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Entscheidung 11 U 182/21


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 11. Zivilsenat Entscheidungsdatum 18.08.2022
Aktenzeichen 11 U 182/21 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0818.11U182.21.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 22.06.2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 6. Zivilkammer des Landgerichts Neuruppin wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten wird das vorgenannte Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen hat der Kläger zu tragen.

Das Berufungsurteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

1. Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 19.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Von der Abfassung eines Tatbestandes wird abgesehen, §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage insgesamt. Die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen diesbezüglich eine andere – der Beklagten günstigere – Entscheidung:

A. Der Kläger hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, insbesondere nicht aufgrund ungerechtfertigter Bereicherung aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB, einen Rückzahlungsanspruch der Erhöhungsbeträge, die er aufgrund der Prämienerhöhungsverlangen der Beklagten im Tarif VCH3C zum 01.12.2012, zum 01.01.2015 und zum 01.01.2017 für sich und zum 01.01.2018 für den Mitversicherten C… F…; im Tarif Kt42 zum 01.01.2012 und zum 01.01.2018 und im Tarif GZN10 zum 01.01.2012, zum 01.01.2015 und zum 01.01.2017 an diese (unstreitig) gezahlt hat. Entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung waren die vorgenannten Prämienerhöhungsverlangen der Beklagten zum 01.01.2012, zum 01.01.2015, zum 01.01.2017 und zum 01.01.2018 in allen vorgenannten Tarifen formell und materiell wirksam.

1. Die Neufestsetzungen der Prämien sind dem Kläger jeweils in Übereinstimmung mit § 203 Abs. 5 VVG formwirksam mitgeteilt worden und haben deshalb die im Gesetz vorgesehene Übergangsfrist rechtzeitig in Lauf gesetzt. Angesichts dessen ist auch das geltend gemachte negative Feststellungspetitum des Klägers unbegründet.

a) Gemäß § 203 Abs. 5 VVG wird eine Neufestsetzung der Prämie, wie sie § 203 Abs. 2 VVG ermöglicht, zu Beginn des zweiten Monats wirksam, der auf ihre Mitteilung und der hierfür maßgeblichen Gründe an den Versicherungsnehmer folgt. Als maßgeblicher Grund i.S.d. Gesetzes kommt lediglich eine nicht nur als vorübergehend anzusehende Veränderung der für die Prämienkalkulation relevanten Rechnungsgrundlage in Form entweder der Versicherungsleistungen, der Sterbewahrscheinlichkeiten oder beider Größen in Betracht (§ 203 Abs. 2 S. 1 und 3 VVG; vgl. BGH, Urt. v. 16.12.2020 - IV ZR 294/19, LS und Rn. 25 ff., BeckRS 2020, 37391). Um die oben bereits erwähnte Übergangsfrist in Lauf zu setzten, bedarf es einer auf die konkrete Beitragsanpassung im jeweiligen Tarif bezogenen Begründung, worin angegeben werden muss, bei welcher der im Gesetz genannten Rechnungsgrundlagen die Veränderung, die die Prämienneufestsetzung ausgelöst hat, eingetreten ist; der jeweilige Versicherungsnehmer muss der Mitteilung – zumindest bei einer Gesamtschau der ihm zugesandten Schriftstücke (vgl. dazu BGH, Urt. v. 09.02.2022 - IV ZR 337/20, Rn. 31, BeckRS 2022, 3377, vgl. hierzu auch eingehend Senatsbeschl. v. 10.08.2022 - 11 U 224/21) – mit der gebotenen Klarheit entnehmen können, dass eine Über- oder Unterschreitung des für die jeweilige Rechnungsgrundlage laut Gesetz oder Tarif geltenden Schwellenwertes die konkrete Beitragserhöhung bewirkt hat (vgl. BGH [IV ZR 294/19] a.a.O., LS, Rn. 25 f. und 39; Urt. v. 23.06.2021 - IV ZR 250/20, Rn. 18, BeckRS 2021, 18716; Urt. v. 17.11.2021 - IV ZR 113/20, Rn. 25, BeckRS 2021, 37439). Daran sind keine hohen Anforderungen zu stellen (Senat, a.a.O.). Nicht nötig sind etwa Angaben zur konkretem Höhe der Änderung und zu den weiteren Faktoren, die die Prämienhöhe beeinflusst haben, oder dazu, wo genau der Schwellenwert geregelt ist und in welche Richtung sich die einschlägige Rechnungsgrundlage verändert hat; ebenso wenig muss dem Versicherungsnehmer durch den Inhalt der Mitteilung eine Plausibilitätsprüfung ermöglicht werden (vgl. BGH [IV ZR 294/19], a.a.O. LS, Rn. 26 ff. und 36; [IV ZR 113/20], a.a.O. Rn. 26 f.). Als stets unzulänglich erweist es sich indes, bloß zu erläutern, welche Faktoren generell für eine Prämienanpassung relevant sein können, wie das entsprechende Verfahren dem Grunde nach funktioniert oder welche gesetzlichen Voraussetzungen im Prinzip erfüllt sein müssen (vgl. dazu BGH [IV ZR 294/19], a.a.O. Rn. 25 und 27; Senat, a.a.O.).

b) Entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung hat die Beklagte die vorgenannten Neufestsetzungsvoraussetzungen für die Prämienzeiträume 2012 bis 2018 in formeller Hinsicht beachtet. Ob eine solche den gesetzlichen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügt, hat nach der höchstrichterlichen Judikatur der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden (vgl. BGH, Urt. v. 16.12.2020 - IV ZR 294/19, Rn. 38, BeckRS 2020, 37391; Urt. v. 22.06.2022 - IV ZR 253/20, Rdn. 23, BeckRS 2022, 18282). Abzustellen ist in diesem Rahmen – ähnlich wie bei der Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen (vgl. dazu BGH, Urt. v. 22.06.2022 - IV ZR 253/20, Rdn. 31 m.w.N., BeckRS 2022, 18282) – auf die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers, der zwar hinsichtlich des Versicherungswesens weder über rechtliche noch über mathematische Spezialkenntnisse verfügt, aber um eine verständige Würdigung bemüht ist, die ihm übersandte Unterlagen aufmerksam durchsieht und den für ihn erkennbaren Sinnzusammenhang berücksichtigt.

Dieser erfährt zunächst aus dem Wortlaut der Schreiben der Beklagten für das Jahr 2012 aus dem November 2011, dass es aufgrund des gesetzlich vorgeschriebenen und durchgeführten Vergleichs deutliche Mehrausgaben im Bereich des Kosten- und Leistungsmanagements gegeben habe. Entgegen der Auffassung des Landgerichts, handelt es sich hierbei nicht lediglich um „pauschale Gründe“ der Kostensteigerung. Die Mitteilung des auslösenden Faktors ist bezogen auf den hier in Rede stehenden Versicherungstarif, was sich schon aus dem Wortlaut des nachfolgenden Absatzes ergibt, wonach die „Aufstellung über den Versicherungsschutz [darüber informiert], ob und wie sich die Beitragsüberprüfung für Sie persönlich auswirkt“. Damit hat die Beklagte dem Kläger das Ergebnis der Überprüfung in seinem konkreten Fall mitgeteilt (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation OLG Celle, Urt. v. 14.04.2022 - 8 U 13/22, BLD BB 5).

Nicht anderes gilt im Ergebnis auch für die Folgetarife für die Prämienanpassungen zum 01.01.2015, 01.01.2017 und 01.01.2018 (vgl. hierzu im Einzelnen die vorgelegten Informationsschreiben in der Anlage BLD 2, AB), die das Landgericht für formell unzureichend angesehen hat. Auch hier hat die Beklagte jeweils mitgeteilt, dass alle Versicherer zur Gewährleistung der Balance von Leistungen und Beiträgen laut Gesetz einmal jährlich die kalkulierten mit den tatsächlich ausgezahlten Leistungen vergleichen müssen, was beim Kläger zum Ergebnis geführt hat, dass die Prämien in den hier genannten Tarifen anzupassen sind. Die Beklagte hat darüber hinaus mitgeteilt, dass „in einigen Bereichen höhere Kosten angefallen“ seien, was der gesetzlich vorgeschriebene Vergleich „ in diesem Jahr“ ergeben habe. Zudem wurde auf eine Abweichung von einem danach „bestimmten Umfang“ hingewiesen. Hieraus wird einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer hinreichend deutlich, dass die Prämienanpassung durch eine Veränderung der Rechnungsgrundlage „Versicherungsleistungen“ ausgelöst wurde (vgl. zu einer vergleichbaren Prämienerhöhung auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.07.2022 - I-13 U 123/21; OLG Celle, Urt. V. 31.03.2022 - 8 U 292/21; OLG Hamm, Beschl. v. 01.12.2021 - I- U 285/21, OLG München, Urt. v. 17.12.2021 - 25 U 5627/21). Die Auffassung des Landgerichts und des Klägers, dass es sich auch insoweit um abstrakte und insgesamt unzureichende Beschreibungen des Anpassungsprozesses (so LGU 11) handelt, teilt der Senat nicht (vgl. hierzu auch Senat, a.a.O.; vgl. auch Senatsurt. v. 17.08.2022 - 11 U 266/21).

2. Dass die materiellen Änderungsvoraussetzungen zum Stichtag vorgelegen haben, steht zwischen den Prozessparteien inhaltlich außer Streit. Im Übrigen teilt der Senat in gefestigter Rechtsprechung die Auffassung, wonach das Absinken eines auslösenden Faktors eine Beitragserhöhung im Rahmen der Neukalkulation - entgegen der von dem Kläger vertretenen Rechtsauffassung - ebenso wenig ausschließt wie dessen Ansteigen eine Prämienermäßigung (st. Rspr., vgl. Senat, a.a.O.). Das Gesetz selbst schreibt nicht vor, dass sich die Beitragshöhe und der auslösende Faktor immer in die gleiche Richtung entwickeln müssen; vielmehr ergibt sich das Gegenteil aus der Zweistufigkeit des vorgesehenen Anpassungsmechanismus (vgl. dazu Senat, a.a.O.; OLG Dresden, Urt. v. 19.04.2022 - 4 U 2416/21, LS 2, BeckRS 2022, 10715 Rdn. 23 f.; Urt. v. 17.05.2022 - 4 U 2388/21, LS 2, BeckRS 2022, 12334 Rn. 21). Auch der Bundesgerichtshof hat eine Klausel, durch die – wie hier mit § 8b Nr. 1 und 1.1 AVB – eine Prämienanpassung bereits dann ermöglicht wird, wenn sich bei dem Vergleich der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen eine Abweichung von mehr als 5 % ergibt, als rechtlich unbedenklich angesehen (BGH, Urt. v. 22.06.2022 - IV ZR 253/20, LS und Rn. 29 ff., BeckRS 2022, 18282).

B. Infolgedessen ist das angefochtene Urteil auch hinsichtlich der vom Landgericht zugesprochenen Feststellungsbegehren abzuändern und die Klage abzuweisen.

C. Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderungen und sind gleichermaßen unbegründet.

III.

Die Berufung des Klägers ist unbegründet.

Auf der Grundlage der vorangegangenen Ausführungen unter II. stehen dem Kläger bereits keine Ansprüche für die in Rede stehenden Prämienanpassungen für ihn und den Mitversicherten C… F… im Zeitraum 2012 bis 2018 zu. Im Übrigen liegen die Ausführungen des Landgerichts hinsichtlich der angenommenen (teilweisen) Verjährung der klägerischen Forderungen im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom 17.11.2021 (IV ZR 113/20), der sich der Senat in zahlreichen, bisher hierzu ergangenen Entscheidungen angeschlossen hat. Auch weitere Zahlungsansprüche, die der Kläger nunmehr im Berufungsverfahren geltend macht und die nach Anhängigkeit der Klage durch ihn gezahlt worden sind, stehen dem Kläger aufgrund dessen hinsichtlich der genannten Prämienanpassungen nicht zu.

Soweit das Landgericht die Prämienerhöhungen der Beklagten zum 01.01.2019 und zum 01.01.2020 für den Kläger und den Mitversicherten Sohn für wirksam angesehen hat, wird dies mit der Berufung nach sachgerechtem Verständnis der klägerischen Berufungsanträge nicht weiter angegriffen. Auf der Grundlage der vorangegangenen Ausführungen unter II. wäre dies aber auch in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Berufungsurteiles stützt sich auf § 708 Nr. 10 ZPO sowie auf § 711 Satz 1 und 2 i.V.m. § 713 ZPO.

Die Revision wird vom Senat – in Ermangelung der gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 133 GVG – nicht zugelassen. Das Urteil des erkennenden Senates beruht im Wesentlichen auf der Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall und auf der Würdigung von dessen tatsächlichen Umständen. Divergenzen zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder zu Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte, die höchstrichterlich noch ungeklärte Fragen mit Relevanz für den Ausgang des hiesigen Streitfalles betreffen, sind nicht ersichtlich. Die aufgeworfenen Fragen lassen sich im Streitfall vielmehr auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zweifelsfrei beantworten. Das gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auch dann, wenn noch eine große Anzahl vergleichbarer Fälle bei Gericht anhängig ist (vgl. statt vieler Senat, Beschl. v. 29.01.2021 – 11 U 113/20, BeckRS 2021, 7532 Rn. 19; Beschl. v. 18.11.2020 – 11 U 50/19, BeckRS 2020, 35720 Rn. 13; vgl. allgemein hierzu BGH, Beschl. v. 01.10.2002 - XI ZR 71/02; Beschl. v. 03.02.2015, II ZR 52/14, Rn. 9 jeweils zit. n. juris; OLG München, Beschl. vom 29.09.2020 - 8 U 201/20, BeckRS 2020, 24517 Rn. 37).