Gericht | VG Potsdam 12. Kammer | Entscheidungsdatum | 27.06.2022 | |
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Aktenzeichen | 12 K 2546/16.A | ECLI | ECLI:DE:VGPOTSD:2022:0627.12K2546.16.A.00 | |
Dokumententyp | Gerichtsbescheid | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Nr. 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. Juni 2016 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der am geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit. Er hat noch sechs Geschwister.
Der Kläger verließ nach seinen Angaben Syrien im Dezember 2015 auf dem Landweg in die Türkei. Von dort reiste er mit dem Boot über die Meerenge nach Griechenland und weiter über Mazedonien, Serbien, Kroatien, Slowenien und Österreich nach Deutschland, wo er am 18. Februar 2016 einreiste.
Am 3. März 2016 stellte der Kläger beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) seinen Asylantrag.
Mit Zuweisungsentscheidung der Zentralen Ausländerbehörde des Landes Brandenburg wurde der Kläger am 25. Mai 2016 dem Landkreis Prignitz zugewiesen.
Am 13. Juni 2016 wurde der Kläger in Eisenhüttenstadt vom Bundesamt angehört. Laut dem darüber gefertigten Protokoll gab der Kläger an, er habe nie einen Reisepass beantragt. Den Personalausweis habe er auf der Flucht verloren. Aufgrund seines Alters und nachdem er die Schule beendet habe, hätte er zum Militärdienst antreten sollen. Das habe er nicht gemacht, weil er nicht im Bürgerkrieg mitmachen wolle. Die Regierung und die Rebellen bekämpften sich gegenseitig und hetzten sich gegenseitig auf. Es gebe viele Gruppen, die gegen das Regime seien, aber sich gegenseitig bekriegten. Das Schlimmste aber seien die Leute vom IS; sie terrorisierten alle anderen. Wegen geringster Kleinigkeiten beschimpften sie einen und sagten, dass man ein Sünder sei. Sie töteten dann völlig wahllos; das habe er selbst gesehen.
Sie seien in ihrem Dorf eingekesselt; man habe kaum nach draußen gelangen können. Wenn dann doch mal jemand von seinen Kumpeln rausgekommen sei, dann sei es immer wieder vorgekommen, dass die Militärs vom Regime diesen geschnappt, verhört und ihn dann in den Kriegsdienst geschickt hätten. Er selbst habe einmal an einer Demonstration gegen das Regime teilgenommen. Dabei hätten sie seinen Namen herausgekriegt und seine persönlichen Daten an den Geheimdienst weitergegeben. Freunde hätten ihm das erzählt. Einige von ihnen seien an Check Points verhaftet und verhört worden und dabei seien sie auch zu seiner Person befragt worden. Dabei hätten sie das erfahren.
Mit einem am 20. Juni 2016 in Berlin gefertigten Bescheidentwurf, der nicht unterschrieben ist, aber am 22. Juni 2016 im Entscheidungszentrum West ausgefertigt wurde, erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu. Sein weitergehender Schutzantrag wurde unter Nr. 2 des Bescheidentwurfs abgelehnt.
Auf die ihm zugegangene Ausfertigung des Bescheidentwurfs hat der Kläger am 15. Juli 2016 durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erheben und einen Wiedereinsetzungsantrag stellen lassen.
In der Sache ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Klageerhebung zunächst vortragen, die Weigerung, den Kriegsdienst zu leisten, führe einerseits zum Vorwurf der Illoyalität gegenüber dem Regime Assad, was politische Verfolgung nach sich ziehe. Zum anderen bestehe Anspruch auf die Flüchtlingseigenschaft wegen der Weigerung, an völkerrechtswidrigen Handlungen teilzunehmen.
Mit Schriftsatz vom 18. November 2016 ließ der Kläger in der Sache vortragen, er sei in der Anhörung nicht umfassend befragt worden. Er stamme aus Al Jeesah in der Nähe von Dara`a. Der Ort sei zurzeit unter Kontrolle aufständischer Einheiten. Der Kläger sei verheiratet und habe ein Kind im Alter von etwa sechs Monaten. Zur Zeit der Geburt des Kindes sei der Kläger schon nicht mehr in Syrien gewesen.
Nach seinem 18. Geburtstag sei der Kläger der gesetzlichen Verpflichtung nachgekommen, sich beim Militär registrieren und mustern zu lassen. Die Musterung sei in Dara`a erfolgt. Der Kläger habe seinen Militärpass und die Mitteilung erhalten, dass man sich bei ihm melden werde.
2010 habe der Kläger den Aufschub des Militärdienstes wegen der Absicht beantragt, ein Studium aufzugeben. Diesem Antrag sei stattgegeben worden. Es sei zunächst ein Aufschub von einem Jahr bewilligt worden. Der Kläger habe nach seinem Abitur zunächst BWL studieren wollen. Zu einem Studium sei es aber nicht gekommen, weil der Kläger in Dara`a nicht aufgenommen wurde. Ein Studium in Damaskus habe er nicht finanzieren können. Nach den Vorfällen in Dara`a habe der Kläger selbst an einer Demonstration in Al Jeesah gegen Assad teilgenommen.
