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Entscheidung 5 Sa 1584/21


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 5. Kammer Entscheidungsdatum 12.05.2022
Aktenzeichen 5 Sa 1584/21 ECLI ECLI:DE:LAGBEBB:2022:0512.5SA1584.21.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 1 KSchG, § 17 Abs 3 S 1 KSchG

Leitsatz

1. Wird Kurzarbeit geleistet, so spricht dies dafür, dass die Betriebsparteien nur von einem vorübergehenden Arbeitsmangel und nicht von einem dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf ausgehen. Dieses aus der Kurzarbeit folgende Indiz kann der Arbeitgeber durch konkreten Sachvortrag entkräften.

2. Die bloße Möglichkeit, dass der Arbeitsüberhang vielleicht wieder entfallen könnte, steht der Prognose des dauerhaften Wegfalls des Arbeitsplatzes nicht entgegen. Nur wenn zum Zeitpunkt der Kündigung bereits konkret absehbar ist, dass zwar im
Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist ein Arbeitskräfteüberhang vorliegen wird, dieser zu einem späteren Zeitpunkt aber wieder abgebaut sein wird, so dass wieder Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen, kommt es für die Wirksamkeit einer Kündigung auch darauf an, ob dem Arbeitgeber die Überbrückung des Zeitraums zumutbar ist.

3. Eine Kongruenz zwischen dem Umfang des Arbeitsausfalls und der Zahl der Entlassenen ist nicht erforderlich, es liegt vielmehr im unternehmerischen Ermessen des Arbeitgebers, ob er im Verhältnis zu dem fehlenden Arbeitskräftebedarf Personal abbaut oder nur einen Teil der überzähligen Arbeitnehmer entlässt und die übrigen zum Beispiel als Personalreserve behält.

4. § 17 Absatz 3 Satz 1 KSchG stellt eine bloß verfahrensordnende Vorschrift dar. Ihre Verletzung verlangt im Hinblick auf Artikel 2 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Massenentlassungsrichtlinie auch unter Berücksichtigung des Äquivalenz- und
Effektivitätsgrundsatzes im nationalen Recht nicht nach der gleichen Rechtsfolge wie ein Verstoß gegen die Anzeige- oder Konsultationspflicht und zieht damit nicht die Nichtigkeit der Kündigung des von der Massenentlassung betroffenen einzelnen Arbeitnehmers nach sich.

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus
vom 21. September 2021 – 6 Ca 1270/20 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision des Klägers wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten unter anderem über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Die Beklagte betreibt eine europaweit operierende Fluggesellschaft. Sie stellt keine langfristig gültigen Flugpläne auf, sondern orientiert sich kurzfristig und flexibel an der Nachfrage an bestimmten Flügen. Als einzige Stationen in Deutschland betrieb sie bis längstens zum 06. November 2020 die 2018 eröffnete Station Berlin-Tegel (TXL) und die Station Schönefeld (SXF), ab 01. November 2020 betreibt sie allein die Station am Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) mit im November 2020 1.482 Beschäftigten des fliegenden Personals. Der am …. 1991 geborene Kläger ist nach Maßgabe des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 15. Mai 2018 (Blatt 19 ff der Akte) seit dem 04. Juni 2018 als Second Officer (Pilot) beschäftigt, zunächst an der Station TXL und seit spätestens 06. November 2020 an der Station BER. Zuletzt bezog er eine Bruttomonatsvergütung in Höhe von durchschnittlich 6.254,68 Euro.

Für die Station BER ist nach Maßgabe des Tarifvertrages Personalvertretung Nr. 3 für das Cockpit- und Kabinenpersonal von E (Blatt 95 ff der Akte; im Folgenden: TVPV) für das fliegende Personal eine Personalvertretung (im Folgenden: PV) gewählt worden.

Seit dem 01. April 2020 wurde aufgrund mehrerer Betriebsvereinbarungen mehrfach und zuletzt bis zum 30. Juni 2021 verlängerte Kurzarbeit für die Beschäftigten des fliegenden Personals der Stationen TXL und SXF beziehungsweise BER durchgeführt.

Seit Juni 2020 plante die Beklagte europaweite organisatorische Maßnahmen, welche von einem Steuerungskomitee („Steering Committee“) bestätigt wurden („Project Butterfly“; siehe dazu die als Anlage vangard 2 eingereichten Auszüge aus einem Planungsdokument, Blatt 152 ff der Akte). Danach war vorgesehen, die Anzahl von 34 an der Station BER stationierten Flugzeugen („Lines of Flying“) um 16 auf 18 zu verringern und das dort stationierte fliegende Personal mit 1.416,4 Vollzeitäquivalenten (im Folgenden: VZÄ) um 822 VZÄ zu verringern. Hierüber unterrichtete die Beklagte die PV mit Schreiben vom 30. Juni 2020 (Anlage vangard 5, Blatt 171 ff der Akte), in dem die Planung eines Personalabbaus von bis zu 738 Beschäftigten mitgeteilt wurde und das auch der Aufforderung zur Aufnahme von Interessenausgleichsverhandlungen und des Konsultationsverfahrens nach § 17 Absatz 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) dienen sollte.

Die Beklagte verhandelte, zeitweise unter Hinzuziehung eines Mediators, in der Folgezeit mit der PV über die Vermeidung von Entlassungen, einen Interessenausgleich und einen Sozialplan, auch über Vorschläge der PV hierzu. Am 14. Oktober 2020 einigte man sich auf wesentliche Eckpunkte, am 21. Oktober 2020 kam es zum Abschluss eines Interessenausgleichs (Anlagenkonvolut vangard 6, Blatt 177 ff der Akte) und eines Sozialplans (Anlagenkonvolut vangard 6, Blatt 202 ff der Akte). Im Interessenausgleich wurde unter anderem vereinbart, die Anzahl der an den Stationen TXL und SXF und sodann am BER stationierten Flugzeuge ab Dezember 2020 um 16 auf 18 zu verringern, ab November/Dezember 2020 bis zu 418 Beschäftigte des fliegenden Personals, darunter 76 First Officer (Senior First Officer, First Officer, Second Officer), zu entlassen und hinsichtlich 320 weiterer Beschäftigter des fliegenden Personals im Mai/Juni 2021 anhand der dann zu bewertenden wirtschaftlichen und finanziellen Lage der Beklagten sowie der Nachfrage nach Flügen zu entscheiden, ob und wie viele dieser Positionen ebenfalls abzubauen seien.

Mit deren Vorsitzenden am gleichen Tag zugegangenem Schreiben vom 17. November 2020 (Anlage vangard 13, Blatt 343 ff der Akte), dem als Anlage eine Tabelle mit den Sozialdaten aller an der Station BER beschäftigten Personen des fliegenden Personals, darunter der First Officer (Anlage vangard 10, Blatt 237 ff der Akte), beigefügt war, teilte die Beklagte der PV mit, dass sie beabsichtige, dem Kläger gegenüber noch im November 2020 eine fristgerechte ordentliche Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen auszusprechen. Es seien zum 30. November 2020 418 Stellen des fliegenden Personals entfallen, unter Anrechnung bereits erfolgter oder absehbarer 16 Austritte sowie weiterer nach Maßgabe eines im Interessenausgleich geregelten Freiwilligenprogramms ausscheidender 56 Beschäftigter seien 346 betriebsbedingte Kündigungen, davon im Bereich First Officer 70 betriebsbedingte Kündigungen erforderlich. Hierzu erklärte die PV bis zum 24. November 2020 keinen Widerspruch.

Mit bei der Arbeitsagentur am 23. November 2020 eingegangen Schreiben vom 20. November 2020 und mehreren Anlagen (Anlagenkonvolut vangard 11, Blatt 241 ff der Akte), darunter eine Ablichtung des Schreibens an die PV vom 30. Juni 2020 (Blatt 271 ff der Akte), erstattete die Beklagte eine Massenentlassungsanzeige für 405 im Zeitraum vom 25. November 2020 bis 23. Dezember 2020 zu entlassender Beschäftigter der Station BER. Vorsorglich erstattete sie zugleich eine Sammelanzeige für 301 Entlassungen an der Station TXL 104 Entlassungen an der Station SXF.

Mit dem Kläger am gleichen Tag zugegangenem Schreiben vom 25. November 2020 (Anlage K 4, Blatt 32 f der Akte) kündigte sie das Arbeitsverhältnis zum 28. Februar 2021.

Mit der am 16. Dezember 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 28. Dezember 2020 zugestellten Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung, die Gewährleistung zur Aufrechterhaltung seiner Fluglizenz erforderlicher Maßnahmen, ein Zwischen- beziehungsweise Endzeugnis sowie für den Obsiegensfall die vorläufige Weiterbeschäftigung geltend gemacht. Er hat vorgetragen, die Beklagte habe widersprüchlich zu der der Kündigung zugrundeliegenden unternehmerischen Entscheidung vorgetragen. Angesichts der angeordneten Kurzarbeit habe nur ein vorübergehender Arbeitsmangel vorgelegen. Die Sozialauswahl und die Anhörung der PV seien fehlerhaft erfolgt, das Konsultationsverfahren und die Massenentlassungsanzeige seien nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden.

Der Kläger hat beantragt,

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 25. November 2020 nicht beendet wurde.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 28. Februar 2021 hinaus fortbesteht.

3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger alle Maßnahmen zu gewährleisten, die zum Fortbestand der Fluglizenz für die Klassen/Muster/IR A320 PIC und A320IR notwendig sind.

4. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Leistung und Verhalten erstreckt.

5. hilfsweise für den Fall der Abweisung des Feststellungsantrages zu Ziffer 1.: Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein endgültiges Zeugnis zu erteilen, das sich auf Leistung und Verhalten erstreckt.

6. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu Ziffer 1. bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag als Second Officer (Pilot) weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, den Stationen seien keine bestimmten Flugzeuge mit bestimmten Registrierungsnummern zugeordnet, sondern die Beklagte ordne eine bestimmte Anzahl von Flugzeugen eines bestimmten Typs einer Base zu. Ausgehend davon, dass ein Flugzeug für jeden Flug mit einer aus einem Flugkapitän, einem First Officer, einem Cabin Manager und drei Flugbegleitern bestehenden Crew besetzt werden müsse und die Beklagte für den Betrieb jedes Flugzeugs 5 bis 6 Crews vorhalte, habe sie für den Betrieb von künftig 18 Flugzeugen 604 VZÄ des fliegenden Personals errechnet und aus Gründen operativer Vorsicht einen Überhang von bis zu 720 VZÄ angenommen. Unter Berücksichtigung einer initialen Sozialauswahl habe dies einen Abbau von 738 Positionen erforderlich gemacht, erst im Verlaufe der Verhandlungen mit der PV habe sie sich darauf verständigt, davon zunächst weniger Personal abzubauen. Diese Entscheidung sei nachfolgend umgesetzt worden, das darüberhinausgehende Flugzeugkontingent habe sie - insoweit unstreitig - ausgeflottet, als Ersatz für geplante und dann abgesagte Abnahmen neuer Flugzeuge genutzt oder in der internen Planung anderen Standorten zugeordnet. Die Kurzarbeit habe nicht auf dieser Entscheidung beruht, sondern auf vorübergehenden Einschränkungen des Flugverkehrs während der Corona Pandemie.

Mit Urteil vom 21. September 2021, das mit Beschluss vom 27. Dezember 2021 hinsichtlich des Tatbestandes berichtigt worden ist, hat das Arbeitsgericht dem Antrag zu 4. stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es hinsichtlich der Klageabweisung ausgeführt, die angegriffene Kündigung sei aufgrund dringender betrieblicher Erfordernisse bedingt und auch nicht aus anderen Gründen unwirksam. Die im Interessenausgleich vom 21. Oktober 2020 beschriebene Entscheidung zur Reduktion der Betriebsmittel von 34 auf 18 Flugzeuge an der Base BER und die Reduktion des Flugprogramms habe zu einer Reduktion des Beschäftigungsbedarfs geführt. Diese Entscheidung sei dauerhaft angelegt, dass weniger Beschäftigten gekündigt worden sei, als nach der Entscheidung an Arbeitskräften weggefallen sei, sei unerheblich. Ebenso sei unerheblich, dass der Flughafen BER nach Vortrag des Klägers mit Besatzungen anderer Standorte genauso häufig angeflogen werde, wie bisher. Der Abbau von 16 Flugzeugen führe zu einem Wegfall der Arbeitsplätze des fliegenden Personals um 47 %, dies entspreche bei regelmäßig beschäftigten 1.482 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern 697 Beschäftigten. Entsprechend dem Interessenausgleich sollten davon zunächst nur 418 Personen entlassen werden. Nach der von der Beklagten dargelegten Besatzungsquote habe dies 70 First Officer betroffen. Einen freien Arbeitsplatz außerhalb Deutschlands habe die Beklagte dem Kläger nicht anbieten müssen. Auch die Sozialauswahl, das Konsultationsverfahren, die Anhörung der Personalvertretung sowie die Massenentlassungsanzeige seien ordnungsgemäß erfolgt. Ein Anspruch auf ein Zwischenzeugnis sowie auf Maßnahmen zur Erhaltung der Fluglizenz bestünde angesichts der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien nicht.

Gegen dieses dem Kläger am 04. November 2021 zugestellte Urteil richtet sich seine am 30. November 2021 eingegangene und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 10. Februar 2022 am 10. Februar 2022 begründete Berufung. Er trägt vor, die angegriffene Kündigung sei nicht durch ein dauerhaft weggefallenes Beschäftigungsbedürfnis begründet. Vom BER würden Flugzeuge aus einem „Gesamtpool“ der Beklagten eingesetzt. Die Nachfrage nach Flügen habe stark zugenommen, die Beklagte habe die Verbindungen für den Sommer 2022 auf 580 Flüge pro Woche auf mehr als 80 Strecken aufgestockt. Das Arbeitsgericht habe bei seiner abweichenden Auffassung den zeitlichen Zusammenhang zu der angeordneten Kurzarbeit nicht beachtet. Ferner habe die Beklagte die behauptete Organisationsänderung im Interessenausgleich nicht endgültig vereinbart, sondern in Ziffer 3 c) von einer weiteren unternehmerischen Entscheidung aufgrund der Sachlage im Mai/Juni 2021 abhängig gemacht. Ein Hinweis auf die Dauer der Entscheidung über Pandemie hinaus finde sich im Interessenausgleich nicht. Der Anspruch auf Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Fluglizenz aus § 10 Nummer 3 Satz 3 des Arbeitsvertrages und der Anspruch auf ein Zwischenzeugnis bestehe, weil das Arbeitsverhältnis nicht beendet sei.

Der Kläger beantragt,

Es wird beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 21. September 2021 zum Aktenzeichen 6 Ca 1270/20 abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 25.11.2021 nicht beendet wurde.

2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger alle Maßnahmen zu gewährleisten, die zum Fortbestand der Fluglizenz für die Klassen/Muster/IR A320 PIC und A320/R notwendig sind.

3. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Leistung und Verhalten erstreckt.

4. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung als Second Officer (Pilot) weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 21.

September 2021, Aktenzeichen 6 Ca 1270/20 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt vor, die Berufung sei aufgrund einer nur pauschal gehaltenen Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil unzulässig. Jedenfalls sei sie unbegründet, weil das Arbeitsgericht zu Recht von einem dauerhaften Personalüberhang ausgegangen sei. Das Flugprogramm jeder Station werde anhand der Anzahl der ihr jeweils zugeordneten Flugzeuge erstellt. Die Beklagte stationiere auch 2022 am BER bis zu 18 Flugzeuge. Die Berechnung des Gesamtpersonalbedarfes sowie auch des Bedarfes im Bereich der First Officer für den Betrieb von 18 Flugzeugen beruhe auf dem zugrunde gelegten Faktor von durchschnittlich 5,5 Crews je Flugzeug. Dieser Faktor ergebe sich aus der Annahme des Vorhaltes von 911 Crews je Flugzeug und Jahr, der je VZÄ durchschnittlich zur Verfügung stehenden 182 Personaleinsatztage sowie eines Puffers von 10 %. Hinzuzurechnen seien Kompensationen für besondere Zeiten, in denen fliegendes Personal im Flugbetrieb nicht zur Verfügung stehe. Im Bereich der First Officer sei daraus ein Überhang von 134 Personen abzuleiten, der entsprechend den Vereinbarungen im Interessenausgleich und unter Berücksichtigung anderweitiger Abgänge im November 2020 70 Kündigungen erforderlich gemacht habe, was nach dem Ergebnis der Sozialauswahl auch den Kläger betroffen habe.

Wegen des weiteren Vortrages der Parteien in der zweiten Instanz wird auf den Schriftsatz und die Anlagen des Klägers vom 10. Februar 2022 (Blatt 462 bis der 470 Akte), der Beklagten vom 19. April 2022 (Blatt 482 bis 582 der Akte) und vom 04. Mai 2022 (Blatt 587 bis 595 der Akte) sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12. Mai 2022 (Blatt 598 bis 599 der Akte) verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist gemäß §§ 8 Absatz 2, 64 Absatz 2 Buchstabe b) und Absatz 6, 66 Absatz 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), 519 Zivilprozessordnung (ZPO) statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt, infolge rügeloser Einlassung gemäß §§ 263, 267, 533 ZPO in zulässiger Weise um den ursprünglichen Hilfsantrag zu 6. als Berufungshauptantrag zu 4. erweitert worden und ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch gemäß §§ 64 Absatz 6 ArbGG, 520 Absatz 3 ZPO zulässig. Der Kläger hat seine Berufung nicht lediglich durch pauschale Hinweise oder Bezugnahmen auf die Entscheidung einer anderen Kammer des Arbeitsgerichts begründet, sondern sich mit der Annahme eines nicht nur vorübergehenden Arbeitsausfalls unter Hinweis auf eine erstinstanzliche Entscheidung in einer Parallelsache auseinandergesetzt. Es wurden auch keine Textbausteine verwendet, sondern aus einem in einem Parallelverfahren ergangenen Urteil zitiert, was zulässig ist. Diese Zitate verbindet der Kläger in der Berufungsbegründung mit eigenen Erwägungen zur Dauerhaftigkeit der behaupteten unternehmerischen Entscheidung. Dass er sich dabei an einem seine Auffassung stützenden Urteil orientiert, ist in Anbetracht der Tatsache, dass seine Kündigung auf einer auch viele andere Beschäftigten betreffenden unternehmerischen Entscheidung beruht, nicht zu beanstanden. Dass er sich nicht mit allen Argumenten des angefochtenen Urteils auseinandersetzt, ist unerheblich. Liegt dem Rechtsstreit ein einheitlicher Streitgegenstand zugrunde, muss der Berufungskläger nicht zu allen für ihn nachteilig beurteilten Streitpunkten in der Berufungsbegründung Stellung nehmen, wenn schon der allein vorgebrachte - unterstellt erfolgreiche - Berufungsangriff gegen einen Punkt geeignet ist, der Begründung des angefochtenen Urteils insgesamt die Tragfähigkeit zu nehmen (BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 – II ZR 166/14 –, Randnummer 12, juris). Die vom Arbeitsgericht angenommene Wirksamkeit der angegriffenen Kündigung entfällt, wenn auch nur eine der von ihm bejahten Wirksamkeitsvoraussetzungen nicht vorliegt. Daher sind die Annahmen des Arbeitsgerichts zu jeder Wirksamkeitsvoraussetzung selbständig tragend. Den Anforderungen des § 520 ZPO ist mithin genügt, wenn der Kläger in der Berufungsbegründung sich nur zu einer oder einigen dieser Annahmen verhält und auf andere Erwägungen, etwa zur Sozialauswahl, anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten, Anhörung der PV oder zum Massenentlassungsanzeigeverfahren nicht eingeht.

II. Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht im Hinblick auf die ihm zur Entscheidung anfallenden Klageanträge zu 1., 2. und 3. abgewiesen. Auch der erstmals in der Berufungsinstanz als Hauptantrag gestellte Berufungsantrag zu 4. ist unbegründet.

1. Allerdings hätte das Arbeitsgericht davon ausgehen müssen, dass der Klageantrag zu 2. die Anforderungen des § 253 Absatz 2 Nummer 2 ZPO nicht erfüllt und die Klage insoweit bereits unzulässig ist. Ein Klageantrag ist im Sinne dieser Anforderungen hinreichend bestimmt, wenn er den erhobenen Anspruch durch Bezifferung oder gegenständliche Beschreibung so konkret bezeichnet, dass der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 Absatz 1 ZPO) klar abgegrenzt ist, Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung (§ 322 Absatz 1 ZPO) erkennbar sind, das Risiko des eventuell teilweisen Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abgewälzt und eine etwaige Zwangsvollstreckung nicht mit einer Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren belastet wird (BAG, Urteil vom 16. Dezember 2021 – 2 AZR 235/21 –, Randnummer 21, juris). Dem genügt der auch nach Hinweis der Kammer in seiner ursprünglichen Fassung in der Berufungsinstanz weiter verfolgte Klageantrag zu 2. nicht, weil er die von der Beklagten als potentielle Vollstreckungsschuldnerin zu gewährleistenden Maßnahmen nicht so konkret bezeichnet, dass der Umfang der materiellen Rechtskraft eines stattgebenden Urteils erkennbar ist und ein Streit der Parteien über die geschuldeten Maßnahmen nicht erst im Vollstreckungsverfahren ausgetragen werden muss. Auch der Klagebegründung ist dazu nichts zu entnehmen.

2. Im Übrigen ist die Klage, soweit sie zur Entscheidung anfällt, zulässig, jedoch unbegründet.

a) Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die ordentliche Kündigung vom 25. November 2020 unter Einhaltung der in § 10 Ziffer 1 Satz 3 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 15. Mai 2018 vorgesehenen Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Monatsende mit dem 28. Februar 2021 beendet worden. Die Kündigung ist nicht gemäß § 1 des nach §§ 1 Absatz 1, 23 Absatz 1 Satz 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwendenden ersten Abschnittes des KSchG sozialwidrig. Sie ist auch nicht aus anderen Gründen rechtsunwirksam.

aa) Die ordentliche Kündigung vom 25. November 2020 ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten über den 28. Februar 2021 hinaus entgegenstehen (§ 1 Absatz 2 Satz 1 KSchG).

(1) Eine Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb voraussichtlich dauerhaft entfallen ist. Auf der Grundlage der betrieblichen Dispositionen des Arbeitgebers müssen im Tätigkeitsbereich des Gekündigten mehr Arbeitnehmer beschäftigt sein, als zur Erledigung der anfallenden Arbeiten benötigt werden. Dieser Überhang muss auf Dauer zu erwarten sein. Regelmäßig entsteht ein Überhang an Arbeitskräften nicht allein und unmittelbar durch bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen (Produktions- oder Umsatzrückgang etc.), sondern aufgrund einer - oftmals durch diese Entwicklungen veranlassten - Organisationsentscheidung des Arbeitgebers (unternehmerische Entscheidung) (BAG, Urteil vom 23. Februar 2012 – 2 AZR 548/10 –, Randnummer 15). Ein Rückgang des Arbeitskräftebedarfs kann sich deshalb daraus ergeben, dass sich eine im Betrieb tatsächlich umgesetzte unternehmerische Organisationsentscheidung auf die Anzahl der verbliebenen Arbeitsplätze auswirkt. Unternehmerische Entscheidungen sind von den Gerichten nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind. Nachzuprüfen ist aber, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist (BAG am angegebenen Ort, Randnummer 17). Wird die Kündigung auf eine zu erwartende künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, braucht diese bei Kündigungsausspruch noch nicht tatsächlich eingetreten zu sein. Es genügt, dass sie sich konkret und greifbar abzeichnet. Das ist der Fall, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die auf Tatsachen gestützte, vernünftige betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt ist, mit Ablauf der Kündigungsfrist werde mit einiger Sicherheit ein die Entlassung erforderlich machender betrieblicher Grund vorliegen. Dabei muss eine der entsprechenden Prognose zugrundeliegende eigene unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers aber bereits im Kündigungszeitpunkt endgültig getroffen worden sein. Andernfalls kann eine zum Wegfall des Arbeitsplatzes führende Entscheidung nicht sicher prognostiziert werden (BAG am angegebenen Ort, Randnummer 19). Der Arbeitgeber hat die Tatsachen näher darzulegen, aus denen sich ergeben soll, dass zukünftig auf Dauer mit einem reduzierten Arbeitsvolumen und Beschäftigungsbedarf zu rechnen ist. Das Vorliegen von möglicherweise nur kurzfristigen Produktions- oder Auftragsschwankungen muss ausgeschlossen sein. Dem muss der Inhalt und die Substanz des Sachvortrags Rechnung tragen. Der Arbeitgeber hat den dauerhaften Rückgang des Arbeitsvolumens nachvollziehbar darzustellen, indem er die einschlägigen Daten aus repräsentativen Referenzperioden miteinander vergleicht (BAG am angegebenen Ort, Randnummer 20). Für die Zukunftsprognose ist auch von Bedeutung, ob die Kündigung im zeitlichen Zusammenhang mit einer vereinbarten oder prognostizierten Kurzarbeit erfolgt. Wird Kurzarbeit geleistet, so spricht dies dafür, dass die Betriebsparteien nur von einem vorübergehenden Arbeitsmangel und nicht von einem dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf ausgehen. Ein nur vorübergehender Arbeitsmangel wiederum kann eine betriebsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen. Dieses aus der Kurzarbeit folgende Indiz kann der Arbeitgeber durch konkreten Sachvortrag entkräften. Entfällt die Beschäftigungsmöglichkeit für einzelne von der Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer aufgrund später eingetretener weiterer Umstände oder veränderter wirtschaftlicher und/oder organisatorischer Rahmenbedingungen auf Dauer, so kann trotz der Kurzarbeit ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung bestehen. Da die betrieblichen Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers entgegenstehen, dringend sein müssen, die Kündigung im Interesse des Betriebs also unvermeidbar sein muss, hat der Arbeitgeber zuvor alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die mit dem Ziel geschaffen worden sind und bestehen, durch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit betriebsbedingte Kündigungen in Zeiten geringeren Arbeitsanfalls zu vermeiden. Haben die Betriebsparteien durch die Einführung von Kurzarbeit den Umfang der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit auf ein Niveau abgesenkt, dass den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen gerade überflüssig macht, so kann ein dringendes betriebliches Kündigungserfordernis regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber die Möglichkeit zur Arbeitszeitreduzierung voll ausgeschöpft hat und gleichwohl noch ein Beschäftigungsüberhang besteht (BAG am angegebenen Ort, Randnummern 21 und 22).

(2) Es steht für die Kammer fest, dass die Beklagte nach Abschluss der Konsultations- und Interessenausgleichsverhandlungen spätestens am 21. Oktober 2020 die endgültige Entscheidung getroffen hatte, mit Wirkung ab dem 01. Dezember 2020die Anzahl der zuvor an den Stationen TXL und SXF und sodann an der Station BER stationierten 34 Flugzeuge um 16 auf 18 zu verringern. Diese Behauptung hat der Kläger zwar bestritten, sie wird aber durch die schriftlichen Ausführungen der Betriebsparteien im Interessenausgleich vom 21. Oktober 2020, insbesondere unter Ziffer 1. b) und Ziffer 3. a) belegt. Der Interessenausgleich stellt eine Privaturkunde dar (§ 416 ZPO), die zunächst nur den Beweis begründet, dass die Beklagte und die für die Stationen TXL und SXF beziehungsweise BER zuständige PV derartige Erklärungen abgegeben haben. Er wird durch die Kammer gemäß § 286 ZPO aber auch bei ihren Feststellungen zum tatsächlichen Entscheidungsvorgang bei der Beklagten herangezogen. In Ermangelung von Umständen, die dafürsprechen könnten, dass die Beklagte trotz Abgabe der Erklärungen am 21. Oktober 2020 nicht endgültig zur Reduzierung des Flugzeugbestandes entschlossen war, kann kein anderer Schluss gezogen werden. Bereits im Juni 2020 hatte sie derartige Planungen verfolgt und in der Zeit danach mit der PV darüber verhandelt.

(3) Es kommt aufgrund der Entscheidung, den Flugzeugbestand an der seit Anfang November 2020 allein verbliebenen Station BER von 34 auf 18 abzusenken, zu einem dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf im Umfang von 738 der 1.482 Beschäftigten, bei den First Officers im Umfang von 134 Beschäftigten.

(a) Dass trotz entsprechender Formulierungen im Interessenausgleich an der Station BER bis Ende November 2020 nicht 34 Flugzeuge „stationiert“, sondern nach dem Vortrag der Beklagten als feste Anzahl, mithin als „Flugzeugkontingent“ zugeordnet waren, ist unerheblich. Die Personalplanung der Beklagten, aus der sie den Personalüberhang ableitet, orientiert sich an dem sich für eine bestimmte Anzahl von Flugzeugen ergebenden Personalbedarf. Es ist dabei irrelevant, ob dies immer dieselben oder eine zahlenmäßig als Kontingent festgelegte Anzahl von Flugzeugen aus dem „Gesamtpool“ des europaweit operierenden Unternehmens der Beklagten sind, mit welchen das jeweilige Flugprogramm vom BER aus abgewickelt wird. Der Kläger hat seinerseits nicht in erheblicher Weise dargelegt, dass es eine solche feste Zuordnung von Flugzeugkontingenten, die sich im Übrigen – dort als „Lines of Flying“ bezeichnet – auch aus den vorgelegten Unterlagen des „Steering Comittee“ zum „Project Butterfly“ ableiten lässt, nicht gegeben habe. Wenn er vorträgt, dass die Flugzeuge vom BER aus aus einem „Gesamtpool“ eingesetzt werden, widerspricht dies der Behauptung der Beklagten nicht, dass vom BER aus maximal ein zahlenmäßig festgelegtes Kontingent von Flugzeugen eingesetzt und bei der Flugplanung berücksichtigt wird. Auch soweit er in der Berufungsbegründung anführt, die Beklagte orientiere sich kurzfristig und flexibel an der Nachfrage für bestimmte Flüge und habe die Flüge vom BER für das Sommerflugprogramm 2022 auf bis zu 580 Flüge pro Woche aufgestockt, lässt sich daraus nichts für das zugeordnete Flugzeugkontingent ableiten. Unstreitig blieb die Behauptung der Beklagten, dass sie das Flugprogramm vom BER aus mit dem vorgesehenen Kontingent von 18 Flugzeugen auch im Jahr 2022 abgewickelt hat.

