Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 6 K 2244/18.A


Metadaten

Gericht VG Potsdam 6. Kammer Entscheidungsdatum 08.09.2022
Aktenzeichen 6 K 2244/18.A ECLI ECLI:DE:VGPOTSD:2022:0908.6K2244.18.A.00
Dokumententyp Gerichtsbescheid Verfahrensgang -
Normen § 3a Abs 2 Nr 5 AsylVfG 1992, § 3e Abs 1 AsylVfG 1992, § 4 Abs 3 AsylVfG 1992, § 60 Abs 5 AufenthG, § 60 Abs 7 AufenthG

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheit in Höhe von 110 % des aufgrund des Gerichtsbescheids vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Kläger sind russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit.

Sie reisten auf dem Landweg im Mai 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 17. Mai 2017 bei der Außenstelle Eisenhüttenstadt des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) förmliche Asylanträge.

Ihre Asylanträge lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 26. Mai 2017 zunächst als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Polen an. Das entsprechende Eilverfahren blieb vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) erfolglos (VG 2 L 735/17.A). Zu einer Überstellung kam es nicht. Unter Hinweis auf den Ablauf der Überstellungsfrist hob das Bundesamt mit Bescheid vom 23. Februar 2018 den Überstellungsbescheid auf. Das Klageverfahren stellte das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) ein (VG 2 K 2129/17.A).

Im Rahmen der Anhörung am 28. März 2018 gab der Kläger zu 1. zu seinen Asylgründen befragt im Wesentlichen an, wegen der unzureichenden Bezahlung und Entlassung aus dem Lehrerdienst bei der Verwaltung seines Heimatortes sich beschwert und eine Anzeige erstattet zu haben. Daraufhin sei er zweimal mitgenommen und u.a. mit Strom gefoltert worden. Er habe sich zu Straftaten oder zur Homosexualität bekennen und Personen benennen sollen, die nach Syrien gegangen seien. Der Kläger zu 1. sei dann freigelassen worden, da ein Onkel ihm geholfen habe. Ihm sei gesagt worden, er solle Tschetschenien nicht verlassen. Über Moskau, wo er von einem Mitarbeiter der Polizei angerufen worden sei, seien sie dann ausgereist. Die Klägerin zu 2. gab im Rahmen ihrer Anhörung beim Bundesamt am gleichen Tag an, wegen der Probleme ihres Mannes ausgereist zu sein. Sie schilderte zudem, die Reisepässe beantragt zu haben, nachdem ihr Mann, der Kläger zu 1. beschlossen hatte, wegen der Probleme auszureisen. Beide machten zudem gesundheitliche Probleme geltend.

Mit Bescheid vom 23. Mai 2018 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Asylanerkennung und subsidiären Schutz ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorlägen, drohte die Abschiebung in die Russische Föderation an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen an, die geschilderten Verfolgungshandlungen zielten nicht darauf ab, die Kläger, insbesondere den Kläger zu 1. in einem asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Merkmal zu treffen. Die vorgetragenen Gewaltanwendungen stellten sich als Taten einzelner Amtswalter in Ausnutzung ihrer Stellung zur Informationsgewinnung dar. Das sei dem russischen Staat nicht zuzurechnen und lasse keinen politischen Hintergrund erkennen. Zudem liege kein gesteigertes Interesse an der Person des Klägers zu 1. seitens der staatlichen Behörden vor. Ferner bestünden Glaubhaftigkeitszweifel hinsichtlich der geschilderten Ereignisse. Schließlich seien die Kläger auf die Möglichkeit des internen Schutzes innerhalb der Russischen Föderation, außerhalb der Nordkaukasus-Region zu verweisen. Für die Kläger fehle es überdies bereits an einem Nachweis, dass eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, die einer Behandlung bedarf, so dass ein Abschiebeverbot i.S.d. § 60 Abs. 7 AufenthG nicht in Betracht komme.

