Gericht | LG Cottbus Wirtschaftsstrafkammer | Entscheidungsdatum | 02.11.2021 | |
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Aktenzeichen | 22 KLs 10/20 | ECLI | ECLI:DE:LGCOTTB:2021:1102.22KLS10.20.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Cottbus vom 9. Juli 2020, 1700 Js 33282/18, wird hinsichtlich der Taten Nr. 1 bis 5 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht Cottbus - Strafrichter - eröffnet.
2. Die Eröffnung der Taten Nr. 6 und 7 der Anklage vom 9. Juli 2020 (Einkommensteuer 2015 und Einkommensteuer 2016) wird abgelehnt.
3. Soweit die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wurde, fallen die insoweit entstandenen Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.
1.
Das Hauptverfahren war bezüglich der Taten Nr. 1 bis 5 (Einkommens- und Gewerbesteuer 2013 und 2014 sowie Umsatzsteuerjahreserklärung 2014) zu eröffnen, da nach dem Ergebnis des vorbereitenden Verfahrens der Angeklagte der angeklagten Straftaten hinreichend verdächtig erscheint. Die von der Verteidigung erhobenen Einwendungen stehen jedenfalls der Annahme eines hinreichenden Tatverdachts gemäß § 203 StPO nicht entgegen.
Soweit der Angeklagte vorträgt, er sei für die Steuerjahre 2013 und 2014 nicht davon ausgegangen, dass es zu einer Steuerzahlung kommen werde, er somit bezüglich einer etwaigen Steuerverkürzung nicht vorsätzlich gehandelt habe, gibt es derzeit ausreichende Indizien, die zumindest einen bedingten Vorsatz nahelegen. So gab der Angeklagte jedenfalls bis in das Jahr 2012 seine Steuererklärungen fristgemäß abgegeben. Mit Fax vom 31. Mai 2015 beantragte er bei dem Finanzamt .... "Fristverlängerung zur Einreichung wegen Wechsel der steuerlichen Vertretung" für die Steuererklärungen 2014. Auch in den Schätzungsbescheiden vom 22. Juni 2016 ist der Angeklagte darauf hingewiesen worden, dass eine Schätzung ihn nicht von seinen Erklärungspflichten befreie. Ob der Angeklagte dennoch entsprechend seiner Einlassung einem Tatbestandsirrtum erlegen sein könnte, bedarf daher der Prüfung auf Grund der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung.
Es liegen nach gegenwärtiger Aktenlage zudem nicht die Voraussetzungen für die Annahme einer strafbefreienden Selbstanzeige durch Einreichung der Steuererklärungen am 13. August 2018 gemäß § 371 Abs. 1 AO vor. Es besteht ein hinreichender Tatverdacht dahingehend, dass die Taten zu diesem Zeitpunkt bereits durch die zuständige Sachbearbeitung bei dem Finanzamt .... entdeckt waren und der Angeklagte nach verständiger Würdigung der Sachlage mit der Entdeckung hätte rechnen müssen (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO). So hatte das Finanzamt .... bereits am 30. August 2017 ein Zwangsgeld gegen den Angeklagten festgesetzt, um ihn zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten zu bewegen. Zudem meldete am 18. Oktober 2017 die Veranlagungsstelle des Finanzamtes .... den Verdachtsfall für die Jahre 2013 bis 2016 an die Straf- und Bußgeldstelle des Finanzamtes .... Dem Angeklagten ist zwar zuzustimmen, dass das Schreiben vom 9. Mai 2018, den Eindruck vermitteln könnte, die Finanzverwaltung gehe bisher nicht vom Vorliegen einer Straftat aus, soweit das Finanzamt ... - Steuerfahndungsstelle - den Angeklagten auf seine Mitwirkungspflicht gemäß §§ 90 ff. AO hinweist und für den Fall fehlender Mitwirkung ankündigt, "ggf. strafrechtlich gegen Sie" vorzugehen. Dieses Schreiben kann jedoch eine Entdeckung der Straftat und ein etwaiges Wissen darüber nicht rückwirkend entfallen lassen. Inwieweit der Angeklagte über seine Pflicht unzutreffend belehrt wurde und welche Konsequenzen dies gegebenenfalls hätte, muss ebenfalls einer Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.
2.
Die Eröffnung des Hauptverfahrens bezüglich der Taten Nr. 6 und 7 (Einkommensteuererklärung 2015 und 2016) wird aus tatsächlichen Gründen abgelehnt.
Die Anklage vom 9. Juli 2020 legt dem Angeklagten insoweit zur Last, gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in den Jahren 2015 und 2016 durch die verspätete Abgabe der Einkommensteuerklärungen jeweils die Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und dadurch Steuern verkürzt zu haben.