Im Mai 2011 habe der Kläger den Aufruf vom Militär erhalten, sich beim Militär in Darakhan zu melden. Als Termin sei der November 2011 genannt worden. Der Kläger sei dem nicht nachgekommen. Etwa zur gleichen Zeit habe der Kläger von Bekannten, die vom syrischen Geheimdienst verhört worden seien, erfahren, dass nach ihm wegen der Teilnahme an der Demonstration gefragt worden sei. Da der Heimatort seitdem unter der Kontrolle der Opposition stehe, sei es nicht gelungen, ihn festzunehmen. 2014 und 2015 hätten im Heimatort die Männer zunehmend die Aufforderung erhalten, für die Opposition in den Kampf zu ziehen. Der Kläger lehne dies ab und habe sich zur Flucht entschlossen. Diese sei vom Heimatort durch die Wüste Richtung Osten bis kurz vor Deir-Ez-Zor und von dort Richtung Aleppo und Idlib durch Oppositionsgebiet erfolgt. In der Nähe von Idlib habe der Kläger die syrisch-türkische Grenze überschritten. Check Points habe er vermieden bzw. die dort anwesenden Soldaten bestochen.
Dem Kläger drohe die Einziehung in den Kriegsdienst durch die syrische Armee. Da er der Aufforderung, sich zu melden, nicht nachgekommen sei, gelte er als Deserteur. Der Kläger lehne die Übernahme vom Kriegsdienstverpflichtungen ab. Auch deswegen stehe ihm die Flüchtlingseigenschaft zu.
Neben der Flucht vor dem Militär sei die Teilnahme an einer Demonstration gegen Assad wie auch die Herkunft aus einem Gebiet, welches unter Kontrolle der Opposition stehe, beim Kläger gefahrerhöhend. Wegen der weiteren Einzelheiten des Schriftsatzes vom 18. November 2016 wird auf die Blätter 35 bis 39 der Gerichtsakten verwiesen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
Den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. Juni 2016 zu Ziffer 2 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 3 Asylgesetz vorliegen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Klage entgegengetreten.
Mit Beschluss vom 4. März 2019 übertrug die Kammer den Rechtsstreit der damals zuständigen Berichterstatterin zur Entscheidung als Einzelrichterin.
Die vom Kläger gemachten tatsächlichen Angaben hat die Beklagte nicht in Zweifel gezogen. Der Aufforderung des Gerichts vom 8. April 2022, die vollständigen Originalverwaltungsvorgänge des Bundesamtes vorzulegen, namentlich die bei ihr eingereichten und erstellten schriftlichen Unterlagen in ihrer originalen Papierform, ist die Beklagte nicht nachgekommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die dazu von der Beklagten vorgelegten Ausdrucke elektronisch gespeicherter Daten des Bundesamtes (Beiakten Heft 1) sowie die am 26. April 2022 eingereichten PDF-Dateien, die das Gericht ausdrucken und als Beiakten Heft 2 anlegen ließ, verwiesen.
Der Unterzeichner entscheidet das Verfahren als Einzelrichter.
Die Einzelrichterübertragung ist nicht an die Person der zum Übertragungszeitpunkt zuständigen Richterin gebunden. An ihre Stelle tritt vielmehr der nunmehr nach dem Geschäftsverteilungsplan der Kammer zuständige Berichterstatter als Einzelrichter (vgl. auch Kronisch in Sodan/Ziekow, VwGO Großkommentar, 5. Aufl. 2018, Anmerkung 53 zu § 6 VwGO).
Gemäß § 84 VwGO kann nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
Die Klage ist zulässig (A.) und begründet (B.).
A. Die Klage ist zulässig, insbesondere nicht verfristet, weil eine Klagefrist nicht in Lauf gesetzt wurde. Der Lauf der Klagefrist setzt die Zustellung der Entscheidung des Bundesamtes voraus, § 74 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz AsylG. An der wirksamen Zustellung eines Bescheides fehlt es.
Die Entscheidung des Bundesamtes auf einen Asylantrag ergeht schriftlich, § 31 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Die Schriftform eines Bescheides des Bundesamtes erfordert nicht nur die Schriftlichkeit des Textes, sondern auch eine Unterschrift. Die Unterschrift erfüllt dabei mehrere Funktionen. Sie hat zunächst eine Beweisfunktion für den Verwaltungsakt dahingehend, dass die Behörde vor übereilten Entscheidungen geschützt wird, indem etwa schlichte Entwürfe versandt werden. Darüber hinaus belegt die Unterschrift die Vollständigkeit des Bescheides, weil sie diesen abschließt. Daneben erfüllt die Unterschrift eine Garantiefunktion. Die Unterschrift soll sicherstellen, dass Verwaltungsakte nur von der zeichnungsberechtigten Person und damit von dem den Verwaltungsakt verantwortenden Amtswalter erlassen werden (vgl. U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG Kommentar, 9. Aufl. 2018, Anm. 99 zu § 37 VwVfG und Kopp/Ramsauer VwVfG Kommentar, 22. Aufl., Anmerkung 31-34 zu § 37 VwVfG).