Am 13. Juni 2018 haben die Kläger Klage zu dem in der Rechtsbehelfsbelehrung genannten Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) erhoben. Sie beziehen sich zur Begründung auf den bisherigen Vortrag im Rahmen der Anhörung. Die Klägerin zu 2. macht wegen einer behandlungsbedürftigen Hepatitis B-Erkrankung Abschiebungshindernisse geltend. Dazu legten sie ein Schreiben des ambulanten Gesundheitszentrums der Charité vom 14. Juli 2021 vor, wonach die Klägerin zu 2. aufgrund chronischer Hepatitis B dauerhaft dort in hepatologischer Betreuung sei. Kontrollen erfolgten alle 6 Monate. In einem weiteren, ebenfalls eingereichtem Schreiben des gleichen Gesundheitszentrums, vom 4. Januar 2019 heißt es u.a., dass aktuell keine spezifische antivirale Therapie indiziert sei. Sie beantragen sinngemäß,

den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. Mai 2018 aufzuheben,

die Beklagte zu verpflichten, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen von § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen,

hilfsweise, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf den streitgegenständlichen Bescheid.

Mit Beschluss vom 2. Juli 2018 hat das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) den Rechtstreit an das erkennende Gericht verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte zu diesem Verfahren und zu dem Verfahren VG 6 K 401/19.A sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Das Gericht kann gemäß § 84 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten dazu angehört worden sind.

Die klägerischen Anträge sind nach § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass das klägerische Begehr im Hauptantrag auf die Verpflichtung des Bundesamts zur Gewährung von Asyl nach Art. 16a GG und/oder auf Anerkennung als Flüchtling nach § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) gerichtet ist. Für den Fall, dass dieses Hauptbegehren insgesamt erfolglos bleibt, ist nachrangiges, zusätzliches Rechtsschutzziel, die Verpflichtung des Bundesamts zur Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG sowie zugleich die Aufhebung der Abschiebungsandrohung in Bezug auf das Abschiebezielland. Falls die Klage auch insoweit erfolglos bleibt, soll die Verpflichtung des Bundesamts erreicht werden, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG festzustellen, sowie ggf. auch nur die Aufhebung der Abschiebungsandrohung und des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Der typischen Interessenlage des im Verwaltungsverfahren unterlegenen Asylsuchenden entspricht es deshalb, sein dem Verwaltungsgericht unterbreitetes Rechtsschutzbegehren – wenn es nicht ausnahmsweise deutlich erkennbar eingeschränkt sein sollte – dementsprechend sachdienlich umfassend auszulegen (vgl. nur Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Juni 2002 – 1 C 17/01 –, juris Rn. 8 m.w.N.)

II. Die so verstandene Klage ist zwar zulässig aber unbegründet.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Mai 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 bzw. Abs. 1 VwGO. Sie haben nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 des Asylgesetzes - AsylG -) weder einen Anspruch auf Asylanerkennung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor; auch die Abschiebungsandrohung und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots sind nicht zu beanstanden.

1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), da sie in die Bundesrepublik Deutschland aus Polen, einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft eingereist sind, Art. 16a Abs. 2 GG.

2. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 3 Abs. 1 S. 1 AsylG und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 1 AsylG..

a) Hinsichtlich der vorgetragenen fluchtauslösenden Geschehnisse bestehen bereits nicht unerhebliche Glaubhaftigkeitszweifel. Letztlich bedarf es vorliegend jedoch keiner Entscheidung, ob diese seitens des Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ausführlich dargestellten Zweifel auch durchgreifen. Denn selbst bei Wahrunterstellung des klägerischen Verfolgungsvortrags besteht jedenfalls die Möglichkeit des internen Schutzes gemäß § 3e AsylG, der auch für den subsidiären Schutz gilt (vgl. § 4 Abs. 3 AsylG).

Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft bzw. nach § 4 Abs. 3 i. V. m. § 3e Abs. 1 AsylG der subsidiäre Schutz nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens oder Zugang zu Schutz vor diesem ernsthaften Schaden nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Am Zufluchtsort muss der Asylsuchende eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden, also dort muss jedenfalls das Existenzminimum gewährleistet sein. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum in aller Regel dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 1. Februar 2007 - 1 C 24.06 - juris, Rn. 11). Davon ist vorliegend auszugehen.