In den Jahren 2015 und 2016 erzielte der Angeklagte nach dem Akteninhalt - insoweit trägt auch die Anklagebehörde nichts Abweichendes vor - allein sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 4 EStG als Landtagsabgeordneter. Zwar gab er auch in diesen Jahren die Einkommensteuerklärungen erst nach Ablauf der jeweiligen Erklärungsfrist zum 31. Dezember des jeweiligen Folgejahres ab, er ließ in diesen Jahren jedoch die Finanzbehörden nicht über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis. Die jeweilige Höhe der Abgeordnetenbezüge des Anklagten waren nämlich jeweils bereits durch den Landtag Brandenburg für das Jahr 2015 am 17. März 2016 und für das Jahr 2016 am 22. März 2017 durch Schreiben unter Nennung der steuerlichen Identifikationsnummer gemeldet worden und weisen zudem den Eingangstempel des Finanzamtes .... auf (21. März 2016 bzw. 3. April 2017). Die Höhe der Mitteilung entspricht den später für die Steuerbescheide 2015 und 2016 verwendeten Besteuerungsgrundlagen. Es gibt zudem nach der Akte keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Mitteilungen dem zuständigen Veranlagungsplatz vorenthalten geblieben wären.
Die Kammer folgt insoweit der Auffassung, dass "in Unkenntnis lassen" voraussetzt, dass die betreffenden Tatsachen der Finanzbehörde unbekannt sind. Dies ist dann nicht der Fall, wenn alle Tatsachen, die für eine zutreffende Festsetzung erforderlich sind, dem konkret zuständigen Veranlagungsbeamten bekannt sind (so bereits BayObLGSt 1989, 145, 153 = wistra 1990, 159, 162; OLG Oldenburg, Urteil vom 16. November 1998, Ss 319/98 (I/107), BeckRS 1998, 16504; OLG Köln, Urteil vom 31. Januar 2017, 1 RVs 253/16, BeckRS 2017, 107137; Schmitz/Wulf, Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2019, Rn. 281. Ebenfalls Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2017, Rn. 66: "Es muss die Unkenntnis des zuständigen Finanzbeamten beseitig werden").
Soweit die Staatsanwaltschaft die Auffassung vertritt, dass es für die Erfüllung des Merkmals "in Unkenntnis lassen", nicht auf den Kenntnisstand der Finanzbehörden ankomme (unter Verweis auf Roth, NZWiSt 2017, 308 und LG Aurich, Urteil vom 8. November 2017, NZWiSt 2018, 190), kann die Kammer dem nicht folgen. Eine solche Auslegung ist bereits kaum mit dem Wortlaut des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO vereinbar, da nach allgemeinem Sprachgebrauch ein "in Unkenntnis lassen" voraussetzt, dass der Informationsempfänger "in Unkenntnis" ist. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO unterscheidet sich auch insoweit von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, nach dem sich strafbar macht, wer "über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht" und der insoweit - anders als beim Betrug - keine Täuschung verlangt. Insoweit es ist auch konsequent, wenn der Bundesgerichtshof bezüglich der Tatbestandsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO eine Täuschung der Finanzbehörden nicht voraussetzt (z.B. unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung BGH, Beschluss vom 21. November 2012, 1 StR 391/12; Beschluss vom 14.12.2010, 1 StR 275/10). Gerade in dem Urteil vom 21. November 2012 führt der Bundesgerichtshof zudem aus, dass - so wörtlich - "im Gegensatz zu § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO" bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht auf eine Kenntnis oder Unkenntnis der Finanzbehörden abzustellen sei. Die Staatsanwaltschaft verweist zwar zudem darauf, dass es - soweit es auf den Kenntnisstand der Behörde ankomme - zu zufälligen Ergebnissen kommen könne. Je nach Ausgestaltung des Besteuerungsverfahrens durch die Behörde zur Weiterleitung - auch elektronischer - Datenzulieferungen an den Veranlagungsplatz könne dasselbe Verhalten zur Strafbarkeit oder Nichtstrafbarkeit führen. Derartige praktische Probleme wären jedoch vom Gesetzgeber zu lösen und sind ebenfalls bei anderen Tatbeständen, wie z.B. dem Betrug, möglich. Zudem ist im konkreten Fall zu beachten, dass hier das Finanzamt .... nicht allein eine elektronische Kontrollmitteilung erreichte, sondern die Höhe der Abgeordnetenbezüge individuell durch Schreiben des Landtages unter Nennung der Steueridentifikationsnummer mitgeteilt wurden.
Der Akteninhalt trägt zudem auch die Möglichkeit einer Versuchsverurteilung nicht. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Angeklagten unbekannt gewesen sein könnte, dass seine Bezüge der zuständigen Finanzbehörde gemeldet werden. Auch in seiner E-Mail vom 13. Juni 2018 an die Steuerfahndung ..., in der er die baldige Abgabe von Steuererklärungen ankündigte, verweist er bereits darauf, dass seine Abgeordnetenbezüge jährlich durch die Landtagsverwaltung mitgeteilt worden seien. Damit besteht auch kein hinreichender Verdacht für die Begehung eines untauglichen Versuchs der Steuerhinterziehung.
3.
