Gericht | VG Potsdam 9. Kammer | Entscheidungsdatum | 24.08.2022 | |
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Aktenzeichen | 9 K 1397/19 | ECLI | ECLI:DE:VGPOTSD:2022:0824.9K1397.19.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 1 AuG CHE, § 4 Abs 1 Nr 5 AuG CHE |
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Akteneinsicht.
Der Kläger wandte sich am 19. September 2018 per E-Mail an den Beklagten und bat darum, ihm die Vorabinformation an die Mitglieder des Richterwahlausschusses des Landes Brandenburg für dessen Sitzung vom 5. September 2018 zukommen zu lassen. Diese Vorabinformation bezieht sich auf Tagesordnungspunkt 4 der genannten Sitzung des Richterwahlausschusses betreffend die „Information zu und Erörterung von Wahlanfechtungsklagen“. Ausweislich des Protokolls dieser Sitzung befasste sich der Richterwahlausschuss unter diesem Tagesordnungspunkt mit den damals vor dem Verwaltungsgericht Potsdam anhängigen Verfahren zu den Aktenzeichen VG 11 K 2658/14 sowie VG 11 K 4593/15, an denen der Kläger beteiligt war. Unter anderem wurde danach in der Sitzung beschlossen, dem seinerzeitigen Minister der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz zur Führung der Verfahren Vollmacht zu erteilen.
Mit Bescheid vom 4. Oktober 2018 erhielt der Kläger die nunmehr gebilligte Fassung des Protokolls über die Sitzung des Richterwahlausschusses vom 5. September 2018 hinsichtlich der Beschlussfassung zu Tagesordnungspunkt 4; die Gewährung weiterer Akteneinsicht in Unterlagen, die die Durchführung der Gerichtsverfahren zu den Aktenzeichen VG 11 K 2658/14 sowie VG 11 K 4593/15 beträfen, an welchen der Kläger beteiligt sei, lehnte der Beklagte unter Bezugnahme auf § 4 Abs. 1 Nr. 5 des Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetzes des Landes Brandenburg (AIG) ab.
Mit seinem hiergegen erhobenen Widerspruch wandte der Kläger ein, der Ablehnungsgrund des § 4 Abs. 1 Nr. 5 AIG liege nicht vor. Die von dem Justizministerium bzw. dem Justizminister erstellte Unterlage sei bereits deshalb nicht zur Durchführung eines Gerichtsverfahrens erstellt worden, weil beide Behördenstellen bekanntermaßen nicht in den in Bezug genommenen Gerichtsverfahren beteiligt seien. Im Übrigen sei die Vorabinformation ausweislich des übersandten Protokolls vom 5. September 2018 nicht zur Durchführung eines Gerichtsverfahrens erstellt worden, sondern nur anlässlich eines solchen. Die Vorabinformation habe auch deshalb nicht zur Durchführung eines Gerichtsverfahrens gedient, weil das Gerichtsverfahren auch vollständig ohne Kennenmüssen dieses Papiers zu entscheiden gewesen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. April 2019 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Akteneinsicht in die zur Vorbereitung des Richterwahlausschusses vom 5. September 2018 erstellten Schriftstücke habe, da ein Ablehnungsgrund nach § 4 Abs. 1 Nr. 5 AIG gegeben sei. Danach sei der Antrag abzulehnen, wenn durch die Gewährung von Akteneinsicht Inhalte von Akten offenbart würden, die eine Behörde zur Durchführung eines Gerichtsverfahrens erstellt habe. Die Voraussetzungen dieses Ablehnungsgrundes lägen hinsichtlich der Unterrichtung der Mitglieder des Richterwahlausschusses über die anhängigen Klageverfahren vor. Insbesondere sei der Minister in den in Bezug genommenen Gerichtsverfahren als Vertreter des Richterwahlausschusses beteiligt. Es dürfte dem Sinn und Zweck der Regelung nicht entsprechen, den darin gar nicht verwendeten Begriff der Beteiligung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal einzuführen und auch noch eng zu verstehen.