Zur Begründung wird zunächst zur Meidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Mit der Klage ist nichts dafür vorgetragen, das Anlass zu einer abweichenden Beurteilung der Sach- und Rechtslage geben könnte.

Ergänzend weist der zur Entscheidung berufenen Einzelrichters zum Einen darauf hin, dass das Bestehen einer die inländische Fluchtalternative ausschließenden Verfolgungssituation bei Tschetschenen auch nach den eingeführten aktuellen Erkenntnismitteln nur dann anzunehmen ist, wenn entweder ein landesweites Verfolgungsinteresse föderaler Sicherheitsbehörden glaubhaft gemacht werden kann oder konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass seitens der tschetschenischen Sicherheitsbehörden ein derart großes Interesse an der Ergreifung des Betroffenen besteht, dass diese mit beachtlicher Aussicht auf Erfolg eine Festnahme und offizielle Überstellung durch die föderalen oder lokalen Behörden in der übrigen Russischen Föderation bewirken können oder das die tschetschenischen Sicherheitsbehörden trotz der hierdurch bewirkten politischen Verwerfungen zu einem inoffiziellen Tätigwerden außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs verleiten kann (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 2. Februar 2021 in der Fassung vom 21. Mai 2021 [Stand: Oktober 2020], S. 14; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Stand: 10. Juni 2021, S. 81; ausführlich hierzu Galeotti, Lizenz zum Töten? Das Risiko für Tschetschenen innerhalb Russlands, Juni 2019, S. 16 ff.; vgl. Verwaltungsgericht Potsdam, 6. Kammer, Urteile vom 10. Mai 2017 - 6 K 4904/16.A - juris Rn. 23 ff und vom 14. Januar 2020 – VG 6 K 246/16.A –; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28. Mai 2020 – 2 L 25/18 –, juris Rn. 47; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 16. Juli 2019 – 11 B 18.32129 –, juris Rn. 47 ff.; Verwaltungsgericht Cottbus, Urteil vom 15. November 2019 – 1 K 1579/18.A –, Rn. 36 ff., juris, m. w. N). Anhaltspunkte für das eine oder das andere liegen nicht vor. Dies
haben die Kläger auch selbst nicht substantiiert behauptet. Der Kläger zu 1. ist – nach seinem Vortrag – lediglich wegen einer Beschwerde und Anzeige über die Einbehaltung eines Teillohnes und seiner Kündigung in den Fokus der Sicherheitsbehörden geraten. Diese haben ihn zudem wieder gehen gelassen. Ein landesweites Verfolgungsinteresse kann damit nicht belegt werden.

Zum Anderen sprechen weder die allgemeinen Gegebenheiten noch die persönlichen Umstände dafür, dass es den Klägern unzumutbar wäre, ihren Aufenthalt in sonstigen Landesteilen der Russischen Föderation zu nehmen. Schließlich war es den Klägern auch zuvor möglich, für Ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Kläger im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation in der Lage sein werden, nach Überwindung von etwaigen Anfangsschwierigkeiten ihren Lebensunterhalt oberhalb des Existenzminimums zu sichern.

b) Zudem ist den aktuellen Erkenntnismitteln auch nicht zu entnehmen, dass russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, generiert am 10. Juni 2021, S. 99; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand: Oktober 2020, in der Fassung vom 21.05.2021, S. 22; Informationsbericht des European Asylum Support Office (EASO) über das Herkunftsland Russische Föderation zur Situation der Tschetschenen in Russland vom August 2018, S. 56f.).

c) Hinsichtlich des Klägers zu 1. ist zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 S. 1 AsylG) auch nicht davon auszugehen, dass ihm flüchtlingsrelevante staatliche Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Bestrafungen i.S.d. § 4 Abs.1 AsylG wegen einer etwaigen Wehrdienstentziehung im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine drohen.

