Gericht | VG Potsdam 3. Kammer | Entscheidungsdatum | 07.10.2022 | |
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Aktenzeichen | 3 L 605/22 | ECLI | ECLI:DE:VGPOTSD:2022:1007.3L605.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 16a Abs 1 S 2 Nr 2 TierSchG |
1. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.
1. Der Antrag der Antragsteller,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage (VG 3 K 1727/22) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. März 2022 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 11. Juli 2022 wiederherzustellen,
hat keinen Erfolg.
a) Hinsichtlich des beschränkten Haltungs- und Betreuungsverbots in Ziffer 1 des Bescheids vom 18. März 2022 ist der Antrag bereits unzulässig, weil insoweit ein Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bereits anhängig ist. Die Antragsteller haben gegen den auch das Haltungs- und Betreuungsverbot betreffenden Beschluss der Kammer vom 30. Mai 2022 (VG 3 L 266/22) Beschwerde eingelegt, das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat über die Beschwerde (OVG 5 S 32/22) noch nicht entschieden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht durch den Erlass des Widerspruchsbescheids, weil die Antragsgegnerin den gegen die Haltungs- und Betreuungsuntersagung erhobenen Widerspruch zurückgewiesen hat, sodass dieses mit identischem Inhalt fortbesteht. Damit fehlt einem weiteren, auf das gleiche Ziel gerichteten Antrag das Rechtsschutzbedürfnis (vgl. Külpmann, in: Finkelnburg/Dombert, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 17. Aufl. 2017, Der erstinstanzliche gerichtliche Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO, Rn. 900). Hinsichtlich der inhaltlich geänderten Veräußerungsanordnung in Ziffer II des Widerspruchsbescheids ist der Antrag als Antrag auf Wiederherstellung des in der Hauptsache erhobenen Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Es kann dahinstehen, ob in der Hauptsache die Klage statthaft oder zunächst ein Widerspruch (noch) zu erheben ist, weil die ursprüngliche Veräußerungsanordnung aufgehoben und eine neue erlassen worden sein dürfte; hinsichtlich letzterer wurde noch kein Widerspruchsverfahren durchgeführt. Jedenfalls könnte der Widerspruch noch fristgerecht erhoben werden, weil angesichts der in diesem Fall inhaltlich unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO noch nicht verstrichen ist.
b) Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegen die Veräußerungsanordnung in Ziffer II des Widerspruchbescheids vom 11. Juli 2022 ist unbegründet.
Die Begründung des besonderen Interesses der Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Sie lässt nachvollziehbar die Erwägungen erkennen, die den Antragsgegner im vorliegenden Fall zur Anordnung der sofortigen Vollziehung hinsichtlich seiner Fortnahmeverfügung bewogen haben.
Die Veräußerungsanordnung erweist sich bei der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig.
Die auf § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG bzw. § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG gestützte Maßnahme ist formell rechtmäßig, insbesondere ist sie hinreichend bestimmt, § 37 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfGBbg. Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist nicht zweifelhaft, welches Verhalten von ihnen verlangt wird. Soweit ihnen nach Ziffer 1 Satz 2 des Ausgangsbescheids erlaubt wird, vier adulte, nicht tragende, nicht säugende und nicht fortpflanzungsfähige Hunde zu halten, steht dies mit der Anordnung, die Veräußerung der nicht-adulten und/oder fortpflanzungsfähigen Hunde zu dulden, im Einklang. Die Annahme, adulte Hunde seien zugleich fortpflanzungsfähig, sodass die Veräußerungsanordnung sämtliche Hunde erfasse, trifft nicht zu, wie bereits aus Ziffer 1 Satz 2 des Ausgangsbescheids ersichtlich wird.
Nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 2. Halbsatz TierSchG kann die zuständige Behörde ein fortgenommenes Tier insbesondere dann veräußern, wenn nach Fristsetzung eine den Anforderungen des § 2 TierSchG entsprechende Haltung durch den Halter nicht sicherzustellen ist. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Kammer geht weiterhin davon aus, dass die Antragsteller nicht in der Lage sind, eine den Anforderungen des § 2 TierSchG entsprechende Haltung sicherzustellen.
