Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 4. Senat | Entscheidungsdatum | 06.10.2022 | |
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Aktenzeichen | OVG 4 S 30/22 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2022:1006.OVG4S30.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 79 Abs 1 PersVG BE, § 88 Nr 5 PersVG BE |
Der Dienstherr braucht mit einer mitbestimmungspflichtigen Maßnahme (hier: Beförderungsentscheidung) nicht zu warten, bis sich nach einer rechtskräftigen Ungültigerklärung der Personalratswahl die Personalvertretung wieder konstituiert hat.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 6. September 2022 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerde mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der diese selbst trägt.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von dem Antragsteller dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auch in einem Konkurrentenstreit beschränkt ist (BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 2018 – 2 BvR 1207/18 – juris Rn. 18; Beschluss des Senats vom 20. Juni 2017 – OVG 4 S 17.17 – juris Rn. 2), rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses. Daran gemessen hat es das Verwaltungsgericht zu Recht abgelehnt, die Ernennung des Beigeladenen vorerst zu untersagen.
Der Antragsteller begründet die Beschwerde mit dem Umstand, dass der Personalrat der Direktion der Polizei Berlin, der der Beförderung des Beigeladenen am 10. Juni 2022 zugestimmt habe, an jenem Tag aufgrund der seit Mai 2022 rechtskräftigen Ungültigerklärung der Personalratswahl nicht mehr existiert habe. Der aufgelöste Personalrat habe also zu Unrecht mitbestimmt, während die Zustimmung zur Beförderung durch einen ordnungsgemäß gewählten Personalrat fehle. Dieser könnte sich im Beförderungsverfahren zugunsten des Antragstellers aussprechen. Fehler in der Befassung des Personalrats dürfe deswegen auch er als unterlegener Bewerber (im Anschluss an OVG Koblenz, Beschluss vom 4. Januar 2021 – 2 B 11368/20 – juris Rn. 16 ff.) geltend machen.
Mit dieser Argumentation wird das Ergebnis des Verwaltungsgerichts nicht entkräftet. Der Antragsgegner hat in seiner Beschwerdeerwiderung und bereits erstinstanzlich zu Recht darauf hingewiesen, dass er nur einen existenten Personalrat beteiligen müsse und mit personellen Maßnahmen nicht bis zur Konstituierung eines ordnungsgemäß gewählten Personalrats zu warten habe. Dem hat der Antragsteller nichts entgegengesetzt.
Ist – wie hier – eine Wahlanfechtung erfolgreich gewesen und die Wahl des Personalrats insgesamt rechtskräftig für ungültig erklärt worden, hat die Dienststelle bis zur Konstituierung der aus der Wiederholungswahl hervorgegangenen Personalvertretung keinen Personalrat (Binkert, in: Germelmann/Binkert/Germelmann, PersVG Berlin, 4. Aufl. 2022, § 22 Rn. 45; Daniels, in: Daniels/Kunze/Pätzel/Witt, Personalvertretungsgesetz Berlin, 4. Aufl. 2019, § 22 Rn.10; Schlatmann, in: Lorenzen/Gerhold/Schlatmann, Bundespersonalvertretungsgesetz, § 25 BPersVG a.F., Stand Juli 2019, Rn. 38).
Das hat nicht zur Folge, dass in der Zwischenzeit mitbestimmungs- bzw. mitwirkungspflichtige Maßnahmen der Dienststellenleitung zu unterlassen sind (vgl. Baden, in: Altvater/Baden/Baunack u.a., BPersVG, 10. Aufl. 2019, § 25 Rn. 20). Eine derartige Regelung fehlt dem Personalvertretungsgesetz; eine vertretungslose Zeit ist nach diesem Gesetz zwar unerwünscht, aber nicht ausgeschlossen (vgl. Schlatmann, in: Lorenzen/Gerhold/Schlatmann, Bundespersonalvertretungsgesetz, § 26 BPersVG a.F., Stand September 2013, Rn. 17; deutlich auch Binkert, in: Germelmann/Binkert/Germelmann, PersVG Berlin, 4. Aufl. 2022, § 25 Rn. 46; Ilbertz/Widmaier/Sommer, BPersVG, 14. Aufl. 2018, § 25 Rn. 38). Das Personalvertretungsgesetz schreibt der Dienststellenleitung lediglich vor, die vorherige Zustimmung einzuholen, soweit eine Maßnahme „der Mitbestimmung der Personalvertretung“ unterliegt (§ 79 Abs. 1 PersVG) und nicht etwa „einer Personalvertretung“ oder (überhaupt) „der Mitbestimmung“. Die Dienststellenleitung hat die beteiligungspflichtige Maßnahme „dem Personalrat“ zu unterbreiten (hier gemäß § 88 Nr. 5 PersVG). Fehlt ein Personalrat, kann die Leitung diese Pflicht unmöglich erfüllen. Unmögliches ist nicht geschuldet.