Es liegen keine Anzeichen dafür vor, dass eine Person in dem Alter des Klägers zu 1. – er ist am 26. Dezember 1993 geboren, mithin 28 Jahre alt – und in der Situation des Klägers – er ist Tschetschene und hat nach eigenem, insoweit glaubhaften (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, generiert am 21. April 2022, S. 37), Bekunden im wehrfähigen Alter keinen Wehrdienst in den russischen Streitkräften geleistet – mit einer legalen Einberufung oder einer extralegalen Einziehung zu einem Militärdienst bei einer Rückkehr in die Russischen Föderation rechnen müsste.

aa) Derzeit besteht eine Wehrpflicht gemäß § 22 Abs. 1a des Föderalen Gesetzes über militärische Pflichten und Militärdienst nur für Männer im Alter von 18 bis 27 Jahren (ACCORD; Anfragebeantwortung u. a. zur Wehrpflicht vom 16. Mai 2022, S. 2; European Union Agency for asylum – euaa – „Treatment of military Deserters by State Authorities since the February 2022 Invasion of Ukraine“ vom 05. April 2022, S. 2; Martin Malek, Gutachten für das Verwaltungsgericht Berlin vom 22. Dezember 2014, S. 12). Der Kläger fällt mithin bereits nicht in den relevanten Altersbereich. Die weiteren sich insoweit stellenden Fragen bedürfen daher zum derzeitigen Zeitpunkt keiner Beantwortung, insbesondere zur aktuellen Möglichkeit sich vom Wehrdienst fernzuhalten oder zumindest einen Aufschub zu erhalten, zur Sanktionen bei Weigerung und zum Einsatz von Wehrpflichtigen im Krieg in der Ukraine (vgl. ACCORD; Anfragebeantwortung u. a. zur Wehrpflicht vom 16. Mai 2022, S. 11; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, generiert am 21. April 2022, S. 37; Martin Malek, Gutachten für das Verwaltungsgericht Berlin, S. 17; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Berlin vom 11. Dezember 2014, Frage 4).

bb) Eine Generalmobilmachung wurde bisher nicht angeordnet, so dass für den Kläger zu 1. ebenfalls nicht die Gefahr besteht, insoweit zum Dienst mit der Waffe gezwungen zu werden bzw. ihn Sanktionen bei einer entsprechenden Weigerung treffen würden.