(b) Die Beklagte hat, ohne dass der Kläger hiergegen Einwendungen vorgebracht hat, schlüssig dargelegt, mit welcher Anzahl von Beschäftigten sie einen verbleibenden Bestand von 18 Flugzeugen von der Station BER aus auf Dauer betreiben will. Dabei ist sie von der Anzahl der Beschäftigten je Beschäftigtengruppe (Captain, First Officer, Cabin Manager, Flugbegleiter) je Flugzeug für die Durchführung eines Fluges benötigten Beschäftigten („Crew“), der für den Betrieb eines Flugzeuges in einem Kalenderjahr benötigten Crews (911 Crews), die bei Vollzeitbeschäftigung je vollzeitbeschäftigter Person zur Verfügung stehenden Personeneinsatztage im Kalenderjahr (182 Personeneinsatztage) und die Anzahl der daraus abzuleitenden Anzahl bei Vollzeitbeschäftigung benötigter Crews je Flugzeug (5,5 unter Einschluss eines Puffers von 10 %). Sie hat ferner den in Vollzeitäquivalenten (VZÄ) ausgedrückten Personalbedarf für die Kompensation von durch besondere Anlässe verursachte Verwendungsausfälle im Flugbetrieb (Langzeiterkrankung, Mutterschaft/Schwangerschaft, Elternzeit, Managementaufgaben, Prüfer-/Traineraufgaben, Projekttätigkeiten) in den jeweiligen Beschäftigtengruppen (insgesamt 102,4 VZÄ) hinzuaddiert und daraus den dauerhaften Betrieb von 18 Flugzeugen entstehenden Gesamtpersonalbedarf in VZÄ abgeleitet (696,4 VZÄ), woraus sich bei einem Personalbestand von insgesamt 1.416,4 VZÄ ein Gesamtüberhang von 720 VZÄ ergibt. Hinsichtlich der Beschäftigtengruppe, welcher der Kläger angehört (First Officer), hat sie, ausgehend von einem Personalbestand in Höhe von 235,3 VZÄ und einem Bedarf von 99 VZÄ (5,5 x 18 bei jeweils einem First Officer je Crew) sowie einem weiteren Bedarf von 6,3 VZÄ zur Kompensation von durch besondere Anlässe verursachten Verwendungsausfällen einen Überhang von 130 VZÄ dargelegt. Sie hat ferner unwidersprochen vorgetragen, dass unter Berücksichtigung einer „initialen Sozialauswahl“ der ermittelte Gesamtpersonalüberhang und Personalabbaubedarf von 720 VZÄ einen Wert von 738 tatsächlich abzubauenden Positionen ergebe, hinsichtlich der First Officer einen Überhang von 134 Positionen. Dieser Umrechnung von VZÄ in den tatsächlichen personellen Überhang ist der Kläger nicht entgegengetreten, die Kammer geht davon aus, dass eine nähere Erläuterung der dafür maßgeblichen „initialen Sozialauswahl“ deshalb nicht erforderlich ist. Allerdings wäre der Kläger nach der letztlich erfolgten Sozialauswahl auch dann von dem nach dem Interessenausgleich bereits Ende 2020 abzubauenden Beschäftigungsüberhang erfasst, wenn man mangels genauerer Kenntnisse zur Umrechnung jedes der 720 insgesamt überzähligen VZÄ beziehungsweise der im Bereich der First Officer überzähligen 130 VZÄ mit einer Person gleichsetzen würde und sich deshalb ein um 18 (insgesamt) beziehungsweise 4 Personen (First Officer) verminderter Überhang ergäbe (dazu Ziffer II. 2. a) bb)). Es bestand damit im Kündigungszeitunkt mindestens der im Interessenausgleich unter Ziffer 1. b) (i) für den Ende 2020 erfolgenden Stellenabbau zugrunde gelegte Personalüberhang von 418 (bei Verminderung um 18 Beschäftigte: 400) Beschäftigten, davon 76 (bei Verminderung um 4 Beschäftigte: 72) First Officer. Nach Abzug von bis zum Kündigungsausspruch ausscheidender 72 Beschäftigter (16 Beschäftigte, davon 4 First Officer, durch Aufhebungsvertrag oder Transfers; weitere 56 Beschäftigte, davon 2 First Officer, aufgrund des im Interessenausgleich vorgesehenen Freiwilligenprogramms) verblieben davon ein Überhang von 346 (bei Verminderung um 18 Beschäftigte: 328) Beschäftigten, davon 70 (bei Verminderung um 4 Beschäftigte: 66) First Officer.

(c) Dieser verminderte Beschäftigungsbedarf ist dauerhaft. Dass bei der Beklagten seit April 2020 Kurzarbeit für die hier betroffenen Beschäftigtengruppen angeordnet war, spricht ebenso nicht für einen nur vorübergehenden Arbeitsmangel wie die Entscheidung, einen Teil der überhängigen Positionen nicht bereits Ende 2020 abzubauen und der vom Kläger angeführte Umstand, dass es sich bei der Beklagten um eine „Low-Cost-Fluggesellschaft“ handelt, die keine langfristig gültigen Flugpläne aufstellt, sondern sich kurzfristig und flexibel an der Nachfrage nach bestimmten Flügen orientiert.

(aa) Das sich aus angeordneter Kurzarbeit ergebende und für nur vorübergehenden Arbeitsmangel sprechende Indiz ist hier widerlegt. Schon die zeitliche Abfolge der Ereignisse spricht dagegen, dass die Entscheidung, an den Stationen TXL und SXF, nachfolgend an der Station BER, ein um 16 Flugzeuge und entsprechend verringertes Kontingent von Flugzeugen (Line of Flying) vorzuhalten, Anlass für die ab April 2020 eingeführte Kurzarbeit war. Denn die entsprechende Planung entwickelte die Beklagte erst ab Juni 2020 und setzte sie erst ab Dezember 2020 um. Nach unstreitigem Vortrag der Beklagten war Anlass für die seit April 2020 bis Juni 2021 in drei nahtlos aneinander anschließenden Betriebsvereinbarungen vereinbarte Kurzarbeit, dass es bereits seit April 2020 bei damals noch unverändertem Flugzeugbestand keinen Flugbetrieb normalen Umfanges mehr gab. Dafür konnte die erst ab Juni 2020 geplante und ab Dezember 2020 umgesetzte Reduzierung des Flugzeugkontingents nicht ursächlich sein. Soweit für Beschäftigte des Flugbetriebes nach Reduzierung des Flugzeugkontingents am 01. Dezember 2020 Kurzarbeit vereinbart wurde, galt dies nicht für den Kläger und die anderen im November 2020 gekündigten Beschäftigten, die ab dem 01. Dezember 2020 bei Zahlung der vereinbarten Monatsvergütung freigestellt wurden.

(bb) Die Dauerhaftigkeit der unter Ziffer 1 a) des Interessenausgleichs vom wiedergegebenen unternehmerischen Entscheidung, die Anzahl der am BER „stationierte“ Flugzeuge von bisher 34 auf 18 sowie das Flugprogramm entsprechend zu reduzieren wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich die Beklagte, wie unter Ziffer 1 b) (ii) des Interessenausgleichs wiedergegeben, vorbehielt, im Mai/Juni 2021 anhand der dann zu bewertenden wirtschaftlichen und finanziellen Lage sowie der Nachfrage nach Flügen zu entscheiden, ob und wie viele von 320 der ab Dezember 2020 überhängigen 738 Beschäftigten ebenfalls zu kündigen seien. Die Formulierung unter Ziffer 1 b) (ii) des Interessenausgleichs („Nachfrage nach Flügen“) schließt zwar nicht aus, dass der Überhang im Umfang von 320 Beschäftigten nicht, wie die Beklagte behauptet, allein aufgrund vermehrter Teilzeitarbeitsverhältnisse, zwischenzeitlich freiwilligen Ausscheidens oder Versetzungen an ausländische Stationen, sondern auch aufgrund erhöhten Flugaufkommens absinken könnte, was aufgrund der sich an der Anzahl von Flugzeugen im zugeordneten Kontingent orientierten Bedarfsplanung die Erweiterung des Kontingents voraussetzt. Jedoch beseitigt die Annahme einer bloßen Möglichkeit künftig wieder ansteigenden Beschäftigungsbedarfs die Dauerhaftigkeit und Endgültigkeit der Entscheidung von Oktober 2020 zur Reduzierung des Flugzeugkontingents nicht. Die bloße Möglichkeit, dass der Arbeitsüberhang vielleicht wieder entfallen könnte, steht der Prognose des dauerhaften Wegfalls des Arbeitsplatzes nicht entgegen. Nur wenn zum Zeitpunkt der Kündigung bereits konkret absehbar ist, dass zwar im Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist ein Arbeitskräfteüberhang vorliegen wird, dieser zu einem späteren Zeitpunkt aber wieder abgebaut sein wird, so dass wieder Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen, kommt es für die Wirksamkeit einer Kündigung auch darauf an, ob dem Arbeitgeber die Überbrückung des Zeitraums zumutbar ist (NK-ArbR/Christoph Weber, 1. Auflage 2016, KSchG § 1 Randnummern 1125-1129; BAG, Urteil vom 07. März 1996 – 2 AZR 180/95 –, Randnummern 22 und 24, juris). Zunächst bezieht sich vorliegend die im Interessenausgleich vereinbarte Neuüberprüfung des Beschäftigungsbedarfes nicht auf den Personalüberhang, von dem der Kläger betroffen ist. Im Übrigen kann aufgrund der im Interessenausgleich unter Ziffer 1 b) (i) näher beschriebenen Gründe der Beklagten für die Reduzierung des Flugzeugkontingents nicht davon ausgegangen werden, dass sie bereits im Oktober 2020 konkret vorhersah, dass es im Mai/Juni 2021 zu einer Anhebung des Beschäftigungsbedarfes kommen werde. Die unternehmerische Entscheidung wird hier von den durch die Eröffnung der Base TXL und die Pandemie bedingten Profitabilitätsdefiziten abgesetzt und auf oberhalb dieser „eingerechneten“ Einbußen liegende Verluste der Standorte TXL und SXF gestützt. Dass es auch hierfür absehbar nur vorübergehende Ursachen gebe, lässt sich dem Interessenausgleich nicht entnehmen. Dass im Interessenausgleich nicht ausdrücklich auf die Dauerhaftigkeit der Reduzierungsentscheidung hingewiesen wird, ist demnach unerheblich. Vielmehr ist ausschlaggebend, dass sich weder dem Interessenausgleich noch dem Sachvortrag der Parteien konkrete Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass die Beklagte bereits im Oktober 2020 konkret vorhersehen konnte, dass es im Verlaufe des Jahres 2021 wieder zu einer Anhebung des Flugzeugbestandes kommen werde. Im Übrigen kommt es bei der Prüfung, ob ein dringendes betriebliches Erfordernis für die Kündigung eines Arbeitnehmers vorlag, nur darauf an, ob unter Respektierung einer etwa bindenden Unternehmerentscheidung mit dem geringeren Arbeitsanfall auch das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung für den gekündigten Arbeitnehmer entfallen oder innerhalb einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer gesunken ist. Eine Kongruenz zwischen dem Umfang des Arbeitsausfalls und der Zahl der Entlassenen ist nicht erforderlich, es liegt vielmehr im unternehmerischen Ermessen des Arbeitgebers, ob er im Verhältnis zu dem fehlenden Arbeitskräftebedarf Personal abbaut oder nur einen Teil der überzähligen Arbeitnehmer entlässt und die übrigen zum Beispiel als Personalreserve behält (BAG, Urteil vom 18. September 1997 – 2 AZR 657/96 –, Randnummer 14, juris).

(cc) Dass es sich bei der Beklagten um eine „Low-Cost-Fluggesellschaft“ handelt, die keine langfristig gültigen Flugpläne aufstellt, sondern sich kurzfristig und flexibel an der Nachfrage nach bestimmten Flügen orientiert, lässt nicht den Schluss zu, aus der Entscheidung, für das vom BER aus abzuwickelnde Flugprogramm ein Kontingent von 18 Flugzeugen vorzuhalten, könne kein dauerhafter Personalbedarf und damit kein dauerhafter Beschäftigungsrückgang abgeleitet werden. Wie bereits ausgeführt ist davon auszugehen, dass feste Zuordnungen von Flugzeugkontingenten zur Station BER seitens der Beklagten vorgenommen wurden und dass das Kontingent ab dem 01. Dezember 2020 18 Flugzeuge umfassen sollte. Kurzfristige Flugplanänderungen zwingen zur Vergrößerung eines solchen Kontingents nur dann, wenn sie mit dem bestehenden Kontingent nicht bewältigt werden können. Das ist vom Kläger nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich. Vielmehr ist unstreitig, dass die Beklagte das Flugprogramm auch 2022 mit 18 Flugzeugen abwickelte und dass die Dienstzeiten („Duty Hours“) aller am Standort BER beschäftigten Flugkapitäne pro Flugzeug trotz verringerten Umfangs des Flugzeugkontingents im Zeitraum Juli 2021 bis Februar 2022 im Vergleich zum Zeitraum Juli 2019 bis Februar 2020 sogar abnahmen.

(4) Die Beklagte hat die unternehmerische Entscheidung umgesetzt. Das dem BER zugeordnete Flugzeugkontingent umfasste unstreitig ab Dezember 2020 und bis mindestens 2022 maximal 18 Flugzeuge. Das darüberhinausgehende Flugzeugkontingent hat sie unstreitig ausgeflottet, als Ersatz für geplante und dann abgesagte Abnahmen neuer Flugzeuge genutzt oder in der internen Planung anderen Standorten zugeordnet. Dass sie nach dem Vortrag der Beklagten plante, in den Monaten März 2021 bis Juni 2021 geringere Kontingente einzusetzen (siehe die E-Mail des „Commercial Fleet Allocation Managers“ vom 27. November 2020; Anlage 7 zum Schriftsatz der Beklagten vom 22. April 2021; Blatt 221 f der Akte), ist unerheblich, weil sich daraus jedenfalls kein erhöhter Personalbedarf ergibt. Verhandlungen mit beauftragten Bodenabfertigungsdienstleistern und Wettbewerbern über ab 2021 abzuschließende Verträge hat sie auf 18 Flugzeuge bezogen (siehe Seite 2 der Ausschreibungsunterlage in Anlage 8 zum Schriftsatz der Beklagten vom 22. April 2021, Blatt 224 ff der Akte: „Based aircraft: 18“). Sie hat im Oktober 2020 Mietflächen für Personal verringert (siehe Anlage 9 zum Schriftsatz der Beklagten vom 22. April 2021, Blatt 228 ff der Akte). Und nicht zuletzt hat sie die unternehmerische Entscheidung zur Grundlage des mit der PV verhandelten Interessenausgleichs gemacht und neben der Kündigung des Klägers im vorgesehenen Umfang im Oktober 2020 auch weitere Entlassungen vorgenommen.

(5) Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen, freien oder freiwerdenden Arbeitsplatz, welche die streitgegenständliche Kündigung hätte unnötig werden lassen, hatte die Beklagte für den Kläger nicht. Die Beklagte hat dies vorgetragen, der Kläger hat nicht dargelegt, wie und wo er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt. Damit ist von dem Fehlen einer solchen Möglichkeit auszugehen.

bb) Die Kündigung ist auch nicht gemäß § 1 Absatz 3 Satz 1 KSchG sozialwidrig. Die Beklagte hat die Auswahl der Ende November 2020 zu kündigenden Beschäftigten bezogen auf die Beschäftigungsgruppen vorgenommen, wobei sie die Kriterien des § 1 Absatz 3 Satz 1 KSchG in zulässiger Weise und ohne Überschreitung ihres Beurteilungsspielraums in einem Punktesystem gewichtet hat. Hiernach gehörte der Kläger zu den 70 First Officer mit der geringsten sozialen Schutzwürdigkeit. Selbst wenn man annähme, die Beklagte habe die Umrechnung der im Bereich der First Officer überzähligen 130 VZÄ auf 134 überzählige Beschäftigte nicht schlüssig dargelegt und man zu ihren Lasten nur einen um vier First Officer geringeren Überhang annehmen würde, so dass entsprechend den Berechnungen im Interessenausgleich und 6 anderweitigen Abgängen nur 66 First Officer Ende 2020 zur Kündigung hätten herangezogen werden können, wäre der Kläger aufgrund seines Ranges in der Sozialauswahl hiervon erfasst. Der Kläger seinerseits hat gemäß § 1 Absatz 3 Satz 3 KSchG Tatsachen nicht vorgetragen, die die Kündigung gleichwohl als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satz 1 erscheinen lassen.

cc) Die Beklagte hat das Konsultationsverfahren mit der PV nach § 17 Absatz 2 KSchG vor Ausspruch der Kündigung vom 25. November 2020 ordnungsgemäß eingeleitet, durchgeführt und abgeschlossen. § 17 KSchG ist.

