Gericht | OLG Brandenburg 1. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 22.09.2022 | |
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Aktenzeichen | 1 Ws 118/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:0922.1WS118.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der 3. großen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 23. Juni 2021 aufgehoben.
Die weitere Vollstreckung der im Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 9. Mai 2008 (13 KLs 2/06) angeordneten Einziehung von Wertersatz der Verfallsanordnung unterbleibt.
Die Vollstreckung der im Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 9. Mai 2008 (13 KLs 2/06) angeordneten Einziehung von Wertersatz der Verfallsanordnung ist auf gerichtliche Anordnung wieder aufzunehmen, wenn nachträglich Umstände bekannt werden oder eintreten, die der vorgenannten Anordnung entgegenstehen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten darin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse (§ 467 StPO analog).
I.
Der Verurteilte und Beschwerdeführer erstrebt die gerichtliche Anordnung des Unterbleibens einer Wertersatzeinziehung gemäß § 459g Abs. 5 StPO, da der Wert des Erlangten nicht mehr in seinem Vermögen vorhanden sei und die weitere Vollstreckung sich als unverhältnismäßig erweisen würde.
Dem liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:
1. Die 3. große Strafkammer des Landgerichts Neuruppin hat am 9. Mai 2008, rechtskräftig seit demselben Tag (13 KLs 2/06), den strafrechtlich nicht vorbelasteten Beschwerdeführer wegen unerlaubten Veranstaltens eines Glücksspiels gemäß § 284 Abs. 1 StGB in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit betrug 4 Jahre; Auflagen und Weisungen wurden nicht erteilt. Darüber hinaus wurde er wegen Steuerhinterziehung in 29 Fällen, davon in 12 Fällen wegen versuchter Steuerhinterziehung, zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 15,00 EUR verurteilt. Zudem wurde bei dem Verurteilten sichergestelltes Geld in Höhe von 35.900,00 € gemäß § 73 Abs. 1 StGB a. F. für verfallen erklärt und der Verfall von Wertersatz in Höhe von 829.000,00 € gegen den Verurteilten, gegen die Firma M…. GmbH & Co. KG und gegen die M…. GbR nach §§ 73 Abs. 1, Abs. 3, 73a StGB a. F. als Gesamtschuldner angeordnet. Ausweislich der Urteilsgründe war der Verurteilte Gesellschafter und Kommanditist der M…GmbH & Co. KG sowie Mitgesellschafter der M…. GbR. Die von der Fa. M… GmbH & Co. KG und später von der Fa. M…. GbR betriebenen Spielotheken hatten den Urteilsgründen zufolge in den Aufzeichnungszeiträumen vom 20. Oktober 2003 bis zum 5. Juli 2004 an den Tokenautomaten Bruttoerlöse in Höhe von insgesamt 829.000,00 € erzielt (S. 12 UA).
Zur Person des Beschwerdeführers führen die Urteilsgründe aus, dass er sich seit Mai 2005 mit einer Dienstleistungsfirma (Trockenbau, Hausmeisterdienste, Fahrdienste) selbständig gemacht habe, der Gewinn der Firma habe 2005 insgesamt 6.458,00 €, 2006 insgesamt 9.816,00 € und 2007 insgesamt 8.500,00 € betragen, so dass dem Beschwerdeführer monatlich 400,00 € bis 600,00 € zum Bestreiten seines Lebensunterhalts verblieben seien.
Zur der damals geltenden Härtevorschrift des § 73c StGB a.F. verhalten sich die nach § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Gründe des Urteils vom 9. Mai 2028 nicht.
2. Vor der Verurteilung durch das Landgericht Neuruppin am 9. Mai 2008 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 19. März 2008 (15 IN 637/07) über das Vermögen des Verurteilten und Beschwerdeführers das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom 22. Dezember 2014 erfolgte die Restschuldbefreiung.
Die Bewährungsstrafe wurde dem Verurteilten nach Ablauf der Bewährungsfrist mit Wirkung zum 15. Juni 2012 erlassen.
Die Geldstrafe ist seit dem 04. November 2015 vollständig beglichen.
3. Bereits in der Vergangenheit, mit Anwaltsschriftsatz 18. Juli 2008 und erneut mit Anwaltsschriftsatz vom 29. April 2016, hatte der Verurteilte die Niederschlagung des „Verfallbetrags“ und der Kosten wegen Zahlungsunfähigkeit beantragt. Seinerzeit hat der Verurteilte die Auffassung vertreten, dass die Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren auch zum Erlöschen des Verfallbetrages führe. Darüber hinaus sei der „Verfall von Wertersatz“ verjährt, auch würde die Durchsetzung der erkannten Verfallsanordnung für ihn wegen seiner Vermögenslosigkeit eine „unbillige Härte“ darstellen. Die 3. große Strafkammer hatte mit Beschluss vom 13. April 2017 (13 KLs 2/06) die Einwendungen des Verurteilten gegen die „Vollstreckung des Wertersatzes“ zurückgewiesen, die dagegen erhobene sofortige Beschwerde hat der Senat unter dem Datum vom 31. Juli 2017 (Az. 17 Ws 76/17) als unbegründet verworfen. Wegen der Einzelheiten wird auf die vorgenannten Entscheidungen verwiesen.
4. Mit Kostenrechnung vom 09. Juni 2008 machte die Staatsanwaltschaft gegenüber dem Beschwerdeführer zunächst einen Betrag in Höhe von insgesamt 258.403,37 EUR geltend. Dieser beinhaltete die Forderung bezüglich der Geldstrafe in Höhe von 5.400,00 EUR (360 Tagessätze zu je 15,00 EUR), den Verfall des Geldbetrages über 35.900,00 EUR und anteilig den Verfall von Wertersatz in Höhe von 276.333,33 EUR, was einem Drittel des in gesamtschuldnerischer Haftung geschuldeten Gesamtbetrages von 829.000,00 EUR entspricht. Zuzüglich Verfahrenskosten über 535,04 EUR und abzüglich eines Betrages von 120,00 EUR für 8 Tage anzurechnende Untersuchungshaft, eines Betrages über 23.745,00 EUR (ein Drittel aus bar gepfändeten Beträgen bei den übrigen Gesamtschuldnern hinsichtlich des Verfalls von Wertersatz) und der sichergestellten 35.900,00 EUR ergab sich der Gesamtbetrag von 258.403,37 EUR. Die Haftung für weitere 505.176,66 EUR als Gesamtschuldner hinsichtlich der gesamten Forderung von Verfall von Wertersatz über 829.000,00 EUR blieb darin vorbehalten.
Auf Antrag des Beschwerdeführers vom 18. Juli 2008 hat die Staatsanwaltschaft Neuruppin unter dem Datum des 22. Juli 2008 zunächst (nur) hinsichtlich der Geldstrafe die Zahlung von Raten in Höhe von 60,00 € pro Monat mit Verfallsklausel bewilligt. Nach Verrechnung der Raten in Höhe von insgesamt 5.280 € auf die Geldstrafe, infolge derer – wie oben erwähnt – die Gesamtgeldstrafe seit dem 4. November 2015 beglichen ist, wurden die weiteren Ratenzahlungen auf den Verfall von Wertersatz verrechnet (vgl. Schreiben StA Neuruppin an Rechtsanwalt England vom 21. Juli 2016).
Der Verurteilte ist der Ratenzahlung regelmäßig nachgekommen. Im Zuge einer jährlich durchgeführten Überprüfung seiner Einkommensverhältnisse verblieb es jeweils bei der festgesetzten Ratenhöhe von 60,00 EUR pro Monat, zuletzt gewährt mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 19. August 2020.
Hinsichtlich des Verfalls von Wertersatz über 829.000,00 € hat die Rechtspflegerin bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin mit Verfügung vom 18. April 2016 infolge der gesamtschuldnerischen Haftung vorerst nur ein Drittel des Betrages (276.333,33 €) in die Kostenrechnung aufgenommen, wovon 49.825,38 € durch Anrechnung, Pfändung und Zahlung getilgt worden sind, so dass ein Restbetrag von 244.409,99 € bleibt. Mit weiterer Verfügung vom 21. Juli 2016 (Bl. 161 f. VH) beziffert die Staatsanwaltschaft Neuruppin die offene Forderung bezüglich des „Verfalls von Wertersatz“ den Verurteilten als Gesamtschuldner betreffend auf insgesamt 731.244,84 €. Da die Geldstrafe zwischenzeitlich getilgt ist und die Kosten des Verfahrens unter die Restschuldbefreiung fallen, bezieht sich dieser Wert nur noch auf den „Verfall von Wertersatz“ bezüglich des ursprünglich als Gesamtschuldner geschuldeten Gesamtbetrages über 829.000,00 EUR unter Berücksichtigung von Abzügen für anrechenbare und getilgte Leistungen.
Der Verurteilte ist seinen eigenen Angaben nach bis Oktober 2020 selbständig gewesen und verfügt seit dem 01.11.2020 als Angestellter über ein Bruttogehalt in Höhe von 1.580,00 EUR monatlich.
5. Mit seinem an das Landgericht Neuruppin gerichteten Anwaltsschriftsatz vom 12. Januar 2021 hat der Verurteilte gemäß § 459g Abs. 5 S. 1 StPO a.F. beantragt anzuordnen, dass die Vollstreckung der mit Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 9. Mai 2008 angeordneten Wertersatzeinziehung unterbleibt, da der Wert des Erlangten nicht mehr in seinem Vermögen vorhanden sei und die weitere Vollstreckung auch sonst unverhältnismäßig wäre. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass die rechtswidrigen Einnahmen der Gesellschaften, hinsichtlich derer er gesamtschuldnerisch haftet, soweit sie sich überhaupt jemals in seinem Vermögen befunden hätten, jedenfalls verbraucht seien und er diesbezüglich entreichert sei. Die Einnahmen der Gesellschaften seien zur Deckung der betrieblichen Ausgaben verwendet und in kreditfinanzierte Immobilien investiert worden. Nur bei wenigen Immobilien sei er als Miteigentümer in das Grundbuch eingetragen worden (S. 3 Antragsschrift vom 12. Januar 2021). Die Grundstücke seien unter Einsatz von Krediten gekauft worden, die wiederum aus den Einnahmen der Personengesellschaften bedient worden seien. Auch Renovierungs- und Instandhaltungskosten seien mit den dortigen Erträgen bestritten worden. Parallel zum damaligen Strafverfahren seien diese von den finanzierenden Banken verwertet worden. Die Gesellschaftsanteile seien nicht mehr vorhanden bzw. wertlos. Wegen sonstiger Vermögenslosigkeit und entsprechender Zahlungsunfähigkeit habe er das Privatinsolvenzverfahren betreiben müssen. In seinem Vermögen sei kein Vermögenswert mehr vorhanden, der im Zusammenhang mit der Straftat stehe. Die Höhe der Restschuld würde ihn angesichts seines geringen Einkommens bis an sein Lebensende zur Abtragung zwingen, was unbillig sei.
Unter dem Datum des 25. Januar 2021 hat die Staatsanwaltschaft Neuruppin auf Antrag des Verurteilten mit Anwaltsschriftsatz vom 22. Dezember 2020 die vorläufige Einstellung der weiteren Vollstreckung der Einziehungsentscheidung aus dem Urteil vom 9. Mai 2008 verfügt. Ungeachtet der vorläufigen Einstellung der Vollstreckung hat der Verurteilte weiterhin Raten in Höhe von 60,00 € monatlich geleistet, so dass die offene Forderung aus der Einziehungsentscheidung am 7. Juni 2021 insgesamt 727.704,84 EUR betrug.
Die 3. große Strafkammer des Landgerichts Neuruppin hat mit Beschluss vom 23. Juni 2021, dem Verteidiger des Verurteilten am 30. Juni 2021 förmlich zugestellt, die Fortsetzung der Vollstreckung der mit Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 9. Mai 2008 (13 KLs 2/06) erkannten Einziehung von Wertersatz gegen den Verurteilten angeordnet. Das Landgericht begründete seine Entscheidung dahingehend, dass der Verurteilte eine Entreicherung nicht hinreichend substantiiert dargelegt und bewiesen habe (S. 6 f. UA) und die weitere Vollstreckung der Wertersatzeinziehung nicht unverhältnismäßig sei. Weder sei eine „unbillige Härte“ noch eine „Desozialisierung der Strafe“ gegeben; hiervor sei der Verurteilte zum einen durch die bestehende Pfändungsfreigrenze nach § 850c Abs. 1 Nr. 1 ZPO, zum anderen durch Zahlungserleichterungen in Form der Gewährung einer Ratenzahlung hinreichend geschützt (S. 8 BA).
6. Gegen die vorgenannte Entscheidung richtet sich die am 7. Juli 2021 bei Gericht angebrachte sofortige Beschwerde des Verurteilten, die er mit weiterem Anwaltsschriftsatz vom 3. September 2021 begründet hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat unter dem Datum des 27. September 2021 beantragt, die sofortige Beschwerde des Verurteilten als unbegründet zu verwerfen; dem ist der Verurteilte mit Anwaltsschriftsatz vom 6. Oktober 2021 entgegengetreten.
7. Der Senatsvorsitzende hat mit Verfügung vom 27. Juni 2022 dem Beschwerdeführer unter Hinweis auf den unzureichenden Sachvortrag Gelegenheit zu weiteren substantiierten Darlegungen u.a. zu den Geldflüssen an dem illegalen Veranstalten von Glücksspielen an die Gesellschaften und die Gesellschafter, der Verwendung der Einnahmen aus der illegalen Veranstaltung von Glücksspielen, den an den Beschwerdeführer geleisteten Zahlungen, zu etwa vorhandenen Grundstücken, der Verwertung von Grundstücken und der Auflösung der Gesellschaften gegeben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Verfügung (Bd. III, Bl. 587-589 VH) verwiesen. Dem ist der Beschwerdeführer mit Anwaltsschriftsatz vom 26. August 2022 (Bd. V, Bl. 595-820 VH) nachgekommen, hat die gestellten Fragen beantwortet, soweit möglich, diese mit Nachweisen belegt, und die Richtigkeit der Angaben mit einer eidesstattlichen Versicherung bekräftigt.
Der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg wurde Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Ausführungen des Beschwerdeführers gegeben.
II.
1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 462 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 iVm. § 459g Abs. 5 StPO statthaft und im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt.
2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Anordnung, dass die weitere Vollstreckung der im Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 9. Mai 2008 (13 KLs 2/06) angeordneten Einziehung von Wertersatz (Verfall) unterbleibt.
a) Die Entscheidung über die Anordnung des Unterbleibens der Vollstreckung von Nebenfolgen, die zu einer Geldzahlung verpflichten, richtet sich im vorliegenden Fall nach § 459g Abs. 5 StPO a.F., d.h. in der bis zum 30. Juni 2021 geltenden Fassung. Nach § 459g Abs. 5 S. 1 StPO a.F. unterbleibt die weitere Vollstreckung von Nebenforderungen, soweit der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist oder die Vollstreckung sonst unverhältnismäßig wäre.
Zwar ist die Vorschrift des § 459 g StPO nach der angefochtenen Entscheidung durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25. Juni 2021 (BGBl. 2021, 2099) zum 1. Juli 2021 u.a. dahingehend geändert worden, dass in Absatz 5 die „Entreicherung“ als besonderer Aspekt der „sonstigen Unverhältnismäßigkeit“ und damit zugleich als zwingendes Vollstreckungshindernis gestrichen wurde. Jedoch wurde im vorliegenden Fall die Tat vor dem 1. Juli 2021 beendet, so dass nach dem Meistbegünstigungsprinzip des § 2 Abs. 3 StGB das mildere Gesetz gilt. Dies ist im Vergleich zur jetzigen Regelung die bis zum 30. Juni 2021 geltende Fassung des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO, die für den Fall der Entreicherung das Unterbleiben der (weiteren) Vollstreckung zwingend anordnete.
Abweichend von der zur Zeit der Entscheidung des Landgerichts Neuruppin am 9. Mai 2008 geltenden Härtevorschrift des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB, die dem erkennenden Gericht bei Entreicherung ein Ermessen hinsichtlich der Verfallsentscheidung einräumte, schreibt § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO in der bis zum 30. Juni 2021 geltenden Fassung das Unterbleiben der Vollstreckung zwingend vor, wenn das durch die Straftat Erlangte bzw. dessen Wert nicht (mehr) im Vermögen des Tatbeteiligten vorhanden ist (vgl. BT-Drucks. 18/9525, 31, 95; BGH, Urteil vom 8. Mai 2019, 5 StR 95/19, zit. n. juris, dort Rn. 6; BGH, Urteil vom 15. Mai 2018, 1 StR 651/17, zit. n. juris, dort Rn. 57; BGH, Beschluss vom 22. März 2018, 3 StR 577/17; OLG München, Beschluss vom 19. Juli 2018, 5 OLG 15 Ss 539/17, zit. n. juris, dort Rn. 26, OLG Nürnberg, Beschluss vom 13. Februar 2020, Ws 2/20, StraFo 2020, 393 f.), wobei die zivilrechtlichen Gesichtspunkte der verschärften Haftung gemäß § 818 Abs. 4, 819 BGB nach der Rechtsprechung bei der Auslegung von § 459g StPO keine Rolle spielen können (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 30. Januar 2020, 2 Ws 69/19 (40/19), NStZ-RR 2021, 63; OLG Nürnberg, Beschluss vom 13. Februar 2020, Ws 2/20, ZInsO 2020, 2144; LG Bochum Beschluss vom 24. April 2020, 12 KLs 6/19, NInsO 2021, 1452 f, jew. m.w.N.). Denn erkennbar hat sich der Gesetzgeber für eigenständige Wertungen des Vollstreckungsrechts entschieden, um zwar einerseits die Vermögensabschöpfung zu effektivieren, andererseits aber die Tatbeteiligten vor der „erdrosselnden“ Wirkung der Wertersatzanordnung trotz möglicher Entreicherung zu schützen (amtl. Begründung des Regierungsentwurfs zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drucks. 18/9525, S. 57).
Zur Entlastung der Hauptverhandlung verlagerte der Reformgesetzgeber 2017 (Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017, BGBl. I, 872) die Härteklausel des § 73c StGB a.F., die dem erkennenden Gericht für den Fall der Entreicherung ein Ermessen eröffnete, von Verfallserscheinungen abzusehen, in das Vollstreckungsverfahren und erweiterte sie dahin, dass die Entreicherung nicht mehr fakultativ, sondern zwingend zum Ausschluss der Vollstreckung führte (s.o.; BT-Drucks. aaO.). Ungeachtet des Vorstehenden stellt die Frage der Entreicherung auch einen Aspekt der allgemeinen Verhältnismäßigkeit dar.
b) Im vorliegenden Fall ist von einer Entreicherung des Beschwerdeführers auszugehen.
aa) Dem Landgericht Neuruppin und der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg ist darin beizupflichten, dass es für die sichere Annahme eines Vermögensabflusses über bloße Vermutungen hinaus einer tragfähigen Tatsachengrundlage bedarf, wozu das Gericht konkrete Feststellungen, etwa zu dessen Umfang, zu treffen hat. Insoweit kann bei der Entscheidung nach § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO nichts anderes gelten als bei der Feststellung einer Entreicherung im Erkenntnisverfahren (vgl. auch KG Berlin, Beschluss vom 7. September 2020, 5 Ws 105/19, zit. n. juris, dort Rn. 18; OLG München, Beschluss vom 12. Februar 2019, 3 Ws 939/18, zit. n. juris, dort Rn. 13; Lubini, NZWiSt 2019, 419, 422; Appl, KK-StPO, 8. Aufl. § 459g Rn. 17; siehe auch zum Erkenntnisverfahren: BT-Drucks. 18/9525, 47; BGH, Beschluss vom 8. August 2013, 3 StR 179/13, zit. n. juris, dort Rn. 2). Eine Amtspflicht zur Ermittlung dieser Tatsachengrundlage besteht für das Gericht indes nicht (KG aaO.; Rettke, NZWiSt 2019, 338, 339). Sie muss vielmehr – soweit entsprechende Tatsachen dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft nicht ohnehin bereits bekannt sind – vom Einziehungsadressaten dargelegt und nachgewiesen werden (Lubini a.a.O.; Wolf, Rpfleger 2017, 489, 493; Rettke, a.a.O., 340; siehe auch BT-Drucks. 18/10146, 6, 12). Dies ist Folge der seit 2017 umgesetzten Verschiebung der Entreicherungsprüfung in das Vollstreckungsverfahren. Die Darlegungs- und Beweislastzuschreibung stellt dabei keine ungebührliche Belastung des Verurteilten dar, da die maßgeblichen Umstände zur Ermittlung eines Vermögensabflusses grundsätzlich in seiner Einfluss- und Kenntnissphäre liegen und er – anders als im Erkenntnisverfahren – bei der Tätigung von Angaben zu seinem Vermögen nicht mehr auf seine Verteidigung gegen den Tatvorwurf Bedacht nehmen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2018, 3 StR 577/17, zit. n. juris). Bloße, nicht nachprüfbare Behauptungen des Verurteilten bilden keine ausreichende Grundlage für die durch das Gericht zu treffenden Feststellungen (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 7. November 2019, 1 Ws 341/19, zit. n. juris, dort Rn. 12), da sonst das Rechtsinstitut der Vermögensabschöpfung auf der Vollstreckungsebene ausgehöhlt werden könnte, was dem gesetzgeberischen Zweck der effektiven Abschöpfung inkriminierten Vermögens zuwiderliefe (siehe dazu BT-Drucks. 18/9525, 45, 48).
bb) Im vorliegenden Fall war der Beschwerdeführer seiner Nachweispflicht im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts Neuruppin vom 23. Juni 2021 nicht nachgekommen. Die Ausführungen des Beschwerdeführers in der Antragsschrift vom 12. Januar 2021, dass die Einnahmen aus den unerlaubten Veranstaltungen von Glücksspielen den beiden Personengesellschaften M…. GmbH & Co. KG und M…. GbR zur Deckung betrieblicher Ausgaben sowie für betriebliche Investitionen zugeführt sowie in Immobilien investiert worden seien, waren unbestimmt und nicht ansatzweise belegt worden. Auch der Vortrag, dass die durch die Personengesellschaften erworbenen Immobilien durch die beteiligten Banken „parallel zu den Strafverfahren“ verwertet worden seien (Antragsschrift vom 12. Januar 2021, S. 3), war nicht nachvollziehbar; weder wurden die Grundstücke und deren Lage beschrieben, noch wurde der Grund der Veräußerung bzw. die Vermögenslage der Personengesellschaften dargelegt.
cc) Mit den ausführlichen Darlegungen im Anwaltsschriftsatz vom 26. August 2022 ist der Beschwerdeführer seiner Nachweispflicht nachgekommen. Der Beschwerdeführer hat unter Beifügung der Erlösaufstellung (GmbH & Co. KG) sowie der Umsatzerlöse und Erfolgsrechnung (GbR) die Einnahmen aus der illegalen Veranstaltung von Glücksspielen dargelegt, wonach die von der Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelten Gesamterlöse in Höhe von 829.000 € auch nach Auffassung des Beschwerdeführers realistisch seien (S. 3 Anwaltsschriftsatz vom 26. August 2022). Die Lohnzahlungen werden im Tatzeitraum Oktober 2003 bis Juli 2004 unter Nachweis durch Steuerunterlagen und Kontoauszüge mit 2.500 € bis 4.000 € pro Monat und einer Gesamtsumme von 32.500,00 nachvollziehbar beziffert. Dass der Beschwerdeführer durch die in den Jahren 2003 und 2004 gezahlten Löhne seitens der Gesellschaften nicht mehr bereichert ist, hat er durch die Nachweise aus dem Insolvenzverfahren belegt. Barentnahmen werden nachvollziehbar mit 35.900,00 € beziffert, was dem durch Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 9. Mai 2008 gemäß § 73 Abs. 1 StGB a.F. für verfallen erklärten Betrag entspricht. Hinsichtlich des Immobiliarvermögens hat der Beschwerdeführer dargelegt, dass das seinerzeit noch unbebaute und unerschlossene Grundstück „X“ (1/2 Miteigentümeranteil) am 3. November 2004 bei einem Bodenrichtwert von 3,60 €/m² für 2.401,20 € verkauft worden sei. Die Grundstücke „Y“ (1/3 Miteigentümeranteil) und „Z“ (1/4 Miteigentümeranteil) seien im Wege der Zwangsverwaltung und Zwangsversteigerung (Beschlüsse des Amtsgerichts Neuruppin vom 26. April 2007, 7 K 187/07, 7 L 50/07 und vom 06. Juni 2007, 7 K 224/07) veräußert worden, wobei die Immobilien mit Grundschulden und Zwangssicherungshypotheken wertausschöpfend belastet gewesen seien (S. 29 ff. Anwaltsschriftsatz vom 26. August 2022).
dd) Soweit hinsichtlich des Verbleibs von Geldern aus den Straftaten noch Lücken bzw. Bedenken hinsichtlich des Schwarzgeldes und des Bodenrichtwertes von 3,60 € für Bauerwartungsland bestehen, ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer von seiner Nachweispflicht ausnahmsweise dann entbunden ist, wenn die absehensbegründenden Tatsachen der Strafvollstreckungsbehörde bzw. dem zur Entscheidung berufenen Gericht sicher bekannt sind (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 7. November 2019, 1 Ws 341/19, zit. n. juris, dort Rn. 12; Rettke, NZWiSt 2019, 338, 339). Eine entsprechende Kenntnis kann beispielsweise aus erfolglosen Vollstreckungsversuchen der Staatsanwaltschaft (dazu vgl. OLG München, Beschluss vom 3. November 2017, BesckRS 2017 136037, dort Rn. 15) oder aus den Feststellungen des die Wertersatzeinziehung anordnenden rechtskräftigen Urteils erwachsen. Hat das erkennende Gericht konkrete Feststellungen zur Entreicherung bei dem Verurteilten getroffen, sind diese von Amts wegen ermittelten und durch Strengbeweis gewonnenen Erkenntnisse im Vollstreckungsverfahren grundsätzlich taugliche Beurteilungsgrundlage (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 7. September 2020, 5 Ws 105/19, zit. n. juris, dort Rn. 18; OLG Nürnberg, Beschluss vom 13. Februar 2020, Ss 2/20, zit. n. juris, dort Rn. 2, 8; OLG München, Beschluss vom 3. November 2017, BesckRS 2017 136037, dort Rn. 16). Etwas anderes gilt wiederum dann, wenn nachträglich bekannt gewordene Tatsachen geeignet sind, die Urteilsfeststellungen in Zweifel zu ziehen. In diesem Fall lebt die Darlegungs- und Beweislast des Verurteilten hinsichtlich des Vermögensabflusses wieder auf. Denn für die Prüfung der Entreicherung kommt es auf den Zeitpunkt der Vollstreckungsentscheidung und nicht auf den der Verurteilung an (Köhler in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 459g Rn. 13); die Neuregelung des Rechts der Vermögensabschöpfung im Jahr 2017 sollte gerade auch der Abschöpfung nachträglich entdeckten Vermögens dienen (vgl. BT-Drucks. 18/9525, 47 f., 57, 94). Für die Berücksichtigungsfähigkeit nachträglich bekannt werdender oder eintretender Umstände streitet auch die Regelung des § 459g Abs. 5 Satz 2 StPO, die für diese Fälle sogar die Wiederaufnahme der Vollstreckung nach einer zuvor gemäß § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO getroffenen Absehensentscheidung vorsieht.
Entsprechend den Darlegungen des Beschwerdeführers im Anwaltsschriftsatz vom 26. August 2022 und den vorgenannten Maßstäben ist bei einer Gesamtbetrachtung davon auszugehen, dass der Wert des durch das unerlaubte Veranstalten von Glücksspielen Erlangten - selbst bei Annahme von Darlegungslücken - nicht mehr im Vermögen des Verurteilten bzw. Beschwerdeführers vorhanden ist.
(1.) Schon den Gründen des maßgeblichen Urteils vom 9. Mai 2008 (13 KLs 2/06) ist nicht zu entnehmen, ob die Erlöse aus dem Veranstalten der unerlaubten Glücksspiele auch dem Verurteilten und hiesigen Beschwerdeführer zugeflossen oder ob diese bei den Personengesellschafen verblieben sind. Festgestellt ist, dass der einem Sohn monatlich zu 154,00 € unterhaltspflichtige und im Insolvenzverfahren befindliche Verurteilte nach Beendigung der ihm vorgeworfenen Straftaten im Juli 2004 und nach Außervollzugsetzung des gegen ihn ergangenen Haftbefehls im Juli 2005 lediglich 400,00 € bis 600,00 € zum Bestreiten seines Lebensunterhalts zur Verfügung gehabt hatte (S. 3 UA), über etwaiges weiteres Vermögen verhalten sich die Urteilsgründe nicht.
Es kommt hinzu, dass in dem gesondert geführten Verfahren des Landgerichts Neuruppin gegen K… und andere (11 KLs 3/05) die Hauptbeschuldigten und Mitgesellschafter K… und O… mit Urteil vom 12. September 2006 ebenfalls (unter anderem) wegen unerlaubter Veranstaltung eines Glücksspiels in acht (K…) bzw. sieben Fällen (O…) zu Freiheitsstrafen verurteilt worden sind. Auch im dortigen Verfahren wurde identisch wie im hiesigen Ausgangsverfahren (13 KLs 2/06) festgestellt, dass die von der Fa. M…. GmbH & Co. KG und später von der Fa. M…. GbR betriebenen Spielotheken in den Aufzeichnungszeiträumen vom 20. Oktober 2003 bis zum 5. Juli 2004 an den Tokenautomaten Bruttoerlöse in Höhe insgesamt 829.000,00 € erzielt hatten (S. 59 ff., S. 223 ff., 394 ff. UA 11 KLs 3/05 Landgericht Neuruppin); auch in diesem Verfahren hat die 3. große Strafkammer des Landgerichts Neuruppin in Höhe von 829.000,00 € den Verfall des Wertersatzes nach §§ 73 Abs. 1, Abs. 3, 73a StGB a.F. angeordnet, jedoch – anders als im vorliegenden Erkenntnisverfahren – nur gegen die beiden Personengesellschaften M….GmbH & Co. KG und M…. GbR als Gesamtschuldner, nicht hingegen auch gegen die Mitgesellschafter K… und O…. Weiter ist ausgeführt, dass „die Rechtsverhältnisse hinsichtlich des Bestands der Gesellschaften unklar sind und nicht ermittelbar war, welche Gesellschaft welche Werte des Erlöses vereinnahmt haben.“ (S. 396, UA 11 KLs 3/05 Landgericht Neuruppin). Bezüglich der Immobilien des Angeklagten K… ist in dem Urteil vom 12. September 2006 zudem dargelegt, dass der Summe der Immobilienwerte in Höhe von 546.817,00 € Verbindlichkeiten von 576,710,00 € und hinsichtlich des Angeklagten O… der Summe der Immobilienwerte in Höhe von 293.000,00 € Verbindlichkeiten von 353.190,00 € gegenüberstünden (S. 69 ff. UA 11 KLs 3/05 Landgericht Neuruppin). Das Landgericht hat gegen die (Mit-) Gesellschafter K… und O… keinen Verfall von Wertersatz wegen unerlaubten Veranstaltens von Glücksspielen angeordnet und hierzu ausgeführt: „Dass der Angeklagte K… wie auch die Angeklagten O… […] noch Inhaber von Gesellschaftsanteilen sind, deren Wert die Kammer nicht ermittelt hat, ist bei der Berechnung des Vermögens außer Betracht geblieben, weil die Firmen selbst schon vom Verfall des Wertersatzes aus dem Erlös des unerlaubten Glücksspiels und von der Einziehung zahlreicher Spielautomaten betroffen und in ihrem Wert daher vermutlich erheblich beeinträchtigt sind.“ (S. 396 UA 11 KLs 3/05 Landgericht Neuruppin). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Erlöse aus dem unerlaubten Veranstalten von Glücksspielen in Höhe von 829.000,00 € nicht über tatsächliche Einnahmen errechnet worden sind, sondern auf einer fiktiven Hochrechnung von Bruttoerträgen aus illegalem Glücksspiel beruhen. Vor dem Hintergrund der Entscheidung gegen K… und andere vom 12. September 2006 (11 KLs 3/05) bestehen erhebliche Bedenken, ob der „Wert des Erlangten“ dem Beschwerdeführer überhaupt zugeflossen ist oder im Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts Neuruppin am 9. Mai 2008 (13 KLs 2/06) noch vorhanden war; eine Erörterung von § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. findet sich in der hier maßgeblichen Folgeentscheidung 9. Mai 2008 (13 KLs 2/06) nicht.
(2.) Ungeachtet der Frage der Verteilung der Erlöse aus dem unerlaubten Veranstalten von Glücksspielen ist im vorliegenden Fall maßgeblich, dass die Staatsanwaltschaft Neuruppin dem Beschwerdeführer in den vergangenen fast 14 Jahren hinsichtlich der Wertersatzeinziehung eine Ratenzahlung in Höhe von 60,00 pro Monat gewährt hat. Der Beschwerdeführer hat jährlich der Staatsanwaltschaft seine Vermögensverhältnisse offengelegt, was zu einer fortwährenden Gewährung der Ratenzahlung in Höhe von 60,00 € pro Monat geführt hat. Die offengelegten Vermögensverhältnisse betrafen durchweg die aktuelle Einkommenssituation bei dem Beschwerdeführer und ließen darüber hinaus bestehendes Vermögen nicht erkennen. Damit ist die Staatsanwaltschaft Neuruppin faktisch davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer über nennenswertes Vermögen nicht (mehr) verfügt, weder über deliktisch erlangtes Vermögen noch über redlich erlangtes oder neu gebildetes Vermögen.
Mit der Verneinung einer Entreicherung und der Fortsetzung der Vollstreckung des Wertersatzes hinsichtlich der Verfallsanordnung aus dem Urteil vom 9. Mai 2008 würde sich die Staatsanwaltschaft in Widerspruch zu der seit fast 14 Jahren währenden Praxis der Gewährung von Ratenzahlung setzen, was schließlich zu der konsequenten Verfügung vom 25. Januar 2021 zur vorläufigen Einstellung der weiteren Vollstreckung der Einziehungsentscheidung geführt hat. Die Fortführung der Ratenzahlung bedeutet, dass der Beschwerdeführer weitere 1.010,7 Jahre benötigen würde, um die bestehende (Rest-) Schuld von 727.704,84 € zu tilgen, was die Entreicherung des Beschwerdeführers verdeutlicht und überdies zu einer allgemeinen Unverhältnismäßigkeit führt.
Gewichtiges Indiz für eine Entreicherung des Beschwerdeführers ist zudem die im Insolvenzverfahren mit Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin am 22. Dezember 2014 „dem redlichen Schuldner“ erklärte Restschuldbefreiung. Dass die Restschuldbefreiung gemäß § 302 Ziff. 2 InsO iVm. § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht die gerichtliche Verfallsanordnung erfasst, steht dem nicht entgegen; sie lässt den Anspruch bestehen. Kann aber eine Vollstreckung in aktuell vorhandene Gegenstände oder in Vermögen des Schuldners nicht erfolgen, setzt die weiter bestehende Verbindlichkeit den Betroffenen einem Druck aus, die nicht mehr vorhandenen Werte erst (wieder) neu zu schaffen. Dies kann aber nicht mehr dem gesetzgeberischen Ziel der Reform der Vermögensabschöpfung seit 2017 dienen, dass sich Straftaten nicht lohnen dürfen (vgl. Bittmann NStZ 2022, 8, 15; Meißner StraFo 2021, 266, 269, 271).
c) Die weitere Vollstreckung der im Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 9. Mai 2008 (13 KLs 2/06) angeordneten Einziehung von Wertersatz der Verfallsanordnung wäre auch nach allgemeinen Grundsätzen unverhältnismäßig. Die Tilgung der Restschuld von gegenwärtig 727.704,84 € ist unüberbrückbar hoch und würde den Verurteilten bis an sein Lebensende an den Pfändungsfreibetrag fesseln. Die seitens der Staatsanwaltschaft dem Verurteilten gewährte Ratenzahlung würde – wie oben dargelegt – erst in 1.010,7 Jahren zur Tilgung der Schuld führen. Dagegen steht, dass die zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe 2 Jahre und die Bewährungszeit 4 Jahre betrug; die Bewährungszeit ist seit über 10 Jahren abgelaufen, die Freiheitsstrafe seit dieser Zeit erlassen. Die neben der Freiheitsstrafe erkannte Geldstrafe ist seit fast sieben Jahren beglichen. Die weitere Vollstreckung der Einziehungsentscheidung würde faktisch auf eine weitere Strafe neben der erkannten Freiheitsstrafe und der erkannten Geldstrafe hinauslaufen und eben nicht mehr dem gesetzgeberischen Zweck der effektiven Abschöpfung inkriminierten Vermögens dienen (siehe auch BVerfGE 110, 1, 14 ff.; BVerfGE 133, 168, 225).
Soweit der angefochtene Beschluss eine „unbillige Härte“ bzw. eine „Desozialisierung als Folge der Strafe“ [sic!] aufgrund der bestehenden Pfändungsfreigrenzen des § 850 Abs. 1 ZPO verneint, kann dies im vorliegenden Fall nicht durchgreifen. Ungeachtet des Umstands, dass damit die Problematik der Entreicherung nicht erfasst ist, würde dies darauf hinauslaufen, dass die Einziehung von Wertersatz nie allgemein unverhältnismäßig sein kann. Denn die Pfändungsfreigrenzen gelten – wie von der Verteidigung im Anwaltsschriftsatz vom 3. September 2021 (dort S. 9) zutreffend hervorgehoben wird – rechtsübergreifend für jede natürliche Person und dienen der Sicherstellung einer menschenwürdigen wirtschaftlichen Existenz. Aus Gründen der Menschenwürde (Art. 1 GG) und der Freiheitsgrundrechte (Art. 2 Abs. 2 GG) muss für den zu einer Bewährungsstrafe Verurteilten jedoch eine konkrete Chance bestehen, ein wirtschaftliches und damit zugleich soziales Leben jenseits der Grenzen der Pfändungsfreibeträge zu führen und Schuldenfreiheit zu erlangen, um beispielsweise eine Vermögensvorsorge für das Alter zu betreiben, Abhängigkeit von der Sozialhilfe zu vermeiden oder auch Aufwendungen über die Deckelung des Freibetrages zu ermöglichen. Die gegenwärtig gewährte Ratenzahlung würde jedoch – wie oben ausgeführt – den Beschwerdeführer wirtschaftlich bis an sein Lebensende an die Pfändungsfreigrenze „fesseln“, ihm bis an sein Lebensende keinen wirtschaftlichen Entfaltungsraum mehr belassen, was die Wechselwirkung von Entreicherung und allgemeiner Verhältnismäßigkeit bei der Einziehung von Wertersatz besonders verdeutlicht. Hierbei ist neben dem Zeitablauf von fast 20 Jahren seit Begehung der Tat und neben dem Zeitablauf von 10 Jahren seit Ablauf der Bewährungszeit auch einzustellen, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Anlassverurteilung nicht vorbestraft war und sich ausweislich des Auszugs aus dem Bundeszentralregister vom 17. Juni 2022 auch seit der Anlassverurteilung nicht mehr strafbar gemacht hat.
Vor dem Hintergrund der vorgenannten Ausführungen hat die weitere Vollstreckung der Einziehung von Wertersatz aus dem Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 9. Mai 2008 (13 KLs 2/06) zu unterbleiben.
3. Der Senat weist darauf hin, dass, sofern sich an den festgestellten Umständen in Zukunft etwas ändern sollte, die Wiederaufnahme der Vollstreckung von Wertersatz nach Maßgabe von § 459g Abs. 5 S. 2 StPO n.F. in Betracht kommt.