Soweit die Antragsteller Gegenteiliges vortragen und insbesondere behaupten, bei der am 20. Januar 2022 aufgefundenen Situation habe es sich um eine Momentaufnahme gehandelt, vermögen auch die neu eingereichten Bescheinigungen des Tierarztes P... vom 30. Juni 2022 und vom 5. Juli 2022 die Feststellungen der amtlichen Tierärztinnen nicht in Zweifel ziehen. Die Bescheinigungen sind nicht ausreichend substantiiert, weisen Widersprüche und den Eindruck der Parteilichkeit auf. So bekundet der Tierarzt, die Tiere der Antragsteller zeigten „keinerlei Berührungsängste oder verstörtes Verhalten“. Zugleich trägt er aber vor, Hunde würden in Tierheimen ihr soziales Verhalten stark verändern; eingeschüchtertes, gar aggressives oder verstörtes Verhalten würde sich aufzeigen. Es ist ohne nähere Erläuterung wenig plausibel, dass sich dieses Verhalten, ungeachtet ob es zutrifft, nur in Tierheimen, nicht aber in sonstiger ungewohnter Umgebung, etwa seiner Praxis zeige. Soweit der Tierarzt seine Bekundungen auf Besuche im Haus der Antragsteller, also auf Situationen stützt, in denen sich die Tiere in vertrauter Umgebung befanden, erschließt sich ein tierärztlicher Grund für die Hausbesuche nicht. Von etwaigen tierärztlichen Notfällen berichtet er nicht. So ist auch nicht glaubhaft, dass die Antragsteller wegen „Wehwehchen“, dann aber zu „jeder Tag- und Nachtzeit“ bei ihm in Behandlung gewesen seien. Insgesamt erwecken die vorgelegten Bescheinigungen den Eindruck, dass zwischen den Antragstellern und Herrn Lemke eine private Verbindung bestehen könnte, hierin auch der Grund der Hausbesuche liegt und die Bescheinigungen aus Gefälligkeit ausgestellt wurden. Die eidesstattlichen Versicherungen der Personen aus dem Bekannten- und Kollegenkreis der Antragsteller sind zur Erschütterung der tierärztlichen Feststellungen wegen ihrer fehlenden Sachkunde von vornherein ungeeignet. Auf die Behauptung der Antragsteller, die bei ihren Hunden festgestellten Verhaltensauffälligkeiten seien auf Umstellungsschwierigkeiten zurückführen, hat der Antragsgegner nachvollziehbar erwidert, dass der Kontakt mit fremden Personen zurückhaltendes Verhalten, nicht aber regelrechte Angstzustände rechtfertige.
Der Antragsgegner durfte ohne die in § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Hs. 2 TierSchG vorgesehene Fristsetzung die Veräußerung der Hunde anordnen. Eine Fristsetzung ist dann entbehrlich, wenn ein zeitnahes ordnungsgemäßes Verhalten des Tierhalters nicht zu erwarten ist oder wenn ein sofort vollziehbar erklärtes Tierhaltungsverbot erlassen wird (VGH München, Beschluss vom 12. März 2020 – 23 CS 19.2486 –, juris Rn. 38 f., juris; VGH München, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 9 C 16.2022 –, juris Rn. 17; VGH Mannheim, Beschluss vom 17. März 2005 – 1 S 381/05 –, juris Rn. 14). Beide Voraussetzungen sind hier gegeben.
