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Entscheidung 7 K 126/17


Metadaten

Gericht VG Cottbus 7. Kammer Entscheidungsdatum 26.08.2022
Aktenzeichen 7 K 126/17 ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2022:0826.7K126.17.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 60 Abs 1 VwGO, § 74 Abs 1 VwGO, § 4 Abs 1 VwZG, § 60 Abs 2 VwGO, § 74 Abs 2 VwGO

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer Berufsunfähigkeit.

Die Klägerin war als Ärztin tätig und beendete im Februar 2013 ein Arbeitsverhältnis in einer Klinik. In den Jahren 2013 bis 2017 befand sich die Klägerin mehrfach in voll- oder teilstationärer Behandlung wegen einer depressiven Erkrankung und einer posttraumatischen Belastungsstörung, wobei die Klinikaufenthalte teilweise mehrere Monate dauerten.

Da die Klägerin nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Februar 2013 nicht mehr als Ärztin tätig war und sie nicht auf die Nachfrage der Beklagten reagiert hatte, ob sie freiwillige Beiträge zur Ärzteversorgung leisten möchte, stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom 10. Oktober 2013 fest, dass die Pflichtmitgliedschaft zur Ärzteversorgung Land Brandenburg zum 11. Februar 2013 endet. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 17. Oktober 2013 Widerspruch ein und teilte der Beklagten mit, dass sie wegen seit Januar bestehender und anhaltender Krankheit nicht in der Lage gewesen sei, sich um alltägliche Tätigkeiten einschließlich des Schriftverkehrs zu kümmern. Sie begehrte eine rückwirkende freiwillige Mitgliedschaft und bat darum, bei Problemen und Rückfragen ihren Ehemann zu kontaktieren.

Mit Schreiben vom 10. April 2015, bei der Beklagten am 28. April 2015 eingegangen, beantragte die Klägerin wegen einer chronischen rezidivierenden schweren Depression und einer Persönlichkeitsstörung die Anerkennung der Berufsunfähigkeit.

Ein fachärztlich-psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Psychiatrie B... vom 28. November 2015 stützte den geltend gemachten Anspruch der Klägerin.

Die Beklagte hielt das Gutachten für inkonsistent, weshalb in der Folge ein psychiatrisches Gutachten zur Frage der Berufsunfähigkeit durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie D... und bezugnehmend darauf ein neuropsychologisches Zusatzgutachten des Diplom-Psychologen D... erstellt wurde.

Auf der Grundlage der zuletzt genannten Gutachten lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 14. Juli 2016 ab. Der hiergegen von der Klägerin eingelegte Widerspruch vom 8. Juli 2016 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2016 zurückgewiesen. Der Widerspruchsbescheid wurde mit Einschreiben Rückschein zugestellt und dem Ehemann der Klägerin am 17. Dezember 2016 übergeben.

Die Klägerin hat am 19. Januar 2017 Klage erhoben. In diesem Rahmen beantragt sie wegen Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Hierzu trägt sie vor, dass Sie bereits seit 2013 an einer schweren Depression leide, wobei sich ihr Zustand Mitte Dezember 2016 verschlechtert habe, sie habe sich daher am 21. Dezember 2016 zur Krisenintervention, unter anderem bei Suizidgedanken vorgestellt. Eine zusätzliche Verschlimmerung habe sich ergeben, als sich ihr Vater nach einer Operation für insgesamt 4 Tage bis einschließlich dem 16. Januar 2017 im Koma befunden habe. Bis zum 18. Januar 2017 einschließlich sei sie sehr eingeschränkt und nicht in der Lage gewesen, ihren persönlichen Angelegenheiten nachzugehen. Zur Glaubhaftmachung legte die Klägerin ein ärztliches Attest des Arztes für Allgemeinmedizin B... vom 19. Januar 2017, einen ärztlichen Bericht der Universitätsklinik W... vom 29. Mai 2017, eine Stellungnahme der Psychiatrie S... vom 23. Juni 2021, einen Entlassungsbericht hinsichtlich ihres Vaters für den stationären Aufenthalt vom 11. Januar 2017 bis zum 26. Januar 2017 sowie eine eidesstattliche Versicherung ihres Ehemannes vom 8. Oktober 2021 vor.

