Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 23.09.2022 | |
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Aktenzeichen | OVG 11 S 27/22 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2022:0923.OVG11S27.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 16 Abs 1 S 1 BImSchG, § 18 Abs 1 Nr 2 BImSchG, § 20 Abs 2 S 1 BImSchG, § 80 Abs 2 Nr 4 VwGO, § 146 Abs 4 VwGO |
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 29. Juli 2022 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die dargelegten Beschwerdegründe, die den Umfang der Überprüfung im Beschwerdeverfahren bestimmen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Änderung der angegriffenen Entscheidung.
Soweit die Beschwerde unter Hinweis auf eine aktuelle Entscheidung des OVG Lüneburg darum bittet, die Senatsrechtsprechung zu den formellen Anforderungen an die Vollziehungsanordnung des § 80 Abs. 3 VwGO zu überdenken, reicht dies nicht aus, um die erstinstanzliche Würdigung, die ebenfalls auf die Rechtsprechung des Senates Bezug nimmt, in Frage zu stellen.
Der Einwand, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG lägen mangels Genehmigungsbedürftigkeit der von der Antragstellerin betriebenen Anlage nicht vor, verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Anlage im Einzelnen beschrieben und auf dieser Grundlage die Genehmigungsbedürftigkeit bejaht, weil es nach Nr. 9.11.1 des Anhanges 1 zur 4. BImSchV allein darauf ankomme, ob die Schüttgüter im trockenen Zustand stauben könnten, was bei Sand und Kies der Fall sei. Dem stellt die Beschwerde nichts Durchgreifendes entgegen. Die pauschale eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers der Antragstellerin, der (gelieferte) Kies staube aufgrund der Größe seiner Bestandteile nicht, reicht ebenso wenig aus wie die weitere pauschale und nicht hinreichend substantiierte Behauptung, der Sand sei bei Anlieferung und temporärer Lagerung noch feucht, weil er im Wege der Nassabgrabung gewonnen werde. Unabhängig davon ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der von der Antragstellerin durch Kies-Sand-Tagebau gewonnene Kies und Sand – worauf es vorrangig ankommt - im trockenen Zustand beim Entladen von Lastkraftwagen und Verladen mittels Radlager auf einen Zug stauben könne. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, wie durch den Betrieb der Anlage tatsächlich verursachte Staubemissionen immissionsschutzrechtlich zu beurteilen und zu bewältigen sind, bleibt dem Genehmigungsverfahren vorbehalten.
Die Beschwerde macht ferner nicht glaubhaft, dass sich die Antragstellerin auf einen atypischen Fall mit der Folge einer ermessensfehlerhaften Entscheidung berufen könnte, weil die von ihr ohne Genehmigung betriebene Anlage offensichtlich genehmigungsfähig sei. Sie legt weder hinreichend substantiiert dar noch macht sie glaubhaft, dass die der AG für den Betrieb ihres werkes erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung mangels Erlöschen nach der Betriebsaufgabe auf die Antragstellerin übergegangen ist und dass diese lediglich einer Änderungsgenehmigung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BImSchG bedarf, weil die AG den von der Antragstellerin nunmehr für Kies und Sand genutzten Umschlagplatz bereits für die Anlieferung und Lagerung von Kohle und Kalkstein genutzt habe.
Entgegen der Beschwerde ist hier die Annahme gerechtfertigt, dass die der AG erteilte Genehmigung zum Betrieb des werkes bereits aufgrund eines Verzichts der früheren Anlagenbetreiberin nicht mehr auf die Antragstellerin übergehen konnte (zum Verzicht auf die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1989 – 4 C 36/86 - juris Rn. 23). So ergibt sich aus der behördlichen Bestätigung des Landesamtes für Umwelt vom 21. Dezember 2020, dass die AG mit der angezeigten Betriebsstilllegung des werkes eine Wiederinbetriebnahme mittels Kohleveräußerung ausgeschlossen hatte. Deshalb wies das Landesamt für Umwelt darauf hin, dass für eine eventuelle Wiederinbetriebnahme mit einem anderen Energieträger die Durchführung eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens erforderlich werde. Daraus ergibt sich, dass die Antragstellerin den Betrieb jedenfalls nicht entsprechend der ursprünglich erteilten Genehmigung, die eine Kohlefeuerung voraussetzte, hätte fortsetzen können. Eine aufgrund des Verzichts allein mögliche Inbetriebnahme mit einem anderen Energieträger hätte einer (neuen) immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedurft.
