Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 4. Senat | Entscheidungsdatum | 29.09.2022 | |
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Aktenzeichen | OVG 4 B 18/21 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2022:0929.OVG4B18.21.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 4 Abs 4 RL 2011/95/EU, Art 9 Abs 1 RL 2011/95/EU, Art 9 Abs 2 RL 2011/95/EU, Art 12 Abs 2 RL 2011/95/EU, § 3 Abs 1 AsylG, § 3 Abs 2 AsylG, § 3 Abs 4 AsylG, § 3a Abs 1 AsylG, § 3a Abs 2 Nr 1 AsylG, § 3a Abs 2 Nr 3 AsylG, § 3a Abs 2 Nr 5 AsylG, § 3a Abs 3 AsylG, § 3b Abs 1 Nr 4 AsylG, § 3b Abs 1 Nr 5 AsylG, § 3b Abs 2 AsylG, § 26 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AsylG, § 26 Abs 3 Satz 1 AsylG, § 26 Abs 5 Satz 1 AsylG, § 26 Abs 5 Satz 2 AsylG |
Die einem Dienstpflichtigen in Eritrea wegen einer Entziehung oder Desertion vom Nationaldienst oder illegaler Ausreise im dienstpflichtigem Alter drohende Inhaftierung und/oder die (anschließende) Heranziehung zum Nationaldienst knüpft nach der derzeitigen Erkenntnislage nicht an eine ihm zugeschriebene politische Überzeugung oder ein anderes flüchtlingsschutzerhebliches Merkmal an.
Frauen im Nationaldienst Eritreas bilden keine bestimmte soziale Gruppe im Sinne von § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG.
Familienangehörigen von Deserteuren und Wehrdienstverweigerern droht ohne Hinzutreten gefahrerhöhender Risikomerkmale keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung im Sinne einer Reflexverfolgung.
Ein schuldhaftes Zögern im Sinne von § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG liegt vor, wenn der Ehegatte eines anerkannten Flüchtlings nach der Einreise zunächst die Erteilung eines Aufenthaltstitels abwartet und bewusst keinen Asylantrag stellt, um das Verteilungsverfahren und die Verpflichtung des Wohnens in einer Aufnahmeeinrichtung sowie das Erfordernis einer persönlichen Antragstellung bei der Außenstelle des Bundesamtes zu vermeiden.
Angehörige der Kernfamilie können Flüchtlingsschutz nach § 26 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 1 bis 3 AsylG nur von einer Person ableiten, der die Flüchtlingseigenschaft wegen ihr selbst drohender Verfolgung („aus eigenem Recht“) und nicht ihrerseits kraft Ableitung zuerkannt worden ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das ihr am 31. August 2020 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Berlinwird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 v.H. des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin begehrt – über den bereits gewährten subsidiären Schutz hinaus – die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die 1995 geborene Klägerin ist eritreische Staatsangehörige tigrinischer Volkszugehörigkeit und christlich-orthodoxen Glaubens. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erkannte ihrem Ehemann und Vater ihrer beiden Kinder mit bestandskräftigem Bescheid vom 3. August 2015 die Flüchtlingseigenschaft zu. Die Klägerin reiste mit ihrem im Februar 2013 in Eritrea geborenen Sohn im Dezember 2016 im Wege des Familiennachzugesin die Bundesrepublik Deutschland ein. Das zweite Kind der Klägerin kam im Februar 2018 im Bundesgebiet zur Welt. Sie beantragte am 20. Juli 2018 für sich und ihre Söhne Asyl. Bei ihren persönlichen Anhörungen durch das Bundesamt im August 2018 und im März 2019 gab sie unter anderem an, ihr Ehemann habe sich nach ihrer Heirat im Mai 2012 wegen seiner drohenden Einziehung zum Nationaldienst zunächst versteckt gehalten und sei dann durch seine Ausreise vor dem Nationaldienst geflüchtet. Danach seien oftmals Angehörige des Militärs bis zum Jahr 2013 bei ihr gewesen, hätten sie nach dem Aufenthaltsort ihres Mannes befragt und ihr gedroht, sie festzunehmen, wenn sie ihren Mann nicht zurückhole. Seit Ende 2013 oder 2014 bis zu ihrer Ausreise im Oktober 2015 habe sie sich dann bei ihrer Schwester, bei ihrer Tante und ihrem Onkel sowie bei Freundinnen aufgehalten. Die Soldaten seien dann nicht mehr gekommen.
Das Bundesamt erkannte den beiden Söhnen der Klägerin mit bestandskräftigen Bescheiden vom 27. Februar 2019 und 28. Februar 2019 gemäß § 26 Abs. 2 und 5 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zu.
Mit Bescheid vom 16. Mai 2019 lehnte das Bundesamt den Antrag der Klägerin auf Asylanerkennung sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes ab, stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, und forderte die Klägerin zur Ausreise auf. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise drohte es ihr die Abschiebung nach Eritrea an. Die Bedrohungen durch das eritreische Militär begründeten keine Furcht vor Verfolgung, weil sie die notwendige Intensität nicht erreicht und die Klägerin zudem nicht individuell betroffen hätten. Der Klägerin drohe bei einer Rückkehr keine Einziehung zum Nationaldienst, weil sie verheiratet und Mutter sei. Weder ihre illegale Ausreise noch ihre Asylantragstellung in Deutschland rechtfertige die Annahme staatlicher Verfolgung. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Familienflüchtlingsschutz, weil sie ihren Asylantrag nicht unverzüglich nach ihrer Einreise gestellt habe.
