Gericht | FG Berlin-Brandenburg 16. Senat | Entscheidungsdatum | 05.05.2022 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 16 K 16190/21 | ECLI | ECLI:DE:FGBEBB:2022:0505.16K16190.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 356 Abs 1 AO, § 356 Abs 2 AO, § 357 Abs 1 S 1 AO |
Leitsatz:
Wird in Rechtsbehelfsbelehrungen von nach der AO erlassenen Bescheiden auf die Möglichkeit der elektronischen Einlegung hingewiesen, bedarf es keines zusätzlichen Hinweises, dass hierfür eine einfache Email (ohne qualifizierte elektronische Signatur) ausreicht.
Revision eingelegt, Aktenzeichen des BFH: III R 26/22
Angewendete Vorschriften:
AO § 356 Abs. 1, Abs. 2, § 357 Abs. 1 Satz 1
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Die Beteiligten streiten um die Rückforderung von Kindergeld in einem Fall mit Auslandsbezug. Vorab ist die Rechtzeitigkeit des Einspruchs und in diesem Zusammenhang die Richtigkeit der Rechtsmittelbelehrung in Bezug auf die Einlegung des Einspruchs mittels Email zu prüfen.
I.
Mit Bescheid vom 18.06.2021
Im Ausdruck der elektronischen Kindergeldakte trägt der Bescheid auf seiner Seite 1 oben
Auf Befragen des Berichterstatters gibt die Klägerin an, zum Zeitpunkt und zur Art und Weise des Zugangs des Bescheids keine genauen Angaben mehr machen zu können, den Bescheid jedoch spätestens am 09.07.2021 erhalten zu haben.
Mit Faxschreiben vom 12.10.2021
II.1.
Am 16.12.2021 erhob die Klägerin Klage, mit der sie – unter Vorlage des angefochtenen Bescheids und der Einspruchsentscheidung – zum einen Ausführungen zur Sache, also zur Kindergeldberechtigung, macht. Zur Frage der Rechtzeitigkeit des Einspruchs hat sie zunächst ausgeführt:
Aufgrund des Zustandes der Akte zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids sei nicht mehr festzustellen, ob, wann und in welcher Form der verfahrensgegenständliche Bescheid verfasst und abgeschickt worden sei. In zwei vorherigen Verfahren der Klägerin (betreffend April 2016 bis Juni 2017 für das Kind C…, 11 K 11048/21, und betreffend Juli 2017 bis November 2017 für das Kind B…, 11 K 13100/21) habe der 11. Senat jeweils entschieden, dass aufgrund der Aktenführung der beklagten Familienkasse die Voraussetzungen der Aufhebung nicht nachvollziehbar seien (Gerichtsbescheide vom 06.10.2021
Die Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid sei irreführend, denn sie suggeriere dem Empfänger, dass auch eine Einlegung per herkömmlicher E-Mail ausreiche. Die Belehrung enthalte keinen Hinweis, dass damit entweder eine De-Mail oder E-Mail mit einer qualifizierten elektronischen Signatur gemeint sei, auf § 87a Abgabenordnung – AO – werde verwiesen. Daher habe die Einspruchsfrist gemäß § 356 Abs. 2 Satz 1 AO ein Jahr betragen, womit der Einspruch rechtzeitig erfolgt sei.
2.
Auf den Hinweis des Berichterstatters, dass die Einlegung eines Einspruchs per „einfacher“ Email (ohne qualifizierte elektronische Signatur) gerade möglich sei (vgl. Bundesfinanzhof – BFH –, Urteil vom 13.05.2015 III R 26/14, BFH/NV 2015, 1457, Juris Rn. 20; Rätke in Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 357 Rn. 5; Siegers in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 357 AO Rn. 19, 21; Bartone in Gosch, AO/FGO, § 357 AO Rn. 23) und der Eindruck, der nach den Ausführungen der Klageschrift beim Leser der Rechtsbehelfsbelehrung erweckt werde, daher nicht falsch, sondern gerade richtig sei, führt die Klägerin nunmehr aus:
Die Klägerin halte die Belehrung weiterhin für unrichtig. Die Belehrung im Bescheid lasse in Anbetracht des Wortlauts des § 87a Abs. 3 AO und der genannten Entscheidung des BFH mehrere Deutungen zu. Der Gesetzeswortlaut zwinge zu dem Schluss, dass ein Einspruch mit einer einfachen E-Mail nicht ausreiche. Dies könne den Betroffenen von der Möglichkeit der Einlegung per einfacher E-Mail und daher in Situationen kurz vor Frist-ablauf von der Einlegung eines Rechtsbehelfs überhaupt abhalten. In der Rechtsbehelfsbelehrung hätte daher ausdrücklich belehrt werden sollen, dass eine Einlegung per einfacher E-Mail ausreiche.
3.
Die Klägerin beantragt
den Aufhebungsbescheid vom 18.06.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.12.2021 aufzuheben.
Die beklagte Familienkasse beantragt
die Klage abzuweisen.
4.
Die Familienkasse verweist zur Zulässigkeit des Einspruchs auf ihre Einspruchsentscheidung.
III.
Ein Ausdruck der elektronischen Kindergeldakte (Bl. 1-1012) lag vor.
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
I.
Der Einspruch wurde zurecht als unzulässig, da verfristet, verworfen (§ 358 Satz 2 AO).
1.a)
Der Ausgangsbescheid ist der Klägerin nach eigenen Angaben spätestens am 09.07.2021 (einem Freitag) zugegangen, so dass die einmonatige Einspruchsfrist spätestens am 09.08.2021 (einem Montag) ablief und der Einspruch vom 12.10.2021 verspätet war.
b)
Entgegen der Auffassung der Klägerin trat keine Verlängerung der Einspruchsfrist wegen falscher Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 356 Abs. 2 AO ein, weil die Rechtsbehelfs-belehrung nicht unrichtig war.
Ein Einspruch ist auch mit „einfacher“ Email (ohne qualifizierte elektronische Signatur
o. ä.) möglich (BFH, Urteil vom 13.05.2015 III R 26/14, BFH/NV 2015, 1457, Juris Rn. 20). Wie die Klägerin anfänglich zutreffend ausgeführt hat, enthält die Rechtsbehelfsbelehrung (im Zusammenhang mit der aufgeführten Möglichkeit, den Einspruch „elektronisch zu übermitteln“) keinen Hinweis, dass damit eine De-Mail oder eine E-Mail mit einer qualifizierten elektronischen Signatur gemeint sei, und wird dadurch, wie die Klägerin anfänglich ebenfalls zutreffend analysiert hat, von einem durchschnittlichen Empfänger dahingehend verstanden, dass auch eine Einlegung per herkömmlicher E-Mail ausreicht. Einen ausdrücklichen Hinweis auf den letztgenannten Umstand bedarf es nicht. Dies folgt schon daraus, dass gemäß § 356 Abs. 1 AO über die Form des Einspruchs gar keine Belehrung erforderlich ist. Es ist jedoch anerkannt, dass die bloße Wiederholung der Aufzählung in § 357 Abs. 1 Satz 1 AO unschädlich ist. Weiterhin ist anerkannt, dass wenn die Belehrung über den Mindestinhalt hinaus weitere Angaben macht, diese richtig sein müssen. Die vorgenommene Angabe, der Einspruch sei bei der beklagten Familienkasse „schriftlich einzureichen, dieser elektronisch zu übermitteln oder dort zur Niederschrift zu erklären“, gibt jedoch nur den Wortlaut von § 357 Abs. 1 Satz 1 AO wieder und ist daher nicht falsch. Darüber hinausgehende Erläuterungen sind mithin nicht erforderlich.
c)
Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
2.
Da der Klägerin schon nach eigenen Angaben der Bescheid in der notwendigen Form zugegangen ist, ist zu vermuten, dass die Familienkasse den Bescheid auch mit Bekanntgabewillen der Klägerin zugänglich gemacht hat. Aus dem Ausdruck der elektronischen Kindergeldakte ergeben sich jedenfalls keine gegenteiligen Hinweise. Auf die unsubstantiierten Vermutungen der Klägerin, der Bescheid könnte auch erst nach seinem Erlassdatum zur Kindergeldakte gelangt sein, kommt es nicht an.
Der hiesige Fall unterscheidet sich insoweit von den o. g. Gerichtsbescheiden des
11. Senats vom 06.10.2021. Dort war der Einspruch rechtzeitig erfolgt und es waren die Voraussetzungen von § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und § 70 Abs. 2 EStG zu prüfen. Es kam daher dort auf die Frage an, ob bestimmte Tatsachen der Familienkasse nachträglich bekannt geworden waren bzw. welche Verhältnisse sich bei der Klägerin gegenüber vorher geändert hatten. Der 11. Senat vertrat die Auffassung, dies könne aufgrund der Aktenführung der Akte nicht entnommen werden. Aufgrund der Unzulässigkeit des Einspruchs kommt es im hiesigen Fall auf solche materiellen Fragen aber nicht an, so dass der erkennende Senat nicht zu prüfen braucht, ob der – keineswegs bedenkenfreien – Auffassung des 11. Senats zur elektronischen Aktenführung beizupflichten ist.
II.1.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –.
2.
Die Revision wird zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO) zugelassen.
Er erscheint aufgrund der großen Breitenwirkung klärungswürdig, ob in Rechtsbehelfsbelehrungen von nach der AO erlassenen Bescheiden, in denen auf die Möglichkeit der elektronischen Einlegung des Einspruchs hingewiesen wird, (auch) darauf hingewiesen werden muss, dass bei Einspruchseinlegung per Email eine „einfache“ Email ausreicht.
3.
Der Senat entscheidet durch Gerichtsbescheid gemäß § 90a Abs. 1 FGO, weil von einer mündlichen Verhandlung keine weitere Erhellung der Sache zu erwarten ist.