Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung OVG 2 B 19/20


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat Entscheidungsdatum 29.09.2022
Aktenzeichen OVG 2 B 19/20 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2022:0929.OVG2B19.20.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 53 Abs 1 S 2 Nr 3 BauO BB, § 55 Abs 2 Nr 3 BauO BB, § 74 Abs 1 BauO BB, § 7 Abs 2 Nr 7 BauNVO, § 34 BauGB, § 35 BauGB

Leitsatz

Stellt sich heraus, dass eine Beseitigungsverfügung für ein baugenehmigungsfreies Vorhaben nicht auf einen Verstoß gegen einen Bebauungsplan gestützt werden kann, weil dieser unwirksam ist, und verstößt das Vorhaben nicht gegen eine örtliche Bauvorschrift, ist eine amtsfreie Gemeinde im Land Brandenburg nicht zuständig für den Erlass der Beseitigungsverfügung. In einem solchen Fall verbleibt es bei der Zuständigkeit des Landkreises.

Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 6. Oktober 2017 geändert. Die Beseitigungsverfügung des Beklagten vom 9. Dezember 2013 und der Widerspruchsbescheid des Landrates des Landkreises Potsdam-Mittelmark vom 17. September 2017 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Beklagte.

Die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger, Erben des verstorbenen Dr. A..., wenden sich gegen die Anordnung der Beseitigung eines Doppelcarports.

Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks F.... Das Grundstück weist eine Fläche von etwa 508 m² auf und ist mit einer Doppelhaushälfte bebaut.

Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des am 16. Juni 1999 erstmals sowie am 31. März 2000 und am 28. Juni 2018 erneut bekannt gemachten Bebauungsplans KLM-BP-019 „Ortskern Kleinmachnow“ (Ursprungsbebauungsplan). In diesem Plan sind in dem hier maßgeblichen Baugebiet W... u.a. Baugrenzen und Freiflächen festgesetzt, wobei sich die vordere Baugrenze auf dem klägerischen Grundstück in einem Abstand von sechs Metern zur Straßenbegrenzungslinie befindet. Ziff. 5.2 des Planteils B enthält die textliche Festsetzung:

„Private Stellplätze, Carports, Garagen, Tiefgaragen und Parkdecks sind innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen und auf den dafür besonders ausgewiesenen Flächen zulässig. Offene Stellplätze von Reihenhäusern und Doppelhäusern dürfen jedoch auch auf der nichtüberbaubaren Grundstücksfläche im Abstand von 1 m, gemessen von der Straßenbegrenzungslinie, errichtet werden. Auf den Grundstücken der Reihenmittelhäuser sind nur offene Stellplätze zulässig.“

Zudem enthält der Bebauungsplan u.a. in Ziff. 1.3 textliche Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung in den festgesetzten Kerngebieten, unter anderem zur Zulässigkeit von Wohnungen ab dem ersten Obergeschoss.

In der Folgezeit wurde der Ursprungsbebauungsplan hinsichtlich einzelner Flächen bzw. Festsetzungen geändert, aber nie in Gänze aufgehoben. Die textliche Festsetzung Ziff. 5.2 ist von den Änderungen nicht betroffen und das allgemeine Wohngebiet W... ist nach wie vor Teil des Plangebiets.

Nachdem im Jahr 2010 festgestellt worden war, dass auf dem Grundstück der Kläger ein Doppelcarport direkt an der Grundstücksgrenze errichtet worden war - nach Angaben der Kläger im Sommer 2001 –, gab der Beklagte dem zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann der Klägerin mit Bescheid vom 9. Dezember 2013 unter Androhung eines Zwangsgeldes auf, diesen Doppelcarport innerhalb von drei Monaten nach Bestandskraft des Bescheides zu beseitigen. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Landrat des Landkreises Potsdam-Mittelmark mit Widerspruchsbescheid vom 17. September 2015 zurück.