Soweit die Antragsteller vortragen, dass die Rechtmäßigkeit der Veräußerung der Tiere die Rechtmäßigkeit der Fortnahme voraussetze, führt auch dies vorliegend nicht zum Erfolg. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass sich ein Fehler in der Fortnahme in der Veräußerung fortsetze und so lange geltend gemacht werden könne, bis die Fortnahmeverfügung bestandskräftig sei (BVerwG, Urteil vom 12. Januar 2012 – 7 C 5.11 –, juris Rn. 31). Der Aussage liegt aber die Annahme zugrunde, dass eine Herausgabe der Tiere an den Halter auch möglich ist. Würde die Rechtmäßigkeit der Fortnahme stets verlangt, träte in Fällen, in denen eine Herausgabe an den Halter ausscheidet, die Situation ein, in der die Tiere weder an den Halter herausgegeben noch veräußert werden dürfen. Dies zwänge letztlich die Behörde dazu, die Tiere dauerhaft anderweitig (auf eigene Kosten) unterzubringen. Es liegt auf der Hand, dass dies nicht gewollt ist, sodass ein Fehler bei der Fortnahme jedenfalls dann nicht auf die Veräußerung durchschlägt, wenn eine Herausgabe der Tiere an den Halter einen rechtswidrigen Zustand herbeiführt. So liegt der Fall aber hier. Eine Herausgabe der Tiere ist vorliegend ausgeschlossen, weil die Antragsteller, wovon die Kammer weiterhin ausgeht, gewerbsmäßig eine Hundezucht betreiben, ohne berechtigt zu sein. Auch unter den elf Tieren, deren Herausgabe sie verlangen, befinden sich mindestens drei fortpflanzungsfähige Hündinnen; insoweit wird auf die Ausführungen im Beschluss der Kammer vom 27. April 2022 – VG 3 L 89/22 – S. 5 f. BA verwiesen.
Ungeachtet dessen dürfte die Fortnahme bzw. die Wegnahme der Tiere im Sofortvollzug aus gegenwärtiger Sicht voraussichtlich rechtmäßig erfolgt sein, insbesondere dürfte die Maßnahme verhältnismäßig gewesen sein (letzteres noch offen gelassen im Beschluss der Kammer vom 27. April 2022 – VG 3 L 89/22 –). Maßgebender Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. Mai 2020 – OVG 6 S 5/20 –, juris Rn. 4; Külpmann, in: Finkelnburg/Dombert, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, Der erstinstanzliche gerichtliche Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO, Rn. 953; vgl. auch Schoch, in: ders./Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: Februar 2022, § 80 VwGO Rn. 413 m.w.N.), sodass wohl auch die im Anschluss an die Fort- bzw. Wegnahme am 20. Januar 2022 getroffenen Feststellungen zur Beurteilung eingestellt werden dürfen, die im Übrigen auf Umständen vor Durchführung der Maßnahme beruhen. Liegen die Voraussetzungen für ein hier mit Bescheid vom 18. März 2022 erlassenes Haltungs- und Betreuungsverbot vor, scheidet eine Anordnung, Missstände bei der Haltung zu beseitigen trotz des festgestellten guten Allgemeinzustands der Tiere als milderes Mittel aus. Die fehlende Zuverlässigkeit und Sachkunde wäre durch eine solche Anordnung nicht auszugleichen.
Auch die Veräußerungsanordnung leidet nicht an Ermessensfehlern, § 114 Satz 1 VwGO. Insbesondere ist sie erforderlich; ein milderes Mittel, etwa eine Kastration der Tiere, kommt mit Blick auf die angenommene Unzuverlässigkeit der Halter nicht in Betracht. Eine Anordnung an die Antragsteller, die Tiere selbst zu veräußern, scheidet aus, weil die Tiere hierfür zunächst an die Antragsteller zurückgegeben werden müssten, wodurch zeitweise ein rechtswidriger Zustand einträte.
Das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Veräußerung ergibt sich aus den besonders hohen Kosten, die durch eine weitere Unterbringung für den Betroffenen entstehen würden. Bis zum 30. Juni 2022 sind der Antragsgegnerin zufolge Kosten von 41.600 Euro entstanden, die den Wert der Tiere bereits übersteigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
2. Der Streitwert ist gemäß § 52 Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG in der im Tenor benannten Höhe festzusetzen. Hinsichtlich des beschränkten Tierhaltungs- und Betreuungsverbots wird ein Betrag von 15.000 Euro und hinsichtlich der Veräußerungsanordnung der Auffangwert nach § 52 Abs. 2 GKG in Ansatz gebracht; die Summe wird halbiert.