Die Klägerin hat am 28. Mai 2019 Klage erhoben mit dem Ziel der Asylanerkennung und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise des subsidiären Schutzes und der Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots. Zur Begründung hat sie ausgeführt, ihr drohe in Eritreawegen der Desertion und Flucht ihres Ehemannes eine Reflexverfolgung („Sippenhaft“). Außerdem sei sie illegal aus Eritrea ausgereist und habe sich dem Nationaldienst entzogen. Dies werde von der eritreischen Regierung nicht nur als verwirklichter Straftatbestand, sondern als eine regimefeindliche Einstellung gewertet. Sie erwarte daher bei einer Rückkehr aufgrund einer ihr vom eritreischen Staat zugeschriebenen gegnerischen politischen Überzeugung eine Inhaftierung unter unmenschlichen Bedingungen. Abgesehen davon habe sie einen Anspruch auf abgeleiteten Familienflüchtlingsschutz. Ihrem Ehemann und ihren Kindern sei jeweils die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Der Zeitpunkt ihres Asylantrages sei ihr nicht vorzuwerfen, weil sie kurz nach ihrer Einreise schwanger geworden sei und sich zunächst in Deutschland habe einleben müssen.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat die Beklagte mit dem der Klägerin am 31. August 2020 zugestellten Urteil unter teilweiserAufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 16. Mai 2019 verpflichtet, der Klägerin den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Ihr drohe bei einer Rückkehr nach Eritrea eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, weil sie aufgrund ihrer illegalen Ausreisevor Ableistung des Nationaldienstes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Vollstreckung einergegen sie von den eritreischen Behörden außergerichtlich und willkürlich verhängten Haftstrafe unter unmenschlichen Haftbedingungen zu erwarten habe. Sie habe jedoch keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte oder auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ihr drohe im Falle einer Rückkehr nach Eritrea nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung „wegen“ eines Verfolgungsgrundes. Zwar sei sie nach ihren Angaben bereits vor ihrer Ausreise von Soldaten aufgesucht worden, weil diese von ihr den Aufenthaltsort ihres Mannes hätten erfahren wollen. Selbst wenn ihr deshalb eine Festnahme bevorgestanden haben sollte, wäre dies nicht wegen eines Verfolgungsgrundes geschehen. Festnahmen von Familienangehörigen dienten lediglich dazu, (ins Ausland) geflüchtete Deserteure bzw. Dienstverweigerer zur Rückkehr zu bewegen. Die der Klägerin bei einer Rückkehr nach Eritrea drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung während der zu erwartenden Haftstrafe erfolge ebenfalls nicht „wegen“ eines Verfolgungsgrundes. Sie knüpfe – auch im Hinblick auf die Kombination mit der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung im Ausland – nicht an eine ihr von den eritreischen Behörden zugeschriebene politische Gegnerschaft oder ein anderes flüchtlingsschutzrelevantes Merkmal an. Die Strafpraxis in Eritrea lasse nicht erkennen, dass der Staat Eritrea Deserteuren, Dienstverweigerern oder deren Familienangehörigen eine gegnerische politische Überzeugung zuschreibe. Vor allem die Tatsache, dass offenbar auch Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge den „Diaspora-Status“ erhielten und so möglicherweise ohne Bestrafung nach Eritrea ein- und wieder ausreisen könnten, spreche dagegen, dass allein die illegale Ausreise und die Asylantragstellung die Zuschreibung einer gegnerischen politischen Gesinnung durch den eritreischen Staat nach sich zögen. Ob der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr auch die Einziehung zum Nationaldienst drohe, obwohl sie verheiratet und Mutter von minderjährigen Kindern sei, bedürfe keiner Entscheidung. Dies sei jedenfalls keine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung, weil von der Einziehung zum Nationaldienst praktisch alle erwachsenen eritreischen Staatsbürger gleichermaßen ohne Ansehung ihrer Persönlichkeitsmerkmale betroffen seien. Die Klägerin könne einen Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes nicht von ihrem Ehegatten ableiten, weil sie ihren Antrag auf internationalen Schutz nicht unverzüglich nach der Einreise gestellt habe. Sie könne sich weder auf die Herausforderung der Orientierung und des Einlebens in Deutschland noch auf ihre Schwangerschaft als ausreichenden Grund für eine Verzögerung der Antragstellung berufen. Schließlich könne die Klägerin Flüchtlingsschutz auch nicht abgeleitet von ihren Söhnen beanspruchen. Mit dem in Deutschland geborenen Sohn habe keine Lebensgemeinschaft im Heimatland bestanden. Der andere Sohn habe seinen Flüchtlingsstatus lediglich abgeleitet erlangt.
Aufgrund dieses Urteils erkannte das Bundesamt mit Bescheid vom 23. Oktober 2020 der Klägerin subsidiären Schutzstatus zu.
Die Klägerin begründet ihre wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts unter Bezugnahme auf ihre Ausführungen im Klageverfahren und in ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung. Eritreischen Staatsangehörigen, die sich dem Militärdienst entzogen hätten oder desertiert seien, drohe eine unmenschliche Behandlung aus politischen Gründen. Der eritreische Staat unterstelle jedem, der das Land im dienstpflichtigen Alter illegal verlasse, sich dem Nationaldienst entziehen zu wollen. Der Nationaldienst sei keine reguläre Wehrpflicht, sondern gelte als „Schule der Nation“ und habe einen „extrem hohen Stellenwert im eritreischen Staat“. Wer sich dem Nationaldienst entziehe, werde daher als politischer Gegner des Regimes betrachtet. Auch die Härte der Bestrafung zeige, dass die Verfolgung an eine unterstellte politische Überzeugung anknüpfe. Ihr sei nicht zuzumuten, die „Diaspora-Steuer“ zu entrichten und eine Reueerklärung zu unterzeichnen, um unbehelligt nach Eritrea zurückkehren zu können. Es bestehe kein hinreichender Schutz vor Bestrafung. Bei ihr komme gefahrerhöhend hinzu, dass sie Ehefrau eines anerkannten Flüchtlings sei, dem der eritreische Staat regimefeindliche politische Überzeugungen zuschreibe, und sie den Behörden bei der Suche nach ihm nicht behilflich gewesen sei. Außerdem sei sie im Falle des Einzugs in den Nationaldienst der weit verbreiteten sexuellen Gewalt gegenüber Frauen ausgeliefert, die teilweise Folter gleichkomme.
Die Klägerin beantragt,
das ihr am 31. August 2020 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin zu ändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Mai 2019 in der Gestalt des Bescheides dieser Behörde vom 23. Oktober 2020 zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor, dass die Klägerin als verheiratete Frau und Mutter schon nicht der Verpflichtung zur Ableistung des Nationaldienstes unterliegen dürfte. Darüber hinaus solle für Frauen, die vom Nationaldienst freigestellt worden seien oder sich ihm entzogen hätten, die Möglichkeit bestehen, mit 27 Jahren ihren Status zu „regularisieren“. Sie könnten sich dann offiziell demobilisieren lassen. Abgesehen davon würde die Klägerin als Mutter ohnehin allenfalls zum zivilen Teil des Nationaldienstes herangezogen werden. Dort drohe ihr keine schutzrelevante Verfolgung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Asyl- und Ausländerakten der Klägerin Bezug genommen, die vorgelegen haben und deren Inhalt – soweit wesentlich – Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen ist.
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist zwar zulässig. Sie genügt den inhaltlichen Mindestanforderungen des § 124a Abs. 6 Satz 3 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 4 VwGO. Sie enthält einen Antrag, der sich auf das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts bezieht, und mit dem Verweis auf die Ausführungen im Klageverfahren und im Antrag auf Zulassung der Berufung eine hinreichende Berufungsbegründung (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 3. August 2016 – 1 B 79.16 – juris Rn. 3, vom 14. Februar 2018 – 1 B 1.18 – juris Rn. 5 und vom 12. April 2021 – 1 B 18.21 – juris Rn. 5, jeweils m.w.N.).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die allein (noch) streitgegenständliche Versagung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft mit Bescheid des Bundesamtes vom 16. Mai 2019 in der Gestalt des Bescheides vom 23. Oktober 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Sie hat nach der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ihr droht in ihrem Herkunftsland keine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung. Dabei ist von Eritrea als Herkunftsland auszugehen, weil an der eritreischen Staatsangehörigkeit der Klägerin nach dem Inhalt ihrer Anhörung beim Bundesamt keine Zweifel bestehen. Auch die Beklagte geht von dieser Staatsangehörigkeit aus.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist und keine der in § 3 Abs. 4 AsylG genannten Ausschlussgründe vorliegen. Ein Ausländer ist gemäß § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Diese Legaldefinition der Verfolgungshandlung setzt die Vorgaben aus Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (RL 2011/95/EU) um. § 3a Abs. 2 AsylG nennt im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU einzelne Regelbeispiele von Verfolgungshandlungen, die nicht abschließend sind. Danach kann die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt einschließlich sexueller Gewalt (Nr. 1) ebenso wie eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (Nr. 3) ausreichen. Die Annahme einer Verfolgungshandlung setzt einen gezielten Eingriff in ein flüchtlingsrechtlich geschütztes Rechtsgut voraus (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 19. April 2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 11 und vom 4. Juli 2019 – 1 C 33.18 – juris Rn. 11, jeweils m.w.N.).
§ 3b Abs. 1 AsylG konkretisiert die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe. Gemäß § 3b Abs. 2 AsylG ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob dieser tatsächlich die flüchtlingsschutzrelevanten Merkmale aufweist, sofern ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen muss eine kausale Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Verfolgungshandlung muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen. Ob die Verfolgung „wegen“ eines Verfolgungsgrundes erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Diese Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung anzunehmen sein, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an die die Handlung anknüpft. Für eine derartige „Verknüpfung“ reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus. Ein bestimmter Verfolgungsgrund muss nicht die zentrale Motivation oder alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme sein. Indes genügt eine lediglich entfernte, hypothetische Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund nicht (vgl. BVerwG, Urteile vom 19. April 2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 13 und vom 4. Juli 2019 – 1 C 33.18 – juris Rn. 13, jeweils m.w.N.).
Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer – bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr – die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) drohen (vgl. BVerwG, Urteile vom 19. April 2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 14 und vom 4. Juli 2019 – 1 C 33.18 – juris Rn. 15, jeweils m.w.N.). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann und ihm deswegen eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32, vom 19. April 2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 14 und vom 4. Juli 2019 – 1 C 33.18 – juris Rn. 15, jeweils m.w.N.).
Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt unabhängig von der Frage, ob der Antragsteller vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Vorverfolgte werden nach den unionsrechtlichen Vorgaben nicht über einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, sondern über die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU privilegiert. Danach besteht bei ihnen eine tatsächliche Vermutung, dass ihre Furcht vor Verfolgung begründet ist. Diese Vermutung kann widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass ihnen erneut eine derartige Verfolgung droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 37.18 – juris Rn. 14 m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben droht der Klägerin bei einer – wegen des ihr zuerkannten subsidiären Schutzes derzeit nur hypothetischen – Rückkehr nach Eritrea nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG. Eine begründete Furcht der Klägerin vor individueller, zielgerichteter Verfolgung lässt sich weder angesichts ihres Vortrages zu ihren individuellen Fluchtgründen noch allgemein mit dem Risiko einer Einberufung zum Nationaldienst, einer Bestrafung wegen Entziehung von diesem Dienst oder einer Bestrafung wegen illegaler Ausreise aus Eritrea oder der Asylantragstellung in Deutschland begründen.
Die Klägerin ist nicht vorverfolgt ausgereist, so dass ihr die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nicht zugutekommt.
