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Keine erste Tätigkeitsstätte eines Müllwerkers auf dem Betriebshof des Entsorgers


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 16. Senat Entscheidungsdatum 16.06.2022
Aktenzeichen 16 K 4259/17 ECLI ECLI:DE:FGBEBB:2022:0616.16K4259.17.00
Dokumententyp Gerichtsbescheid Verfahrensgang -
Normen § 9 Abs 4 S 1 EStG, § 126 Abs 5 FGO, § 9 Abs 4 S 3 EStG

Leitsatz

Der Betriebshof des Entsorgers ist keine erste Tätigkeitsstätte eines Müllwerkers; auch längere regelmäßige Wartezeiten durch den Stau ausrückender Müllfahrzeuge sowie nur gelegentliche Verrichtungen wie Veranlassung von Reparaturen bei Beschädigungen oder Defekten an Müllfahrzeugen, gelegentliche Reinigung von Fahrzeugen und Betankung von gasbetriebenen Fahrzeugen an der Gastankstelle auf dem Betriebshof begründen keine erste Tätigkeitsstätte (Fortführung BFH, Urteil vom 02.09.2021 VI R 25/19, BFH/NV 2022, 18, juris).

Tenor

Der Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 11.04.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.08.2017 wird dahingehend geändert, dass Mehraufwendungen für Verpflegung bei auswärtiger beruflicher Tätigkeit in Höhe von 2.700 Euro bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als weitere Werbungskosten berücksichtigt werden. Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird nicht zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich des Revisionsverfahrens
werden dem Beklagten auferlegt.

Tatbestand

Das Verfahren befindet sich im zweiten Rechtsgang (Rückverweisung durch Bundesfinanzhof --BFH--, Urteil vom 02.09.2021 VI R 25/19, BFH/NV 2022, 18, juris). Die Beteiligten streiten über das Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte und die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen bei auswärtiger beruflicher Tätigkeit bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Jahres 2016 (Streitjahr).

Der in C… wohnende Kläger erzielt als angestellter Müllwerker Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er ist seit dem 01.12.2015 als Müllwerker für die C… Betriebe tätig und seit diesem Zeitpunkt im Betriebshof der C… Betriebe in der B…-straße in C… eingesetzt. Auf die mit den C… Betrieben am 30.10.2015 bzw. 02.11.2016 abgeschlossenen Arbeitsverträge wird wegen der Einzelheiten verwiesen.

Der Kläger fährt arbeitstäglich, so auch im Streitjahr, als einer von zwei sog. Läufern neben dem Kraftfahrer auf dem Lkw mit, der die Mülltonnen der Kunden entleert.

In der den Akten des Beklagten (Bl. 6 der Lohnsteuer-Arbeitnehmer-Akte --L-A--) befindet sich die Kopie der ersten Seite eines Schreibens der C… Betrieben an eine nur mit Vornamen bezeichnete Person vom 02.05.2016, welches dem Beklagten offenbar aus einem anderen, nicht den Kläger betreffenden Verfahren vorliegt. Auf dem Schreiben ist handschriftlich das Wort „Muster“ vermerkt. Das Schreiben betrifft einen Antrag auf Erteilung einer Bescheinigung zum Verpflegungsmehraufwand. In dem Schreiben führen die C… Betriebe u.a. das Folgende aus:

„[…] Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen wurden Sie einer sog.,ersten Tätigkeitsstätte‘ zugeordnet. […] Ihre,erste Tätigkeitsstätte‘ im Sinne des Einkommensteuergesetzes ist Ihr Betriebshof/Ihre Regionalstelle D…-straße C…, dem Sie/der Sie zugeordnet sind und auf dem/der Sie arbeitstäglich Ihre Arbeit aufnehmen und beenden. […]“

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Kopie des vorstehend genannten Schreibens verwiesen.

In seiner für 2016 eingereichten Einkommensteuererklärung machte der Kläger als Werbungskosten u.a. Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen aufgrund einer Abwesenheit von mehr als acht Stunden an 225 Tagen in Höhe von insgesamt 2.700,00 Euro geltend (225 Tage x 12,00 Euro). Der Beklagte folgte insoweit nicht der Einkommensteuererklärung, weil er die Auffassung vertrat, dass keine beruflich veranlasste Auswärtstätigkeit gegeben sei, und setzte dementsprechend mit Bescheid vom 11.04.2017 die Einkommensteuer 2016 ohne Ansatz der in Höhe von 2.700,00 Euro geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen (die sonstigen Werbungskosten belaufen sich unstreitig auf … Euro) i.H.v. … Euro fest (Bl. 10 der Gerichtsakte --G-A--).

Der Kläger erhob gegen den Einkommensteuerbescheid für 2016 am 28.04.2017 fristgerecht Einspruch (Bl. 2 L-A).

Mit seiner Einspruchsentscheidung vom 16.08.2017 – einem Mittwoch – wies der Beklagte den Einspruch des Klägers gegen den Einkommensteuerbescheid 2016 als unbegründet zurück (Bl. 12 G-A, bekanntgegeben mit einfachem Brief).

Am 21.09.2017 hat der Kläger Klage erhoben.

Am 20.05.2019 hat der frühere Berichterstatter einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt, in dem die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben. Wegen der Einzelheiten des Termins wird auf die Terminsniederschrift (Bl. 51 G-A) verwiesen.

Mit Urteil vom 23.05.2019 (Bl. 53 G-A) hat der vormals zuständige 4. Senat des Finanzgerichts --FG-- die Klage im ersten Rechtsgang abgewiesen, da die vom Kläger auf dem Betriebshof der C… Betrieben in der Zeit von morgendlicher Ankunft auf dem Betriebshof (05.30 Uhr) bis zur Abfahrt vom Betriebshof (06.15 Uhr) und nachmittäglicher Rückkehr zum Betriebshof (14.00 Uhr) bis zur Abfahrt zur Wohnung (14.30 Uhr) vorgenommenen Tätigkeiten, namentlich das Umkleiden vor Ort, das Anhören der Ansage der Einsatzleitung, das Abholen von Tourenbuch, der Fahrzeugpapiere und der Fahrzeugschlüssel, die Kontrolle der Blinker sowie der Beleuchtung des Müllfahrzeugs, für die Annahme einer ersten Tätigkeitsstätte ausreichend seien.

Auf die Revision des Klägers hat der BFH das Urteil vom 23.05.2019 mit Urteil vom 02.09.2021 (VI R 25/19, BFH/NV 2022, 18, juris) aufgehoben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (Bl. 71 G-A). Nach der Entscheidung des BFH reichen die im ersten Rechtsgang festgestellten geringfügigen Tätigkeiten allein nicht aus, um den Betriebshof als erste Tätigkeitsstätte anzusehen. Allerdings habe der Kläger angegeben, für die vorbereitenden Tätigkeiten auf dem Betriebshof 45 Minuten (von 05:30 Uhr bis 06:15 Uhr) aufgewandt zu haben. Dieser Zeitaufwand erschließe sich aufgrund der Geringfügigkeit der vorgenannten Tätigkeiten nicht, zumal vorgetragen worden sei, die Fahrzeugprüfung dauere nur wenige Minuten.

Der Kläger begehrt weiterhin die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen bei auswärtiger beruflicher Tätigkeit in Höhe von insgesamt 2.700,00 Euro als weitere Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit.

Im ersten Rechtsgang hat der Kläger vorgetragen, sein Arbeitstag habe sich im Streitjahr typischerweise wie folgt gestaltet:

 Abfahrt von der Wohnung (15 km vom Betriebshof entfernt)

 5.00 Uhr

 Ankunft Betriebshof – Umkleiden, Fahrzeugkontrolle

 5.30 Uhr

 Abfahrt Betriebshof

 6.15 Uhr

 Rückkehr zum Betriebshof

 14.00 Uhr

 Abfahrt zur Wohnung

 14.30 Uhr

 Ankunft in der Wohnung

 15.00 Uhr

Der nunmehr zuständige Berichterstatter hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten in einem Erörterungstermin am 20.05.2022 erörtert.

Zwischen den Beteiligten unstreitig ist die vom Kläger angegebene Fahrzeit von 30 Minuten für die Fahrt von der Wohnung zum Betriebshof sowie von 30 Minuten vom Betriebshof zurück zur Wohnung sowie die morgendliche Abfahrt von der Wohnung um 5.00 Uhr und die nachmittägliche Rückkehr zur Wohnung um 15.00 Uhr. Die angegebenen Fahrzeiten entsprechen auch dem, was internetbasierte Navigationsprogramme für die Wegstrecke zwischen Wohnung des Klägers und dem Betriebshof prognostizieren.

Im zweiten Rechtsgang konnte zum Zeitraum von 5.30 Uhr (Ankunft auf dem Betriebshof) bis 6.15 Uhr (Abfahrt vom Betriebshof) Folgendes festgestellt werden:

Der Arbeitgeber schreibt einen Dienstantritt um 6.00 Uhr in Schutzkleidung auf dem Betriebshof vor. Auf dem Betriebshof ist neben der Müllabfuhr auch der G… Betrieb untergebracht. Jeden Morgen treten dort etwa 500 Arbeitnehmer auf mehr als 120 Fahrzeugen ihren Dienst an. Alle Schichten beginnen zeitgleich um 6.00 Uhr mit Ausnahme einer Schicht, die auf die besonderen zeitlichen Belange von Arbeitnehmern mit betreuungspflichtigen Kindern Rücksicht nehmen soll und etwas später beginnt (die unter den Mitarbeitern auch sogenannten „Mutti-Schicht“, der Begriff „Vati-Schicht“ hat sich nach Angaben des Klägers nicht durchsetzen können).

Da die C… Betriebe im angrenzenden Parkhaus nur über eines der vorhandenen Parkdecks verfügt, herrscht morgens großer Andrang und reger Verkehr. Nach Durchfahren des Werkstors beginnt daher am Morgen zunächst die Parkplatzsuche. Eine verspätete Ankunft kann zur Folge haben, dass im Parkhaus bzw. auf dem Betriebshofgelände kein Parkplatz mehr verfügbar sei. Im Anschluss begibt sich der Kläger in das Betriebsgebäude, wo es zwei Abteilungen von Umkleideräumen gibt. In dem einen Umkleideraum wird die Straßenkleidung abgelegt. Dem Kläger steht ein persönlicher Spind zur Verfügung. Im anderen Raum wird die Schutzkleidung angelegt. Aufgrund der großen Anzahl an Mitarbeitern herrscht morgens dichtes Gedränge.

Der Kläger war im Streitjahr als sogenannter „Springer“ keiner festen Tour und keinem festen Fahrzeug zugeordnet, sondern verstärkte bedarfsabhängig bei urlaubs- oder krankheitsbedingtem Ausfall von Kollegen die Besatzung eines Müllfahrzeugs, bestehend aus einem Fahrer und zwei Läufern. Über seinen konkreten Einsatz am jeweiligen Arbeitstag wurde er arbeitstäglich entweder bereits bei Ankunft am Werkstor durch die dort sitzende Einsatzleitung informiert, ging manchmal aber auch erst später dort vorbei, um sich zunächst einen Parkplatz zu sichern.

Sodann erfolgten das Abholen von Tourenbuch, der Fahrzeugpapiere und der Fahrzeugschlüssel sowie die Kontrolle der Blinker sowie der Beleuchtung des Müllfahrzeugs. Das Tourenbuch enthielt neben den Einzelheiten zur tagesaktuellen Tour auch Einlegeblätter zu Kundenbeschwerden (z.B. wegen unterlassener Leerung von Müllbehältnissen, Lärmverursachung oder ähnlichem), die dann an der jeweiligen Stelle im Abfuhrgebiet abgearbeitet werden mussten.

