgehalten.

Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht vor dem Hintergrund des vom Kläger herangezogenen stattgebenden Kammerbeschlusses der 2. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. April 2022, Az.: 1 BvR 798/19 (juris), geboten. Auch in diesem Beschluss ist ausdrücklich festgehalten, dass die Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg n.F. lediglich in Fällen, in denen Beiträge nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. nicht mehr erhoben werden könnten, gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (Grundsatz des Vertrauensschutzes) verstößt (Rn. 7). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor, weil der Senat in Übereinstimmung mit dem Bundesgerichtshof davon ausgeht, dass der Kanalanschlussbeitrag im Jahre 2013 auch auf der Grundlage des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. durchaus noch vom Kläger hätte erhoben werden können. Dass der Senat die einfachrechtliche Vorschrift des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. ohne Verstoß gegen § 31 Abs. 1 BVerfGG willkürfrei in diesem Sinne auslegen darf, hat dieselbe Kammer des Bundesverfassungsgerichts im Nichtannahmebeschluss vom 1. Juli 2020, Az.: 1 BvR 2838/19, eingehend und überzeugend ausgeführt (vgl. dort Rn. 9 - 38). Das unterschiedliche Verständnis von § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg einerseits und des Bundesgerichtshofs andererseits mag zwar die Rechtseinheit und damit die Rechtssicherheit beeinträchtigen und dazu führen, dass Primär- und Sekundärrechtsschutz bei Rechtsstreitigkeiten von Altanschließern zu abweichenden Ergebnissen gelangen. Eine Verpflichtung, der Auslegung des Landesrechts durch die jeweils andere Gerichtsbarkeit zu folgen, besteht jedoch weder für die Zivilgerichte noch für die Verwaltungsgerichte; die Rechtspflege ist vielmehr aufgrund der in Art. 97 GG garantierten Unabhängigkeit der Richter konstitutionell uneinheitlich (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. April 2021 - 9 B 28/20 - juris Rn. 10 unter Verweis auf BVerfG, Kammerbeschluss vom 1. Juli 2020 - 1 BvR 2838/19 - juris Rn. 20). Angesichts dessen vermag der Senat nicht nachzuvollziehen, wie der Kläger in der Berufungsbegründungsschrift vom 05.07.2022 zu der Annahme gelangen kann, im vorliegenden Fall sei es den Zivilgerichten verwehrt, auch nur Überlegungen über die Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides oder die Rechtmäßigkeit des (welchen?) Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts oder die Rechtmäßigkeit des Rücknahmebescheides anzustellen.

Auch seinen vertiefenden Ausführungen im Schriftsatz vom 07.07.2022 vermag der Senat nicht zu folgen. Der Kläger verkennt, dass die Regressgerichte die Rechtmäßigkeit eines - auch in Bestandskraft erwachsenen - Verwaltungsakts selbständig zu prüfen haben (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2006 - III ZR 82/05 -, juris). Nur soweit bereits in einer die Prozessparteien bindenden Weise durch rechtskräftiges Urteil über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts entschieden worden ist (vgl. § 121 Nr. 1 VwGO), sind auch die Regressgerichte hieran gebunden (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2021 - VI ZR 773/20 -, juris, Rn. 18 - m. w. Nachw.). So liegt der Fall hier aber nicht.

Ein dem Kläger günstiges Ergebnis folgt ferner nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte den Beitragsbescheid vom 17. September 2013 mit Bescheid vom 22. September 2017 widerrufen und im Zusammenhang mit dem Erlass der dem Widerruf zugrunde gelegten Aufhebungs- und Erstattungssatzung vom 30. November 2016 selber den Standpunkt eingenommen hat, im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (1 BvR 2961/14 u. a.) sei von der Rechtswidrigkeit der aufzuhebenden Bescheide auszugehen. Diese (unzutreffende) rechtliche Beurteilung bindet den Senat nicht. Selbst im Fall des Eintritts der Bestandskraft eines Verwaltungsakts haben die Regressgerichte dessen Rechtmäßigkeit selbständig zu überprüfen. Denn ob ein Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist, beantwortet sich allein danach, ob die getroffene Regelung sachlich richtig ist und mit der objektiven Rechtslage übereinstimmt oder ob sie sich als sachlich unzutreffend darstellt und gegen die Rechtslage verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2006 - III ZR 82/05 -, juris). Nichts anderes kann gelten, wenn der entsprechende Verwaltungsakt nicht bestandskräftig, sondern vor Eintritt der Bestandskraft aufgehoben wird. Der Senat hat zwar in einem Streitfall beiläufig ausgesprochen, aus der späteren Aufhebung eines Bescheides ergebe sich bereits dessen Rechtswidrigkeit (vgl. Senat, Urteil vom 26. Juni 2012 - 2 U 46/11 -, juris, Rn. 34). Hieran hat er jedoch später in dieser Allgemeinheit nicht festgehalten, sondern seine Auffassung dahin präzisiert, dass die Aufhebung eines Verwaltungsakts im Widerspruchsverfahren zwar im Einzelfall dessen Rechtswidrigkeit indizieren könne, es dabei jedoch stets auf die Umstände des Einzelfalles ankomme. Steht - wie im Streitfall - nach den Gesamtumständen die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts fest, ist die Aufhebung des Verwaltungsakts nicht geeignet, seine Rechtswidrigkeit zu indizieren (vgl. Senat, Beschlüsse vom 30. Juni 2020 und vom 20. Juli 2020 - 2 U 76/20 -; Beschluss vom 21. Januar 2021 - 2 U 116/20 -, juris).

Auch der Erlass der Aufhebungs- und Erstattungssatzung vom 30. November 2016 vermag die Rechtswidrigkeit der auf ihrer Grundlage aufgehobenen Bescheide nicht zu indizieren oder gar mit Bindungswirkung für die Zivilgerichte festzustellen, bietet vielmehr lediglich eine verlässliche rechtliche Grundlage für die Aufhebung bereits bestandskräftig gewordener Verwaltungsakte. Sekundäransprüche lassen sich weder aus dieser Satzung selbst noch aus der Tatsache ihres Erlasses herleiten.

Es wird angeregt, zur Reduzierung der Kosten das Rechtsmittel zurückzunehmen.