cc) Das Gericht ist zudem der Ansicht, dass nach den vorliegenden Erkenntnissen auch nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Kläger zu 1. gegen seinen Willen für eine tschetschenische Kampfeinheit eingezogen und in diesem Zuge in die Ukraine entsandt würde oder bei Weigerung mit erheblichen Nachteilen rechnen müsste. Der tschetschenische Machthaber Kadyrow hat zwar – mutmaßlich zum Beweis seiner Loyalität zu Putin und zum Ausbau seiner Macht – die Entsendung nicht nur seiner Spezialeinheit „Kadyrowzy", sondern auch immer weiterer Truppen in die Ukraine versprochen; tausende Truppen wurden bereits entsandt (ACCORD; Anfragebeantwortung u. a. zur Wehrpflicht vom 16. Mai 2022, S. 17 f.). Keiner Entscheidung bedarf, ob es sich insoweit – wie von Kadyrow öffentlich dargestellt – tatsächlich ausschließlich um „Freiwillige" handelt, die in das umkämpfte Gebiet in der Ukraine geschickt werden oder ob – wofür den Erkenntnismitteln einiges entnommen werden kann – jedenfalls ein Großteil der in der Ukraine eingesetzten Kämpfer zu dem Einsatz gezwungen wurden und ihnen mit Gefängnis oder mit Vergeltungsmaßnahmen gegen ihre Verwandten gedroht wird, sollten sie sich widersetzen (ACCORD; Anfragebeantwortung u. a. zur Wehrpflicht vom 16. Mai 2022, S. 17 f. S. 18 ff., „The Insider“: „Threatening mothers and sisters.“ „How Chechen ‚volunteers‘ are forcibly sent to fight in Ukraine“ vom 15. Juni 2022, abrufbar unter: https://theins.ru/en/society/252237, abgerufen am 8. September 2022; vgl. Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 30. Juni 2022 – VG 33 L 158/22.A; vgl. Verwaltungsgericht Cottbus, Urteil vom 4. August 2022 – VG 1 K 95/19.A). Es ist nämlich davon auszugehen, dass für den Kläger zu 1. auch insoweit jedenfalls die Möglichkeit des internen Schutzes gemäß § 3e AsylG, der auch für den subsidiären Schutz gilt (vgl. § 4 Abs. 3 AsylG) besteht. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass Kadyrow derartige Kämpfer landesweit – unabhängig von einer etwaigen Wehrpflicht – rekrutiert und daher auch auf Personen zugreifen würde, die außerhalb Tschetscheniens aufhältig sind (vgl. Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder), Urteil vom 22. März 2022 – 6 K 1110/17.A –, juris Rn. 30). Der Verweisung auf den internen Schutz steht auch nicht entgegen, dass es in einer aktuellen Stellungnahme von Memorial vom 29. August 2022 unter Berufung auf die Verwaltungsvorschriften des Innenministeriums der Russischen Föderation über die Erbringung des staatlichen Dienstes für die Registrierung von Bürgern der Russischen Föderation am Aufenthaltsort und am Wohnort innerhalb der Russischen Föderation (Anlage zum Erlass des Innenministeriums der Russischen Föderation vom 31.12.2017 N 984) heißt, dass es für einen jungen Mann im Wehrpflichtalter unmöglich sei, in eine andere Region zu reisen, da er sich nicht in Tschetschenien abmelden dürfe (Memorial, Auskunft im Zusammenhang mit Anträgen russischer Staatsbürger im wehrpflichtigen Alter auf Asyl in anderen Ländern, 29. August 2022). Der Kläger zu 1. fällt – wie dargelegt – altersbedingt bereits nicht darunter.

3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG im Hinblick auf den Zielstaat Russische Föderation liegen ebenfalls nicht vor.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich dies aus der Anwendung der EMRK ergibt, insbesondere der Bestimmung des Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf.

Nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, kurz: bei existentiellen Gesundheitsgefahren.
Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass der Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht dazu dient, eine bestehende Krankheit optimal zu behandeln. Insbesondere gewährt die Vorschrift keinen allgemeinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard der medizinischen Versorgung in Deutschland. Grundsätzlich muss sich der Ausländer vielmehr auf den Standard der Gesundheitsversorgung seines Herkunftsstaates verweisen lassen, auch wenn diese nicht dem Niveau in Deutschland entspricht (vgl. § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG), solange der Standard der üblichen heimatlichen Gesundheitsversorgung eine zumutbare Gesundheitsversorgung darstellt. Eine solche ist regelmäßig selbst dann gegeben, wenn die Beschaffung von Medikamenten im Einzelfall auf organisatorische Schwierigkeiten stoßen und mit nicht unerheblichem Kostenaufwand verbunden sein kann (vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 19. Juli 2018 – 2 K 5777/17 –, juris Rn. 44 m.w.N.). Schließlich liegt eine ausreichende medizinische Versorgung nach § 60 Abs. 7 S. 4 AufenthG in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Konkret ist die Gefahr, wenn diese Verschlechterung alsbald nach der Abschiebung des Betroffenen einträte (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22. März 2012 – 1 C 3/11 –, juris Rn. 34 m.w.N.).

Nach diesen Kriterien ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) die Annahme eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG für die Kläger nicht gerechtfertigt.