Nach Anhören der Ansage der Einsatzleitung mit tagesaktuellen Hinweisen etwa zu Baustellen, geänderten Anfahrten der Abladestellen (Recyclinghöfe, Verbrennungsanlagen) oder mit Ansagen des Betriebsrats begann dann gegen 6.15 Uhr die Abfahrt vom Betriebshof. Hier kam es zu chaotischen Zuständen, da alle Fahrzeuge zeitgleich das Gelände verlassen wollten, um jeden Zentimeter gekämpft werde und sich die Fahrzeuge letztlich gegenseitig blockierten. Im Streitjahr 2016 war dies im Vergleich zum aktuellen Zustand noch schlimmer, da alle Fahrzeuge in eine Fahrtrichtung geparkt worden seien. Inzwischen wurde die Parkposition der Fahrzeuge in zwei Gruppen neu eingeteilt und einander entgegengesetzt neu ausgerichtet, um die Abfahrt am Morgen zu entzerren. Anders als im Falle des Schauspielers E…, der in der Fernsehserie „F…“ bei der morgendlichen Abfahrt vom Betriebshof immer in der vordersten Reihe gestanden hat, konnte sich in der Realität die Abfahrt abhängig von der Standposition des eigenen Fahrzeugs aufgrund des Gedränges und des Kampfes um jeden Zentimeter auch erheblich verzögern, sodass sich für die Abfahrt vom Betriebshof ein Zeitfenster zwischen 6.15 und 6.30 Uhr ergab.

Zum Zeitraum 14.00 Uhr (Rückkehr zum Betriebshof) bis 14.30 Uhr (Abfahrt zur Wohnung) konnte Folgendes festgestellt werden:

Der Arbeitgeber geht von einer regelmäßigen arbeitstäglichen Rückkehr zum Betriebshof um 13.30 Uhr aus. Die Tourenleitung erfasst für jeden Müllwagen und die jeweilige Besatzung die tatsächliche Rückkehrzeit auf dem Betriebshof. Auf diesem Wege werden Überstunden erfasst, deren Stand jederzeit im Personalbüro abgefragt werden kann. Ein elektronisches Zeiterfassungssystem oder ähnliches gibt es nicht. Erfahrungsgemäß erfolgte die Rückkehr zum Betriebshof im Streitjahr, abhängig von der Verkehrslage, von Ampelschaltungen, Baustellen etc. gegen 14.00 Uhr.

Nach Abstellen des Müllfahrzeugs auf dem Betriebshof erfolgt die Rückgabe des Tourenbuchs und der Schlüssel im Betriebsgebäude. Bei Bedarf werden besondere Vorkommnisse (Baumaßnahmen, Umleitungen im Fahrgebiet, übervolle Abfallbehälter oder Kundenbeschwerden) mit der Tourenleitung besprochen. Ebenso werden bei Bedarf Unfallberichte erstattet oder erforderliche Reparaturen am Fahrzeug veranlasst.

Sodann begibt sich der Kläger wieder zu den Umkleiden. Im dafür vorgesehenen Umkleideraum legt der Kläger zunächst seine Schutzkleidung ab. Im Anschluss begibt er sich zu den Duschen und reinigt sich. Sodann legt er im zweiten Umkleideraum wieder seine Straßenkleidung an. Am Nachmittag ist das Gedränge zwar nicht so stark wie am Morgen, da die einzelnen Touren in der Regel nicht zeitgleich zum Betriebshof zurückkehrten. Jedoch ergeben sich aufgrund der geringen Anzahl verfügbarer Duschen regelmäßig Wartezeiten.

Im Anschluss begibt sich der Kläger dann aus dem Betriebsgebäude und Richtung Parkplatz bzw. Parkhaus und tritt von dort aus die Rückfahrt zur Wohnung an.

Zur Reinigung der Fahrzeuge wurde festgestellt, dass die Reinigung jedem Team individuell obliegt und die Reinigungsintensität daher variiert. Grundsätzlich werden Fahrzeuge nach Bedarf gereinigt und dies während des Einsatzes im Abfuhrgebiet oder auch auf dem Betriebshof. Auf dem Betriebshof steht während der warmen Monate auch eine Waschanlage zur Verfügung. Im Winter ist dort das Wasser abgestellt. Die Waschanlage wird unregelmäßig nach Bedarf genutzt. Einen festen Rhythmus für die Reinigung der Fahrzeuge gibt es nicht, zumal der Kläger im Streitjahr als Springer auch auf stets wechselnden Fahrzeugen arbeitete.

Zur Betankung der Fahrzeuge: ein kleiner Teil der Müllfahrzeuge ist gasbetrieben. Auf dem Betriebshof befindet sich eine Gastankstelle, wo diese betankt werden können. Bei der Mehrzahl handelt es sich um Dieselfahrzeuge, die nach Bedarf während des Einsatzes im Abfuhrgebiet betankt werden. Eine Dieseltankstelle gibt es auf dem Betriebshof nicht.

Zum Vorgehen bei Defekten oder notwendigen Reparaturen an den Fahrzeugen: Bei größeren Reparaturen oder Ausfall eines Fahrzeugs kommt ein Ersatzfahrzeug zum Einsatz. Für kleinere Reparaturen (z.B. Austausch von Beleuchtung) gibt es auf dem Betriebshof eine Werkstatt, die von einem Fahrzeug samt Besatzung angefahren werden kann. Dort werden Reparaturen durch entsprechendes Fachpersonal vorgenommen. Der Besatzung des Fahrzeugs selbst sind eigenhändige Reparaturen untersagt und diese muss während erforderlicher Reparaturen warten.

Die tatsächlichen Umstände, der zeitliche Ablauf und der Umfang der Verrichtungen des Klägers auf dem Betriebsgelände sind zwischen den Beteiligten unstreitig. Wegen der weiteren Einzelheiten des Erörterungstermins wird auf die Terminsniederschrift Bezug genommen (Bl. 85 G-A).

Der Kläger ist der Ansicht, dass die tatsächlich von ihm auf dem Betriebsgelände der C… Betrieben vorgenommenen Tätigkeiten die Annahme einer ersten Tätigkeitsstätte nicht rechtfertigten, da sich die zeitlichen Angaben des Klägers bestätigt hätten und sich keine zusätzlichen, auf dem Gelände der C… Betrieben vorgenommenen Tätigkeiten des Klägers ergeben hätten, als die bereits im ersten Rechtsgang festgestellten Tätigkeiten, die aus Sicht des BFH in seiner Revisionsentscheidung als Tätigkeiten von untergeordnetem Gewicht nicht zur Annahme einer ersten Tätigkeitsstätte ausreichten. Da die tägliche Abwesenheit von der Wohnung mehr als acht Stunden betrage, seien die Voraussetzungen für die Gewährung der Verpflegungspauschale bei beruflicher Auswärtstätigkeit erfüllt.

Der Kläger beantragt,

Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 11.04.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.08.2017 mit der Maßgabe zu ändern, dass die erklärten Mehraufwendungen für Verpflegung bei einer Auswärtstätigkeit in Höhe von 2.700 Euro bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als weitere Werbungskosten berücksichtigt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte meint, es könne jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass der Betriebshof die erste Tätigkeitsstätte des Klägers sei. Dort müsse er sich umkleiden, das Fahrzeug abholen, das Tourenbuch sowie tages- und tourenspezifische Anweisungen entgegennehmen und eine Fahrzeugkontrolle durchführen. Dass dieses ganz geringe Tätigwerden an der Tätigkeitsstätte nicht den qualitativen Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit darstelle, sei wegen der Zuordnung durch den Arbeitgeber unerheblich. Sofern der Arbeitnehmer an der vom Arbeitgeber festgelegten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang tätig werde, handele es sich um eine Zuordnung i.S.d. § 9 Abs. 4 Einkommensteuergesetz --EStG--. Es sei jedenfalls nicht auszuschließen, dass das tatsächliche Tätigwerden des Klägers auf dem Betriebshof eine Qualität erreiche, die nach der Rechtsprechung des BFH zur Annahme einer ersten Tätigkeitsstätte ausreichend sei.

Dem Gericht haben neben den Streitakten des hiesigen Verfahrens (G-A) ein Band BFH-Akten (B-A) sowie ein Band Lohnsteuer-Arbeitnehmerakte (L-A) vorgelegen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist begründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung --FGO--.

1.

Verpflegungsmehraufwendungen sind nach § 9 Abs. 4a Sätze 1 und 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung zu berücksichtigen. Da der Kläger keine erste Tätigkeitsstätte hatte, kommt es nur darauf an, ob er ohne Übernachtung mehr als acht Stunden von seiner Wohnung entfernt war. Das war unstreitig in dem geltend gemachten Umfang (225 Tage) der Fall. Die Verpflegungspauschale belief sich im Streitjahr nach § 9 Abs. 4a Satz 3 Nr. 3 EStG für jeden Tag, an dem der Steuerpflichtige ohne Übernachtung außerhalb seiner Wohnung mehr als 8 Stunden von seiner Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte abwesend ist, auf 12,00 Euro.

2.

Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes --AktG--) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Der durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.02.2013 (Bundesgesetzblatt --BGBl-- I 2013, 285) neu eingeführte und in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG definierte Begriff der „ersten Tätigkeitsstätte“ tritt an die Stelle des bisherigen unbestimmten Rechtsbegriffs der „regelmäßigen Arbeitsstätte“.

Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für das Auffinden der ersten Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr an.

Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören. Nur dann kann die „erste Tätigkeitsstätte“ als Anknüpfungspunkt für den Ansatz von Wegekosten nach Maßgabe der Entfernungspauschale und als Abgrenzungsmerkmal gegenüber einer auswärtigen beruflichen Tätigkeit dienen. Dies folgt nach Auffassung des erkennenden Senats insbesondere aus § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG, der zumindest für den Regelfall davon ausgeht, dass der Arbeitnehmer an diesem Ort auch tätig werden soll. Darüber hinaus ist das Erfordernis einer arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich geschuldeten Betätigung an diesem Ort nicht zuletzt dem Wortsinn des Tatbestandsmerkmals „erste Tätigkeitsstätte“ geschuldet. Denn ein Ort, an dem der Steuerpflichtige nicht tätig wird (oder für den Regelfall nicht tätig werden soll), kann nicht als Tätigkeitsstätte angesehen werden. Schließlich zwingt auch das objektive Nettoprinzip, den Begriff der ersten Tätigkeitsstätte dahingehend auszulegen. Denn anderenfalls bestimmt sich die Steuerlast nicht - gleichheitsrechtlich geboten - nach der individuellen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen, sondern nach dem Belieben seines Arbeitgebers.

Ganz geringfügigen Tätigkeiten allein reichen nicht aus, um den Betriebshof als erste Tätigkeitsstätte anzusehen. Vielmehr müssen in ausreichendem Umfang arbeitsrechtlich geschuldete und zum Berufsbild des Steuerpflichtigen gehörende Tätigkeiten ausgeübt werden. Nicht ausreichend ist daher, wenn ein Mitglied einer Müllwagenbesatzung sich am Betriebshof, von wo aus die Touren jeweils starten, lediglich umkleidet, die Ansage der Einsatzleitung anhört, das Tourenbuch, die Fahrzeugpapiere und die Fahrzeugschlüssel abholt und danach mit seinen Kollegen die Blinker sowie die Beleuchtung des Müllfahrzeugs kontrolliert (BFH, Urteil vom 02.09.2021, VI R 25/19, BFH/NV 2022, 18).

3.

Der Kläger ist dem Betriebshof und damit einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers im Streitjahr dauerhaft zugeordnet gewesen. Dies steht zwischen den Beteiligten auch nicht in Streit, so dass das Gericht insoweit von weiteren Ausführungen absieht. Unstreitig ist auch, dass der Kläger im Streitjahr an 225 Tagen zum Betriebshof gefahren ist und von dort aus als Teil einer Müllwagenbesatzung seine Tour angetreten hat und dorthin zurückgekehrt ist, und dass er an diesen 225 Tagen jeweils mehr als 8 Stunden von seiner Wohnung abwesend war. Denn die Müllwagentour, also die Abwesenheit vom Betriebshof, dauerte arbeitstäglich unstreitig mindestens 7 Stunden und 45 Minuten, und bei einer Entfernung zwischen der Wohnung des Klägers und dem Betriebshof von 15 km steht außer Zweifel, dass zwischen dem morgendlichen Antritt der Fahrt zum Betriebshof und der Heimkehr am Nachmittag mehr als 8 Stunden gelegen haben.

4.