Die Angaben der Klägerin bei der Anhörung durch das Bundesamt, sie sei geflüchtet, weil Soldaten sie wiederholt aufgesucht und ihr mit Haft gedroht hätten, rechtfertigen nicht die Annahme einer Vorverfolgung. Die bloße, wenn auch wiederholte Drohung mit einer Inhaftierung rechtfertigt schon nicht die Annahme einer Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 und 2 AsylG. Zudem knüpfte diese nicht an einen in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, § 3b Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgrund an. Die Klägerin schilderte selbst, dass die Drohungen allein dem Zweck dienten, von ihr den Aufenthaltsort ihres Mannes zu erfahren. Dies steht im Einklang mit den Erkenntnissen, nach denen Festnahmen von Familienangehörigen als Druckmittel eingesetzt werden, um Deserteure und Dienstverweigerer dazu zu bewegen, den Nationaldienst fortzusetzen bzw. anzutreten. Dies geschieht allerdings nicht mehr systematisch, kommt aber insbesondere in ländlichen und grenznahen Gebieten noch vor. Sobald die gesuchte Person das Land verlassen hat, werden verhaftete Familienmitglieder üblicherweise freigelassen (vgl. European Asylum Support Office [EASO], Eritrea: Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 44 f.; Human Rights Watch [HRW], „They Are Making Us into Slaves, Not Educating Us“, August 2019, S. 47 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Reflexverfolgung, Rückkehr und „Diaspora-Steuer“, Auskunft vom 30. September 2018, S. 6 f.). Angesichts dieser eindeutigen Zielrichtung der angedrohten Inhaftierung ist nicht ersichtlich, dass die Soldaten der Klägerin eine gegnerische politische Überzeugung zugeschrieben und deshalb mit einer Haft gedroht hätten. Dagegen spricht vielmehr deren weiteres Vorbringen, dass die Soldaten nicht nach ihr gesucht hätten, nachdem sie weggezogen sei.
Im Klage- und Berufungsverfahren macht die Klägerin weiter geltend, sich dem Nationaldienst entzogen zu haben und ihr drohe bei einer Rückkehr eine Einziehung in diesen. Die Beklagte meint, die Klägerin unterliege als verheiratete Frau und Mutter nicht der Ableistung des Nationaldienstes. Nach der aktuellen Erkenntnislage sind zwar Schwangere, Mütter und verheiratete Frauen häufig faktisch vom Nationaldienst ausgenommen. Allerdings wird diese Praxis nicht einheitlich angewandt und die Entscheidung obliegt den militärischen Vorgesetzten (vgl. Danish Immigration Service [DIS], Country Report, Country of Origin Information: Eritrea – National service, exit and entry, Januar 2020, S. 29; EASO, Eritrea: Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 33 f., 36; vgl. auch OVG Hamburg, Urteil vom 27. Oktober 2021 – 4 Bf 106/20.A – juris Rn. 50 f.; OVG Münster, Beschluss vom 21. September 2020 – 19 A 1857/19.A – juris Rn. 62 ff., jeweils m.w.N.). Zudem scheint bei Frauen eine informelle Altersgrenze von 27 Jahren häufig angewendet zu werden, aber es gibt auch Frauen mit über 40 Jahren, die nach wie vor Dienst leisten (vgl. Auswärtiges Amt [AA], Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 3. Januar 2022, S. 14; österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Eritrea, 19. Mai 2021, S. 11; DIS, Country Report, Country of Origin Information: Eritrea – National service, exit and entry, Januar 2020, S. 17 f.; EASO, Eritrea: Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 36).
Letztlich kann offenbleiben, ob der Klägerin bei einer Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Einziehung zum militärischen Teil des Nationaldienstes droht. Weder eine Heranziehung zur Ableistung des Nationaldienstes noch die Bedingungen innerhalb dieses Dienstes noch eine drohende Bestrafung wegen illegaler Ausreise im dienstpflichtigen Alter stellen eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG dar. Dies gilt auch dann, wenn der Klägerin Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG bei der befürchteten Bestrafung bei einer Rückkehr sowie gegebenenfalls bei einer anschließenden Heranziehung zum Nationaldienst drohen sollten. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die einem Dienstpflichtigen in Eritrea wegen einer Entziehung oder Desertion vom Nationaldienst oder illegaler Ausreise im dienstpflichtigen Alter drohende Inhaftierung und/oder die (anschließende) Verpflichtung zur Ableistung des Nationaldienstes weder an eine ihm zugeschriebene politische Überzeugung noch ein anderes flüchtlingsschutzerhebliches Merkmal anknüpft (vgl. etwa Urteile des Senats vom 17. November 2021 – OVG 4 B 13/21 – juris Rn. 24, 26 ff. und – OVG 4 B 17/21 – juris Rn. 25, 27 ff., jeweils m.w.N.).
Die Verpflichtung zur Ableistung des Nationaldienstes in Eritrea erstreckt sich nach Rechtslage und Anwendungspraxis im Wesentlichen auf alle eritreischen Staatsangehörigen bestimmten Alters. Es findet keine Unterscheidung nach flüchtlingsschutzrechtlichen Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe statt. Auch lässt sich auf der Grundlage der aktuellen Erkenntnisse keine an eine vermeintliche politische Überzeugung anknüpfende generell härtere Bestrafung von Deserteuren und Dienstverweigerern feststellen. Zwar werden in der Praxis Strafen nicht den gesetzlichen Regelungen entsprechend, sondern außergerichtlich und willkürlich verhängt. Die Strafvollstreckungspraxis wegen Entziehung vom Nationaldienst oder Desertion und illegaler Ausreise unterscheidet sich aber nicht von derjenigen bei anderen Delikten. Die große Bandbreite der insoweit angedrohten und tatsächlich verhängten Strafen spricht gegen die Annahme, die Bestrafung diene politischen Zwecken. Es gibt Berichte, nach denen Betroffene einer Sanktionierung entgangen sind. Gegen eine politische Zielrichtung ist ferner der Zweck der Sanktionierungsmaßnahmen anzuführen, die der Erzwingung von Geständnissen, der Informationsgewinnung, der Bestrafung für angebliches Fehlverhalten und der Schaffung eines allgemeinen Klimas der Angst zur Aufrechterhaltung der Disziplin und Kontrolle über die eigene Bevölkerung dienen. Außerdem ist die Flucht vor dem Nationaldienst seit Jahren ein Massenphänomen. Inzwischen soll geschätzt die Hälfte der eritreischen Staatsangehörigen im Ausland leben. Bei einem solchen Massenexodus muss auch dem eritreischen Staat bewusst sein, dass der Großteil der Emigranten Eritrea in erster Linie aufgrund der prekären Lebensbedingungen im Nationaldienst und der wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit verlässt, nicht hingegen vorrangig wegen einer regimefeindlichen Haltung. Ein gewichtiges Argument gegen eine Anknüpfung an das flüchtlingsschutzerhebliche Merkmal der politischen Überzeugung ist vor allem darin zu sehen, dass der Staat Eritrea unter dem Eindruck des Massenexodus bei Auslandseritreern aus ökonomischen Gründen auf den staatlichen Strafanspruch verzichtet, indem er ihnen Straffreiheit durch Unterzeichnung einer „Reueerklärung“ und Zahlung einer „Diaspora-Steuer“ gewährt. Demgegenüber ist aktuell nur noch von geringerem Gewicht, dass der Staat Eritrea den Nationaldienst nach wie vor als „Schule der Nation“ versteht und ihm dementsprechend eine besondere ideologische und politische Bedeutung beimisst. Denn der Nationaldienst ist für den Staat Eritrea nicht nur von politischer, sondern zunehmend von wirtschaftlicher Bedeutung. Er dient inzwischen vorrangig der Entwicklung und Förderung der eritreischen Volkswirtschaft unter Einschluss ihrer staatsnahen Unternehmen (vgl. hierzu im Einzelnen Urteile des Senats vom 17. November 2021 – OVG 4 B 13/21 – juris Rn. 24, 26 ff. und – OVG 4 B 17/21 – juris Rn. 25, 27 ff., jeweils m.w.N.). Neuere Erkenntnismittel, die eine abweichende Beurteilung nahelegen würden, sind nicht ersichtlich und werden auch von der Klägerin nicht aufgezeigt.
Diese Gesamtwürdigung entspricht der inzwischen einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung, nach welcher der Staat Eritrea Dienstverweigerern und Deserteuren sowie deren Familienangehörigen eine gegnerische politische Überzeugung nicht generell zuschreibt, sondern nur dann, wenn hierfür einzelfallbezogen besondere Anhaltspunkte vorliegen (vgl. OVG Bautzen, Urteil vom 14. April 2021 – 6 A 100/19.A – juris Rn. 25 ff.; OVG Hamburg, Beschluss vom 2. September 2021 – 4 Bf 546/19.A – juris Rn. 35 ff.; VGH Kassel, Urteil vom 23. Februar 2021 – 10 A 1939/20.A – juris Rn. 28 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. August 2020 – 4 LA 167/20 – juris Rn. 3 f.; VGH Mannheim, Urteil vom 8. Juli 2021 – A 13 S 403/20 – juris Rn. 32 ff.; VGH München, Urteil vom 5. Februar 2020 – 23 B 18.31593 – juris Rn. 22, 26 ff.; OVG Münster, Beschluss vom 21. September 2020 – 19 A 1857/19.A – juris Rn. 36 ff.; OVG Saarlouis, Urteil vom 21. März 2019 – 2 A 10/18 – juris Rn. 27 ff.). Solche sind bei der Klägerin nicht erkennbar. Insbesondere macht sie nicht geltend, durch eine exilpolitische Betätigung in den Blick eritreischer Geheimdienste geraten zu sein.
Etwas anderes folgt auch nicht aus § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Nach dieser Vorschrift kann die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt eine Verfolgungshandlung sein, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG (Art. 12 Abs. 2 RL 2011/95/EU) fallen. Diese erfassen Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Zwar ist die Regierung Eritreas – wohl weiterhin – im Konflikt um die Autonomiebestrebungen in der äthiopischen Region Tigray auf Seiten der äthiopischen Regierung involviert und es wird von einer Beteiligung der eritreischen Armee an Gewalttaten und Massakern unter der Zivilbevölkerung in dieser Region berichtet (vgl. hierzu Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes vom 8. November 2021, Äthiopien, abrufbar unter https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw45-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=5 sowie Briefing Notes vom 5. September 2022, Äthiopien, abrufbar unter https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw36-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=2; Der Spiegel, Bürgerkrieg in Äthiopien, Tigray-Rebellen melden Großoffensive aus Eritrea, abrufbar unter https://www.spiegel.de/ausland/aethiopien-tigray-rebellen-melden-grossoffensive-aus-eritrea-a-4c4663f9-615d-4d54-b834-2f6845a02e91, 21. September 2022, jeweils zuletzt abgerufen am 27. September 2022; siehe auch Urteile des Senats vom 17. November 2021 – OVG 4 B 13/21 – juris Rn. 45 und – OVG 4 B 17/21 – juris Rn. 46, jeweils m.w.N.). Hieraus ergibt sich aber nicht, dass die besonderen Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG erfüllt sind (so auch OVG Hamburg, Beschluss vom 2. September 2021 – 4 Bf 546/19.A – juris Rn. 68).
Jedenfalls im Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin herrschte noch kein bewaffneter Konflikt unter Beteiligung des eritreischen Militärs im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG, während und aufgrund dessen („in einem Konflikt“) sie sich dem Nationaldienst entzogen hätte (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 2. September 2021 – 4 Bf 546/19.A – juris Rn. 66 f.; siehe auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Januar 2021 – OVG 3 B 109.18 – juris Rn. 57). Aber auch wenn auf eine Dienstverweigerung der Klägerin bei einer Rückkehr abgestellt würde, führte dies nicht weiter. Insbesondere könnte sie sich nicht auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. November 2020 – C-238/19 – berufen, nach dem eine starke Vermutung dafür spricht, dass eine Verknüpfung der Strafverfolgung der Wehrdienstentziehung mit einem flüchtlingsrelevanten Merkmal vorliegt, wenn die Entziehung in einem Konflikt erfolgt, in dem der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Art. 12 Abs. 2 RL 2011/95/EU (§ 3 Abs. 2 AsylG) fallen (vgl. Urteil vom 19. November 2020 – C-238/19 – juris Rn. 57 ff.).
Denn es steht nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bei einer hypothetischen Heranziehung zum Nationaldienst „zwangsläufig oder zumindest sehr wahrscheinlich“ veranlasst wäre, im Rahmen des Tigray-Konflikts Kriegsverbrechen zu begehen. Diese Prüfung obliegt den staatlichen Behörden und Gerichten im Einzelfall. Die Tatsachenwürdigung muss sich auf ein Bündel von Indizien stützen, das geeignet ist, in Anbetracht aller relevanten Umstände – insbesondere der mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, sowie der individuellen Lage und der persönlichen Umstände des Antragstellers – zu belegen, dass die Gesamtsituation die Begehung der behaupteten Kriegsverbrechen plausibel erscheinen lässt (zu alledem EuGH, Urteil vom 19. November 2020 – C-238/19 – juris Rn. 34 f.). Das ist hier nicht der Fall. Der Tigray-Konflikt besteht nicht auf eritreischem, sondern auf äthiopischem Boden. Diese Situation ist nicht mit dem Sachverhalt vergleichbar, der dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. November 2020 – C-238/19 – zugrunde lag. Denn die dort angenommene sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass ein Wehrpflichtiger unabhängig von seinem Einsatzgebiet dazu veranlasst werde, unmittelbar oder mittelbar an der Begehung von Verbrechen oder Handlungen im Sinne von § 3 Abs. 2 AsylG teilzunehmen, betrifft den Kontext eines allgemeinen (dort syrischen) Bürgerkriegs im Herkunftsland des Betroffenen, der durch die wiederholte und systematische Begehung solcher Verbrechen oder Handlungen durch die Armee unter Einsatz von Wehrpflichtigen gekennzeichnet ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020 – C-238/19 – juris Rn. 37 f.; siehe auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Januar 2021 – OVG 3 B 109.18 – juris Rn. 56; OVG Münster, Beschluss vom 14. Dezember 2020 – 19 A 2706/18.A – juris Rn. 11). Außerdem fehlen gesicherte Erkenntnisse zum Umfang der Beteiligung des eritreischen Militärs an dem in erster Linie äthiopischen Konflikt. Überdies unterteilt sich der Nationaldienst in einen militärischen und in einen zivilen Teil. Auch wenn es unterschiedliche Angaben zur Anzahl der Angehörigen im militärischen und im zivilen Teil gibt, lässt sich den Erkenntnissen entnehmen, dass jedenfalls weniger als die Hälfte im Militär dient (vgl. hierzu BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Eritrea, 19. Mai 2021, S. 12; EASO, Eritrea: Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 25 f., jeweils m.w.N.).
Die Klägerin kann sich des Weiteren nicht auf den Verfolgungsgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG berufen. Dieser Verfolgungsgrund ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass sie Familienangehörige eines Deserteurs und anerkannten Flüchtlings – ihres Ehemannes – ist. Es fehlt jedenfalls an der in § 3b Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AsylG genannten Voraussetzung (vgl. hierzu BVerwG, Beschlüsse vom 19. Juni 2019 – 1 B 30.19 – juris Rn. 9 f. und vom 23. September 2019 – 1 B 54.19 – juris Rn. 8, jeweils m.w.N.). Die Gruppe der Familienangehörigen ihres Ehemanns hat in Eritrea keine deutlich abgegrenzte Identität bzw. ihr wird von dem eritreischen Staat keine solche deutlich abgegrenzte Identität zugeschrieben, weil sie von der sie umgebenden Gesellschaft nicht als andersartig betrachtet wird. Gleiches gilt für die Gesamtheit der Familien eritreischer Deserteure (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 31 f.).
Die Argumentation der Klägerin, ihr drohten im Nationaldienst geschlechtsspezifische Verfolgungshandlungen, trifft ebenfalls nicht zu. Zwar sind Frauen im militärischen Teil des eritreischen Nationaldienstes verbreitet sexueller Gewalt ausgesetzt. Nach übereinstimmender Darstellung in den Erkenntnisquellen erfolgen entsprechende Gewalthandlungen im Rahmen des Nationaldienstes (insbesondere) durch Militärangehörige gegenüber Rekrutinnen im Ausbildungslager Sawa und in der militärischen Grundausbildung sowie gegenüber Dienstverpflichteten im militärischen Teil des Nationaldienstes (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 3. Januar 2022, S. 15; EASO, Eritrea: Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 41 ff.; SFH, Eritrea: Nationaldienst – Themenpapier vom 30. Juni 2017, S. 12 f.; SFH, Schnellrecherche vom 13. Februar 2018 zu Eritrea: Sexualisierte Gewalt gegen Frauen, S. 3; UKHO, Country Policy and Information Note, Eritrea: National Service and illegal exit, 8. September 2021, S. 37 f.; siehe auch OVG Hamburg, Urteil vom 27. Oktober 2021 – 4 Bf 106/20.A – juris Rn. 54 m.w.N.). Frauen werden (auch) im militärischen Teil des Nationaldienstes häufig, aber nicht ausschließlich in Positionen wie Köchinnen, Reinigungskräfte, Bürokräfte und persönliche Assistentinnen von Kommandeuren eingesetzt. In solchen Positionen sind sie ebenso wie in militärischen Einheiten anfällig gegenüber sexuellem Fehlverhalten ihrer Vorgesetzten. Es gibt keine bekannten Regeln oder Richtlinien, die ein solches Verhalten von Kommandeuren gegenüber Wehrpflichtigen verbieten oder mit Strafe bedrohen, so dass für sie praktisch Straffreiheit besteht. Sexuelle Ausbeutung durch Kommandeure kommt in unterschiedlichen Kontexten und Umständen vor. Mehrere Quellen weisen darauf hin, dass einige weibliche Wehrpflichtige versuchen, „harte“ Aufgaben zu vermeiden, indem sie ihren Vorgesetzten sexuelle „Gefälligkeiten“ anbieten, im Gegenzug für Sex eine einfachere Behandlung erhalten oder mit einem unliebsamen Einsatz (etwa an der Front) bedroht sind, wenn sie keine solche „Gefälligkeiten“ anbieten (vgl. EASO, Eritrea: Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 41 f. m.w.N.).