Damit wird für die Zustellung eines Bescheides vorausgesetzt, dass die Urschrift vom Aussteller unterzeichnet ist und dass Ausfertigung bzw. beglaubigte Abschrift textlich mit der Urschrift übereinstimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 1990 - 6 C.98 -in BVerwGE 109, 336, 345 f.).
An einer unterzeichneten Urschrift eines Bescheides fehlt es hier. Die Beklagte hat keine schriftlichen Unterlagen vorgelegt, anhand derer sich feststellen lässt, dass die Entscheidung vom 20. Juni 2016 tatsächlich schriftlich im Sinne von § 31 Abs. 1 S. 1 AsylG ergangen ist. Damit erweist sich die Zustellung der Abschrift eines Bescheides dieses Datums als unwirksam. Diese konnte deshalb die Klagefrist nicht in Lauf setzen.
Die Klage ist indes nunmehr wegen des überlangen Zeitablaufs zweifelsfrei als Untätigkeitsklage gemäß § 75 S. 1 VwGO zulässig.
B. Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Zunächst ist die Nr. 2 des unwirksamen Bescheides vom 20. Juni 2016 aufzuheben (1.). Darüber hinaus hat der Kläger einen Anspruch als Flüchtling anerkannt zu werden (2.).
1.) Allein wegen des fehlenden Originalbescheides ist die Nummer 2 des Bescheides vom 20. Juni 2016 aufzuheben, ohne dass es darauf ankommt, ob der Bescheid nichtig (so Ruffert in Knack/Henneke, VwVfG Kommentar, 11. Aufl. 2020, Anm. 51 zu § 37 VwvfG) oder lediglich schlicht rechtswidrig (so Kopp/Ramsauer a.a.O. Anm. 36 b zu § 37 VwVfG) ist (vgl. auch VG Potsdam, Urteil vom 4. Mai 2022 - VG 12 K 1900/20.A (ehemals: 12 K 458/16.A) – Seite 5 des Urteilabdrucks).
2.) Die Klage ist auch mit ihrem Verpflichtungsbegehren in der Sache erfolgreich. Der Kläger hat nach der Sach- und Rechtslage in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, denn er hat in Syrien als Wehrdienstentzieher und Kriegsdienstverweigerer mit flüchtlingsschutzrelevanter Verfolgung zu rechnen.
Der rechtliche Rahmen der materiellen Prüfung stellt sich wie folgt dar: Gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Wenn sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor einer Verfolgung wegen eines der genannten Merkmale außerhalb seines Herkunftslandes befindet und er dessen Schutz nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, ist er ein Flüchtling gemäß § 3 Abs. 1 AsylG. Dann wird gemäß § 3 Abs. 4 AsylG einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention keine Abweichung zulässig ist. Eine Verfolgungshandlung kann nach § 3 a Abs. 1 Nr. 2 AsylG auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3 a Abs. 2 AsylG können als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 unter anderem die dort im Einzelnen aufgeführten Handlungen gelten, insbesondere die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt (Nr. 1) und unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (Nr. 3). Weiter kann danach die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Nr. 5).
Für die Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG enthält § 3 b AsylG nähere Bestimmungen darüber, was bei der Prüfung der Verfolgungsgründe zu berücksichtigen ist. Insbesondere bestimmt § 3 b Abs. 2 AsylG, dass es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich ist, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden. Zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3 b AsylG und den Verfolgungshandlungen nach § 3 a Abs. 1 und 2 AsylG muss nach § 3 a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen, d.h., dass die Verfolgung gerade wegen bestimmter Verfolgungsgründe drohen muss. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines Asylmerkmals erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, juris Rn. 44).