Der Kläger hat dort allerdings nichtin ausreichendem Umfang Tätigkeiten tatsächlich ausgeführt, die er arbeitsrechtlich schuldete und die zum Berufsbild des Klägers gehören.

Der Kläger hat sich nach seiner Ankunft am Betriebshof dort jeweils umgekleidet, die Ansage der Einsatzleitung angehört, das Tourenbuch, die Fahrzeugpapiere und die Fahrzeugschlüssel abgeholt und danach mit seinen Kollegen die Blinker sowie die Beleuchtung des Müllfahrzeugs kontrolliert.

Nach der Revisionsentscheidung des BFH reichen die im ersten Rechtsgang festgestellten geringfügigen Tätigkeiten allein nicht aus, um den Betriebshof als erste Tätigkeitsstätte anzusehen. An diese Rechtsansicht ist der erkennende Senat gemäß § 126 Abs. 5 FGO gebunden. Mit etwaigem gegen die rechtliche Beurteilung des BFH gerichtetem Vortrag kann das FA daher nicht gehört werden. Der Senat hatte daher nur zu prüfen, ob der Kläger noch weitere, im ersten Rechtsgang noch nicht bekannte Tätigkeiten durchgeführt hat.

Die vom BFH geäußerte Unklarheit zu den tatsächlichen Abläufen während der vom Kläger geschilderten Anwesenheitszeit auf dem Betriebshof, konnten durch die ergänzenden Angaben des Klägers im Erörterungstermin – die zwischen den Beteiligten nicht im Streit stehen – ausgeräumt werden. Klarheit haben insbesondere die Erläuterungen des Klägers anhand eines Lageplans des Betriebsgeländes und die Ausführungen zu den logistischen Herausforderungen eines zeitgleichen Dienstbeginns von 500 Arbeitnehmern und der zeitgleichen Abfahrt von 120 Fahrzeugen vom Betriebshof gebracht. Soweit im Detail weitere anlassbezogene Verrichtungen und Tätigkeiten des Klägers auf dem Betriebshof hinzugekommen sind, sind diese mangels Regelmäßigkeit und qualitativer Erheblichkeit nicht geeignet, eine erste Tätigkeitsstätte zu begründen. Dies gilt insbesondere für die Veranlassung von Reparaturen bei Beschädigungen oder Defekten an Müllfahrzeugen, für die gelegentliche Reinigung von Fahrzeugen und für die Betankung von gasbetriebenen Fahrzeugen an der Gastankstelle auf dem Betriebshof, falls der Kläger – zufällig – für eine Tour auf einem solchen Fahrzeug eingeteilt war.

Insgesamt rechtfertigen die tatsächlich vom Kläger auf dem Betriebsgelände der C… Betrieben vorgenommenen Tätigkeiten die Annahme einer ersten Tätigkeitsstätte daher nicht, da sich gegenüber den festgestellten keine zusätzlichen, auf dem Gelände der C… Betrieben vorgenommenen Tätigkeiten des Klägers ergeben haben, als die bereits im ersten Rechtsgang festgestellten Tätigkeiten, die aus Sicht des BFH in seiner Revisionsentscheidung als Tätigkeiten von untergeordnetem Gewicht nicht zur Annahme einer ersten Tätigkeitsstätte ausreichten.

II.

Die Revision ist mangels Vorliegens von Gründen gemäß § 115 Abs. 2 FGO nicht zuzulassen. Die Rechtsansicht des BFH, dass die im ersten Rechtsgang bereits festgestellten Tätigkeiten für eine erste Tätigkeitsstätte nicht ausreichen, ist im hiesigen Verfahren gemäß § 126 Abs. 5 FGO ohnehin bindend. Ob der Kläger noch arbeitsvertraglich bedeutsame weitere Tätigkeiten auf dem Betriebshof ausgeführt hat, ist eine tatsächliche Würdigung im Einzelfall. Eine Rechtsfrage, zumal eine, die wegen ihrer über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung klärungswürdig wäre, ergibt sich daraus nicht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1, § 143 Abs. 2 FGO.

IV.

Eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ist im streitgegenständlichen Verfahren zweckmäßig (§ 90a Abs. 1 FGO).