Diese Umstände rechtfertigen jedoch nicht den Schluss, dass Frauen im Nationaldienst Eritreas von der eritreischen Gesellschaft als andersartig betrachtet würden. Auch männliche Dienstverpflichtete im eritreischen Nationaldienst sind Misshandlungen ausgesetzt. Den Erkenntnismitteln lässt sich zwar nicht entnehmen, dass es – anders für sexuelle Übergriffe auf Männer in Haft – im Nationaldienst auch zu sexuellen Übergriffen auf Männer kommt (vgl. SFH, Schnellrecherche vom 13. Februar 2018 zu Eritrea: Sexualisierte Gewalt gegen Frauen, S. 3). Folter und andere Formen der Misshandlung sind aber gegenüber allen Dienstverpflichteten weit verbreitet (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Eritrea, 19. Mai 2021, S. 9; EASO, Eritrea: Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 40 f.; SFH, Eritrea: Nationaldienst – Themenpapier vom 30. Juni 2017, S. 14 f., jeweils m.w.N.), auch wenn sie gegenüber Frauen häufig in sexualisierter Form auftritt. Den militärischen Kommandanten kommt fast unbeschränkte Macht über ihre Untergebenen zu (vgl. hierzu EASO, Eritrea: Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 40 f.). Die sexuellen Übergriffe gegen Frauen im militärischen Teil des Nationaldienstes sind damit eine besondere Form der Misshandlung im Rahmen des Nationaldienstes neben anderen Formen von Misshandlungen gegenüber allen Dienstverpflichteten unabhängig vom Geschlecht. Sie geschehen aber nicht, weil Frauen im Nationaldienst wegen ihrer Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht als andersartig wahrgenommen werden (vgl. auch OVG Hamburg, Beschluss vom 2. September 2021 – 4 Bf 546/19.A – juris Rn. 44; OVG Lüneburg, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 4 LA 74/20 – juris Rn. 5 ff.; VGH Mannheim, Urteil vom 13. Juli 2021 – A 13 S 1563/20 – juris Rn. 66 ff.; OVG Münster, Beschluss vom 21. September 2020 – 19 A 1857/19.A – juris Rn. 117, 120 ff.).
Eine drohende Bestrafung wegen Entziehung vom Nationaldienst oder illegaler Ausreise führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Strafgesetze, die eine illegale Ausreise sowie Desertion und Entziehung vom Nationaldienst sanktionieren, treffen unterschiedslos alle eritreischen Staatsangehörigen. Angesichts der massenhaften Begehung dieser Delikte ist nicht erkennbar, dass diejenigen, die jene Strafgesetze verletzen, von der eritreischen Gesellschaft als andersartig betrachtet würden (vgl. Urteile des Senats vom 17. November 2021 – OVG 4 B 13/21 – juris Rn. 48 und – OVG 4 B 17/21 – juris Rn. 49, jeweils m.w.N.).
Der Klägerin droht bei einer Rückkehr nach Eritrea ebenso wenig mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung wegen ihrer illegalen Ausreise im nationaldienstpflichtigen Alter und ihrer Asylantragstellung in Deutschland. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Staat Eritrea bereits die illegale Ausreise oder die Asylantragstellung als Ausdruck einer Regimegegnerschaft bewertet. Die aufgezeigten generalisierenden Tatsachenfeststellungen zum Fehlen einer Verknüpfung zwischen etwaigen Verfolgungshandlungen mit dem Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung betreffen Personen, die illegal ausgereist sind, um sich dem Nationaldienst zu entziehen, und die in vielen Fällen im Ausland um Asyl nachgesucht haben. Aus diesen Ausführungen ergibt sich zugleich, dass der Staat Eritrea allein an eine illegale Ausreise im nationaldienstpflichtigen Alter und/oder allein an eine Asylantragstellung im Ausland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsschutzrelevante Verfolgungsmaßnahmen knüpft (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 3. Januar 2022, S. 5 f., 21; OVG Bautzen, Urteil vom 14. April 2021 – 6 A 100/19.A – juris Rn. 41; VGH Kassel, Urteil vom 23. Februar 2021 – 10 A 1939/20.A – juris Rn. 40 ff.; VGH München, Urteil vom 5. Februar 2020 – 23 B 18.31593 – juris Rn. 51 ff.; OVG Münster, Beschluss vom 21. September 2020 – 19 A 1857/19.A – juris Rn. 131).
Die von der Klägerin geäußerte Befürchtung, ihr drohe eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung wegen der Flucht ihres Ehemannes vor dem Nationaldienst, ist gleichfalls unbegründet. Ihren Schilderungen lassen sich keine Anhaltpunkte entnehmen, die eine Gefahr von Repressalien im Einzelfall begründeten, noch ergibt sich nach der aktuellen Erkenntnislage eine generelle Reflexverfolgung für alle Angehörigen ausgereister Eritreer (vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 18. März 2021 – 8 LB 97/20 – juris Rn. 36; VGH München, Beschluss vom 28. Dezember 2020 – 10 ZB 20.2157 – juris Rn. 8). Nach den Erkenntnissen wurde die frühere Praxis, Familienangehörige von Deserteuren und Wehrdienstverweigerern systematisch mit Strafmaßnahmen zu belegen, inzwischen eingestellt (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 3. Januar 2022, S. 14, 21; DIS, Country Report, Country of Origin Information: Eritrea – National service, exit and entry, Januar 2020, S. 27 f.; EASO, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 43; EASO, Eritrea: Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 44 f.; SFH, Reflexverfolgung, Rückkehr und „Diaspora-Steuer“, Auskunft vom 30. September 2018, S. 6 f.). Entscheidend ist jedoch, dass nach der Rechtsprechung des Senats Dienstpflichtigen in Eritrea wegen einer Entziehung oder Desertion vom Nationaldienst oder illegaler Ausreise im dienstpflichtigen Alter keine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht. Damit kann dies auch für ihre Familienangehörigen nicht der Fall sein.
