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Entscheidung 5 L 277/22


Metadaten

Gericht VG Cottbus 5. Kammer Entscheidungsdatum 14.10.2022
Aktenzeichen 5 L 277/22 ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2022:1014.5L277.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 10 ImSchG BB, § 13 Abs 2 S 2 VwVfG

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Ausnahmegenehmigung des Antragsgegners vom 27.9.2022 aufgrund des Widerspruchs des Antragstellers vom 4.10.2022 zum Az. 3... nicht vollziehbar ist.

2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der Kosten des Beigeladenen.

3. Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

Das auf einstweiligen Rechtsschutz gerichtete und gemäß §§ 88, 122 VwGO sachgerecht auszulegende Begehren des Antragsstellers,

die Nichtvollziehbarkeit der Ausnahmegenehmigung des Antragsgegners vom 27.9.2022 aufgrund der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 4.10.2022 festzustellen,

hat Erfolg.

Der statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag entsprechend §§ 80a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2, 80 Abs. 5 VwGO ist begründet.

1. Der Antrag ist zulässig.

a) Da in der Hauptsache eine Drittanfechtungsklage statthaft ist, ist gemäß § 123 Abs. 5 VwGO ein Antrag nach §§ 80, 80a VwGO vorrangig. Der Antragsteller richtet sich gegen einen drittbegünstigenden Verwaltungsakt, da die Ausnahmegenehmigung seinen Nachbarn von der Bestimmung des § 10 Abs. 1 LImSchG, nämlich dem Verbot, die Nachtruhe zu stören, befreit. Demnach greifen die §§ 80a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2 VwGO.

b) Der Antragsteller ist auch antragsbefugt analog § 42 Abs. 2 VwGO, da er geltend machen kann, möglicherweise in der drittschützenden Norm des § 10 Abs. 1 LImSchG, einem subjektiv-öffentlichen Recht, verletzt zu sein.

c) Der Antragsteller ist ferner rechtsschutzbedürftig. Grundsätzlich besteht das Rechtsschutzbedürfnis nur, wenn ein eingelegter Widerspruch nicht offensichtlich unzulässig ist und keine aufschiebende Wirkung hat. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, da dem eingelegten Widerspruch des Antragstellers vom 4.10.2022 aufschiebende Wirkung zukommt, § 80 Abs. 1 S. 1 1. Alt. VwGO. Etwas anderes gölte nur, wenn ein Fall von § 80 Abs. 2 VwGO vorläge. Es ist aber vorliegend weder ein Fall eines gesetzlich angeordneten Wegfalls der aufschiebenden Wirkung gegeben (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1-3a VwGO), noch eine behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung (Nr. 4).

Ausnahmsweise kann aber auch ein Widerspruch, dem aufschiebende Wirkung zukommt, ein Rechtsschutzbedürfnis begründen. Dies ist der Fall, wenn Unklarheit über die aufschiebende Wirkung dieses Rechtsbehelfs besteht. Vorliegend ist die Regelung des § 80 Abs. 1 VwGO der Behörde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bewusst, da sie anderenfalls entweder den Beigeladenen im Angesicht des Drittwiderspruchs über die Nichtdurchführbarkeit der Veranstaltung informiert hätte oder eine Anordnung der sofortigen Vollziehung erlassen hätte (§ 80a Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Ferner gibt die Behörde sogar mit Schreiben vom 14.10.2022 zu erkennen, dass sie davon ausgeht, die Veranstaltung werde stattfinden, da die Ausnahmegenehmigung rechtmäßig sei.

2. Der Antrag ist auch begründet. Aus den obigen Ausführungen zu 3. folgt auch der Anspruch auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO analog.

Im Übrigen begegnet der Bescheid rechtlichen Bedenken.

a) Nach § 10 Abs. 1 LImSchG sind von 22 bis 6 Uhr Betätigungen verboten, die die Nachtruhe zu stören geeignet sind. Ermächtigungsgrundlage für die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Ausnahme von diesem Verbot ist § 10 Abs. 3 LImSchG. Danach kann die nach § 21 LImSchG zuständige Behörde auf Antrag Ausnahmen von dem Verbot des Absatzes 1 zulassen, soweit die Ausübung der Tätigkeit während der Nachtzeit aufgrund eines besonderen überwiegenden Interesses eines Beteiligten geboten ist.

b) Von dieser Norm hat die Behörde nicht in formell rechtmäßiger Weise Gebrauch gemacht. Die Ausnahmegenehmigung ist bereits mangels erfolgter Benachrichtigung über die Einleitung des Verfahrens gem. § 1 Abs. 1 VwVfGBbg i. V. m. § 13 Abs. 2 S. 2 2. HS VwVfG formell rechtswidrig. Der Antragsteller ist kein geborener Beteiligter nach § 13 Abs. 1 VwVfG. Allerdings ist nach § 13 Abs. 2 S. 2 VwVfG ein Dritter, für den der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung hat, auf Antrag als Beteiligter zu dem Verfahren hinzuzuziehen. Nach HS. 2 hat die Behörde ihn von der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen, sofern er der Behörde bekannt ist. So wird dem Dritten die Gelegenheit ermöglicht, einen Antrag auf Beteiligung zu stellen (Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 13, Rn. 45).