Nach dem durch den Zufluchtgedanken geprägten normativen Leitbild des Flüchtlingsschutzes gelten für die Beurteilung, ob Flüchtlingsschutz zu gewähren ist, unterschiedliche Ansätze. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang, ob ein Schutzsuchender seinen Herkunftsstaat wegen eingetretener oder unmittelbar drohender Verfolgung (Vorverfolgung) verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Im erstgenannten Fall müssen dann stichhaltige Gründe dafür sprechen, dass ein Schutzsuchender nicht erneut von solcher Verfolgung bedroht ist, Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (QualRL). Eine Bedrohung im Herkunftsstaat, die an die Rechtsgüter der §§ 60 Abs. 1 AufenthG und 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG anknüpft, kann auch auf Ereignissen oder Umständen beruhen, die eintreten, nachdem ein Ausländer seinen Herkunftsstaat verlassen hat (Nachfluchtgründe). Dann ist Flüchtlingsschutz zu gewähren, wenn ihm flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Die Feststellung einer an die Merkmale der §§ 60 Abs. 1 AufenthG und 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG anknüpfenden Verfolgung setzt voraus, dass sich das Gericht im vollen Umfang die Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) von der Wahrheit des von einem Schutzsuchenden behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft. Hierbei ist das Gericht nach § 86 Abs. 1 VwGO gehalten, alle für die Entscheidung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs auf Erlass des begehrten Verwaltungsaktes in eigener Verantwortung durch ausreichende Erforschung des Sachverhaltes (vgl. Kopp/Schenke VwGO Kommentar, 24. Aufl., 2018, Anm. 4 zu § 108 VwGO) festzustellen und die Streitsache in vollem Umfang spruchreif zu machen (vgl. Kopp/Schenke, a. a. O., Anm. 193 zu § 113 VwGO, m. w. N.). Dabei sind dem Gericht naturgemäß Grenzen dadurch gesetzt, dass in der Regel vielfach Lebenssachverhalte aufzuklären und zu bewerten sind, die sich im Ausland zugetragen haben (sollen). Insoweit unterliegt die Möglichkeit richterlicher Sachverhaltsermittlung Einschränkungen. Es ist in diesem Zusammenhang deshalb auch zu beachten, dass sich ein schutzsuchender Ausländer typischerweise in einem Beweisnotstand befindet, was die Vorgänge in seinem Herkunftsstaat und die Verfügbarkeit von Beweismitteln betrifft. Dies ist bei der richterlichen Entscheidungsfindung im Hinblick auf die Würdigung des Vortrages eines schutzsuchenden Ausländers zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658; OVG Magdeburg, Urteil vom 25. Mai 2011 - 3 L 374/09 -, zitiert nach juris, Rn. 51; VG Potsdam, Urteil vom 16. September 2016 - VG 12 K 2187/14.A -, S. 8 des Urteilsabdrucks). Daher ist es ausreichend, wenn der Vortrag eines Schutzsuchenden substantiiert ist, eine nachvollziehbare Erklärung für etwaige Lücken gegeben werden kann, sein Vorbringen schlüssig und plausibel ist und nicht im Widerspruch zu den für seinen Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen steht, Art. 4 Abs. 5 a bis c QualRL. Für die Glaubhaftigkeit des Verfolgungsvorbringens gilt nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, dass es einem Schutzsuchenden obliegt, von sich aus umfassend die Gründe für das verfolgungsbedingte Verlassen des Heimatstaates unter Angabe genauer Einzelheiten in sich stimmig darzulegen. Der Vortrag, insbesondere zu den in die eigene Sphäre fallenden Ereignissen, muss geeignet sein, den Schutzanspruch zu tragen. Wesentliche Widersprüche und Steigerungen im Vorbringen führen regelmäßig dazu, dass dieses nicht als glaubhaft angesehen werden kann.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Dem Kläger droht bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien mit überwiegender Wahrscheinlichkeit flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung, denn der Kläger ist aus einer grundsätzlichen Haltung heraus nicht bereit, Kriegsdienst für das Regime Assad zu leisten. Der Kläger hat bereits bei der Anhörung vor dem Bundesamt am 13. Juni 2016 angegeben, er habe nicht im Bürgerkrieg „mitmachen wollen“. Der Kläger hat sodann durch seinen Prozessbevollmächtigten schriftsätzlich vortragen lassen, dass er sich dem Wehrdienst entzogen hat, weil er sich weigere, an völkerrechtswidrigen Handlungen teilzunehmen, und die Übernahme von Kriegsdienstverpflichtungen ablehne. Diese Angaben werden von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Bei der prognostisch zu unterstellenden Rückkehr des Klägers nach Syrien hat er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dort mit Verfolgung durch staatliche Stellen zu rechnen, die an seine Haltung anknüpft, nicht für das Regime des Präsidenten Assad Wehr- und Kriegsdienst leisten zu wollen.
Es kann dahinstehen, ob nicht bereits die Verweigerung des Militärdienstes von den syrischen Behörden unabhängig von den persönlichen Gründen des Klägers als ein Akt politischer Opposition ausgelegt wird. Dafür spricht im Übrigen neben dem gewichtigen Argument im Urteil des EuGH vom 19. November 2020 - C-238/19 - (juris Rn. 60) auch deutsches Recht im Zusammenhang mit der Aufhebung rechtsstaatswidriger Entscheidungen in der DDR. Nach dem Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (StrRehaG) ist die strafrechtliche Entscheidung eines staatlichen deutschen Gerichts im Beitrittsgebiet aus der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 2. Oktober 1990 auf Antrag für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben, soweit sie mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist, insbesondere weil die Entscheidung politischer Verfolgung gedient hat. Dies gilt in der Regel für Verurteilungen nach Vorschriften über die Wehrdienstentziehung und Wehrdienstverweigerung nach § 256 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik oder § 43 des Gesetzes über den Wehrdienst in der Deutschen Demokratischen Republik vom 25. März 1982. Wenn die strafrechtliche Verurteilung für Wehrdienstentziehung oder Wehrdienstverweigerung in der Deutschen Demokratischen Republik in der Regel als eine Verurteilung gilt, die der politischen Verfolgung diente, muss dasselbe nach Auffassung des Gerichts erst recht für das ungleich menschenverachtendere und rechtsstaatswidrigere System des Baschar al-Assad in Syrien angenommen werden.
Letztendlich kommt es darauf nicht an, denn nach Maßgabe der Grundsätze des rechtlichen Rahmens ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil er zur Überzeugung des Gerichts in Syrien anknüpfend an eine persönliche Grundhaltung bei einer Rückkehr nach Syrien durch das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mindestens flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung in Form von Strafhaft zu befürchten hat. Diese Verfolgung knüpft an die von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen bewusste Haltung und Entscheidung des Klägers an, keinen Wehrdienst in der Armee des Diktators Assad leisten zu wollen.
Ein gesteigertes oder gar widersprüchliches Vorbringen liegt nicht vor, denn der Kläger hat bereits bei seiner Anhörung deutlich gemacht, dass er sich am Bürgerkrieg nicht beteiligen will, auch nicht auf Seiten des Regimes Assad. Die auf dieser Überzeugung beruhende Wehrdienstentziehung lässt regelmäßig auf eine Verfolgung mit unterstellter oppositioneller, politischer Überzeugung schließen, mit der Folge, dass die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG anzuerkennen ist.
Die Haltung des Klägers wird spätestens bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien auch gegenüber staatlichen syrischen Stellen zutage treten. Denn bei einer Rückkehr aus dem Ausland werden Berichten zufolge regelmäßig die Aufzeichnungen zum Wehrdienst der Rückkehrenden überprüft (vgl. UNHCR Februar 2017: Relevante Herkunftsland Informationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Leitfadens für Syrien, Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien -„illegale Ausreise“ aus Syrien und verwandte Themen, S. 28). Im Rahmen der Rückkehrbefragung werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Wehrdienst des Klägers und seine Loyalität zum Regime zum Thema gemacht. Wenn der Kläger seine Überzeugung nicht verleugnet oder gar aufgibt - wozu er nicht verpflichtet ist - oder der syrische Staat bereits aufgrund seiner Auslandsaufklärung Kenntnis von dieser Überzeugung hat (vgl. zur Spionagetätigkeit der syrischen Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland die Rechtsprechung des Gerichts, zuletzt VG Potsdam, Urteil vom 22. März 2018 - VG 12 K 2258/16.A -, S 8 ff. des Urteilsabdrucks, mit Nachweisen aus den Verfassungsschutzberichten 2012, 2013 und 2015, woran sich ersichtlich nichts geändert hat), wird der Kläger mit staatlichen Verfolgungsmaßnahmen anknüpfend an die auf seiner grundsätzlichen Haltung beruhende Ablehnung des Wehrdienstes zu rechnen haben. Damit ist sein Fall nicht mit denjenigen vergleichbar, die das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg seiner Rechtsprechung zugrunde legte, wonach männliche Rückkehrer im militärdienstfähigen Alter nicht allein wegen ihrer Flucht (gemeint: Ausreise), der Asylantragstellung und des Auslandsaufenthalts als potentielle Regimegegner angesehen werden (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. November 2020 – OVG 3 N 136/20 unter Verweis auf OVG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 21. März 2018 - OVG 3 B 23.17 -, juris Rn. 21 ff., - OVG 3 B 28.17 - juris Rn. 24 ff.; Urteil vom 10. Oktober 2018 - OVG 3 B 24.18 -, juris 21 ff.; anders noch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Januar 2014 - OVG 3 N 91.13 -, juris und auch das vorgehende Urteil des VG Frankfurt (Oder) vom 28. Juni 2013 - 3 K 370/10.A - sowie die Entscheidungspraxis der Beklagten bis in das Jahr 2016), denn in seinem Fall besteht eine Verknüpfung zwischen seiner Haltung und der ihm drohenden Verfolgung durch den syrischen Staat. Es handelt sich bei dem Kläger - anders als in den von dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschiedenen Fällen - nicht um eine Person, die im wehrdienstpflichtigen Alter ist und die aufgrund ihrer Ausreise und ihres Auslandsaufenthalts nicht zum Wehrdienst in den syrischen Streitkräften herangezogen werden kann, sondern um jemanden, der angibt, sich bewusst dazu entschieden zu haben, dem syrischen Regime nicht in dessen Armee zu dienen und deshalb der Einberufung in dieser Armee nicht gefolgt zu sein. Dafür muss der Kläger mit Strafhaft rechnen. Die dem Kläger wegen seiner Haltung drohende Strafverfolgung stellt sich als politische Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar. Die Haltung des Klägers, an die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung in Syrien anknüpfen wird, ist übrigens rechtlich nicht zu beanstanden, sondern steht vielmehr im Einklang mit fundamentalen Grundsätzen des internationalen Rechts. Sie ist eine geradezu rechtlich erwünschte Haltung und steht im Übrigen auch im Einklang mit den Grundsätzen einer demokratischen Armee, wie sie sich aus dem Konzept der Inneren Führung etwa der Bundeswehr der Bundesrepublik Deutschland ergeben. Gemäß den Grundsätzen der Inneren Führung sind die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr gefordert, selbst zu denken und nicht blind zu gehorchen. Die Ausführung verbrecherische Befehle müssen Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr verweigern. Umgekehrt sind Vorgesetzte verpflichtet, nur rechtmäßige Befehle zu erteilen. Die Wehrmacht war im Zweiten Weltkrieg in die Verbrechen des NS-Regimes verstrickt. Sie kann daher keine Tradition für die Bundeswehr begründen. Traditionsstiftend ist dagegen der deutsche Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft, dem sich auch Soldaten der Wehrmacht wie Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg anschlossen (vgl. Die innere Führung – Das Wertegerüst der Bundeswehr, www.bundeswehr.de). Die Verweigerung des Kriegsdienstes durch den Kläger hingegen in der syrischen Armee steht im Einklang mit dem Prinzip der Inneren Führung in der Bundeswehr, deren Tradition und dem Völkerrecht.
Der Dienst beim syrischen Militär und dem Regime nahe stehenden Milizen umfasst gegenwärtig Verbrechen oder Handlungen, die im Sinne von § 3 a Abs. 2 Nr. 5 AsylG unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, die sich mithin als Verbrechen gegen den Frieden, als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen (vgl. so auch VG Bremen, Urteil vom 27. April 2017 - 5 K 1228/16 -, zitiert nach juris, Rn.26 ff und VG Potsdam, Urteil vom 22. März 2018 - VG 12 K 4458/16.A -, S. 18 des Urteilsabdrucks).
Dass der Dienst in der syrischen Armee oder in den Regime nahestehende Milizen mit dem Zwang zu wiederholten und systematisch vorgenommenen völkerrechtswidrigen Handlungen verbunden ist, welche die Grundsätze der Menschlichkeit und des humanitären Völkerrechts missachten, scheint in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung unbestritten (vgl. etwa Verwaltungsgericht Magdeburg, Urteil vom 12. Oktober 2016 - 9 A 175/16 -, VG Sigmaringen, Urteil vom 23. November 2016 - A 5 K 1372/16 -, VG Ansbach, Urteil vom 19. Oktober 2016 - AN 9 K 16.30460 -, VG Stade, Urteil vom 2. November 2016, 10 A 2183/16 -, alle zitiert nach juris, VG Bremen, Urteil vom 27. April 2017 - 5 K 1228/16 -, zitiert nach juris, Rn. 28). Es ist den Gerichten in Deutschland bekannt, dass die verschiedenen, teilweise durch Interessen von außen gesteuerten Konfliktparteien des Bürgerkriegs in Syrien schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts begangen haben (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 18. Oktober 2018 - 2 LB 40/18 -, juris Rn. 66 m. w. N.). Es ist den deutschen Gerichten auch bekannt, dass das syrische Regime seit längerer Zeit einen durch Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gekennzeichneten Vernichtungskrieg führt, der sich auch gegen die Teile der Zivilbevölkerung richtet, die in den von einer anderen Bürgerkriegspartei gehaltenen Gebieten leben und die damit auf der anderen Seite stehen (vgl. so VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Oktober 2018 - A 3 S 791/18 -, juris, Rn. 39).
Kriegsverbrechen sind z.B. Straftaten wie die vorsätzliche Tötung und Folterungen von Zivilpersonen, wahllose Angriffe gegen die Zivilbevölkerung und das mutwillige Vorenthalten eines fairen und ordnungsgemäßen Gerichtsverfahrens gegenüber einer Zivilperson oder einem Kriegsgefangenen, Angriffe gegen jede Person, die nicht oder nicht mehr an Kriegshandlungen teilnimmt, wie etwa verwundete oder kranke Kombattanten, Kriegsgefangene oder Zivilpersonen (vgl. Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 2009, S. 537 Rn. 23 und im Einzelnen Art. 8 des Gesetzes zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 – IStGh-SatutG -).
Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind Handlungen wie Völkermord, Mord, Vergewaltigung, Ausrottung, Versklavung, Vertreibung, Folter und das Verschwindenlassen von Personen oder andere damit vergleichbare Handlungen. Diese Verbrechenskategorie zeichnet sich dadurch aus, dass es sich um gewöhnlich schwerste Verbrechen handelt, die ihren internationalen Charakter erst dadurch erhalten, dass sie zu Unterstützung einer zielgerichteten, staatlichen oder nicht staatlichen Politik begangen werden und zugleich Teil eines groß angelegten und systematischen Angriffs auf eine bestimmte Zivilbevölkerung darstellen (vgl. Marx, a. a. O.; S. 538 Rn. 26 und im Einzelnen Art. 7 IStGh-StatutG ).
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit finden vornehmlich seitens der Truppen und Milizen des Regimes von Baschar al-Assad und von mit ihm verbündeten Organisationen ebenso wie von seinen oppositionellen Kriegsgegnern auch derzeit in Syrien noch in erheblichem Umfang statt.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in seiner Sitzung am 22. Februar 2014 in der Resolution 2139 daran erinnert, dass der Zivilbevölkerung lebensnotwendige Gegenstände vorenthalten und der humanitäre Zugang zu ihnen verweigert wird, einschließlich der vorsätzlichen Behinderung von Hilfslieferungen, und dass diese Maßnahmen einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht darstellen können. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in der Resolution die weit verbreiteten Verstöße gegen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht durch die syrischen Behörden und die Menschenrechtsmissbräuche und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht durch bewaffnete Gruppen entschieden verurteilt. Weiterhin hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verlangt, dass alle Parteien sofort alle Angriffe auf Zivilpersonen sowie den unterschiedslosen Einsatz von Waffen in bevölkerten Gebieten, einschließlich Beschuss und Bombenangriffen wie den Einsatz von Fassbomben, und Methoden der Kriegsführung, die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötiges Leid zu verursachen, einzustellen. Er hat an die Verpflichtung erinnert, zwischen der Zivilbevölkerung und Kombattanten zu unterscheiden. Weiterhin hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen daran erinnert, dass nach dem humanitären Völkerrecht Verwundeten und Kranken so umfassend und so schnell wie möglich die für ihren Zustand erforderliche medizinische Pflege und Betreuung gewährt werden muss und dass medizinisches und humanitäres Personal, Einrichtungen und Transporte geschont und geschützt werden müssen. Zudem hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen entschieden die willkürliche Inhaftierung und Folter von Zivilpersonen in Syrien, namentlich in Gefängnissen und Hafteinrichtungen, sowie den Menschenraub, die Entführungen und das Verschwindenlassen verurteilt und verlangt, dass diese Praktiken sofort beendet und alle willkürlich inhaftierten Personen, zuerst die Frauen und Kinder, sowie Kranke, Verwundete und ältere Menschen, einschließlich Personal der Vereinten Nationen und Journalisten freigelassen werden. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unterstreicht die Notwendigkeit, der Straflosigkeit für Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und für Menschenrechtsverletzungen und -missbräuche ein Ende zu setzen.
In der Folgezeit hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in weiteren Resolutionen eine Einstellung der Feindseligkeiten in Syrien verlangt (vgl. UN Resolutionen 2254 und 2268). In der Resolution 2254 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erneut verlangt, dass alle Parteien alle Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Objekte, einschließlich Angriffen auf medizinische Einrichtungen und Sanitätspersonal, sowie jeden unterschiedslosen Einsatz von Waffen, unter anderem Artillerie- und Bombenangriffe, sofort einstellen.
Bedauerlicherweise haben diese Resolutionen der Vereinten Nationen seitens der Konfliktparteien keine Beachtung gefunden. Die syrische Armee setzte weiterhin Fassbomben ein und verübte Kriegsverbrechen (vgl. so auch OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 - 14 A 2013/16.A -, zitiert nach juris, Rn. 93, m. w. N.). Es wurden Schulen, Märkte und Krankenhäuser angegriffen. Der Einsatz von Waffen erfolgte willkürlich. Neben Fassbomben werden auch Brandwaffen und Streumunition eingesetzt (vgl. UNHCR Februar 2017, a. a. O., S.22). Es kommt im Herrschaftsbereich des Assad Regimes immer wieder zu willkürlichen Festnahmen, Folterungen und Tötungen von Zivilpersonen durch bewaffnete Einheiten.
Ein Mensch, der sich - wie der Kläger - an einem derartigen Krieg durch Ableistung eines Kriegsdienstes aufgrund einer individuellen Grundhaltung nicht beteiligen will, bei einer Entziehung vor einem solchen Kriegsdienst aber nach syrischem Recht in Kriegszeiten mindestens mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren bestraft würde (vgl. SFH-Länderanalyse vom 23. März 2017, S.8 ff), wird gemäß § 3 a Abs. 2 Nr. 5 AsylG flüchtlingsschutzrelevant verfolgt.