Selbst wenn man jedoch mit der Beschwerde unterstellte, dass die der AG erteilte Genehmigung im Hinblick auf § 18 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG noch nicht erloschen wäre, spricht alles dafür, dass die aktuelle Nutzung des Umschlagplatzes durch die Antragstellerin von der der AG erteilten Genehmigung nicht gedeckt ist und die Antragstellerin nicht allein einer Änderungsgenehmigung bedarf, weil sie (lediglich) an Stelle von Kohle und Kalkstein nunmehr Sand und Kies umschlage. Eine Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens ist insoweit jedenfalls nicht offensichtlich.
Die damalige immissionsschutzrechtliche Genehmigung, zu deren Umfang die Beschwerde ohne weitere Ausführungen ein „Genehmigungskonvolut“ vorlegt, bezog sich auf den Betrieb einer fabrik, zu der auch ein Lagerplatz für Brennmaterial (Kohle und Kalkstein) gehörte. Da es sich bei dem Lagerplatz und den Produktionsanlagen um eine funktionale Einheit handelt – der Lagerplatz war erforderlich, damit die für die Produktion benötigten Brennstoffe vorgehalten werden konnten -, ist schon aus diesem Grund nicht glaubhaft gemacht, dass der Lagerplatz nach der Beendigung des Betriebs weiterhin – isoliert und unabhängig von der Produktion - zur Anlieferung und Lagerung von Kohle und Kalkstein genutzt werden durfte, weil es sich – wie die Beschwerde unzutreffend meint - um eine Nebeneinrichtung im Sinne von § 1 Abs. 4 4. BImSchV handele, für die nunmehr die ursprüngliche Genehmigung (teilweise) fortbestehe.
Unabhängig davon macht die Beschwerde nicht glaubhaft, dass die der erteilte Genehmigung, die seinerzeit eine Lieferung (per Bahn) und Lagerung von Kohle und Kalkstein als Brennmaterial für den Werksbetrieb umfasste, auch einen darüber hinausgehenden kontinuierlichen Umschlag dieser Stoffe in dem von der Antragstellerin betriebenen Ausmaß deckt. Die (bloße) Anlieferung (per Bahn) und Lagerung von Kohle und Kalkstein als Brennstoff zum Betrieb einer fabrik stellt immissionsschutzrechtlich ein Aliud zu deren Lieferung und Lagerung mit dem Ziel eines fortlaufenden Umschlags in erheblichem Umfang dar. Dies gilt umso mehr, als es sich nunmehr um einen Umschlag von Sand und Kies, der durch Kies-Sand-Tagebau gewonnen wurde, und dadurch verursachte – andere - Emissionen handelt (u.a. Lieferverkehr mit LKW, Staub durch Entladen und Verladen, Geräteeinsatz, akustische Signale, Zugverkehr). Angesichts dessen ist nicht glaubhaft gemacht, dass es hier lediglich um eine wesentliche Änderung genehmigungsbedürftiger Anlagen im Sinne von § 16 Abs. 1 Satz 1 BImSchG geht, sondern es spricht alles dafür, dass das Vorhaben der Antragstellerin die Genehmigungsfrage erstmalig und damit vollständig neu aufwirft. Unabhängig von alledem umfasste das Kohle- und Kalksteinlager ausweislich der von der Antragstellerin vorgelegten Anlagen- und Betriebsbeschreibung zu der der AG erteilten Genehmigung eine Fläche von nur etwa 800 qm, während die Antragstellerin ihrer Vorhabenbeschreibung zufolge einen Umschlagplatz von 1 ha plante, dessen Fläche zudem mit einer Betondecke versiegelt werden sollte.
Soweit die Antragstellerin zum Beleg der von ihr behaupteten offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit u.a. auf das nicht prüffähige Ergebnis einer Schallimmissions- und eine Staubimmissionsprognose verweist, reicht dies schon mangels Substantiierung nicht aus, um eine Atypik glaubhaft zu machen. Unabhängig davon räumt die Antragstellerin selbst ein, ihren Antrag erst am 5. Juli 2022, d.h. nach Erlass der angegriffenen Verfügung vom 8. Juni 2022 „um weitere Genehmigungsunterlagen ergänzt“ zu haben und teilt mit, dass weitere Unterlagen im September - nach Erlass des Widerspruchsbescheides - vorgelegt würden. Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit ist damit nicht hinreichend dargetan.
Nichts anderes ergibt sich aus der Behauptung einer dem Antragsgegner zuzurechnenden Verfahrensverzögerung. Die Antragstellerin hat im Juli 2021 eine Vorhabenbeschreibung vorgelegt und den Betrieb ohne Genehmigung aufgenommen, sodass es im Dezember 2021 zu einer Nachbarbeschwerde kam. Vor diesem Hintergrund geht es hier nicht um die Frage, inwieweit die Antragstellerin an der Stellung eines von ihr nicht für erforderlich gehaltenen Genehmigungsantrags gehindert worden sei, und ob sie diesen entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung gestellt hat, sondern um ihr eigenmächtiges Vorgehen, den Betrieb ohne die erforderliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung aufzunehmen. Dieses Vorgehen wäre auch bei einer – unterstellten – Verzögerung des Genehmigungsverfahrens nicht gerechtfertigt. Die von der Beschwerde erörterte Frage, ob der Antragsgegner naturschutz- und artenschutzrechtliche Kartierungen fordern durfte, erweist sich als mindestens offen und zeigt einmal mehr, dass die Anlage jedenfalls nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist. Die Forderung nach einem Eingriffs- und Ausgleichsplan war aus der Sicht des Antragsgegners im Hinblick auf eine Flächenversiegelung im Außenbereich geboten. Unabhängig davon räumt die Antragstellerin selbst ein, ergänzende – mit der Beschwerdebegründung nicht hinreichend konkretisierte - Unterlagen erst im Juli 2022 vorgelegt zu haben. Der eidesstattlichen Versicherung des Geschäftsführers der Antragstellerin zufolge soll es sich „unter anderem“ um ein Lärm- und ein Staubgutachten handeln.
Die Ausführungen der Beschwerde zu der aus ihrer Sicht unverhältnismäßigen sofortigen Betriebsuntersagung greifen schon deshalb nicht durch, weil sie ihrem eigenen Vorbringen zufolge voraussetzen, dass die Anlage materiell genehmigungsfähig, ein entsprechender Antrag gestellt worden sei und allein die Nachreichung der überobligatorischen naturschutzfachlichen Prüfung noch ausstehe. Die Prämisse einer materiell-rechtlichen Genehmigungsfähigkeit ist jedoch – wie dargelegt – nicht glaubhaft gemacht. Angesichts dessen kommt es auf die von der Beschwerde aufgeworfene Frage nach einer gestreckten Stilllegungsverfügung bzw. einer Duldung durch den Antragsgegner nicht an. Dies betrifft gleichermaßen die Ausführungen der Beschwerde zu einem von dem Antragsgegner – vermeintlich - geschaffenen Vertrauenstatbestand.
Unabhängig davon legt die Beschwerde nicht nachvollziehbar dar, warum die Antragstellerin wegen des Verhaltens des Antragsgegners auf die Legalität ihres Vorhabens vertrauen durfte. Das Verwaltungsgericht hat unter Rückgriff auf obergerichtliche Rechtsprechung (OVG Magdeburg, Beschluss vom 25. Juni 2019 – 2 M 42/19 – juris Rn. 48) darauf abgestellt, dass das Vorbringen des Betreibers, er habe auf die Legalität des Vorhabens vertraut, unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nur dann beachtlich sein könne, wenn der Betreiber durch behördliche Auskünfte in diesem Vertrauen bestärkt worden sei und ihn insoweit ein Verschuldensvorwurf nicht treffe. Eine derartige verbindliche Erklärung des Antragsgegners gegenüber der Antragstellerin liege hier jedoch nicht vor. Dies stellt die Beschwerde nicht schlüssig in Frage.
Abgesehen davon musste ihr spätestens seit dem Abstimmungsgespräch mit dem Antragsgegner Ende Juli 2021 bekannt gewesen sein, dass der Antragsgegner die Durchführung eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens für erforderlich hielt. Dass der Antragsgegner seit einer Presseberichterstattung im Januar 2021 von „dem beabsichtigten Betrieb“ gewusst habe, stellt sich als bloße, von dem Antragsgegner bestrittene Behauptung dar. Aus einer bloßen Untätigkeit könnte dem Verwaltungsgericht zufolge ein Vertrauenstatbestand im Übrigen nicht abgeleitet werden.
Der Versuch der Beschwerde, das von dem Verwaltungsgericht bejahte überwiegende öffentliche Vollziehungsinteresse in Abrede zu stellen, bleibt ohne Erfolg. Abgesehen davon, dass die Ausführungen zu mit der Stilllegung verbundenen wirtschaftlichen Folgen mit dem Ablauf der insoweit grundsätzlich maßgeblichen Beschwerdebegründungsfrist ohne hinreichende Substantiierung geblieben sind, müssen diese Auswirkungen im Hinblick auf die von dem Verwaltungsgericht zutreffend angeführten, für ein überwiegendes Vollzugsinteresse sprechenden Argumente (u.a. illegaler Betrieb in Kenntnis einer Genehmigungspflicht seit mehreren Monaten, Abschöpfung wirtschaftlicher Vorteile unter Missachtung gesetzlicher Regelungen, Schutz vor schädlichen Umwelteinflüssen) zurückstehen. Das Ausmaß etwaiger Umwelteinwirkungen lässt sich hier nur im Genehmigungsverfahren bestimmen. Hinzu kommt, dass der Abschluss des Genehmigungsverfahrens nicht absehbar ist, weil die Antragstellerin der Beschwerde zufolge noch nicht alle geforderten Unterlagen eingereicht hat.
Soweit die Beschwerde erstmals im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gegen die durch den Antragsgegner verfügte Zwangsgeldandrohung (neugefasste Ziffer 4 der Ordnungsverfügung vom 8. Juni 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. August 2022) vorgeht, hält der Senat an der mit Beschluss vom 7. September 2022 geäußerten Rechtsauffassung fest, dass die – zudem erst nach Ablauf der Beschwerdefrist des § 147 Abs. 1 VwGO – unterbreitete Antragserweiterung im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 VwGO nicht statthaft ist. Die Antragstellerin wendet sich hier erstmalig gegen die selbständig anfechtbare Zwangsgeldandrohung im Widerspruchsbescheid vom 9. August 2022, ohne dass diese Verfügung Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war. Abgesehen davon, dass einer Vollstreckung ohnehin die Grundlage entzogen worden wäre, wenn die Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Beschluss Erfolg gehabt hätte, ist es der Antragstellerin auch im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG zuzumuten, zunächst erstinstanzlichen Rechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht in Anspruch zu nehmen. Dies gilt umso mehr, als die Beschwerde die Rechtswidrigkeit der Zwangsgeldandrohung allein mit der Rechtswidrigkeit der Stilllegungs- und Untersagungsanordnung (Ziffern I. und II. der Ordnungsverfügung) begründet, woraus sich im Übrigen die Erfolglosigkeit der Antragserweiterung ergibt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).