Zuständig für die Durchführung des Hauptverfahrens ist gemäß § 24 Abs. 1 GVG das Amtsgericht und dort der/die Strafrichter/in. Es ist bereits die Verhängung einer Freiheitsstrafe nicht zu erwarten. Die Zuständigkeit der Strafkammer ergibt sich auch nicht wegen eines besonderen Umfangs oder einer besonderen Bedeutung des Falles.
Die Sache hat zunächst keinen besonderen Umfang. Die Sache umfasst drei Aktenbände, eine Beiakte und ein - dünnes - Beweismittelheft. Der mögliche Steuerschaden beläuft sich auf insgesamt 7.287,10 €, wobei der maßgebliche Anteil auf die Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 2014 in Höhe von 4.883,10 € entfällt. Eine umfangreiche Beweisaufnahme ist nicht zu erwarten. Dem Angeklagten werden in der Fassung des Eröffnungsbeschlusses zwar fünf Taten zur Last gelegt, für die jedoch lediglich seine Einkommensverhältnisse für zwei Jahre ermittelt werden müssen. Auch der Umstand, dass es sich bei der vorgelegten Sache um eine Wirtschaftsstrafsache handelt, ändert an diesem Ergebnis nichts. Der Gesetzgeber selbst geht davon aus, dass Wirtschaftsstrafsachen auch bei den Amtsgerichten verhandelt werden, da der Wirtschaftsstrafkammer gemäß § 74c Abs. 1 Satz 1 GVG auch die Zuständigkeit für Berufungen gegen die Urteile des Schöffengerichts zugewiesen sind.
Ein besonderer Umfang der Sache folgt schließlich auch nicht daraus, dass die Staatsanwaltschaft Cottbus unter dem Aktenzeichen 1700 Js 24880/20 eine weitere Anklage gegen den Angeklagten erhoben hatte, über deren Zulassung zur Hauptverhandlung ebenfalls zu entscheiden ist. Es liegt zwar nicht fern, die Verfahren wegen der Personenidentität zu verbinden. Aber auch in der Gesamtschau hätten diese Verfahren nach Verbindung keinen besonderen Umfang. In dem Verfahren 1700 Js 24880/20 wird dem Angeklagten zur Last gelegt, durch eine Handlung die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen zu haben und dadurch nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt zu haben, indem er unterließ, den Abbruch der Ausbildung seines Sohnes unverzüglich der Familienkasse zu melden. Der Angeklagte habe daher für die Zeit von Januar 2019 bis Oktober 2019 Kindergeld in Höhe von 1.986,00 € zu Unrecht erhalten. Auch in diesem Verfahren bedarf eine Verhandlung keiner überdurchschnittlichen Beweisaufnahme. Es handelt sich vielmehr um eine Strafsache, die von ihrer Art typischer Weise beim Strafrichter verhandelt wird. Der Angeklagte stellt zudem den objektiven Sachverhalt nicht in Frage, sondern bemängelt allein, dass ihm ein Vorsatz unterstellt wird. Dies erfordert aber auch nach einer möglichen Verbindung nicht, das Verfahren vor der großen Strafkammer zu verhandeln.
Die Sache ist schließlich auch nicht von besonderer Bedeutung im Sinne des § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG. Dies wäre der Fall, wenn sie sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen, etwa wegen des Ausmaßes der Rechtsverletzung, der Auswirkungen der Straftat, der Erhöhung des Unrechtsgehalts durch die hervorragende Stellung des Beschuldigten oder Verletzten aus der Masse der durchschnittlichen Strafsachen heraushebt oder wenn die rasche Klärung einer grundsätzlichen, für eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle bedeutsamen Rechtsfrage durch den Bundesgerichtshof ermöglicht werden soll. Entscheidend ist dabei aber immer die Bewertung des Einzelfalls (BGHSt 47, 16 ff.).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Angeklagte ist zwar Landtagsabgeordneter und bekleidete bis ... das Amt eines .... Dies allein führt jedoch nicht dazu, dass das Verfahren eine überdurchschnittliche Bedeutung gewinnen würde. Die dem Angeklagten vorgeworfenen Straftaten stehen allenfalls mittelbar im Zusammenhang mit seiner politischen Tätigkeit und liegen bereits längere Zeit zurück. Ein besonderes Medieninteresse ist bisher nicht bekannt.
Schließlich kommt es aus gegenwärtiger Sicht auch nicht auf die Entscheidung einer grundsätzlichen, für eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle bedeutsamen Rechtsfrage an, die möglichst durch den Bundesgerichtshof beurteilt werden soll. Soweit die Staatsanwaltschaft insoweit auf den Streit darüber verweist, ob die Vollendung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO eine Unkenntnis der Finanzbehörde über die verschwiegene steuerlich erhebliche Tatsache verlangt, sind zunächst die Tatvorwürfe Nr. 6 und 7 nach Ablehnung der Eröffnung nicht mehr Gegenstand eines etwaigen Urteils. Im Übrigen gibt es zu dieser Frage bereits eine einheitliche obergerichtliche Rechtsprechung, ohne dass erkennbar wäre, dass diese Frage in einer Vielzahl von Fällen von Bedeutung wäre.
4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.