Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung
Aufgrund von Wartungsarbeiten konnten seit Januar 2024 keine neuen Entscheidungen veröffentlicht werden. Alle Entscheidungen mit Stand vom 31. Dezember 2023 sind jedoch abrufbar. Zurzeit werden die noch ausstehenden Entscheidungen nachgepflegt.

Entscheidung 9 UF 74/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 16.09.2022
Aktenzeichen 9 UF 74/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0916.9UF74.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Oranienburg vom 19. Mai 2022 - Az. 33 F 26/22 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Unter Abweisung des gegenläufigen (Hilfs-)Antrages des Antragsgegners wird der Antragstellerin allein die Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhalt für das am … 2011 geborene Kind P… R… übertragen.

Es bleibt bei der Kostenentscheidung erster Instanz.

Die Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren tragen die Kindeseltern jeweils hälftig; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf 4.000 EUR festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten zu 1. und 2. sind die getrennt lebenden Eltern des am … 2011 ehelich geborenen P… R… . Die Eltern sind beide erwerbstätig und betreuen ihren Sohn im Rahmen eines paritätischen Wechselmodells. In der notariellen Scheidungsfolgenvereinbarung vom 19. Januar 2021 (UR-Nr. …/2021 der Notarin … mit Amtssitz in …) haben sie sich wechselseitig von finanziellen (Regel-)Kindesunterhaltsansprüchen freigestellt und eine quotale Aufteilung des bestehenden Mehr- und Sonderbedarfs vereinbart. Sie haben ferner eine Abänderung dieser Unterhaltsregelung für den Fall einer wesentlichen Änderung der Einkommensverhältnisse vereinbart und sich jeweils vorbehalten, eine Entscheidung des Familiengerichts nach § 1628 BGB einzuholen (vgl. im Einzelnen § 6 der Vertragsurkunde).

Im Februar 2022 begehrte die Antragstellerin vor dem Hintergrund einer - unstreitig erfolgten - Beförderung des beamteten Antragsgegners und mit Blick auf eine Abänderung der Vereinbarung zum Kindesunterhalt Auskunft über sein aktuelles Einkommen. Seither streiten die Eltern darüber, ob und inwieweit eine Abänderung der Vereinbarung zum Kindesunterhalt veranlasst ist.

Beide Eltern sind berufstätig. Das Nettoerwerbseinkommen der Antragstellerin lag bei Abschluss der Scheidungsfolgenvereinbarung und liegt noch heute um rund 1.000 EUR unter demjenigen des Antragsgegners.

Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2022 hat die Antragstellerin auf Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung des Kindesunterhalts angetragen. Sie verfolgt die Absicht, den Antragsgegner gerichtlich auf Zahlung von Kindesunterhalt in Anspruch zu nehmen.

Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegen getreten. Er hat mit näheren Ausführungen zu weiteren zu erwartenden Veränderungen und Bereinigungen seines Einkommens gemeint, es bestehe kein Anlass für eine Abänderung der notariellen Vereinbarung zum Kindesunterhalt aus Januar 2021. Im Übrigen sei im Streitfall ein Ergänzungspfleger zu bestellen, der als unabhängiger Dritter die Belange der Kinder vertrete.

Mit Beschluss vom 19. Mai 2022 hat das Amtsgericht den Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Die Voraussetzungen des § 1628 BGB lägen im Streitfall, in dem beide Elternteile davon ausgingen, weniger Unterhalt zahlen zu müssen, und derzeit nicht absehbar sei, wessen Rechtsverfolgung insoweit erfolgreicher sein könnte, nicht vor. Es bestehe vielmehr ein konkreter Interessenkonflikt, der über § 1628 BGB nicht aufzulösen sei. Bei der gegebenen Sachlage sei vielmehr ein Ergänzungspfleger zu bestellen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschlussgründe Bezug genommen.

Gegen diesen ihr am 30. Mai 2022 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin eingehend beim Amtsgericht am 31. Mai 2022 Beschwerde eingelegt, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiter verfolgt. Sie wiederholt, vertieft und ergänzt hierzu ihr Vorbringen aus erster Instanz und betont, dass - jenseits des unter Verweis auf die obergerichtliche Rechtsprechung reklamierten - Wahlrechts zwischen einem Antrag nach § 1628 BGB und auf Bestellung eines Ergänzungspflegers beide Eltern schon in der Scheidungsfolgenvereinbarung ausdrücklich die Möglichkeit eines Vorgehens nach § 1628 BGB geregelt haben. Ein konkreter Interessenkonflikt sei mit Blick auf das unstreitig bestehende Einkommensgefälle nicht erkennbar.