Für die durchgängige Handlungsfähigkeit der Leitung spricht weiter, dass in Ermangelung einer aktiven und passiven Wahlpflicht (vgl. §§ 12, 13 PersVG) eine Personalvertretung nicht mit Sicherheit zustande kommt, deren jahrelanges Fehlen nicht ausgeschlossen erscheint. Die Bildung einer Personalvertretung kann nicht erzwungen werden (C.F. Germelmann, in: Germelmann/Binkert/Germelmann, PersVG Berlin, 4. Aufl. 2022, § 1 Rn. 28; Altvater, in: Altvater/Baden/Baunack u.a., BPersVG, 10. Aufl. 2019, § 1 Rn. 11; Ilbertz/Widmaier/Sommer, BPersVG, 14. Aufl. 2018, § 1 Rn. 20). Ein langwährender Ausfall von beteiligungspflichtigen Maßnahmen, die der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienen, wird vom Gesetzgeber nicht in Kauf genommen. Stattdessen begeben sich die Beschäftigten der ihnen nach dem Personalvertretungsgesetz zustehenden Rechte (Altvater, in: Altvater/Baden/Baunack u.a., BPersVG, 10. Aufl. 2019, § 1 Rn. 11; Ilbertz/Widmaier/Sommer, BPersVG, 14. Aufl. 2018, § 1 Rn. 20).
Auch aus § 25 Abs. 2 Satz 3 PersVG lässt sich schließen, dass der Gesetzgeber keinen Stillstand aller beteiligungspflichtigen Maßnahmen bis zur Konstituierung einer Personalvertretung anordnet. Gemäß dieser Vorschrift übernimmt der Wahlvorstand nach einer Auflösung des Personalrats (§ 25 Abs. 1 PersVG) die Befugnisse und Pflichten eines Personalrats (siehe dazu Daniels, in: Daniels/Kunze/Pätzel/Witt, Personalvertretungsgesetz Berlin, 4. Aufl. 2019, § 25 Rn. 14; Baden, in: Altvater/Baden/Baunack u.a., BPersVG, 10. Aufl. 2019, § 25 Rn. 20; Schlatmann, in: Lorenzen/Gerhold/Schlatmann, Bundespersonalvertretungsgesetz, § 28 BPersVG a.F., Stand September 2020, Rn. 66 ff.). Diese Bestimmung wäre sinnlos, wenn die Dienststellenleitung in der personalratslosen Zeit ohnehin keine Maßnahmen treffen dürfte. Der Gesetzgeber hat mit seiner Entscheidung, dem Wahlvorstand die Befugnisse eines Personalrats nur nach einer Auflösung des Personalrats, nicht nach der rechtskräftigen Ungültigerklärung der Wahl einzuräumen (vgl. Richardi/Dörner/Weber, Personalvertretungsrecht, 5. Aufl. 2020, § 28 BPersVG Rn. 71), eine mehr oder weniger lange Zeit ohne Beteiligung nach dem Personalvertretungsrecht für hinnehmbar erklärt.
Für die von einer Beförderungsentscheidung, Entlassung, Versetzung etc. betroffenen Beschäftigten ist das Ergebnis, auf die Vertretung ihrer Interessen durch einen gewählten Personalrat verzichten zu müssen, nicht unannehmbar, weil sie ihre Belange im Individualrechtsschutzverfahren vor Gericht geltend machen können. Deren Rechtsschutzmöglichkeiten werden weder von einer Zustimmung des Personalrats zur belastenden Maßnahme noch durch das Fehlen eines Personalrats beeinträchtigt.
Der Antragsteller rügt in seiner Beschwerde keine Verletzung eigener Rechte in der Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).