Gericht | OLG Brandenburg 1. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 12.10.2022 | |
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Aktenzeichen | 1 Ws 11/22 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:1012.1WS11.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Neuruppin vom 11. August 2022 wird als unbegründet verworfen.
Der Verurteilte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Neuruppin vom 11. August 2022, mit dem die dem Verurteilten durch Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 25. Juli 2018 (259 Ds - 266 Js 1134/18 - 101/18) gewährte Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung hinsichtlich der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe von sechs Monaten widerrufen wurde.
Dem liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:
1. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte am 25. Juli 2018, rechtskräftig seit dem 15. August 2018 (259 Ds - 266 Js 1134/18 - 101/18), den Beschwerdeführer wegen tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in weiterer Tateinheit mit versuchter Körperverletzung und in weiterer Tateinheit mit Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt und der Verurteilte der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt. Die Bewährungszeit endete mit Ablauf des 14. August 2021.
2. Bereits vor dieser Verurteilung war der Beschwerdeführer mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten: (1.) Am 14. Februar 2013 stellte das Amtsgericht Tiergarten gegen ihn ein Verfahren wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz und mit Nötigung nach § 47 JGG gegen eine Geldauflage ein. (2.) Am 20. März 2014 erteilte das Amtsgericht Tiergarten dem Beschwerdeführer wegen Erschleichens von Leistungen, vorsätzlicher Körperverletzung, Beleidigung in drei Fällen und Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz eine richterliche Weisung. (3.) Am 11. April 2014 wiederum stellte das Amtsgericht Tiergarten gegen ihn ein Verfahren wegen Diebstahls nach § 47 JGG ein. (4.) Am 02. Juni 2015 erteilte das Amtsgericht Tiergarten dem Beschwerdeführer wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine richterliche Weisung und verhängte einen Jugendarrest von zwei Wochen. (5.) Am 14. September 2015 - rechtskräftig seit dem 22. September 2015 - verurteilte das Amtsgericht Tiergarten den Beschwerdeführer wegen gemeinschaftlichen Wohnungseinbruchsdiebstahls in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre bestimmt und nachträglich um ein Jahr verlängert. (6.) Am 20. Februar 2017 verurteilte das Amtsgericht Tiergarten ihn wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen.
3. Innerhalb der laufenden Bewährungszeit beging der Verurteilte am 13. Juni 2021 erneut eine Straftat. Das Landgericht Neuruppin hat am 20. Januar 2022, rechtskräftig seit dem 27. April 2022 (13 KLs 358 Js 20764/21 - 16/21), den Beschwerdeführer wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Den Urteilsfeststellungen zufolge habe der Beschwerdeführer am 12. Juni 2021 mit einem ihm bekannten Drogenhändler eine Vereinbarung dahin getroffen, am Folgetag Betäubungsmittel in größerem Umfang nach S... (P…) zu verbringen. Als Anzahlung für die geplante Kurierfahrt habe der Beschwerdeführer mindestens 250,00 € sowie eine Flasche Tilidin erhalten, bei erfolgreicher Ausführung habe der Beschwerdeführer weitere drei Flaschen Tilidin und eine Packung Qxycodon erhalten sollen. Am Morgen des 13. Juni 2021 habe der Beschwerdeführer entsprechend der Absprache vom Vortag im …park in B… von Unbekannten einen Rucksack mit Betäubungsmitteln zum Verbringen nach S… sowie ein Mobiltelefon übernommen. Er habe sich anschließend auf dem Bahnhof B…-G…eine Fahrkarte nach S... gekauft. Im Regionalexpress RE … nach S... (S…) sei er gegen 11:10 Uhr durch die Bundespolizei kontrolliert und in dem von ihm mitgeführten Rucksack 686,92 Gramm Marihuana und 95,23 Gramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 106,84 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC), 647,54 Gramm Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von 63,92 Gramm Amphetamin (Base), 146,98 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 90,84 Gramm Cocainhydrochlorid und 468,34 Gramm MDMA mit einem Wirkstoffgehalt von 144,06 Gramm MDMA (Base) sowie 233,21 Gramm Ketamin festgestellt worden, darüber hinaus habe der Beschwerdeführer für den Eigenkonsum zwei Tabletten Qxycodon mit sich geführt.
Der Beschwerdeführer wurde am selben Tag vorläufig festgenommen und aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Schwedt (Oder) vom 14. Juni 2021 (11 Gs 24/21) in Untersuchungshaft in die Justizvollzugsanstalt (1), Teilanstalt (1a), am 30. Juni 2021 in die Teilanstalt (1b), überführt, wo er bis zum Strafantritt verblieb. Seit dem 2. Mai 2022 ist der Verfolgte in der Justizvollzugsanstalt M... (B...) inhaftiert.
Die Partnerin des Beschwerdeführers informierte am 15. Juni 2021 die Bewährungshelferin über dessen Inhaftierung. Das Amtsgericht Tiergarten erhielt am 7. Juli 2021 Nachricht von dem Haftbefehl. Am 25. Oktober 2021 hat die Staatsanwaltschaft Neuruppin Anklage vor der großen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin erhoben.
4. Unter dem Datum des 25. Mai 2022 hat die Staatsanwaltschaft Berlin beantragt, die mit Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 25. Juli 2018 gewährte Aussetzung der erkannten Freiheitsstrafe zur Bewährung gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB zu widerrufen.
Mit Verfügung vom 17. Juni 2022 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Neuruppin den Verurteilten zum Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft angehört; mit Anwaltsschriftsatz vom 2. August 2022 beantragte der Verurteilte Straferlass, hilfsweise Verlängerung der Bewährungszeit. Der Verteidiger des Verurteilten ist insbesondere der Auffassung, dass ein Widerruf der Strafaussetzung ausscheide, da die Anlasstat mit der Tat aus dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 25. Juli 2018 nicht vergleichbar sei, der Verurteilte sich überdies bewährt habe. Ferner sei ein Bewährungswiderruf infolge des Zeitablaufs aus Gründen des Vertrauensschutzes unzulässig.
Mit Beschluss vom 11. August 2022 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Neuruppin die Strafaussetzung widerrufen. Mit Anwaltsschriftsatz vom 24. August 2022 hat der Verurteilte gegen den Widerrufsbeschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Neuruppin sofortige Beschwerde eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat unter dem Datum des 13. September 2022 beantragt, die sofortige Beschwerde des Verurteilten als unbegründet zu verwerfen.
II.
Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft.
1. Das gem. § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO statthafte Rechtsmittel ist form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) und damit zulässig.
2. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten hat keinen Erfolg, sie ist unbegründet.
a) Zutreffend hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Neuruppin als das örtlich zuständige Gericht entschieden. Zwar befindet sich der Verfolgte seit dem 2. Mai 2022 in der Justizvollzugsanstalt M... (B...), jedoch war die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Neuruppin bereits mit der Sache befasst, als sich der Verurteilte in der Justizvollzugsanstalt (1), Teilanstalt (1b), befand. Denn wird gegen einen Verurteilten Freiheitsstrafe vollstreckt, ist für die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 462a Abs. 1 S. 1 StPO die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Justizvollzugsanstalt liegt, in die der Verurteilte zu dem Zeitpunkt der Befassung des Gerichts mit der Sache aufgenommen war. Bei Entscheidungen, die von Amts wegen zu treffen sind – wie hier über den Widerruf der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung - wird das Gericht schon dann mit der Sache befasst, wenn Tatsachen aktenkundig werden, die eine Entscheidung über den Widerruf rechtfertigen können (BGH NStZ-RR 2013, 390 f. m.w.N.; BGH NStZ 1997, 406 f. m.w.N.; OLG Celle, Beschluss vom 23.09.2013 - 2 Ws 211/13 - zit. nach juris). Für das Befasstsein der Strafvollstreckungskammer genügt dabei der Eingang bei einem Gericht, das für die Entscheidung zuständig sein kann. Hier ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Neuruppin dadurch mit der Sache befasst worden, dass der Haftbefehl des Amtsgerichts Schwedt (Oder) vom 14. Juni 2021 in Ansehung des nahen Endes der Bewährungszeit am 7. Juli 2021 dem Amtsgericht Tiergarten als dem Gericht erster Instanz übermittelt worden ist. Zu diesem Zeitpunkt war – wie oben erwähnt – der Verfolgte in der Teilanstalt (1b) inhaftiert. Das Befasstsein endet erst mit abschließender Entscheidung in der Sache (BGH NStZ 1997, 406 f.; OLG Celle, Beschluss vom 23.09.2013 - 2 Ws 211/13 - zit. nach juris).
b) Gem. § 56 f Abs. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat, ohne dass mildere Maßnahmen nach § 56 f Abs. 2 StGB ausreichen, um die mit der bisherigen Aussetzung verfolgten Zwecke zu erreichen.
Im vorliegenden Fall hat der Verurteilte innerhalb der ursprünglichen Bewährungszeit eine Beihilfe zu einem Verbrechen nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 Var. 1 und 4 BtMG begangen. Dadurch hat sich die Erwartung, die dem Erlass der Bewährungsentscheidung noch zugrunde lag, nicht erfüllt (vgl. Fischer, StGB, 69. Auflage, § 56 f Rdnr. 8 m.w.N.). Das ist nämlich die Erwartung, dass der Verurteilte „keine Straftaten mehr begehen wird“ (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB). Diese Erwartung wird durch jede neue Straftat von nicht unerheblichem Gewicht in Frage gestellt. Zutreffend hat die Strafvollstreckungskammer in ihrer angefochtenen Entscheidung dargelegt, dass es insoweit auf einen kriminologischen Zusammenhang zwischen Ursprungstat und Anlasstat nicht ankommt und die Taten auch nicht nach Art und Schwere miteinander vergleichbar sein müssen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 4.10.2008, 3 Ws 484/08; KG, Beschluss vom 25.06.2009, 2 Ws 252/09, zit. n. juris; KG StV 2012, 483). Die Voraussetzung, dass sich die Erwartung nicht erfüllt hat, stellt nicht auf das bloße Legalverhalten ab, sondern auf die Resozialisierung. Die neue Tat zeigt, dass der Verurteilte trotz der bei einem Bewährungsversagen drohenden Vollstreckung einer Freiheitsstrafe seine kriminelle Lebensführung nicht nachhaltig geändert hat, denn bereits in der Vergangenheit ist der Beschwerdeführer wegen Verstöße gegen das Betäubungsmittelrecht verurteilt worden, wobei die Anlasstat von schwerwiegenderem Gewicht als die bisherigen Straftaten ist. Dass der Verurteilte die Anlasstat aus eine Notlage oder aufgrund einer „psychiatrischen Erkrankung im engeren Sinn“ heraus begangen hatte, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Soweit der Beschwerdeführer nach dem Bericht der Bewährungshelferin vom 28. Juni 2021 „glaubhaft“ erklärte, seine „straffällige Vergangenheit“ hinter sich gelassen zu haben, wird dies durch die Anlasstat vom 13. Juni 2021 widerlegt. Entgegen der Auffassung der Verteidigung stellt daher der Widerruf der Strafaussetzung keine Bestrafung des Bewährungsbruchs, sondern eine Korrektur der im Zeitpunkt der Strafaussetzung zu Gunsten des Verurteilten getroffenen fehlerhaften Aussetzungsentscheidung dar (vgl. dazu LG Hamburg StV 1997, S. 90).