Die am 19. Oktober 2015 erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 6. Oktober 2017 ab. Zur Begründung führte das Gericht im Wesentlichen aus: Rechtsgrundlage für die Beseitigungsanordnung sei § 74 Abs. 1 BbgBO in der bis zum 30. Juni 2016 geltenden Fassung (a.F.). Die tatbestandlichen Voraussetzungen zum Erlass der Beseitigungsanordnung lägen vor. Bei der Errichtung des Doppelcarports handele es sich um ein baugenehmigungsfreies Vorhaben. Dieses sei im Zeitpunkt seiner Errichtung bauplanungsrechtlich unzulässig gewesen. Dies gelte zunächst, wenn man den Ursprungsbebauungsplan zugrunde lege. Etwas anderes ergebe sich auch nicht im Falle einer Unwirksamkeit dieses Bebauungsplans, denn der Carport habe sich zum Zeitpunkt seiner Errichtung nicht im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung eingefügt. In dem hier maßgeblichen Straßengeviert F... und A... sei er im Sommer 2001 im Hinblick auf die überbaute Grundstücksfläche ohne Vorbild gewesen. Wegen der von ihm ausgehenden Vorbildwirkung trage er nur durch eine Bauleitplanung zu bewältigende bodenrechtliche Spannungen in das Gebiet hinein. Dass sich auf andere Weise rechtmäßige Zustände herstellen ließen oder der Carport seit seiner Errichtung über einen namhaften Zeitraum dem materiellen Baurecht entsprochen habe, sei nicht ersichtlich. Die Beseitigungsverfügung sei nicht ermessensfehlerhaft. Die Androhung des Zwangsgeldes sei ebenfalls rechtmäßig.

Der Senat hat auf Antrag der Kläger mit Beschluss vom 30. November 2020 die Berufung zugelassen.

Zur Begründung ihrer Berufung tragen die Kläger im Wesentlichen vor:

Der Carport habe planungsrechtlich zulässig errichtet werden dürfen. Der im Jahr 2001 bestehende Bebauungsplan sei unwirksam. Die Bekanntmachungen seien aus verschiedenen Gründen fehlerhaft. Zudem liege ein zur Unwirksamkeit des gesamten Plans führender Verkündungsfehler vor, weil auf die DIN 4109 verwiesen werde, ohne dass sichergestellt worden sei, dass die Planbetroffenen sich vom Inhalt dieser Vorschrift Kenntnis hätten verschaffen können. Der Plan leide überdies an verschiedenen inhaltlichen Mängeln. So fehle für die textliche Festsetzung eines Kerngebiets wegen der mit der Eigenart eines solchen Gebiets unvereinbaren Festsetzung von Wohnnutzung eine Rechtsgrundlage. Dies habe die Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans zur Folge. Der Mangel sei nicht durch die Satzung KLM-BP-019-2 geheilt worden. Dieser Plan sei ebenfalls gesamtnichtig, da die dortige Kerngebietsfestsetzung aus denselben Gründen unwirksam sei.

Der Carport sei auch nach § 34 BauGB zulässig. In der näheren Umgebung befänden sich Nebenanlagen und Garagen jenseits der Baugrenze. Im Zeitpunkt der Errichtung des Carports im Jahr 2001 seien faktische Baugrenzen zudem noch nicht vorhanden gewesen, seinerzeit hätten im Bereich zwischen den bereits errichteten Haupthäusern und der Straßenbegrenzung zahlreiche Carports, Stellplätze und Zufahrten bestanden. Selbst wenn der Carport sich nicht einfügen würde, habe er weder im Jahr 2001 städtebauliche Spannungen erzeugt noch sei das derzeit der Fall. Letztlich könne aber offenbleiben, ob das Bauwerk nach § 34 BauGB zulässig sei, denn dem Beklagten fehle wegen der Unwirksamkeit des Bebauungsplans die Zuständigkeit für eine bauordnungsrechtliche Verfügung.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 6. Oktober 2017 die Beseitigungsverfügung vom 9. Dezember 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2017 aufzuheben,

sowie,

die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt im Wesentlichen vor:

Er sei gemäß § 53 Abs. 1 BbgBO a.F. sachlich zuständig für den Erlass der Beseitigungsanordnung. Der hier relevante Bebauungsplan sei weder aufgehoben noch im Rahmen einer gerichtlichen Normenkontrolle für unwirksam erkannt worden. Damit bestünden planungsrechtliche Festsetzungen, für deren Vollzug die Gemeinde die sachliche Zuständigkeit habe. Der Gemeinde stehe insoweit keine Verwerfungskompetenz zu, sie müsse den Bebauungsplan anwenden. Würde man dies anders sehen, sei die Frage der sachlichen Zuständigkeit im Bereich der Gefahrenabwehr beim Vollzug von Bebauungsplänen mit dem Hinweis auf dessen Unwirksamkeit stets fraglich, damit könne die Gefahrenabwehr nicht wirksam ausgeübt werden. Eine einmal begründete Zuständigkeit könne zudem nicht nachträglich wieder entfallen. Die Frage der sachlichen Zuständigkeit rechtfertige überdies keine Inzidentkontrolle des Bebauungsplans, eine solche könne nur im Rahmen der Prüfung erfolgen, ob die angegriffene Maßnahme materiell rechtmäßig sei.

Der Ursprungsbebauungsplan sei nicht deshalb insgesamt unwirksam, weil die Ausweisung der Kerngebiete fehlerhaft sei. Es handele sich um große, topographisch völlig getrennte Flächen. Die Gemeinde habe seinerzeit einen so großen Bebauungsplan beschlossen, weil es wegen zahlreicher Restitutionsansprüche und stark steigender Grundstückspreise einen großen Bedarf an neuen Wohnbauflächen gegeben habe. Die allgemeinen Wohngebiete wären also nach dem hypothetischen Willen der Gemeinde auch ohne die Kerngebiete festgesetzt worden. Dies ergebe sich auch daraus, dass in späteren Änderungen die Kerngebiete aus dem Plangebiet herausgenommen worden seien.

Selbst wenn der Bebauungsplan unwirksam sei, sei der Carport auf dem Grundstück der Kläger bauplanungsrechtlich unzulässig. Er füge sich nicht im Sinne von § 34 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Die Maßstäbe des § 23 BauNVO seien zugrunde zu legen. Vor Errichtung des Carports habe sich bereits eine faktische vordere Baugrenze herausgebildet, weil die Wohngebäude in dem hier maßgeblichen Baublock im Sommer 2001 ganz überwiegend fertiggestellt gewesen seien. Zwar seien Carports nicht grundsätzlich außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen unzulässig, es müsse aber weiter geprüft werden, ob solche Anlagen wegen städtebaulicher Gründe oder bodenrechtlicher Spannungen abzulehnen seien. Innerhalb der untergeordneten Anlagen sei zwischen Nebenanlagen im Sinne von § 14 BauNVO und Garagen bzw. Carports zu unterscheiden, weil letztere andere städtebauliche Wirkungen entfalten würden als etwa Stellplätze oder Zufahrten. In der näheren Umgebung sei bei der Ortsbegehung kein weiterer Carport festzustellen gewesen. Das gelte auch für den Zeitpunkt der Errichtung des klägerischen Carports, denn ein nachträglicher Abriss derartiger Baulichkeiten erscheine unwahrscheinlich. Der Carport erzeuge bodenrechtliche Spannungen. So könnten Eigentümer anderer Grundstücke ebenfalls Carports in der Vorgartenzone errichten wollen, was zu einer maßgeblichen Änderung des Orts- und Straßenbildes führe. Sollte bei Errichtung des Bauwerks das Gebiet noch nach § 35 BauGB zu beurteilen gewesen sein, wäre der Carport wegen Beeinträchtigung der die Belange des Naturschutzes, der Landschaftspflege und des Ortsbildes sowie einer befürchteten Splittersiedlung unzulässig gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte in der Sache entscheiden, ohne die von dem Beklagten beantragte Schriftsatzfrist zu gewähren, denn auf den Inhalt der von dem Prozessbevollmächtigten der Kläger in der mündlichen Verhandlung überreichten Schriftsätze vom 28. September 2022 kommt es für die Entscheidung nicht an.