Schließlich kann die Klägerin weder von ihrem Ehemann noch von ihren minderjährigen Söhnen einen Anspruch auf Zuerkennung eines Flüchtlingsschutzes ableiten.
Ein Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung ergibt sich nicht aus § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 AsylG. Nach diesen Vorschriften wird dem Ehegatten eines anerkannten Flüchtlings auf Antrag die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn – neben weiteren Voraussetzungen – der Ehegatte vor der Zuerkennung von dessen Flüchtlingseigenschaft eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat. Daran fehlt es. Die Klägerin reiste im Dezember 2016 und damit nach der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ihres Ehemannes mit Bescheid vom 3. August 2015 ein. Sie stellte ihren Asylantrag nicht unverzüglich nach der Einreise im Sinne von § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG, sondern erst am 20. Juli 2018 und damit anderthalb Jahre später. „Unverzüglich“ bedeutet nach der auch im öffentlichen Recht anwendbaren Legaldefinition in § 121 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“. Im Hinblick auf die im gesamten Asylverfahrensrecht verkürzten Fristen ist eine Frist von zwei Wochen in der Regel angemessen und ausreichend. Ein späterer Antrag ist regelmäßig nur dann rechtzeitig, wenn sich aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall ergibt, dass der Antrag nicht früher gestellt werden konnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Mai 1997 – 9 C 35.96 – juris Rn. 10; OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. März 2022 – 9 LA 242/21 – juris Rn. 13, jeweils m.w.N.). Das Verwaltungsgericht hat ausführlichbegründet, weshalb sich die Klägerin weder auf die Herausforderung der Orientierung und des Einlebens in Deutschland noch auf ihre Schwangerschaft als Grund für die späte Antragstellung berufen könne. Dem ist die Klägerin im Berufungsverfahren nicht entgegengetreten.
Sollte die Klägerin nach der Einreise zunächst die Erteilung eines Aufenthaltstitels abgewartet und bewusst keinen Asylantrag gestellt haben, um das Verteilungsverfahren und die Verpflichtung des Wohnens in einer Aufnahmeeinrichtung (§ 47 Abs. 1 Satz 1 AsylG) sowie das Erfordernis einer persönlichen Antragstellung bei der Außenstelle des Bundesamtes nach § 14 Abs. 1 AsylG zu vermeiden, wäre ebenfalls ein schuldhaftes Zögern anzunehmen. Ein anderes Verständnis widerspräche dem Zweck des § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG, den Zusammenhang zu dem Asylverfahren des Stammberechtigten klar- und sicherzustellen (so auch OVG Münster, Beschluss vom 15. März 2022 – 9 A 4271/19.A – juris Rn. 28, 33). Der Gesetzgeber hat die Wahrung der Familieneinheit über die statusrechtliche Zuerkennung von Familienschutz (anstelle des Aufenthaltsrechts)durch die Voraussetzung einer „unverzüglichen Antragstellung“ mit dem Erfordernis eines auch zeitlichen Konnexes zu Verfolgung, Flucht und Schutzbegehren des Stammberechtigten verknüpft (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2021 – 1 B 35.21 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Die Klägerin kann ferner keinen Anspruch auf Flüchtlingsschutz aus § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 1 AsylG ableiten. Hiernach werden die Eltern eines minderjährigen ledigen Flüchtlings auf Antrag als Flüchtlinge anerkannt, wenn 1. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar ist, 2. die Familie schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Flüchtling politisch verfolgt wird, 3. sie vor der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben, 4. die Anerkennung des Flüchtlings nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und 5. sie die Personensorge für den Flüchtling innehaben.
Es bedarf keiner Entscheidung, ob der in Deutschland geborene Sohn der Klägerin schon deshalb nicht als Stammberechtigter in Betracht kommt, weil es mit Blick auf § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG erforderlich sein könnte, dass das stammberechtigte Kind bereits im Verfolgerstaat geboren wurde (so OVG Magdeburg, Beschluss vom 15. Februar 2022 – 4 L 85/21 – juris Rn. 28 ff., das Revisionsverfahren hierzu ist beim Bundesverwaltungsgericht – 1 C 7.22 – anhängig; siehe demgegenüber OVG Koblenz, Beschluss vom 25. Juli 2022 – 13 A 11241/21.OVG – juris Rn. 37 ff.). Denn er scheidet ebenso wie der in Eritrea geborene Sohn als Stammberechtigter aus, weil das Bundesamt ihnen die Flüchtlingseigenschaft abgeleitet vom Vater nach § 26 Abs. 2 und 5 AsylG zuerkannt hat. Es ist höchstrichterlich geklärt, dass Angehörige der Kernfamilie Flüchtlingsschutz nach § 26 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 1 bis 3 AsylG nur von einer Person ableiten können, der die Flüchtlingseigenschaft wegen ihr selbst drohender Verfolgung („aus eigenem Recht“) und nicht ihrerseits kraft Ableitung zuerkannt worden ist. Das ergibt sich aus dem Wortlaut, der Systematik, der Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und Zweck des § 26 AsylG. Der Ausschluss von „Ableitungsketten“ steht im Einklang mit Verfassungs- und Unionsrecht (vgl. hierzu ausführlich BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2021 – 1 B 35.21 – juris Rn. 5 ff. m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 und 2 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt. Es handelt sich um die nicht revisible Würdigung von Tatsachen, bei der wegen der Bindung des Revisionsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) eine weitergehende Vereinheitlichung der Rechtsprechung durch das Bundesverwaltungsgericht ausscheidet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juli 2020 – 1 B 29.20 – juris Rn. 3).