c) Soweit die Strafvollstreckungskammer von milderen Maßnahmen als den Bewährungswiderruf nach § 56 f Abs. 2 StGB abgesehen hat, ist dies von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Die Verlängerung der Bewährungszeit ist nur dann eine angemessene Reaktion auf das Versagen des Probanden, wenn objektiv eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestünde, dass der Verurteilte in Zukunft ein straffreies Leben führen wird (KG NStZ-RR 2000, S. 170). Die günstige Prognose setzt dabei mehr voraus als den Willen, sich zukünftig straffrei zu führen. Es muss die Fähigkeit belegt sein, diesen Willen in die Tat umzusetzen. Diese Befähigung hat sich auf Tatsachen zu stützen; sie darf nicht unterstellt werden (vgl. KG aaO.). Daran fehlt es hier. Gegen eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Straffreiheit spricht bereits die wiederholte Begehung von Straftaten, wobei der drohende Bewährungswiderruf den Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nicht davon abhalten konnte, eine schwerwiegende Straftat zu begehen.
d) Dem Verurteilten ist zur Widerrufsfrage rechtliches Gehör (schriftliche Anhörung) durch die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Neuruppin gewährt worden (vgl. § 453 Abs. 1 Satz 1 StPO).
e) Dem Widerruf der Strafaussetzung steht nicht entgegen, dass die Bewährungszeit bereits am 14. August 2021 abgelaufen ist. Der Widerruf ist – entgegen der im Begründungsschriftsatz vom 14. September 2022 geäußerten Rechtsansicht – auch noch nach längerem Ablauf der Bewährungszeit zulässig (allgemeine Ansicht, siehe Gesetzesmaterialien BT-Drucks. 8/3857, 12; 9/22, 5; vgl. auch BGH NStZ 1998, 586; KG Berlin NJW 2003, 2468, 2469; OLG Karlsruhe MDR 1993, 780; OLG Hamm NStZ 1998, 478; OLG Düsseldorf MDR 1985, 516; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 254; MK-Groß, StGB, § 56 f Rdnr. 38; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 56 f Rdnr. 19). Eine bestimmte Frist, innerhalb derer die Widerrufsentscheidung ergehen muss und nach deren Ablauf der Widerruf unzulässig wäre, gibt es nicht; die Frist des § 56 g Abs. 2 Satz 2 StGB ist auf § 56 f StGB nicht anwendbar (vgl. Fischer a.a.O.).
Der Widerruf ist indes nicht unbegrenzt möglich. Er hat zu unterbleiben, wenn aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes des Verurteilten eine solche Entscheidung nicht mehr vertretbar ist (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Beschluss vom 22. September 2003, 1 Ws 120/03; Beschluss vom 23. Januar 2004, 1 Ws 164/03; Beschluss vom 4. April 2004, 1 Ws 17/04; Beschluss vom 18. Juni 2008, 1 Ws 114/08; vgl. auch KG JR 1967, 307; OLG Hamm NJW 1970, 1520; OLG Celle StV 1987, 30; OLG Bremen StV 1986, 165; OLG Hamm StV 1985, 198; KG NJW 2003, 2468).
Aus Gründen des Vertrauensschutzes wird in der Rechtsprechung ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung dann für unzulässig erachtet, wenn seit Ende der Bewährungszeit bzw. seit Rechtskraft der neuen Verurteilung ein erheblicher Zeitablauf eingetreten ist (vgl. OLG Stuttgart, Die Justiz 1982, 273; OLG Koblenz MR 1985, 70: „nahezu 2 Jahre“; OLG Bremen StV 1986, 166; OLG Koblenz OLGSt Nr. 1; OLG Hamm StV 1985, 198; siehe auch OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 254; OLG Köln StV 2001, 412 f.; OLG Oldenburg StV 2003, 346). Hier erfolgte der Widerruf knapp ein Jahr nach dem Ende der Bewährungszeit und etwa 3 ½ Monate nach Rechtskraft der letzten Verurteilung. Ob dies grundsätzlich ein im Hinblick auf den Vertrauensschutz noch hinnehmbarer Zeitraum ist, kann hier dahinstehen. Auf den bloßen langen Zeitablauf seit dem Ende der Bewährungszeit bzw. seit Rechtskraft der neuen Verurteilung kann bzgl. des Vertrauensschutzes nur dann abgestellt werden, wenn in dieser Zeit oder gar noch vor den genannten Ereignissen keine Umstände eingetreten sind, die dem Verurteilten verdeutlichten, dass er durchaus noch mit Konsequenzen im vorliegenden Verfahren rechnen musste und so sein etwaiges Vertrauen nicht schutzwürdig erscheinen lassen.