Die zulässige Berufung der Kläger ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

I. Die angefochtene Beseitigungsverfügung in der Fassung des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, denn der beklagte Bürgermeister der Gemeinde Kleinmachnow ist nicht zuständig für den Erlass dieser Verfügung.

Rechtsgrundlage der Beseitigungsverfügung ist § 74 Abs. 1 BbgBO in der bis zum 30. Juni 2016 geltenden Fassung (a.F.). Danach können die Bauaufsichtsbehörden die teilweise oder vollständige Beseitigung baulicher Anlagen anordnen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Untere Bauaufsichtsbehörden sind gemäß § 51 Abs. 1 Satz 2 BbgBO a.F. die Landkreise, die kreisfreien Städte sowie die Großen kreisangehörigen Gemeinden. Die Gemeinde Kleinmachnow als amtsfreie Gemeinde ist lediglich gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 BbgBO a.F. als Sonderordnungsbehörde für den Vollzug der örtlichen Bauvorschriften und der planungsrechtlichen Festsetzungen bei genehmigungsfreien Vorhaben, u.a. für die Beseitigung rechtswidrig errichteter (genehmigungsfreier) baulicher Anlagen zuständig.

1. Der umstrittene Doppelcarport ist ein baugenehmigungsfreies Vorhaben nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 BbgBO a.F.. Carports unterfallen als überdeckte bauliche Anlagen dem Gebäudebegriff (vgl. § 2 Abs. 2 BbgBO.F.) und damit der Genehmigungsfreiheit (vgl. Reimus/Semtner/Langer: Die neue Brandenburgische Bauordnung, 4. Aufl. 2017, § 61 Rn. 9), da gemäß § 2 Abs. 7 S. 2 BbgBO a.F. Garagen definiert sind als Gebäude oder Gebäudeteile zum Abstellen von Kraftfahrzeugen.

2. Der Carport widerspricht keiner örtlichen Bauvorschrift oder planungsrechtlichen Festsetzung.

Örtliche Bauvorschriften (vgl. § 81 BbgBO a.F.), zu denen der Carport im Widerspruch stehen könnte, sind nicht ersichtlich. In Betracht kommt hier lediglich ein Widerspruch zu den Festsetzungen des Ursprungsbebauungsplans KLM-BP-019 „Ortskern Kleinmachnow“ in der Fassung der Änderungsbebauungspläne. Hierbei handelt es sich um planungsrechtliche Festsetzungen im Sinne des § 53 BbgBO a.F., denn hierunter fallen alle nach § 9 BauGB in einem Bebauungsplan zulässigen Festsetzungen (vgl. Förster, in: Jäde/Dirnberger/Förster/Bauer/ Böhme/Michel/Radeisen: Bauordnungsrecht Brandenburg, Stand Februar 2022, § 53 BbgBO a.F. Rn. 11).

a) Der Carport entspricht zwar nicht der textlichen Festsetzung in Ziff. 5.2 dieses Bebauungsplans. Hiernach sind u.a. Carports nur innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen und auf den dafür besonders ausgewiesenen Flächen zulässig. Der Carport ist unmittelbar an der Grundstücksgrenze und damit außerhalb der in dem Bebauungsplan festgesetzten überbaubaren Grundstücksfläche errichtet.

b) Der Bebauungsplan KLM-BP-019 ist aber unwirksam.

aa) Die Wirksamkeit des Bebauungsplans ist im Rahmen des vorliegenden Verfahrens inzident zu überprüfen. In jedem Anfechtungs- und Verpflichtungsrechtsstreit hat das Gericht die Gültigkeit der Rechtsvorschriften zu prüfen, auf denen das zur Prüfung gestellte Verwaltungshandeln beruht (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1982 – 5 C 103.81 –, juris Rn. 10). Das gilt entgegen der Auffassung der Beklagten auch im Hinblick auf die sachliche Zuständigkeit der Behörde. Sind Bauvorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans Verfahrensgegenstand, muss das Gericht von Amts wegen die Gültigkeit des Plans überprüfen. Diese Inzidentkontrolle von Bebauungsplänen ist auch geboten, wenn einem Normenkontrollantrag – wie vorliegend – die Frist des § 47 Abs. 2 VwGO entgegenstände (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. Februar 2010 – 4 BN 50.09 –, juris Rn. 6). Über die Frage der Gültigkeit des Bebauungsplans wird in diesem Fall nicht allgemeinverbindlich entschieden, sondern die Feststellung ist als klärungsbedürftige Vorfrage nur ein Element der Begründung der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 1992 – 4 NB 22.90 –, juris Rn. 9). Gemäß § 215 Abs. 1 BauGB unbeachtlich gewordene Verfahrens- und Abwägungsfehler sind nicht zu berücksichtigen, denn die Planerhaltungsvorschriften der §§ 214, 215 BauGB sind auch im Rahmen einer inzidenten Kontrolle des Bebauungsplans zu beachten (vgl. Urteil des Senats vom 26. Januar 2012 – OVG 2 B 26.10 –, juris Rn. 22).

bb) Der Bebauungsplan ist ungeachtet weiterer möglicher Fehler jedenfalls deshalb unwirksam, weil für die in der textlichen Festsetzung Nr. 1.3 angeordnete allgemeine Zulässigkeit von Wohnungen im Kerngebiet ab dem 1. Obergeschoss eine Rechtsgrundlage fehlt.

(1) Diese Festsetzung kann nicht auf die genannte Regelung des § 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO gestützt werden. Hiernach können im Kerngebiet zwar auch sonstige, d.h. nicht den besonderen Zweckbindungen nach § 7 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO unterliegende Wohnungen zugelassen werden. Eine solche Festsetzung hat jedoch die allgemeine Zweckbestimmung eines Kerngebiets zu wahren. Diese ergibt sich aus der allgemeinen Umschreibung in § 7 Abs. 1 BauNVO, die in § 7 Abs. 2 BauNVO konkretisiert wird. Danach haben Kerngebiete zentrale Funktionen. Sie bieten vielfältige Nutzungen und ein urbanes Angebot an Gütern und Dienstleistungen für die Besucher der Stadt und die Wohnbevölkerung eines größeren Einzugsbereiches. Dieser Charakter umfasst auch eine nach Maßgabe des Bebauungsplanes oder ausnahmsweise zulässige Wohnnutzung. Der Plangeber hat bei der Festsetzung von Wohnungen im Kerngebiet jedoch zu beachten, dass dieses in erster Linie und im Unterschied zu anderen Baugebieten der Baunutzungsverordnung den genannten zentralen Funktionen und Einrichtungen zu dienen bestimmt ist (vgl. Urteil des Senats vom 29. Januar 2015 – OVG 2 B 1.14 –, juris Rn. 48).

Dem entspricht der Plan nicht. In den südlich der F… zwischen Schulstandort und öffentlicher Grünfläche festgesetzten Kerngebieten lässt er eine Bebauung mit vier Vollgeschossen zu. Damit eröffnet die textliche Festsetzung 1.3, die eine Wohnnutzung ab dem 1. Obergeschoss zulässt, die Möglichkeit, dass die festgesetzten Kerngebiete vorwiegend dem Wohnen dienen. Das ist mit der allgemeinen Zweckbestimmung eines Kerngebiets nicht zu vereinbaren (vgl. Urteil des Senats vom 29. Januar 2015, a.a.O. m.w.N.).

(2) Dieser Fehler führt zur Unwirksamkeit der Kerngebietsausweisung. Von den die Beachtlichkeit von Fehlern einschränkenden Planerhaltungsvorschriften der §§ 214 f. BauGB wird er nicht erfasst.

(3) Der Fehler hat nicht lediglich eine Teilunwirksamkeit des Bebauungsplans zur Folge. Zwar betrifft er unmittelbar lediglich die Festsetzung der zwei Kerngebiete. Die Unwirksamkeit einzelner Festsetzungen hat aber nur dann nicht die Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans zur Folge, wenn die übrigen Festsetzungen für sich genommen noch eine den Anforderungen des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB gerecht werdende sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken können und wenn die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch einen Plan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2009 – 4 B 54.08 –, juris Rn. 5).

An letzterem fehlt es. Ausweislich der Planbegründung hat die Gemeindevertretung im Jahr 1995 eine Satzung über das „Entwicklungsgebiet nördlich und südlich der F…“ beschlossen (vgl. Planbegründung S. 9). Das Gebiet dieser Satzung entspricht abgesehen von einer Erweiterung im westlichen Bereich im Wesentlichen dem Plangebiet (vgl. Planbegründung Anl. 1 und Anl. 2). Ziel des Bebauungsplans ist die Stärkung der städtebaulichen Eigenständigkeit Kleinmachnows als selbständige Gemeinde sowie die Deckung der Nachfrage an Versorgungseinrichtungen des Food- und Non-Food-Bereichs, an Wohnbauflächen und deren Folgeeinrichtungen. Hierzu ist es nach der Planbegründung erforderlich, einen bislang nicht vorhandenen Ortskern als Identifikationspunkt für Kleinmachnow zu entwickeln. Dieser Ortskern soll kommunale Einrichtungen, Dienstleistung, Einzelhandel und Wohnungen in angemessener Nutzung und Dichte enthalten. Ziel des Bebauungsplans ist die Schaffung eines Ortszentrums mit Gemeinbedarfseinrichtungen, Dienstleistungen und Läden, sowie die Bereitstellung von Flächen für den Wohnungsbau (vgl. Planbegründung Seite 10, 35).

Diese Begründung lässt keinen Raum für die Annahme, dass die Gemeinde Kleinmachnow den Bebauungsplan auch ohne die Festsetzung der Kerngebiete erlassen hätte. Der Umstand, dass das Plangebiet nahezu vollständig dem Gebiet der Entwicklungssatzung entspricht, belegt, dass das gesamte Gebiet nach den Vorstellungen des Plangebers in einem Zug entwickelt werden sollte. Planungsziel war neben der Ausweisung von Wohnbauflächen ausdrücklich die Festsetzung von Flächen für kommunale Einrichtungen, Dienstleistungen und Einzelhandel. Das zentrale Planungsziel, einen „Ortskern“ zu schaffen, hätte allein durch die Ausweisung allgemeiner Wohngebiete nicht erreicht werden können. Erforderlich hierfür ist vielmehr auch die Festsetzung von Flächen für zentrale Funktionen und Einrichtungen. Vor diesem Hintergrund rechtfertigt der Hinweis des Beklagten auf den seinerzeit großen Bedarf an Wohnbauflächen nicht den Schluss, dass diese in der vorliegenden Form gegebenenfalls isoliert festgesetzt worden wären.

(4) Nichts anderes folgt daraus, dass die Kerngebiete mit den Bebauungsplänen KLM-BP-019-2 und KLM-BP-019-10 erneut überplant wurden. Zum einen ist für die Frage, ob ein Bebauungsplan insgesamt oder nur zum Teil unwirksam ist, ausschließlich maßgeblich, ob der Plangeber im Zeitpunkt des Erlasses dieses Plans von dessen Teilbarkeit ausgegangen ist. Spätere Planungen sind insoweit nicht von Belang. Zum anderen haben die späteren Bebauungspläne den Ursprungsbebauungsplan im Hinblick auf die Kerngebietsausweisungen schon deshalb weder außer Kraft gesetzt noch geheilt, weil sie ebenfalls unwirksam sind. Die dort erfolgten Festsetzungen zu den Kerngebieten, die die wesentlichen Regelungsgegenstände dieser Pläne darstellen, sind ebenfalls nichtig.

Für die textliche Festsetzung II.1.2 des Bebauungsplans KLM-BP-019-2, der zufolge Wohnungen im Kerngebiet MK 01 ab dem 1. Obergeschoss und im MK 02 ab dem Erdgeschoss zulässig sind, fehlt erneut die Rechtgrundlage, denn auch sie ermöglichen, dass die festgesetzten Kerngebiete vorwiegend dem Wohnen dienen. Im Kerngebiet MK 01 werden überwiegend vier Vollgeschosse zugelassen, von denen drei zum Wohnen genutzt werden können, nur im schmalen Randbereich zum P… 9 (MK 01.1) ist lediglich ein Vollgeschoss und somit keine Wohnnutzung zugelassen. Im Kerngebiet MK 2 sind drei Vollgeschosse zulässig, die nach der Festsetzung vollständig zum Wohnen genutzt werden können.

Dasselbe gilt im Hinblick auf den Plan KLM-BP-019-10. Auch dieser gestattet in seiner textlichen Festsetzung 1.3 eine Wohnnutzung im Kerngebiet MK 01 oberhalb des ersten Vollgeschosses und im Kerngebiet MK 02 in allen Geschossen. Diese Festsetzungen ermöglichen in gleicher Weise, dass die Kerngebiete überwiegend zum Wohnen genutzt werden Zwar setzt der Plan in den Kerngebieten die Zahl der zulässigen Vollgeschosse nicht fest, er enthält aber Festsetzungen zur zulässigen Firsthöhe. Ausweislich der Planbegründung wurde die Zahl der Vollgeschosse durch die Festsetzung der zulässigen Firsthöhe ersetzt, weil sich der Vollgeschossbegriff der Brandenburgischen Bauordnung geändert hatte. Mit der Änderung sollte verhindert werden, dass sich die Festsetzungen des Bebauungsplans inhaltlich änderten (vgl. Planbegründung S. 14 f.).

3. Die Beseitigungsverfügungen können entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht auf einen Verstoß gegen § 34 oder § 35 BauGB gestützt werden.

Für den Erlass einer auf § 34 bzw. § 35 BauGB gestützten Beseitigungsanordnung ist der Beklagte sachlich nicht zuständig. Gemäß § 53 Abs. 1 BbgBO a.F. ist er, wie bereits ausgeführt, als Sonderordnungsbehörde ausschließlich zuständig für den Vollzug der örtlichen Bauvorschriften und der planungsrechtlichen Festsetzungen bei genehmigungsfreien Vorhaben, nach Nr. 3 der Regelung umfasst dies auch die Beseitigung rechtswidrig errichteter baulicher Anlagen.

Die Regelungen in § 34 bzw. § 35 BauGB sind offenkundig nicht als örtliche Bauvorschriften zu qualifizieren. Sie stellen ebenso wenig eine planungsrechtliche Festsetzung im Sinne des § 53 Abs. 1 BbgBO a.F. dar. Wie bereits ausgeführt, sind hierunter alle nach § 9 BauGB in einem Bebauungsplan zulässigen Festsetzungen zu verstehen. § 34 BauGB ist aber kein „Ersatzplan“ – weder ein fingierter noch ein fiktiver Plan –, weil es ihm an der konkreten Ortsbezogenheit fehlt, sondern lediglich ein Planersatz (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 1969 – IV C 234.65, juris Rn. 15 sowie Urteil vom 17. September 2003 – 4 C 14.01 –, juris Rn. 12). Dasselbe gilt für § 35 BauGB (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. September 2003, a.a.O.).

Sofern ein Bauwerk nicht gegen eine örtliche Bauvorschrift oder planungsrechtliche Festsetzung der Gemeinde verstößt, etwa weil diese unwirksam ist, die bauliche Anlage aber mit dem sonstigen öffentlichen Baurecht nicht vereinbar ist, fehlt den amtsfreien Gemeinden die Zuständigkeit für den Erlass einer Beseitigungsanordnung (vgl. Förster, a.a.O., § 53 BbgBO a.F. Rn. 5; Otto, Brandenburgische Bauordnung, 5. Aufl. 2021, § 58 Rn. 31 ff.).

Dem kann der Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass der Bebauungsplan weder nach § 1 Abs. 8 BauGB aufgehoben noch im Rahmen einer gerichtlichen Normenkontrolle für unwirksam erklärt worden sei. Hierbei kann dahinstehen, ob bis zu einer förmlichen Aufhebung oder Unwirksamkeitserklärung planungsrechtliche Festsetzungen vorliegen, für deren Vollzug die Gemeinde zuständig ist und für die ihr keine Verwerfungskompetenz zusteht. Allein der Umstand, dass derartige Regelungen existieren, rechtfertigt jedenfalls nicht die Annahme, dass die Gemeinde grundsätzlich zuständig ist für den Erlass von Beseitigungsanordnungen. Diese müssen vielmehr auf eine Verletzung der planungsrechtlichen Festsetzung bzw. örtlichen Bauvorschrift gestützt werden können. Für den Erlass einer Verfügung, die nicht dem Vollzug planungsrechtlicher Festsetzungen bzw. örtlichen Bauvorschriften dient, weil diese unwirksam sind, begründet § 53 Abs. 1 Nr. 3 BbgBO a.F. nach seinem klaren Wortlaut die gemeindliche Zuständigkeit nicht, insoweit verbleibt es bei der Zuständigkeit der unteren Bauaufsichtsbehörde.

Dass dies zu Unsicherheiten im Hinblick auf die Frage der sachlichen Zuständigkeit im Bereich der Gefahrenabwehr beim Vollzug von Bebauungsplänen führt, rechtfertigt angesichts des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift keine andere Beurteilung, zumal auch sonst – etwa bei noch nicht fertiggestellten Vorhaben, bei denen noch nicht eindeutig feststellbar ist, ob sie als genehmigungsfrei einzustufen sind – Unsicherheiten bezüglich der Zuständigkeit bestehen und die Gemeinde sich mit der unteren Bauaufsichtsbehörde ins Benehmen setzten muss (vgl. Förster, a.a.O. Rn. 19). Ist die Unwirksamkeit eines Bebauungsplans für die Gemeinde erkennbar, kann sie darüber hinaus Rechtssicherheit dadurch herstellen, dass sie die Fehler im Rahmen eines ergänzenden Verfahrens nach § 214 Abs. 4 BauGB behebt oder den Bebauungsplan gemäß § 1 Abs. 8 BauGB aufhebt. Entgegen der Auffassung des Beklagten bedarf keiner Entscheidung, ob eine nachträgliche Änderung der sachlichen Zuständigkeit die formelle Rechtmäßigkeit der Beseitigungsverfügung unberührt lässt (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 19. Mai 2010 – 2 L 149/09 –, juris Rn. 9), denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die sachliche Behördenzuständigkeit des Beklagten ist nicht nachträglich entfallen, sondern sie hat zu keinem Zeitpunkt bestanden, denn der Bebauungsplan war von Anfang an unwirksam.

II. Angesichts dessen sind die Zwangsgeldandrohungen ebenfalls aufzuheben.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren war gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären, denn eine anwaltliche Vertretung durfte angesichts der Komplexität des Streitgegenstandes vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei für erforderlich gehalten werden. Anhaltspunkte dafür, dass es den Klägern auf Grund persönlicher Sach- und Rechtskunde zumutbar gewesen wäre, das Vorverfahren dennoch selbst zu führen, liegen nicht vor.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

IV. Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.