In der Sache trägt die Klägerin vor, dass die Ablehnung ihres Antrages bereits formell rechtswidrig erfolgt sei, darüber hinaus liege ein schlüssiges Gutachten des Facharztes B... vor, aus dem sich Ihr Anspruch ergebe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides der Ärzteversorgung Land Brandenburg vom 14. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2016 zu verpflichten, den Antrag der Klägerin auf Anerkennung der Berufsunfähigkeit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Klage für unzulässig, da die Klagefrist abgelaufen sei und eine Wiedereinsetzung ausscheide. Der Vortrag der Klägerin sei bereits widersprüchlich, da der Vater der Klägerin lautet Entlassungsbericht bereits am 15. Januar 2017 aus dem Koma erwacht sei. Sie habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie infolge einer Erkrankung außerstande gewesen sei, die Klagefrist einzuhalten. Darüber hinaus habe keine unvorhersehbare Beeinträchtigung vorgelegen, die Klägerin hätte entsprechende Vorsorgemaßnahmen treffen müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht entscheidet nach § 6 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch den Einzelrichter, da die Kammer ihm durch unanfechtbaren Beschluss vom 21. Juni 2022 den Rechtsstreit zur Entscheidung übertragen hat.

Die auf Anerkennung der Berufsunfähigkeit gerichtete Verpflichtungsklage ist unzulässig. Die Klägerin hat die Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO, die gemäß § 74 Abs. 2 VwGO auch für die Verpflichtungsklage gilt, nicht gewahrt (dazu unter 1.), und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheidet aus (dazu unter 2.).

1. Nach § 74 Abs. 1 VwGO ist die Klage innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheides zu erheben. Die Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2016, der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, erfolgte vorliegend gemäß § 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) durch Einschreiben/Rückschein. Aus dem sich im Verwaltungsvorgang befindlichen Rückschein ergibt sich, dass die Sendung, die den Widerspruchsbescheid enthielt, dem Ehemann der Klägerin am 17. Dezember 2016 übergeben worden ist. Dies bewirkte gegenüber der Klägerin an diesem Tag die wirksame Zustellung.

Die Zustellung eines Einschreibens nach § 4 Abs. 1 VwZG hat zwar grundsätzlich an den Adressaten der Sendung zu erfolgen, und anders als beispielsweise § 3 VwZG verweist § 4 VwZG nicht auf die Vorschriften zur Ersatzzustellung gemäß § 177 ff. ZPO. Dennoch entspricht es allgemeiner Auffassung, dass auch im Rahmen eines Einschreibens nach § 4 Abs. 1 VwZG, welches nicht mit der Zusatzoption „eigenhändig“ versandt wird, die Zustellung an bestimmte Ersatzempfänger möglich ist (Ronellenfitsch in: BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, 56. Edition, Stand: 01. Oktober 2019, § 4 VwZG, Rn. 5). Dabei kann dahinstehen, ob sich dies mit Hinweis auf die Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 15/5216, Seite 12) aus den allgemeinen Geschäftsbedingungen des privaten Postdienstleisters ableiten lässt (so etwa Danker in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Auflage 2021, § 4 VwZG, Rn. 3) oder aus dem Rechtsgedanken des § 130 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) (so etwa Bundessozialgericht, Beschluss vom 7. Oktober 2004 – B 3 KR 14/04 R –, juris, Rn. 9). Da die Übergabe an den Ehemann der Klägerin erfolgt ist, der mit der Klägerin in der gleichen Wohnung lebt, wäre der von § 130 Abs. 1 BGB verlangte Zugang noch am 17. Dezember 2016 erfolgt, da bei Personen, die in der gleichen Wohnung leben noch am Tag der Übergabe an den Empfangsboten üblicherweise die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch den Empfänger besteht (vgl. auch: Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. März 1989 – VIII ZR 303/87 –, juris, Rn. 25f.). Wann der Empfänger die zugestellte Sendung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat, ist demgegenüber unerheblich.

Aufgrund der Zustellung des Widerspruchsbescheides am 17. Dezember 2016 begann die Fristberechnung gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB am 18. Dezember 2016, und die Frist endete gemäß § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 17. Januar 2017 (Dienstag). Die Klage ging erst am 19. Januar 2017 und damit verspätet bei Gericht ein.

2. Der Klägerin ist auch nicht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist jemandem auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Nach Absatz 2 der Vorschrift ist der Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen, dabei sind die Tatsachen zur Begründung des Antrags bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen, und innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen.

Vorliegend wurde nicht in hinreichender Weise glaubhaft gemacht, dass die Klägerin ohne ihr Verschulden verhindert war, die Klagefrist einzuhalten. Als Hinderungsgrund macht die Klägerin ihre depressive Erkrankung geltend, die sich Mitte Dezember 2016 wegen der Operation ihres Vaters und dem sich an die Operation anschließenden Komas noch verschlimmert habe, weswegen sie weder in der Lage gewesen sei, sich selbst um die Klageeinreichung zu kümmern noch jemand anderen habe um Hilfe bitten können. Schon dies ist nicht in hinreichender Weise glaubhaft gemacht worden.

Eine Krankheit greift als Entschuldigungsgrund für die Versäumung einer Rechtsmittelfrist nur dann durch, wenn sie so schwer war, dass der von ihr betroffene Verfahrensbeteiligte nicht bloß unfähig war, selbst zu handeln, sondern auch außerstande war, einen Bevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen und im gebotenen Umfange zu informieren (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27. September 1993 – 4 NB 35/93 –, juris, Rn. 3). Darüber hinaus muss es sich um eine plötzliche, unvorhersehbare Erkrankung handeln (vgl. Czybulka/Kluckert in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, § 60, Rn. 76). Dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Fristablaufs am 17. Januar 2017 aufgrund ihrer depressiven Erkrankung außerstande war, jedenfalls eine andere Person zu beauftragen, die Klage fristwahrend für sie einzulegen, ist durch die vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen und Befunde nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden.

So sagt das ärztliche Attest des Allgemeinmediziners B... vom 19. Januar 2017 lediglich aus, die Klägerin sei im Zeitraum vom 17. Dezember 2016 bis zum 18. Januar 2017 „nur sehr eingeschränkt und nicht ausreichend in der Lage“ gewesen, „ihren persönlichen und insbesondere rechtlichen Belangen nachzugehen“. Dies begründe sich aus der seit Jahren bestehenden schweren Depression, die sich aufgrund des Komas des Vaters verschlimmert habe. Die Wortwahl „nur sehr eingeschränkt in der Lage, ihren persönlichen Angelegenheiten nachzugehen“ belegt nicht in hinreichender Weise, dass es der Klägerin nicht einmal möglich gewesen wäre, zum Beispiel ihren Ehemann zu informieren und zu bevollmächtigen, damit er für sie fristwahrend die Klage erhebt.

Der im Weiteren vorgelegte ärztliche Bericht der Universitätsklinik W... vom 29. Mai 2017 trifft über den maßgeblichen Zeitraum des Fristablaufs lediglich die Aussage, dass die Klägerin seit Januar 2017 arbeitsunfähig erkrankt sei. Eine Arbeitsunfähigkeit bedeutet aber nicht, dass das Einschalten eines Bevollmächtigten nicht möglich ist.

Die letztlich vorgelegte ärztliche Stellungnahme der Psychiatrie S... vom 23. Juni 2021 beschreibt zwar, dass sich die Klägerin zwischen Mai 2013 und November 2017 in ihrer längsten depressiven Phase befunden habe und dass sich eine chronische, rezidivierende depressive Störung auch dadurch äußere, dass Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Kurzzeitgedächtnisstörungen und massive Grübelgedanken – bei der Klägerin verbunden mit dem exzessiven Beschäftigen mit Suizidgedanken – auftreten, was dazu führe, das alltägliche Dinge verdrängt werden. Komplexe Gedankengänge, wie das Einreichen einer Klage und die Bevollmächtigung einer anderen Person seien „kaum möglich“, und das Aufrechterhalten der „Fassade der funktionierenden Ehefrau“ habe „entschieden dazu beigetragen“, dass sie nicht um Hilfe gebeten habe, und sie habe sich nicht eingestehen wollen, dass sie selbst nicht in der Lage sei, eine Klage einzureichen. Auch diese Ausführungen machen nicht hinreichend glaubhaft, dass die Beauftragung einer anderen Person wegen der Erkrankung der Klägerin nicht möglich war. Dass die Klägerin auch im genannten Zeitraum von Mai 2013 bis November 2017 jedenfalls zeitweise in der Lage war, „komplexe Gedankengänge“ zu treffen, zeigt bereits, dass sie ihren Antrag vom 10. April 2015 auf Anerkennung der Berufsunfähigkeit und ihren Widerspruch vom 8. Juli 2016 selbst eingereicht hat. Dies zeigt, dass die Klägerin trotz ihrer Erkrankung nicht durchgängig außerstande ist, sich um ihre persönlichen Angelegenheiten zu kümmern. Insofern legt die ärztliche Stellungnahme der Psychiatrie S... nicht dar, warum gerade Mitte Januar 2017 der Zustand der Klägerin so gravierend war, dass sie nicht einmal in der Lage war, zum Beispiel ihren Mann zu bevollmächtigen. Zwar trägt die Klägerin vor – und macht dies durch die Vorlage des Entlassungsberichts vom 4. Oktober 2021 auch glaubhaft –, dass sich ihr Vater einer Operation unterzogen hat und aufgrund von Komplikationen für einige Tage ins Koma gefallen ist. Insofern ist zwar nachvollziehbar, dass sich die Klägerin in einer für sie schwierigen und belastenden Situation befunden hat, es ist aber nicht durch ein ärztliches Attest hinreichend dargelegt, dass die Klägerin krankheitsbedingt nicht einmal in der Lage war, sich an ihren Mann zu wenden. Insofern überzeugen die Ausführungen der Stellungnahme der Psychiatrie S... nicht, dass die Klägerin ihre „Fassade der funktionierenden Ehefrau“ habe aufrecht erhalten wollen, weshalb sie nicht um Hilfe gebeten habe. Hiergegen spricht, dass die Klägerin bereits im Jahr 2013 bei ihrem Widerspruch vom 17. Oktober 2013 ihre Erkrankung erkannt und die Ärzteversorgung gebeten hatte, sich bei Problemen und Rückfragen an ihren Mann zu wenden; mithin nahm sie wegen ihrer Erkrankung schon 2013 seine Hilfe in Anspruch. Darüber hinaus war die Klägerin in der Folgezeit mehrfach über Monate hinweg in stationärer Behandlung, und wegen ihrer Erkrankung stellte sie im Jahr 2015 auch ihren Antrag auf Anerkennung der Berufsunfähigkeit. Vor diesem Hintergrund erschließt sich nicht, welche „Fassade“ sie gegenüber ihrem Ehemann noch hätte aufrecht erhalten wollen; ihre Krankheit und die daraus resultierenden Folgen waren vielmehr offen zu Tage getreten. Darüber hinaus zeigt die eidesstattliche Versicherung ihres Mannes vom 8. Oktober 2021, dass er nach der Vorsorgevollmacht suchen sollte, die die Klägerin für ihren Vater besaß. Ein Suchen der Vorsorgevollmacht erscheint nur dann sinnvoll, wenn von ihr Gebrauch gemacht werden soll, d.h. wenn die Klägerin auch Entscheidungen hinsichtlich ihres sich im Koma befindlichen Vaters treffen soll. Auch dies spricht gegen den Vortrag, die Klägerin sei vollständig handlungsunfähig gewesen.

Letztlich kann dies aber dahinstehen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Klägerin bei Fristablauf am 17. Januar 2017 außerstande war, die Klage selbst einzureichen und auch nicht in der Lage war, eine andere Person zu informieren und zu bevollmächtigen, hat die Klägerin die Klagefrist verschuldet versäumt. Denn jedenfalls handelte es sich nicht um eine plötzliche, unvorhersehbare Erkrankung, die die Klägerin hinderte, (durch einen Bevollmächtigten) fristgemäß die Klage zu erheben.

Laut ärztlicher Stellungnahme der Psychiatrie S... befand sich die Klägerin im Zeitraum von Mai 2013 bis November 2017 in ihrer längsten depressiven Phase; sie wurde in dieser Zeit mehrfach und über den Zeitraum von mehreren Monaten hinweg voll- und teilstationär behandelt. Es gab aber auch Zeiträume, in denen es ihr soweit besser ging, dass sie z.B. zur Einreichung ihres Antrags auf Anerkennung der Berufsunfähigkeit und zur Erhebung ihres Widerspruchs vom 8. Juli 2016 in der Lage war. Darüber hinaus hatte die Klägerin schon im Jahr 2013 die Frist zur Rückmeldung zur Mitgliedschaft in der Ärzteversorgung versäumt und daraufhin im Widerspruch vom 17. Oktober 2013 erläutert, dass sie wegen ihrer Krankheit nicht in der Lage gewesen sei, sich um ihren Schriftverkehr zu kümmern, und dass bei Problemen und Rückfragen ihr Mann kontaktiert werden solle. Damit stellt sich die Situation so dar, dass der Klägerin bewusst sein musste – und es ihr nach dem Schreiben vom 17. Oktober 2013 offenbar auch war –, dass sie schwere Phasen ihrer Erkrankung erleidet und sie in diesen Phasen dann nicht in der Lage ist, sich um ihre Angelegenheiten hinreichend zu kümmern. Von einer Person, die wegen einer Krankheit immer wieder über längere Phasen ausfällt und sich deswegen wiederkehrend sogar monatelang in stationärer Behandlung befindet, kann und muss aber erwartet werden, dass sie entsprechende Vorkehrungen trifft für den Fall, dass sie Post erhält, bei der eine Reaktion innerhalb bestimmter Fristen erforderlich ist (vgl. auch: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29. August 2019 – III ZB 26/19 –, juris, Rn. 9; vgl. auch hinsichtlich der Notwendigkeit von Vorkehrungen bei urlaubsbedingter Abwesenheit von mehr als 6 Wochen: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 18. Oktober 2012 – 2 BvR 2776/10 –, juris, Rn. 17). Dies gilt jedenfalls während eines laufenden Verfahrens, da die betroffene Person dann zwingend damit rechnen muss, dass ihr fristenauslösende Post zugeht. Dies trifft auf die Klägerin zu, denn nachdem sie im Jahr 2015 den Antrag auf Anerkennung der Berufsunfähigkeit gestellt und im Juli 2016 ihren Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid eingelegt hatte, befand sie sich in einem laufenden Verfahren, in dem sie mit der Zustellung fristenauslösender Bescheide rechnen musste. Dabei musste ihr klar sein, dass sie sich bei Zustellung der Bescheide in einer akuten Phase ihrer Krankheit befinden könnte, die eben – wie die Vergangenheit gezeigt hat – auch mehrere Monate anhalten kann und in der sie nicht in der Lage sein würde, sich um ihre persönlichen Angelegenheiten eigenständig zu kümmern. Für den Fall, dass während einer solchen akuten Phase die Einlegung eines Rechtsmittels in dem Verfahren notwendig wird, hätte sie entsprechende Vorsorgemaßnahmen treffen müssen, indem sie z.B. ihren Mann bevollmächtigt, Post für sie zu öffnen und ggf. im Verfahren der Berufsunfähigkeit fristwahrend Klage für sie zu erheben.

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.