Ein schutzwürdiges Vertrauen hätte hier erst entstehen können, wenn das Gericht längere Zeit nach Ablauf der Bewährungszeit untätig geblieben wäre und der Verurteilte deshalb davon ausgehen konnte, an seiner neuen, in der Bewährungszeit begangenen Straftat würden keine Konsequenzen mehr geknüpft. Die Vertrauensbildung ist kein plötzliches Ereignis, sondern ein sich entwickelnder Prozess, in dessen Verlauf der Verurteilte auch die Bearbeitungszeiten in der Justiz berücksichtigen muss (KG Berlin NJW 2003, 2468, 2469). Es muss sich insoweit auch deshalb um einen nicht unerheblichen Zeitraum handeln, weil der Verurteilte seinerzeit gem. § 454 Abs. 4 iVm. § 268a Abs. 3 StPO darüber belehrt worden ist, dass ein Bewährungsverstoß regelmäßig zum Widerruf der Strafaussetzung führt. Der Beschwerdeführer ist mehrfach, auch mir einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe, vorbestraft und hat Erfahrung im Umgang mit Strafermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden. Er hatte damit keinen Anlass für die Annahme, eine neue Straftat würde ohne Konsequenzen im laufenden Bewährungsverfahren bleiben. Überdies hätte der Beschwerdeführer nur bei einem längeren Zeitablauf nach Ende der Bewährungszeit und gleichzeitiger Untätigkeit der Justiz davon ausgehen können, dass er von einem Widerruf verschont bleibt.
Dem vorbestraften Beschwerdeführer musste sich insbesondere aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Schwedt (Oder) vom 14. Juni 2021 und der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Neuruppin vom 25. Oktober 2021 (358 Js 20764/21), die schließlich zu der Anlassverurteilung durch das Landgericht Neuruppin am 20. Januar 2022 führte, darüber im Klaren sein, dass ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung drohte.
Hinsichtlich der Aspekte des Vertrauensschutzes und des Zeitablaufs ist überdies nicht die Schnelligkeit, mit der die Strafaussetzung hätte widerrufen werden können, das Kriterium. Maßgebend ist, ob die Verzögerung einen sachlichen Grund hatte oder ob das Verfahren ungebührlich verschleppt worden ist, so dass der Verurteilte – der im Übrigen, wie bereits oben erwähnt, auch die Bearbeitungszeiten bei den Gerichten und der Staatsanwaltschaft und ggf. den Rechtsmittelzug berücksichtigen muss – nach den Umständen des Einzelfalles mit dem Widerruf nicht mehr zu rechnen brauchte (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 254; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997, 253; KG NJW 2003, 2468). Ferner sind Art und Schwere der Anlasstat von Bedeutung (vgl. OLG Hamm NStZ 1984, 362). Je schwerer der Verurteilte in der Bewährungszeit versagt hat, desto weniger kann sich ein Vertrauen auf den Bestand der Strafaussetzung bilden. Denn umso mehr muss sich bei dem Probanden das Bewusstsein bilden, dass sich lediglich die justizförmige Abwicklung des auf jeden Fall zu erwartenden Widerrufsverfahren verzögert hat (vgl. KG, Beschluss vom 1. Februar 2006, 5 Ws 33/06, zit. nach juris).
Im vorliegenden Fall konnte sich angesichts der Schwere der in der Bewährungszeit begangenen Straftat kein schutzwürdiges Vertrauen darauf bilden, dass ein Bewährungswiderruf nicht mehr zu erwarten sei.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.