Diese Voraussetzungen waren in der Person des Antragstellers gegeben. Die Ausnahmegenehmigung entfaltet für den Antragsteller rechtsgestaltende Wirkung, weil sie ein bestehendes Recht ganz oder teilweise entzieht oder umgestaltet (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Auflage, § 13 Rn. 41; Mann/Sennekamp/Uechtritz, Großkommentar zum VwVfG, § 13, Rn. 29). § 10 Abs. 1 LImSchG begründet für den Antragsteller ein subjektiv-öffentliches Recht. In dieses subjektiv-öffentliches Recht des Antragstellers wird durch die Ausnahmegenehmigung jedenfalls für den Zeitraum von 22-24 Uhr rechtsverkürzend eingegriffen. Der Antragsteller war der Behörde auch bekannt, es handelt sich um einen unmittelbaren Nachbarn des Beigeladenen.

Durch das Unterbleiben der Benachrichtigung hat die Behörde dem Antragsteller seine Antragsmöglichkeit auf Beteiligung genommen, § 13 Abs. 2 S. 2 VwVfG. Rechtsfolge dessen ist die formelle Rechtswidrigkeit des abschließenden Verwaltungsaktes (vgl. zur Benachrichtigungspflicht OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 22.6.2017 – 2 A 10449/16 – Rn. 65).

Eine Heilung des Benachrichtigungsmangels ist auch nicht analog § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG eingetreten. Der Antragsteller ist bis dato in das Verfahren nach Aktenlage nicht einbezogen worden.

Aus der Verletzung der Benachrichtigungspflicht und dem Vorenthalten der Möglichkeit der Antragstellung auf Hinzuziehung ist dem Antragsteller zugleich auch die Position eines Beteiligten vorenthalten worden mit der Folge, dass sein Anhörungsrecht verletzt wurde, § 28 VwVfG.

Auch dieser Mangel wurde nicht geheilt, § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG. Denn die Anhörung eines Beteiligten gilt nur dann als nachgeholt, wenn eine formell korrekte Anhörung erfolgt ist und die Funktion der Anhörung für den Entscheidungsprozess uneingeschränkt erreicht werden kann (funktionale Äquivalenz; siehe Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Auflage, § 45 Rn. 26). Dies kann nicht bereits in einem eingelegten Widerspruch erblickt werden; an einer Bekanntgabe des Ausgangsbescheids an den Antragsteller fehlt es; ein Widerspruchsbescheid liegt noch nicht vor. Auch die Antragserwiderung vom 14.10.2022 stellt keine Heilung dar, weil sie eine Einlassung im gerichtlichen Verfahren darstellt und damit von anderen Interessen geleitet ist als im behördlichen Verfahren, also nicht funktional äquivalent ist. Eine funktionsgerecht nachgeholte Anhörung setzt ferner voraus, dass sich die Behörde nicht auf eine Verteidigung der einmal getroffenen Sachentscheidung beschränkt, sondern das Vorbringen erkennbar zum Anlass nimmt, die Entscheidungen kritisch zu überdenken (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.2.2022 – 4 A 7.20 – Rn. 25).

Auch sind diese Verfahrensfehler nicht ausnahmsweise nach § 46 VwVfG unbeachtlich. Dies ist nur der Fall, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Der Fehler hat sich auf die Entscheidung dann nicht ausgewirkt, wenn die Behörde auch bei Beachtung des Verfahrensrechts nicht zu einer anderen Entscheidung in der Sache hätte kommen können. Da die Ermächtigungsgrundlage des § 10 Abs. 3 LImSchG für die Ausnahmegenehmigung eine Ermessensnorm ist und sie zudem auf der Tatbestandsseite starke Elemente einer Interessenabwägung enthält, hätte die unterstellte Beantragung einer Beteiligung des Antragstellers mindestens dazu geführt, dass seine Interessen konkret vorgetragen worden wären und damit präsenter Teil der Abwägung der privaten Interessen gewesen wären.

c) Im Übrigen ist die Ausnahmegenehmigung nach summarischer Prüfung auch materiell rechtswidrig. Die Tatbestandsvoraussetzungen liegen nicht vor. Es fehlt daran, dass die Ausübung der Tätigkeit während der Nachtzeit aufgrund eines besonderen überwiegenden Interesses des Beigeladenen erforderlich ist. Dem Bescheid lässt sich bereits nicht entnehmen, um welchen Anlass es sich handelt. Wird im Bescheid nur in allgemeiner Weise darauf Bezug genommen, die Veranstaltung stelle „einen besonderen persönlichen Höhepunkt“ für den Beigeladenen dar, ist von vornherein jegliche Abwägung mit den privaten Interessen des antragstellenden Nachbarn versperrt, da ohne konkrete Benennung eines Anlasses einer Feier keinerlei Gewichtung und Abwägung mit kollidierenden Interessen erfolgen kann. Auch ist nicht ersichtlich, ob und wie die Behörde die kollidierenden Privatinteressen, etwa die des Antragstellers, ermittelt und gewichtet hat.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Mangels eines eigenen Antrages ist der Beigeladene an der Kostenverteilung nicht beteiligt, §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG.