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Entscheidung 2 OLG 53 Ss-OWi 415/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Senat für Bußgeldsachen Entscheidungsdatum 15.09.2022
Aktenzeichen 2 OLG 53 Ss-OWi 415/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0915.2OLG53SS.OWI415.2.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf den Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts wird der Beschluss des Amtsgerichts Lübben (Spreewald) vom 10. Mai 2022 aufgehoben.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Lübben (Spreewald) vom 18. Januar 2022 wird zugelassen.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Lübben (Spreewald) vom 18. Januar 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Lübben (Spreewald) zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Lübben (Spreewald) hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 18. Januar 2022 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 70,- Euro verhängt.

Dagegen hat der Betroffene auf Zulassung der Rechtsbeschwerde angetragen und diese rechtzeitig begründet. Er rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs.

Mit Beschluss vom 10. Mai 2022 hat das Amtsgericht Lübben (Spreewald) den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen, weil die Rechtsbeschwerde nicht innerhalb der Monatsfrist begründet worden sei. Dagegen hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 13. Mai 2022 auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts angetragen.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt zu entscheiden, wie geschehen.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat dazu in ihrer Stellungnahme vom 31. August 202 das Folgende ausgeführt:

„I.

Der am 13.05.2022 beim Amtsgericht Lübben eingegangene (BI. 157 d. A.) Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts richtet sich gegen den am 11.05.2022 zugestellten (BI. 144 d. A.) Beschluss des Amtsgerichts Lübben vom 10.05.2022 (BI. 140f. d. A.), mit dem der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG, § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen worden ist.

Der form- und fristgemäße Antrag (§§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG, § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO) hat auch in der Sache Erfolg.

Der Antrag auf Zulassungsbeschwerde des Betroffenen vom 24.01.2022 (BI. 126f. d. A.) gegen das Urteil des Amtsgerichts Lübben vom 18.01.2022 (BI. 98f. d. A.) ist nach §§ 341, 345 Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG form- und fristgerecht eingelegt und auch begründet worden.

Das entgegen § 77b Abs. 1 S. 1 OWiG nicht mit Gründen versehene Urteil des Amtsgerichts Lübben vom 18.01.2022 (BI. 131f. d. A.) ist dem bevollmächtigten Verteidiger erst nach richterlicher Zustellungsverfügung vom 01.04.2022 (BI. 137R d. A.) am 07.04.2022 wirksam zugestellt worden (BI. 138 d. A.), so dass die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist folglich am 09.05.2022 gemäß § 345 Abs. 1 S. 3 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 OWiG endete.

In seinen Schriftsätzen vom 10.02.2022 (BI. 131 d. A.) und vom 10.03.2022 (BI. 135f. d. A.) erhob der Betroffene bereits die Rügen, dass das Urteil trotz Einlegung eines Rechtsmittels nicht mit Gründen versehen und dem Verteidiger in der Hauptverhandlung vom 18.01.2022 nicht die Gelegenheit zum Plädieren und zum letzten Wort für den Betroffenen gegeben worden sei. Zumindest konkludent nach§ 300 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 OWiG ergibt sich aus dem Schreiben vom 10.03.2022 auch der Aufhebungsantrag für das Urteil, welches darin als,,nicht hinnehmbar" und die Verhandlung und Entscheidung als „gegen jegliche Vorschriften" des OWiG und der StPO bezeichnet wurde.

II.

Das Rechtsbeschwerdegericht wird zugleich über den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu entscheiden haben, da die Sache entscheidungsreif ist, denn die Begründung des Antrags ist der Staatsanwaltschaft spätestens mit Eingang der Akten am 31.05.2022 zugestellt worden (BI. 157R d. A.). Eine Gegenerklärung ist nicht abgegeben worden (BI. 158R d. A.).

Der am 24.01.2022 beim Lübben eingegangene (BI. 127 d. A.) Antrag des Betroffenen richtet sich gegen das am 07.04.2022 zugestellte (BI. 138 d. A.) Urteil des Amtsgerichts Lübben vom 18.01.2022 (BI. 131 d. A.), mit dem gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb der geschlossenen Ortschaft um 25 km/h eine Geldbuße von 70,00 Euro festgesetzt wurde. Das Urteil ist trotz des fristgerecht eingelegten Rechtsmittels des Betroffenen nicht mit Gründen versehen worden (§ 77b Abs. 1 S. 1 OWiG).