Der Antragsgegner verteidigt die angefochtene Entscheidung und beantragt hilfsweise nunmehr seinerseits, ihm allein die Entscheidungsbefugnis für die Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen zu übertragen.

II.

Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde ist begründet.

Das Amtsgericht hat zu Unrecht den Antrag der Antragstellerin, ihr die alleinige Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhalt für den Sohn P… R… zu übertragen, zurückgewiesen. Der Streitfall bietet keine hinreichend tragfähigen Anknüpfungstatsachen, die darauf schließen ließen, dass zur Auflösung einer konkreten Interessenkollision nicht von der Möglichkeit der Übertragung der Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen auf einen Elternteil allein Gebrauch gemacht werden könnte, sondern vorliegend die Bestellung eines Ergänzungspflegers erforderlich wäre.

Betreuen die Eltern ihr Kind im Wege eines sogenannten paritätischen Wechselmodells fehlt es an der alleinigen Vertretungsbefugnis eines von beiden Elternteilen im Sinne von § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB für die Durchsetzung von Barunterhaltsansprüchen des gemeinsamen Kindes. Vielmehr muss derjenige Elternteil, der den anderen für barunterhaltspflichtig hält und dies gerichtlich klären lassen will, entweder die Bestellung eines Ergänzungspflegers für das Kind herbeiführen, der dieses bei der Geltendmachung seines Unterhaltsanspruchs vertritt, oder der Elternteil muss beim Familiengericht beantragen, ihm gemäß § 1628 BGB die Entscheidung zur Geltendmachung von Kindesunterhalt allein zu übertragen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, die der Senat teilt, besteht grundsätzlich ein Wahlrecht zwischen diesen beiden Möglichkeiten (BGH, Beschluss vom 12. März 2014, Az. XII ZB 234/13 - Rdnr. 16 bei juris - und Urteil vom 21. Dezember 2005, Az. XII ZR 126/03 - Rdnr. 9 bei juris; erkennender Senat, Beschluss vom 29. Juni 2020, Az. 9 UF 36/20; OLG Frankfurt, Beschluss vom 12. Juli 2016, Az. 6 UF 60/16; Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl., § 10 Rdnr. 45).

Das stellt im Grunde auch der Antragsgegner nicht (mehr) in Zweifel, der zwar immer noch meint, die konkreten Umstände des vorliegenden Falles gebieten die Bestellung eines Ergänzungspflegers, dies aber durch Anknüpfungstatsachen nicht tragfähig untermauert und im Übrigen hilfsweise nun auch die Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis auf sich erstrebt. Es liegt auch im wohlverstandenen Interesse des betroffenen Kindes, dass sein Unterhaltsanspruch, über den die Eltern seit geraumer Zeit streiten und der - wie das Amtsgericht mit Recht betont hat - von der zwischen den Eltern im Januar 2021 (für den Regelunterhalt) getroffenen Freistellungsvereinbarung einschließlich der dortigen Wesentlichkeitsgrenze für eine Abänderung nicht berührt wird, endlich und ggf. gerichtlich geklärt wird.

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass sich das Vorgehen nach § 1628 BGB gegenüber der Einsetzung eines Ergänzungspflegers schon deshalb als vorteilhafter erweist, weil damit auch die Entscheidungsbefugnis über das Ob der Einleitung eines Unterhaltsverfahrens geklärt wird (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 15.08.2018 – 2 UF 70/18; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17. Oktober 2016, Az. 6 UF 242/16) und den Eltern darüber hinaus die auch nicht unerheblichen Kosten eines Ergänzungspflegers erspart werden.

Die Entscheidungsbefugnis ist im konkreten Fall auf die Antragstellerin zu übertragen. Die vom Amtsgericht für die als notwendig erachtete Anordnung einer Ergänzungspflegschaft bemühten Interessengegensätze liegen tatsächlich nicht vor.

Es ist richtig, dass bei aufgeteilter Betreuung kein Elternteil seine Unterhaltspflicht gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB allein durch Betreuung erfüllt. Vielmehr steht dem Kind gegen beide Eltern ein Barunterhaltsanspruch zu, der sich nach dem gemeinsamen Elterneinkommen bemisst und für den diese gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB anteilig nach Maßgabe ihres den angemessenen Selbstbehalt übersteigenden Einkommens haften (BGH a.a.O.). Im Ergebnis der beiderseitigen Anteile ergibt sich eine Zahlungsverpflichtung nur eines Elternteils, weil derjenige, der im höheren Maße für den Bedarf des Kindes einzustehen hat, die Hälfte der Differenz zwischen dem auf ihn und den anderen Elternteil entfallenden Anteil als Ausgleichszahlung zu erbringen hat (Wendl/Dose, a.a.O., § 2 Rdnr. 450). Der vertretende Elternteil mag deshalb geneigt sein, den eigenen Haftungsanteil möglichst gering anzusetzen. Ähnliche Interessengegensätze bestehen aber auch in anderen unterhaltsrechtlichen Konstellationen, ohne dass sie in abstrakter Form Anlass zu einem Eingriff in die elterliche Sorge geben würden. So sind etwa im Falle der Verfahrensstandschaft nach § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB Interessengegensätze bei der Verfolgung von Kindes- und Ehegattenunterhalt abstrakt vorstellbar, weil der Höhe nach insoweit Abhängigkeiten bestehen können. Zu nennen sind auch die Fälle, in denen der vertretungsbefugte Elternteil wegen eines erheblichen Einkommensunterschieds oder wegen der Gefährdung des angemessenen Selbstbehalts des in Anspruch genommenen Elternteils mit für den Barunterhalt haftet. Deshalb kann nur ein konkreter Interessenkonflikt im festzustellenden Einzelfall den Rückgriff auf § 1628 BGB ausschließen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 17. Oktober 2016, Az. 6 UF 242/16). Dafür aber sind im Streitfall keine ausreichend tragfähigen Umstände vorgetragen oder sonst ersichtlich.

Ebenso wie bei Abschluss der Scheidungsfolgenvereinbarung im Januar 2022 erwirtschaftet nach Lage der Akten der Antragsgegner auch weiterhin ein um rund 1.000 EUR höheres Nettoerwerbseinkommen als die Antragstellerin, die mit Blick auf dieses Einkommensgefälle schon seit Februar 2022 gegen den leistungsfähigeren Antragsgegner zielstrebig Kindesunterhaltsansprüche im Stufenverfahren durchzusetzen sucht. Das monatsdurchschnittliche Nettoerwerbseinkommen der Antragstellerin übersteigt die bei Abschluss der notariellen Vereinbarung festgestellten 2.100 EUR monatlich nicht. Der Antragsgegner erzielt im/seit März 2022 ein Bruttoeinkommen von 4.303,95 EUR, was einem Nettoeinkommen von 3.358,87 EUR (vor Abzug der Beiträge zur privaten Krankenversicherung). Es mag sein, dass dieses erhebliche Einkommensgefälle im gesetzlichen Netto mit Blick auf - erfahrungsgemäß allerdings beiderseits veranlasste - unterhaltsrechtliche Bereinigungen (die im Übrigen grundsätzlich auch schon in gleicher oder ganz ähnlicher Weise im Januar 2021 angezeigt gewesen sein dürften) im Ergebnis geringer ausfällt. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass sich schlussendlich die Antragstellerin als der leistungsfähigere Elternteil herausstellen könnte, lassen sich auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Antragsgegners nicht feststellen.

Bei dieser Ausgangslage entspricht es dem Wohl des betroffenen Sohnes, der Antragstellerin die Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhalt allein zu übertragen. Die Frage, ob ein derartiger Anspruch letzten Endes zu bejahen sein wird, ist allein im Unterhaltsverfahren zu klären, bedarf jedenfalls - entgegen der Auffassung des Familiengerichts - keiner weiteren Vertiefung im vorliegenden Verfahren der teilweisen Sorgerechtszuweisung.

Nach alledem war die angefochtene Entscheidung - wie geschehen - abzuändern.

Der Senat hat von der ihm gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG eröffneten Möglichkeit zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren Gebrauch gemacht, weil eine mündliche Verhandlung vor dem Amtsgericht stattgefunden hat und von der Wiederholung dieser Verfahrenshandlung vor dem Senat keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten waren.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 FamFG.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts ist beruht auf §§ 40 Abs. 1, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 2 FamFG) liegen nicht vor.