(1) Der in § 17 KSchG geregelte und vorliegend gemäß § 17 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 KSchG einschlägige besondere Kündigungsschutz bei Massenentlassungen unterfällt in zwei getrennt durchzuführende Verfahren mit jeweils eigenen Wirksamkeitsvoraussetzungen, nämlich die in § 17 Absatz 2 KSchG normierte Pflicht zur Konsultation des Betriebsrats einerseits und die in § 17 Absatz 1, Absatz 3 KSchG geregelte Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit andererseits. Das Konsultationsverfahren, das auch vor einer Betriebsstilllegung durchzuführen ist, steht selbständig neben dem Anzeigeverfahren. Beide Verfahren dienen in unterschiedlicher Weise der Erreichung des mit dem Massenentlassungsschutz verfolgten Ziels. Jedes dieser beiden Verfahren stellt ein eigenständiges Wirksamkeitserfordernis für die im Zusammenhang mit einer Massenentlassung erfolgte Kündigung dar (BAG, Urteil vom 13. Juni 2019 – 6 AZR 459/18 –, BAGE 167, 102-121, Randnummer 40). Da der Kläger beide Unwirksamkeitsgründe bereits mit der Klageschrift geltend gemacht hat, sind diese auch in der Berufungsinstanz zu prüfen, selbst wenn der Kläger sie in der Berufungsbegründung nicht erneut aufgegriffen hat. Das Vorbringen des Arbeitgebers zu einem innerhalb der im § 6 KSchG vorgesehenen Zeitraum geltend gemachten Unwirksamkeitsgrund hat das mit der Sache befasste Gericht grundsätzlich selbst dann auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen, wenn der Arbeitnehmer ihm im weiteren Verlauf des Prozesses nicht nochmals entgegengetreten ist (BAG, Urteil vom 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Randnummer 49). Dass er an der Rüge der genannten Unwirksamkeitsgründe nicht mehr festhalte (dazu: BAG, Urteil vom 20. Juni 2013 – 2 AZR 546/12 –, BAGE 145, 278-295, Randnummern 45 bis 47), hat der Kläger nicht vorgetragen.

(2) Auch wenn § 17 Absatz 2 KSchG nur von „Betriebsräten“ spricht, ist er unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass er in Regelungsbereichen, in denen das BetrVG nicht gilt und daher kein Betriebsrat gewählt werden kann, aber ein dem Betriebsrat vergleichbares Gremium vorgesehen ist, das die Interessen der Belegschaft gegenüber dem Arbeitgeber vertritt, die Beteiligung dieses Gremiums anordnet (BAG, Urteil vom 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19 –, BAGE 169, 362-403, Randnummer 63). Das trifft vorliegend auf die PV zu.

(3) Die Beklagte hat die PV mit Schreiben vom 30. Juni 2020 unter Mitteilung der gemäß § 17 Absatz 2 Satz 1 KSchG erforderlichen Angaben zu den ursprünglich ab November 2020 vorgesehenen 738 Entlassungen unterrichtet. Dass sie diese Unterrichtung mit der Unterrichtung nach § 62 Absatz 1 TVPV verbunden hat, ist unschädlich. Soweit die ihm obliegenden Pflichten aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG mit denen nach § 111 Satz 1 BetrVG (hier: § 62 Absatz 1 TVPV) übereinstimmen, kann der Arbeitgeber sie gleichzeitig erfüllen. Voraussetzung ist, dass der Betriebsrat (hier: die PV) klar erkennen kann, dass die Handlungen des Arbeitgebers (auch) der Erfüllung der Konsultationspflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG dienen sollen (BAG, Urteil vom 13. Juni 2019 – 6 AZR 459/18 –, BAGE 167, 102-121, Randnummer 42). Das wird vorliegend im Schreiben vom 30. Juni 2020 hinreichend deutlich gemacht.

(4) Die Beklagte hat mit der PV unstreitig im Zeitraum bis zum 21. Oktober 2020 über die geplante Massenentlassung, die Vermeidung von Entlassungen und Gegenvorschläge der PV beraten. Dabei hat sie sich mit der PV auf eine Durchführung der ursprünglich insgesamt für November 2020 vorgesehenen Entlassungen in zwei Teilschritten geeinigt. In Ziffer 6 des Interessenausgleichs hat die PV sodann erklärt, keine Möglichkeiten zur Vermeidung der nach Abschluss der Verhandlungen vorgesehenen Entlassungen zu sehen und dies als abschließende Stellungnahme bezeichnet. Damit war das Konsultationsverfahren abgeschlossen.

dd) Die Beklagte hat die PV vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung mit dem PV-Vorsitzenden am gleichen Tag zugegangenem Schreiben vom 17. November 2020 gemäß § 57 Absatz 1 TVPV angehört. Sie hat der PV darin die sozialen Daten des Klägers und in einer Anlage zu dem Schreiben die sozialen Daten aller anderen Beschäftigten des fliegenden Personals mitgeteilt. Sie hat zudem die Kündigungsgründe erläutert. Sie hat ferner mitgeteilt, dass dem Kläger noch im November 2020 fristgerecht gekündigt werden solle und welche Kündigungsfrist einschlägig sei. Irrelevant ist, dass sie nicht auch den Zeitpunkt mitgeteilt hat, zu dem die Kündigung ausgesprochen werden sollte. Der Arbeitgeber darf zwar nicht gänzlich offenlassen, wann, unter Einhaltung welcher Frist und zu welchem Zeitpunkt Kündigungen ausgesprochen werden sollen. Für eine ordnungsgemäße Anhörung genügt es, dass das ungefähre Vertragsende und die zwischen Ausspruch der Kündigung und Entlassungstermin liegende Zeitdauer in etwa abgeschätzt werden kann. Eine ganz exakte Kenntnis ist schon deshalb nicht erforderlich, weil in der Regel nicht sicher ist, zu welchem Zeitpunkt die Kündigung zugeht (BAG, Urteil vom 15. Dezember 1994 – 2 AZR 327/94 –, Randnummer 28, juris). Vorliegend konnte die PV das ungefähre Vertragsende abschätzen, da ihr der voraussichtliche Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung („noch im November 2020“) und die Kündigungsfrist („3 Monate zum Monatsende“) mitgeteilt wurden. Die PV widersprach der Kündigung bis zum Ablauf der Frist des § 57 Absatz 2 Satz 1 TVPV am 24. November 2020 nicht. Damit konnte die Beklagte die dem Kläger am 25. November 2020 zugegangene Kündigung aussprechen.

ee) Die Beklagte hat mit am 23. November 2020 bei der für die in Schönefeld gelegene und zu diesem Zeitpunkt dort ausschließlich betriebene Station BER zuständigen Agentur für Arbeit Cottbus eingegangenem Schreiben vom 20. November 2020 eine Massenentlassungsanzeige erstattet. Diese enthielt alle nach § 17 Absatz 3 Satz 4 KSchG erforderlichen Angaben. Die gemäß § 17 Absatz 3 Satz 2 KSchG beizulegende Stellungnahme der PV zu den Entlassungen ergab sich aus dem beigefügten Interessenausgleich vom 21. Oktober 2020, dort unter Ziffer 6.

ff) Dass die Beklagte nicht gemäß § 17 Absatz 3 Satz 1 KSchG gleichzeitig mit dem an die PV gerichtetem Schreiben zu Einleitung des Konsultationsverfahrens vom 30. Juni 2020, sondern erst mit der Massenentlassungsanzeige vom 20. November 2020 Agentur für Arbeit eine Abschrift dieses Schreibens zuleitete, führt nicht zur Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung.

(1) Wollte man in der Verletzung der in § 17 Absatz 3 Satz 1 KSchG geregelten Pflicht der Beklagten einen zur Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung führenden Grund sehen, so wäre dieser auch im Berufungsverfahren noch relevant, weil der Kläger in der Klageschrift eine nicht ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige gerügt hat und die Erfüllung der Pflicht des § 17 Absatz 3 Satz 1 KSchG zum ordnungsgemäßen Gang des Massenentlassungsanzeigeverfahrens gehört (offen gelassen: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 13. Oktober 2021 – 12 Sa 279/21 –, Randnummer 160, juris). Die sich aus dieser Vorschrift ergebende Pflicht soll nämlich im Zusammenhang mit der späteren Massenentlassungsanzeige das gemeinsame Handeln von Arbeitgeber, für die Massenentlassungsanzeige zuständiger Behörde - in Deutschland die zuständige Agentur für Arbeit - sowie Arbeitnehmervertretung befördern (zu Artikel 2 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Massenentlassungsrichtlinie: BAG, EuGH-Vorlage vom 27. Januar 2022 – 6 AZR 155/21 (A) –, Randnummer 25, juris). Dass der Kläger sich in der Berufungsinstanz nicht erneut ausdrücklich auf das Fehlen einer ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige berufen hat, ist, wie bereits ausgeführt, unerheblich. Allerdings entfiele die Verpflichtung der Berufungskammer, auch einen sich möglicherweise aus § 17 Absatz 3 Satz 1 KSchG ergebenden Unwirksamkeitsgrund zu prüfen, nicht, wenn man davon ausgeht, der Kläger habe sich trotz des mit Beschluss des Arbeitsgerichts vom 17. Dezember 2020 erfolgten Hinweises nach § 6 Satz 2 KSchG nicht bis zu Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz auf eine aus § 17 Absatz 3 Satz 1 KSchG folgende Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung berufen. Wenn sich nämlich aus dem Sachvortrag der Parteien - auch des Arbeitgebers als Beklagtem - ergibt, dass die Kündigung unter einem bisher von keiner Partei ausdrücklich angeführten rechtlichen, vom Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage erfassten Gesichtspunkt unwirksam ist, muss sich der Arbeitnehmer nicht ausdrücklich darauf berufen, um im Rechtsstreit unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt zu obsiegen (BAG, Urteil vom 18. Januar 2012 – 6 AZR 407/10 –, BAGE 140, 261-276, Randnummer 26). Da sich vorliegend aus dem Sachvortrag der Beklagten ergibt, dass sie der Arbeitsagentur das Schreiben an die PV vom 30. Juni 2020 nicht „gleichzeitig“, sondern erst mit der Massenentlassungsanzeige zugeleitet hat, musste sich der Kläger hierauf nicht berufen.

(2) § 17 Absatz 3 Satz 1 KSchG stellt jedoch eine bloß verfahrensordnende Vorschrift dar. Ihre Verletzung verlangt im Hinblick auf Artikel 2 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Massenentlassungsrichtlinie auch unter Berücksichtigung des Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes im nationalen Recht nicht nach der gleichen Rechtsfolge wie ein Verstoß gegen die Anzeige- oder Konsultationspflicht und zieht damit nicht die Nichtigkeit der Kündigung des von der Massenentlassung betroffenen einzelnen Arbeitnehmers nach sich (BAG, EuGH-Vorlage vom 27. Januar 2022 – 6 AZR 155/21 (A) –, Randnummer 30, juris). Der Zweck der Massenentlassungsanzeige besteht darin, es der zuständigen Behörde zu ermöglichen, innerhalb der Frist des Artikel 4 Absatz 1 der Massenentlassungsrichtlinie (sog. Entlassungssperre), die grundsätzlich 30 Tage beträgt, nach Lösungen für die durch die beabsichtigten Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme zu suchen. Dies stellt Artikel 4 Absatz 2 der Massenentlassungsrichtlinie klar. Die Massenentlassungsrichtlinie knüpft ein Tätigwerden der zuständigen Behörde daher erst an die Anzeige des Arbeitgebers gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Massenentlassungsrichtlinie. Dies spricht dafür, dass die zeitlich vorher liegende Übermittlungspflicht des Artikel 2 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Massenentlassungsrichtlinie und somit auch § 17 Absatz 3 Satz 1 KSchG nach der Konzeption der Richtlinie keinen individualschützenden Charakter haben kann. Ein solcher Schluss wäre auch insofern folgerichtig, als vor Abschluss der Konsultationen mit der Arbeitnehmervertretung noch nicht endgültig feststeht, ob und wie viele Arbeitnehmer wann auf den Arbeitsmarkt gelangen und welche Arbeitnehmer betroffen sein werden (BAG, EuGH-Vorlage vom 27. Januar 2022 – 6 AZR 155/21 (A) –, Randnummer 29, juris; ebenso: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 13. Oktober 2021 – 12 Sa 279/21 –, Randnummer 157, juris).

b) Da das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die streitgegenständliche Kündigung beendet wurde, besteht aus den vom Arbeitsgericht angeführten Gründen kein Anspruch auf ein Zwischenzeugnis.

c) Das gleiche gilt für die begehrte Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung, weil die Berufungskammer die Wirksamkeit der angegriffenen Kündigung feststellt und keine Umstände vorliegen, die es der Beklagten gleichwohl zumutbar machen, den Kläger als Second Officer auch nur vorübergehend zu beschäftigen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

IV. Die Kammer hat die Revision des Klägers gemäß § 72 Absatz 2 Nummer 1 ArbGG im Hinblick auf die Fragezugelassen, ob die Verletzung der Pflicht des Arbeitgebers, der Arbeitsagentur eine Abschrift des Schreibens an die Beschäftigtenvertretung zur Einleitung des Konsultationsverfahrens „gleichzeitig“ zuzuleiten, zur Unwirksamkeit der im Rahmen der Massenentlassung später ausgesprochenen Kündigungen führen kann. Sie hat davon abgesehen, die Verhandlung in analoger Anwendung des § 148 ZPO bis zur Erledigung des nach dem Vorlagebeschluss des BAG vom 27. Januar 2022 (6 AZR 155/21 (A)) beim EuGH unter dem Geschäftszeichen C-134/22 anhängigen Verfahren auszusetzen. Die vorliegend maßgebliche Rechtsfrage (führt die verspätete Zuleitung der Unterrichtung der Beschäftigtenvertretung zur Einleitung des Konsultationsverfahrens zur Unwirksamkeit der im Rahmen der Massenentlassung später ausgesprochenen Kündigungen?) stellt sich in dem beim EuGH anhängigen Verfahren nicht, weil in dem diesem Verfahren zugrundeliegenden Sachverhalt der zuständigen Behörde die Unterrichtung nicht verspätet, sondern zu keinem Zeitpunkt zugeleitet wurde. Weil die Massenentlassungsrichtlinie, anders als § 17 Absatz 3 Satz 1 KSchG, hinsichtlich der Zuleitung keine zeitlichen Vorgaben macht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beantwortung der Vorlagefrage des BAG durch den EuGH zum Zweck des Artikel 2 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Massenentlassungsrichtlinie für die vorliegende Fallgestaltung hinreichend aussagekräftig ist.