Der Kläger hat am 31. Mai 2019, dem Freitag nach Christi Himmelfahrt, Klage erhoben. Er stellt klar, dass die Klage auf das Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz gestützt sei, und trägt zur Begründung des Weiteren vor, dass weder der Justizminister noch das Justizministerium das in Betracht kommende Gerichtsverfahren durchführten. Denn beide seien keine Beteiligten dieses Rechtsstreits. Daran ändere auch die dem Justizminister unter dem 5. September 2018 erstellte Vollmacht nichts. Auch dadurch werde er selbst noch nicht Beteiligter eines Gerichtsverfahrens. Selbst wenn der Justizminister frühestens ab der Vollmachterteilung das Gerichtsverfahren jedenfalls im weitesten Sinne durchführen würde, ändere sich nichts. Denn die zur Einsicht beantragte Unterlage sei zeitlich vor der Ausstellung der fraglichen Vollmacht erstellt worden. Auch daraus folge, dass die Unterlage nicht zur Durchführung eines Gerichtsverfahrens erstellt worden sein könne. Bestätigt werde dies durch die Eingangsformulierungen im Protokoll der Sitzung des Richterwahlausschusses vom 5. September 2018. Die Vorabinformation sei demnach allein zur Unterrichtung des Richterwahlausschusses erstellt worden.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2019 zu verpflichten, ihm Akteneinsicht in die durch den Beklagten erstellte Vorabinformation zu Tagesordnungspunkt 4 der Sitzung des Richterwahlausschusses vom 5. September 2018 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verteidigt die Ablehnung der begehrten Akteneinsicht und führt ergänzend aus, dass das für Justiz zuständige Mitglied der Landesregierung den Vorsitz im Richterwahlausschuss führe. Für diese Tätigkeit greife es im Einklang mit der Geschäftsordnung des Richterwahlausschusses auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums zurück. Durch die Vorabinformation durch den Minister seien die Mitglieder des Richterwahlausschusses über die Argumentation und den Stand der Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Potsdam zu den Aktenzeichen VG 11 K 2658/14 und VG 11 K 4593/15 informiert worden. Zudem sei damit die Bevollmächtigung des Ministers in diesen Verfahren, in denen der Richterwahlausschuss in einem Verfahren Beklagter, in dem anderen beigeladen gewesen sei, vorbereitet worden. Dies sei für die Durchführung des Gerichtsverfahrens aus damaliger Sicht unerlässlich gewesen und also zur Durchführung eines Gerichtsverfahrens beziehungsweise zweier Gerichtsverfahren erfolgt. Dass später die Beiladung in dem Verfahren VG 11 K 4593/15 durch das Oberverwaltungsgericht aufgehoben worden sei und möglicherweise eine Bevollmächtigung des Ministers im Lichte der (späteren) Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts gar nicht nötig gewesen sei, ändere daran nichts.
Nach Angaben des Klägers ist das vor dem Verwaltungsgericht Potsdam unter dem Aktenzeichen VG 11 K 4593/15 geführte Verfahren zwischenzeitlich rechtskräftig abgeschlossen, allerdings sei noch eine Verfassungsbeschwerde anhängig. Das Verfahren VG 11 K 2658/14 sei mittlerweile beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg anhängig und noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.
Bezüglich des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.
Die Klage ist zulässig und insbesondere nicht verfristet. Eine förmliche Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2019 ist nicht erfolgt; der Kläger hat den Widerspruchsbescheid nach eigenen Angaben am 30. April 2019 erhalten.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Akteneinsicht in die durch den Beklagten erstellte Vorabinformation zu Tagesordnungspunkt 4 der Sitzung des Richterwahlausschusses vom 5. September 2018 und ist durch die Ablehnung der Gewährung von Akteneinsicht durch den Beklagten nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Das allein in Betracht zu ziehende Jedermannsrecht des § 1 AIG vermittelt keinen Anspruch auf die von dem Kläger begehrte Akteneinsicht.