Der Europäische Gerichtshof hat für die Regelung des Art. 9 Abs. 2 c der Richtlinie 2004/83, die insoweit mit der nunmehr gültigen QualRL identisch ist, welche wiederum § 3 a Abs. 2 Nr. 5 AsylG zugrunde liegt, entschieden, dass diese Regelung nicht nur für hochrangige Militärs, sondern für alle Militärangehörigen einschließlich des logistischen Unterstützungspersonals gilt. Auch kommt es danach nicht darauf an, ob der Betreffende persönlich Kriegsverbrechen begehen müsste oder ob er, da er nicht zu den Kampftruppen gehört, sondern etwa einer logistischen oder unterstützenden Einheit zugeteilt ist, an deren Begehung nur indirekt beteiligt wäre. Denn nach dem Willen des Unionsgesetzgebers sollte dem allgemeinen Kontext, in dem dieser Militärdienst ausgeübt wird, objektiv Rechnung getragen werden. Der Umstand, dass der Betroffene aufgrund des lediglich indirekten Charakters einer Kriegsbeteiligung nicht persönlich nach den Kriterien des Strafrechts und insbesondere denen des Internationalen Strafgerichtshofs von Strafverfolgung bedroht wäre, steht dem aus Artikel 9 Abs. 2 e der Richtlinie 2004/83, der unverändert Art. 9 Abs. 2 e QualRL entspricht, resultierenden Schutz nicht entgegen (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015, C-472/13 -, zitiert nach juris, Rn. 37). Erforderlich ist es nach der Auffassung des EuGH dagegen, dass der Betreffende die Kriegsverbrechen nicht auf andere Weise, etwa durch ein reguläres Anerkennungsverfahren als Kriegsdienstverweigerer, vermeiden kann (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015, a. a. O., Rn. 44 ff.). Ein solches Verfahren steht dem Kläger in Syrien nicht zur Verfügung. Es gibt in Syrien keine legale Möglichkeit zur Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen (vgl. Auskunft der SFH-Länderanalyse vom 23. März 2017, a. a. O., S. 4).
Mithin kommt es hier nicht darauf an, welcher Einheit der Kläger, der in Syrien keine Möglichkeit hat, sich dem Wehrdienst zu entziehen oder zivilen Ersatzdienst zu leisten, zugeteilt würde und ob diese Einheit selbst unmittelbar an Kriegsverbrechen beteiligt sein wird. Vielmehr ist es ausreichend, dass durch die Truppen des Regimes und den ihnen nahestehende Milizen wiederholt und systematisch Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden und der Kläger daher jedenfalls aufgrund der Massivität und Häufigkeit der von diesen Einheiten in unterschiedlichen Regionen Syriens begangenen Handlungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, bei Ableistung eines Dienstes mit der Waffe, in welcher Einheit und durch welche konkrete Tätigkeit auch immer, durch sein Handeln jedenfalls die Begehung von Kriegsverbrechen und/oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit unterstützen oder mit vorbereiten würde. Im Kontext des syrischen Bürgerkriegs und in Anbetracht der wiederholten und systematischen Begehung von Kriegsverbrechen durch die syrische Armee einschließlich von Einheiten, die aus Wehrpflichtigen bestanden, erscheint die Wahrscheinlichkeit, dass ein Wehrpflichtiger unabhängig von seinem Einsatzgebiet dazu veranlasst wurde, unmittelbar oder mittelbar an der Begehung der betreffenden Verbrechen teilzunehmen, überwiegend wahrscheinlich.
Unabhängig von der bereits allein nach den vorstehenden Ausführungen flüchtlingsschutzrelevanten Bestrafung wegen einer Kriegsdienstverweigerung begründen auch die Maßnahmen im Zusammenhang mit der Strafvollstreckung wegen Kriegsdienstverweigerung ebenfalls den Flüchtlingsschutz. Denn in diesem Fall ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass die Strafhaft in syrischen Gefängnissen mit gegen die Inhaftierten gerichteter willkürlicher Gewaltanwendung verbunden ist (vgl. dazu nur UNHCR Februar 2017, a. a. O., S. 23). Damit sind Verfolgungshandlungen gemäß § 3 a Abs. 2 Nr. 1 AsylG gegeben, die sich flüchtlingsschutzrelevant auswirken.
Anhaltspunkte für einen Ausschluss der Flüchtlingseigenschaft in der Person des Klägers gemäß § 3 Abs. 2 AsylG sind nicht ersichtlich und werden auch von der Beklagten nicht angeführt.
Dem Kläger steht, wovon das Bundesamt im angefochtenen Bescheid im Übrigen selbst ausgeht, keine inländische Fluchtalternative gemäß § 3 e AsylG zur Verfügung.
Demnach ist der Kläger Flüchtling. Diese Eigenschaft hat die Beklagte festzustellen. Es kann deshalb dahinstehen, ob der Kläger auch wegen der von ihm behaupteten Teilnahme an einer Demonstration und seiner Herkunft aus einem von oppositionellen Kräften besetzten Gebiet - wofür in beiden Fällen einiges spricht - flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung in Syrien zu befürchten hat. Auch die Frage, ob dem Kläger in Syrien überhaupt noch eine Verfolgung durch den in der Fläche besiegten IS drohen könnte, kann deshalb dahinstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Gerichtsbescheides wegen der Kosten beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 S. 2 und 711 ZPO.