a) Ein Abschiebungsverbot kann nicht mit den Lebensbedingungen in der Russischen Föderation begründet werden. Zur Meidung von Wiederholungen wird insoweit gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen, zumal der Kläger dem nicht entgegengetreten ist und relevante Änderung der Sachlage diesbezüglich nicht eingetreten sind (vgl. Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder), Urteil vom 22. März 2022 – 6 K 1110/17.A –, juris Rn. 38 ff). Ergänzend und hervorhebend ist darauf hinzuweisen, dass es den Klägern auch zumutbar und deshalb bei der Rückkehrprognose entsprechend zu berücksichtigen ist, dass sie im Falle einer rechtskräftig festgestellten Ausreisepflicht freiwillig ausreisen, um alle Rückkehrhilfen in Anspruch nehmen zu können und auch im Übrigen alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um bei einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht selbst verschuldet, d. h. abhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not zu geraten (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteile vom 3. November 1992, Az. 9 C 21/92, vom 15. April 1997, Az. 9 C 38/96 und vom 21. April 2022 – 1 C 10/21 –, jeweils juris). Zudem sind die Kläger auch auf familiäre Netzwerke in der Heimat zu verweisen.

b) Der Gesundheitszustand der Kläger ist nach Ansicht des zur Entscheidung berufenen Einzelrichters ebenfalls nicht geeignet, der Klage im Sinne eines krankheitsbedingten zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots zum Erfolg zu verhelfen.

aa) Soweit die Prozessbevollmächtigte der Kläger insoweit auf die behandlungsbedürftige Hepatitis C-Erkrankung der Klägerin zu 2. verweist, dringt sie damit nicht durch. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin zu 2. bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland als Folge unzureichender Behandlungsmöglichkeiten oder sonstiger Gründe alsbald wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde.

Die Klägerin zu 2. hat bereits weder über die Einreichung der Arztbriefe vom 4. Januar 2019 und 14. Juli 2021 noch sonst dargetan, dass eine medizinische Behandlung derzeit zwingend fortzuführen ist bzw. dass alsbald ein relevanter Behandlungsbedarf entsteht. Es liegen keine Atteste vor, die aktuell einen Behandlungsbedarf bestätigten würden. Beide benannte Arztbriefe sprechen nur von Kontrollen. Es heißt wörtlich, eine „spezifische antivirale Therapie [sei] nicht indiziert“. Selbst unter der Annahme, dass die in den Arztbriefen beschriebene Betreuung in Form von Kontrolluntersuchen ebenfalls zur Behandlung zu zählen sein sollte, ist jedenfalls eine unmittelbare Verschlimmerung des Gesundheitszustands der Klägerin zu 2. durch ein etwaiges Ausbleiben zukünftiger Kontrolluntersuchen nicht anzunehmen (vgl. Verwaltungsgericht Würzburg, Beschluss vom 8. Mai 2018 – W 1 S 18.30820 –, juris Rn. 34). Anhaltspunkte dafür, dass sich die bei der Klägerin zu 2. diagnostizierten chronische Hepatitis B alsbald bzw. kurze Zeit nach ihrer Einreise in die Russische Föderation wesentlich oder lebensbedrohlich verschlimmern könnte, liegen nicht vor.

Zudem ist davon auszugehen – und wird auch seitens der Klägerin zu 2., trotz entsprechenden Hinweises auf die Auskunftslage, nicht substantiiert in Frage gestellt –, dass chronische Hepatitis B-Infektionen grundsätzlich in der Russischen Föderation behandelt werden können. In großen Städten (insbesondere Moskau, St. Petersburg, usw.) gibt es (auch staatliche) Spezialkliniken, auf dem Land sind diese seltener aber oft auch verfügbar. Die Kontrolluntersuchungen können auch in Tschetschenien durchgeführt werden, sicher in Moskau (vgl. Auskunft der deutschen Botschaft Moskau an das Verwaltungsgericht Stade vom 9. Januar 2019). Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin zu 2. – trotz etwaiger Defizite des russischen Gesundheitssystems – bei einer Rückkehr von der Krankenversorgung in der Russischen Föderation ausgeschlossen bleiben wird, sind weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.

b) Hinsichtlich der übrigen Kläger liegen bereits ebenfalls keine, einen aktuellen Behandlungsbedarf belegenden Atteste vor. Ergänzend wird insbesondere hinsichtlich der im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt vorgetragenen Hüft- und Sehprobleme des Klägers zu 1. zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die entsprechenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen, zumal dem nicht substantiiert entgegengetreten wurde.

4. Auch die Abschiebungsandrohung und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots sind nicht zu beanstanden.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.