Nach § 1 AIG hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes das Recht auf Einsicht in Akten, soweit nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen nach den §§ 4 und 5 entgegenstehen oder andere Rechtsvorschriften bereichsspezifische Regelungen für einen unbeschränkten Personenkreis enthalten.
Der begehrten Akteneinsicht stehen durch § 4 AIG geschützte überwiegende öffentliche Interessen entgegen.
Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 5 AIG ist der Antrag auf Akteneinsicht unter anderem abzulehnen, wenn durch die Gewährung von Akteneinsicht Inhalte von Akten offenbart würden, die eine Behörde zur Durchführung eines Gerichtsverfahrens erstellt hat oder die ihr aufgrund des Verfahrens zugehen. Die Vorschrift normiert einen zwingenden Ausschlussgrund für die Prozessakten. Sie dient dem Zweck, im gerichtlichen Verfahren den prozessualen Grundsatz der Waffengleichheit der Prozessparteien aufrechtzuerhalten (vgl. Breidenbach/Palenda, LKV 1998, 252 (255); entsprechend zu § 3 Nr. 1 lit. g IFG Schirmer, in: Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, 36. Edition Stand: 1. August 2022, § 3 IFG Rn. 106). Es soll – unbeschadet prozessualer Vorlagepflichten und Einsichtsrechte beispielsweise aus § 100 Abs. 1 VwGO oder § 299 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) – vermieden werden, dass die Informationsfreiheit dazu führt, dass Behörden im Rahmen gerichtlicher Verfahren in ihrer Prozessführung gegenüber dem Prozessgegner benachteiligt werden. Ebenso wenig wie eine Behörde berechtigt ist, in die Prozessakten ihres Gegners Einsicht zu nehmen, steht diesem das Recht zu, die Prozessakten der Behörde einzusehen. Auch die Behörde braucht insoweit ihre bei der Führung eines Gerichtsverfahrens angestellten Überlegungen – etwa zur Einschätzung der Erfolgsaussichten oder zu Vergleichsmöglichkeiten – nicht zu offenbaren. Der Ausschlussgrund bezieht sich auf sämtliche Akten, die eine Behörde zur Durchführung eines Gerichtsverfahrens erstellt hat oder die ihr aufgrund des Verfahrens zugehen. All diese Unterlagen können Einblick in die bei der Führung eines Gerichtsverfahrens angestellten, durch die Regelung geschützten Überlegungen der Behörde geben. Des Weiteren gilt der Ausschlussgrund unbefristet, also über die Beendigung des jeweiligen gerichtlichen Verfahrens hinaus. Eine Beschränkung auf die Dauer des Gerichtsverfahrens lässt sich weder dem Wortlaut der Norm entnehmen noch ihrem Zweck. Dem Grundsatz der Waffengleichheit der Prozessparteien kommt – schon im Hinblick auf die Möglichkeiten der Wiederaufnahme des Verfahrens – auch nach Abschluss des Verfahrens Bedeutung zu. Überdies können die bei der Führung eines Gerichtsverfahrens angestellten Überlegungen der Behörde für Folgeverfahren oder parallel gelagerte Verfahren von Bedeutung sein (vgl. VG Potsdam, Urteil vom 29. April 2015 – 9 K 2141/11 -, EA S. 10 f.).