Die Fertigung eines Urteils ohne Gründe stellt zwar einen nicht unerheblichen Rechtsfehler dar, da kein Fall des § 77b OWiG gegeben ist. Jedoch führt allein die Tatsache, dass das Amtsgericht fehlerhaft von einer Begründung des Urteils abgesehen hat, obwohl die Voraussetzungen des § 77b OWiG nicht vorliegen, noch nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde; erforderlich ist auch in einem solchen Fall die Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen des § 80 OWiG (ständige Rechtsprechung, vgl. BGHSt 42, 187,189 ff., Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 10. November 2020 - [1 Z] 53 Ss-OWi 518/20 [303/20] -, juris).

Die bei Nichtvorliegen von Urteilsgründen lediglich nicht ausschließbare Möglichkeit, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde geboten sein kann, ersetzt nicht die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1, 2 OWiG. Hierzu hat der Bundesgerichtshof hervorgehoben, dass selbst in den Fällen, in denen die Sachrüge erhoben ist, die Voraussetzungen zur Zulassung der Rechtsbeschwerde häufig ohne Kenntnis von Urteilsgründen geprüft werden können. Dies gelte insbesondere bei massenhaft auftretenden Bußgeldverfahren wegen einfacher Verkehrsordnungswidrigkeiten, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine Schwierigkeiten aufzeigen und bei denen nach den Gesamtumständen ausgeschlossen werden kann, dass die Zulassungsvoraussetzungen nach § 80 OWiG vorliegen. Zur Prüfung der Zulassung der Rechtsbeschwerde ist es möglich, den Bußgeldbescheid (vgl. dazu auch BGHSt 23, 336; BGHSt 23, 365; BGHSt 27, 271) den Zulassungsantrag, nachgeschobene Urteilsgründe oder auch dienstliche Äußerungen heranzuziehen (Brandenburgisches Oberlandesgericht, a.a.O.).

Im vorliegenden Fall ist eine Prüfung der Zulassungsgründe nach § 80 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 OWiG möglich und führt zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen zur Zulassung der Rechtsbeschwerde vorliegen.

Der Betroffene hat die Verfahrensrüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Nichtgewährung des letzten Wortes und der Möglichkeit zum Plädoyer in der Hauptverhandlung vom 18.01.2022 gemäß§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG zulässig erhoben.

Da sich aus der dienstlichen Äußerung der erkennenden Richterin vom 10.08.2022 (BI. 158R d. A.) und dem Hauptverhandlungsprotokoll vom 18.01.2022 (BI. 97R d. A.; die im Hauptverhandlungsprotokoll formularmäßig vorgedruckte Eintragungen „Der Verteidiger erhielt Gelegenheit zu plädieren" und „der Betroffene erhielt das letzte Wort" sind jeweils durchgestrichen worden) keine gegenteiligen Tatsachen ergeben, welche der Rüge den Boden entziehen könnten, mussten diese im Rahmen der Verfahrensrüge auch nicht vom Betroffenen vorgetragen werden.

Die Rüge ist auch begründet.

Zwar handelt es sich bei dem Recht des letzten Wortes gemäß§ 258 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 OWiG um ein höchstpersönliches Recht des Betroffenen (vgl. BGH NJW 1962, 500, 501), das ihm die Möglichkeit geben soll, sich - unabhängig von dem Schlussvortrag des Verteidigers - mit seinen eigenen Worten abschließend zur Sache zu äußern (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.03.2020 - IV-2 RBs 47/20 -). Dieses Recht ist seiner Natur nach nicht übertragbar.

Daher ist der Verteidiger - auch als bevollmächtigter Vertreter des abwesenden Betroffenen - weder zum letzten Wort aufzufordern noch kann er verlangen, nach seinem Schlussvortrag noch ein letztes Wort zu haben (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 30.08.1999 - 2 Ss 161/99 - 3 Ws (B) 436/99 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.03.2020 - IV-2 RBs 47/20 -; OLG Hamm, Beschluss vom 12. April 2022 -111-5 RBs 98/22 -, juris).

Jedoch ist dem Verteidiger als bevollmächtigten Vertreter zumindest die Möglichkeit einzuräumen, sich in einem Schlussvortrag für den Betroffenen zu äußern und Anträge für den Betroffenen zu stellen (OLG Hamm, a.a.O.).

Indem vorliegend das Gericht dem anwesenden Verteidiger die Möglichkeit des Schlussvortrages und der Stellung von Anträgen versagte, ist das rechtliche Gehör des Betroffenen dadurch verletzt.

Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhte.“

Diesen zutreffenden Erwägungen tritt der Senat bei.