Hiervon ausgehend stellt die begehrte Vorabinformation einen Akteninhalt im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 5 AIG dar, da sie zur Durchführung der beiden vor dem Verwaltungsgericht Potsdam unter den Aktenzeichen VG 11 K 2658/14 und VG 11 K 4593/15 geführten Gerichtsverfahren erstellt wurde.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, inwieweit der Richterwahlausschuss formal an diesen Gerichtsverfahren beteiligt war bzw. nach wie vor beteiligt ist. Die von dem Kläger insoweit angestrengten Überlegungen führen nicht weiter. Die Frage, ob Akten im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 5 AIG von einer Behörde zur Durchführung eines Gerichtsverfahrens erstellt werden oder ihr aufgrund eines Gerichtsverfahrens zugehen und daher wegen überwiegender öffentlicher Interessen geschützt sind, ist nicht anhand der rechtlich mitunter schwierig zu beantwortenden Fragen der Beteiligtenstellung in den jeweiligen gerichtlichen Verfahren zu entscheiden. Der Beklagte hat jedenfalls nachvollziehbar ausgeführt, dass mit der Vorabinformation der Zweck verfolgt worden sei, eine Bevollmächtigung des Ministers als Vertreter des Richterwahlausschusses in beiden Verfahren vorzubereiten. Zu dem Verfahren VG 11 K 4593/15 war der Richterwahlausschuss immerhin vom Verwaltungsgericht beigeladen worden; dass die Beiladung später vom Oberverwaltungsgericht aufgehoben wurde, ändert hieran nichts. Soweit der Kläger meint, die in Rede stehende Vorabinformation könne auch deshalb nicht zur Durchführung eines Gerichtsverfahrens erstellt worden sein, weil der Justizminister zum Zeitpunkt ihrer Fertigung noch nicht bevollmächtigt gewesen sei, führt auch dies nicht weiter. Auf den Zeitpunkt der Vollmachtserteilung kommt es nicht an. Abgesehen davon, dass auch hierfür der Wortlaut des § 4 Abs. 1 Nr. 5 AIG nichts hergibt, widerspräche es Sinn und Zweck der Vorschrift, Unterlagen, die der Vorbereitung einer Bevollmächtigung für ein Gerichtsverfahren dienen, auszuklammern. Auch die in diesem Stadium festgehaltenen Überlegungen dienen der Durchführung des gerichtlichen Verfahrens und sind – vergleichbar dem Anbahnungsverhältnis zu einem Rechtsanwalt – schützenswert (zum Anbahnungsverhältnis vgl. etwa BGH, Beschluss vom 18. Februar 2014 – StB 8/13 -, juris Rn. 8 m. w. N.).
Soweit der Kläger sich auf die Anwendungshinweise der Landesbeauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht zum Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz (5. Auflage 2014, abrufbar über die Homepage der Landesbeauftragten) bezieht, führt auch dies nicht weiter. Dort ist unter Nr. 3 zu § 4 AIG unter anderem ausgeführt, dass das Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz keinen Ausnahmetatbestand enthalte, der die Behörde ermächtigen würde, Informationen zurückzuhalten, die einem potenziellen Kläger im zivilrechtlichen Gerichtsverfahren als Beweis nützlich sein könnten, und dass ein solches Ausforschungsverbot dem Informationsfreiheitsrecht fremd sei. Dieser Hinweis bezieht sich jedoch nicht – wie hier – auf die Einsicht in Akten, die eine Behörde zur Durchführung eines Gerichtsverfahrens erstellt hat oder die ihr aufgrund des Verfahrens zugingen, also auf ihre Prozess- bzw. Handakten, sondern auf Sachakten zu behördlichen Vorgängen im Vorfeld möglicher zivilgerichtlicher Auseinandersetzungen. Ein an sich nach dem Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz bestehender Anspruch auf Akteneinsicht soll nicht – allein – deshalb ausgeschlossen sein, weil der Inhalt der Akten dazu dienen könnte, die Geltendmachung von Ersatzansprüchen zu erleichtern. So liegt der Fall hier indes nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Ein Grund, gemäß §§ 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4, 124a Abs. 1 VwGO die Berufung zuzulassen, liegt nicht vor.
Beschluss:
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe:
Die Streitwertfestsetzung entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert (§ 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes).