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Entscheidung 2 U 20/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Zivilsenat Entscheidungsdatum 04.10.2022
Aktenzeichen 2 U 20/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:1004.2U20.22.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus – Einzelrichter – vom 27. April 2022 zum Aktenzeichen 3 O 54/20 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.

3. Dieses und das landgerichtliche Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.151,55 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt Schadensersatz für Verzugszinsen, Stundungszinsen und Rechtsanwaltskosten, die ihm infolge des Erlasses eines rechtswidrigen Kanalanschlussbeitragsbescheides entstanden sein sollen.

Der Kläger ist Eigentümer eines im Gebiet der beklagten Stadt Cottbus gelegenen Grundstücks, das vor dem 3. Oktober 1990 an eine Schmutzwasserkanalisation angeschlossen worden ist. Die Beklagte, deren erste, in der Folge als unwirksam erkannte Kanalanschlussbeitragssatzung am 30. Juni 1993 in Kraft treten sollte, zog ihn auf der Grundlage der ersten rechtswirksamen, am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Satzung mit Bescheid vom 11. Januar 2011 zu einem Kanalanschlussbeitrag in Höhe von 9.020,00 Euro heran. Auf seinen Antrag stundete die Beklagte zunächst den Beitrag mit Stundungsbescheid vom 17. Februar 2011 und setzte Stundungszinsen in Höhe von 483,00 Euro fest. Widerspruch und Klage vor dem Verwaltungsgericht Cottbus gegen den Beitragsbescheid blieben ebenso erfolglos wie der Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Auf die Verfassungsbeschwerde des Klägers sprach die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch Beschluss vom 22. Dezember 2015 zum Aktenzeichen 1 BvR 1703/15 aus, der Beitragsbescheid des Oberbürgermeisters der Beklagten vom 11. Januar 2011, sein Widerspruchsbescheid vom 24. September 2012, das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 6. Dezember 2012 und der den Antrag auf Zulassung der Berufung zurückweisende Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. Juni 2015 verletzten den Kläger in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Zugleich hob sie den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts auf und verwies die Sache dorthin zurück. Mit Rücknahmebescheid vom 11. April 2016 nahm die Beklagte den Bescheid vom 11. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2012 zurück. Den zwischenzeitlich vereinnahmten Kanalanschlussbeitrag erstattete sie am 24. Mai 2016 zurück. Ferner zahlte sie an den Kläger Rechtshängigkeitszinsen (§ 236 AO) sowie die ihm im Widerspruchsverfahren, im verwaltungsgerichtlichen und im verfassungsgerichtlichen Verfahren entstandenen Rechtsverfolgungskosten. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren wurde nach Aufhebung des angefochtenen Beitragsbescheides durch einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg eingestellt.

Mit Anwaltsschreiben vom 29. November 2016 machte der Kläger gegenüber der Beklagten Staatshaftungsansprüche für Verzugszinsen, die inzwischen entrichteten Stundungszinsen und die durch die außergerichtliche Geltendmachung des Staatshaftungsanspruchs entstandenen Rechtsanwaltskosten geltend. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf das Anspruchsschreiben verwiesen (Anlage K 3 zur Klageschrift). Mit Bescheid vom 12. Dezember 2019 wies die Beklagte ihre Einstandspflicht mit der Begründung zurück, der Bescheid sei nach der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs rechtmäßig gewesen.

Das Landgericht – Einzelrichter – hat die auf Zahlung von 333,80 Euro Verzugszinsen, 483,00 Euro Stundungszinsen und 334,75 Euro Rechtsanwaltskosten, jeweils nebst Zinsen, gerichtete Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kanalanschlussbeitrages. Der Beitragsbescheid vom 11. Januar 2011 sei nicht rechtswidrig gewesen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 5. Mai 2022 zugestellte Urteil am 7. Juni 2022 Berufung eingelegt, dem Dienstag nach Pfingsten. Die Begründung ging am 5. Juli 2022 ein. Er vertritt die Auffassung, die Beklagte als Behörde wie die Zivilgerichte seien an den ausdrücklichen Ausspruch der Rechtswidrigkeit des Bescheides durch das Bundesverfassungsgericht gebunden. Das unterscheide den vorliegenden Fall von den durch den Senat und den Bundesgerichtshof bislang entschiedenen Fällen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Cottbus aufgrund der Verhandlung vom 30. März 2022 – 3 O 54/20 – die Beklagte zu verurteilen, an ihn 333,80 Euro, 483,00 Euro sowie 334,75 Euro jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil. Dem Kläger stehe selbst bei Rechtswidrigkeit des Anschlussbeitragsbescheides kein Anspruch nach dem Staatshaftungsgesetz zu. Denn dieses finde keine Anwendung auf Fallkonstellationen der vorliegenden Gestalt, in denen dem maßgeblichen Verwaltungshandeln legislatives Unrecht zugrunde liege oder zumindest eher die Sphäre legislativen Handelns berührt sei. Für Amtshaftungsansprüche fehle es jedenfalls am Verschulden ihrer Bediensteten. Stundungszinsen seien schon deshalb nicht geschuldet, weil der Kläger selbst die Stundung beantragt und damit die Zinsen ausgelöst habe. Ihr Ersatz hebelte zudem § 234 Abs. 1 Satz 2 AO aus. Für den geltend gemachten Verzugsschaden fehle es an Vortrag zum Verzug und hier besonders zum Verschulden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die Schriftsätze, Protokolle und sonstigen Unterlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist in der Sache unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Dem Kläger steht weder ein Anspruch aus Staatshaftung noch aus Amtshaftung zu.

1.

Ein Anspruch aus § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Staatshaftung in der Deutschen Demokratischen Republik (Staatshaftungsgesetz – StHG) in der Fassung des Ersten Brandenburgischen Rechtsbereinigungsgesetzes vom 3. September 1997 (GVBl. I Nr. 9/1997 S. 104) – im Folgenden: StHG Bbg – besteht nicht.

a)

Nach dieser Vorschrift haftet für Schäden, die einer natürlichen oder einer juristischen Person hinsichtlich ihres Vermögens oder ihrer Rechte durch Mitarbeiter oder Beauftragte staatlicher oder kommunaler Organe in Ausübung staatlicher Tätigkeit rechtswidrig zugefügt werden, das jeweilige staatliche oder kommunale Organ, und zwar ohne Rücksicht auf ein Verschulden des jeweiligen Bediensteten. Es kommt allein darauf an, ob das in Rede stehende Verwaltungshandeln objektiv rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Diese Frage beantwortet sich im Grundsatz nur danach, ob die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung sachlich richtig ist und mit der objektiven Rechtslage übereinstimmt oder ob sie sachlich falsch ist und gegen die Rechtslage verstößt (BGH, Urteil vom 27. Juni 2019 – III ZR 93/18 –, NVwZ 2019, 1696 Rn. 10; Urteil vom 19. Januar 2006 – III ZR 82/05 –, BGHZ 166, 22 = LKV 2006, 523; Senat, Urteil vom 26. Juni 2012 – 2 U 46/11 –, BeckRS 2012, 14954 Rn. 34 bei juris).

b)

Die Rechtswidrigkeit des in Rede stehenden Beitragsbescheides ist zwischen den Beteiligten durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Beschluss vom 22. Dezember 2015 – 1 BvR 1703/15 –) rechtskräftig festgestellt. Denn das Bundesverfassungsgericht hat auf die Verfassungsbeschwerde des Klägers unter Nr. 6 der Beschlussformel ausgesprochen:

„Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. Juni 2015 – OVG 9 N 40.13 –, das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 6. Dezember 2012 – VG 6 K 1011/12 –, der Widerspruchsbescheid des Oberbürgermeisters der Stadt Cottbus vom 24. September 2012 – FB 70/Ti – und der Beitragsbescheid des Oberbürgermeisters der Stadt Cottbus vom 11. Januar 2011 – 644102538 – verletzen den Beschwerdeführer zu VI. (hiesiger Kläger) in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes).“

Das Grundgesetz gestaltet das Bundesverfassungsgericht unbeschadet seiner Stellung als Verfassungsorgan als Gericht aus, dem die Ausübung rechtsprechender Gewalt übertragen ist (Art. 92 GG, § 1 BVerfGG). Den Sachentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts kommt daher materielle Rechtskraftwirkung zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021 – 2 BvC 10/21 –, BeckRS 2021, 53732 Rn. 71; Beschluss vom 22. November 2001 – 2 BvE 6/99 –, BVerfGE 104, 151 Rn. 130; Beschluss vom 15. Juni 1988 – 1 BvR 1301/86 –, BVerfGE 78, 320 Rn. 28; Urteil vom 19. Juli 1966 – 2 BvF 1/65 –, BVerfGE 20, 56 Rn. 92; Urteil vom 11. August 1954 – 2 BvK 2/54 –, BVerfGE 4, 31 Rn. 33 – jeweils bei juris). Die materielle Rechtskraft bindet zunächst das Bundesverfassungsgericht selbst in einem späteren Verfahren, soweit es sich um denselben Streitgegenstand zwischen denselben Parteien handelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021 – 2 BvC 10/21 –, BeckRS 2021, 53732 Rn. 71; Beschluss vom 15. Juni 1988 – 1 BvR 1301/86 -, BVerfGE 78, 320 Rn. 28; Urteil vom 11. August 1954 – 2 BvK 2/54 –, BVerfGE 4, 31 Rn. 33 – jeweils bei juris). Aus der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der Gerichtszweige (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2021 – VI ZR 773/20 –, NVwZ-RR 2021, 640 Rn. 18; Urteil vom 7. Februar 2008 – III ZR 76/07 –, BGHZ 175, 221 Rn. 10) folgt, dass auch die Zivilgerichte – etwa in Amtshaftungsprozessen – im Rahmen der Rechtskraftwirkung an rechtskräftige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden sind.

Die hiesigen Prozessparteien waren Beteiligte des aus dem Verwaltungsrechtsstreit über die Anfechtungsklage des Klägers hervorgegangenen Verfassungsbeschwerdeverfahrens. Streitgegenstand war unter anderem die Verfassungsmäßigkeit des Beitragsbescheides der Beklagten vom 11. Januar 2011. Dessen Verfassungswidrigkeit hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Beschlussformel festgestellt. Zugleich hat es den maßgeblichen Grund der Verfassungswidrigkeit in der Beschlussformel benannt [Verletzung des Klägers in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes)]. Hieran ist der Senat aufgrund der eingetretenen materiellen Rechtskraft des Beschlusses nach allem gebunden (vgl. auch von Ungern-Sternberg, in: Beck’scher Online-Kommentar zum BVerfGG, 13. Edition mit Stand Juni 2022, § 31 BVerfGG Rn. 10 f sowie 13 ff; siehe ferner BVerfG, Beschluss vom 20. Mai 2021 – 2 BvR 2595/16 –, NVwZ-RR 2021, 737 Rn. 16). Er kann die Verfassungsmäßigkeit des Beitragsbescheides vom 11. Januar 2011 im Streitfall deshalb – anders als in dem der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27. Juni 2019 zugrunde liegenden Fall (BGH, Urteil vom 27. Juni 2019 – III ZR 93/18 –, NVwZ 2019, 1696 Rn. 23 f.) – nicht unabhängig beurteilen.

c)

Ob aufgrund der vom Bundesverfassungsgericht bindend festgestellten Verfassungswidrigkeit und damit auch objektiven Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheides vom 11. Januar 2011 ein Anspruch aus § 1 StHG Bbg hergeleitet werden kann, hängt allerdings weiter davon ab, ob der Umstand, dass sich die Beklagte bei Erlass des Bescheides an die Rechtslage in Gestalt der damals maßgeblichen – später vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten – obergerichtlichen Rechtsprechung gehalten hat, ein Fall legislativen Unrechts ist und, wenn dies der Fall ist, ob sich die Haftungsregelung des § 1 StHG Bbg auch auf einen solchen Fall erstreckt (beides offengelassen in: BGH, Urteil vom 27. Juni 2019 – III ZR 93/18 –, NVwZ 2019, 1696, Rn. 11 bei juris).

(1)

Diese Prüfung ist dem Senat nicht durch den angeführten Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Dezember 2015 verwehrt, weil die zu prüfenden Punkte nicht Streitgegenstand des Verfassungsbeschwerdeverfahrens waren und deshalb nicht von der materiellen Rechtskraft des Beschlusses erfasst werden.

Mit der Aufhebung des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. Juni 2015 und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Oberverwaltungsgericht gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG wurden der genannte Beschluss und seine Rechtskraft rückwirkend beseitigt mit der Folge, dass von dem Beschluss keine Rechtswirkungen mehr ausgingen. Das Ausgangsverfahren wurde wieder bei dem Oberverwaltungsgericht neu anhängig und dort in den Stand vor dem Erlass der aufgehobenen Entscheidung zurückversetzt. Es war dann Aufgabe des Oberverwaltungsgerichts, in einem neuen Rechtszug mit verfassungsrechtlich tragfähiger Begründung über den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung erneut zu entscheiden. Allerdings war das Oberverwaltungsgericht nach § 31 Abs. 1, § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG an die verfassungsrechtliche Beurteilung des Bundesverfassungsgerichts gebunden; es durfte das Vorliegen der vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Verfassungsverstöße, namentlich die festgestellte Verfassungswidrigkeit des hier in Rede stehenden Beitragsbescheides, und die der Feststellung zugrundeliegenden Wertungen nicht mehr in Frage stellen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. Mai 2021 – 2 BvR 2595/16 –, NVwZ 2021, 737 Rn. 15 ff bei juris).

In gleicher Weise ist die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides für den vorliegenden Rechtsstreit – hier als Folge der materiellen Rechtskraft – präjudiziert. Die gesondert zu beantwortende Frage, ob an die bindend festgestellte Rechtswidrigkeit des Bescheides Staatshaftungsansprüche geknüpft werden können, obliegt dagegen dem Senat als hierzu berufenem Fachgericht in unabhängiger Prüfung.

(2)

Legislatives Unrecht ist in Fallgestaltungen anzunehmen, in denen durch eine rechtswidrige beziehungsweise verfassungswidrige gesetzliche Norm oder auf ihrer Grundlage durch Verwaltungsakt oder eine untergesetzliche Norm in eine geschützte Rechtsposition eingegriffen wird (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2022 – III ZR 79/21 –, NJW 2022, 2252 Rn. 66 m. w. N.). Ein solcher Fall ist hier gegeben.

Die maßgebliche Ursache für die Rechtswidrigkeit beziehungsweise Verfassungswidrigkeit der Verwaltungsmaßnahme liegt nach den im Streitfall als Folge der materiellen Rechtskraft auch insoweit bindenden Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts im genannten Beschluss vom 22. Dezember 2015 in Verbindung mit dem Beschluss vom 12. November 2015 (1 BvR 2961/14 u. a.) in der Sphäre der Legislative, die im Rahmen der im Jahre 2003 erfolgten Neufassung des § 8 KAG Bbg das Problem einer verfassungsrechtlich möglicherweise unzulässigen Rückwirkung mit Blick auf die nachfolgend dargestellte vorangegangene obergerichtliche Rechtsprechung augenscheinlich nicht in Rechnung gestellt hatte und gerade eine auch in die Vergangenheit wirkende Korrektur der obergerichtlichen Rechtsprechung bezweckte.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner im oben genannten Kammerbeschluss vom 22. Dezember 2015 zur weiteren Begründung in Bezug genommenen Entscheidung vom 12. November 2015 (1 BvR 2961/14 u. a.) hierzu ausgeführt, dass anders als in der Begründung des Gesetzentwurfs vom Landesgesetzgeber angenommen, § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg n. F. nicht lediglich als „Klarstellung“, sondern als konstitutive Änderung der alten Rechtslage zu behandeln und bei Anwendung in den Fällen, in denen – wie im Streitfall – die Beiträge nach der alten Fassung der Norm nicht mehr hätten erhoben werden können, eine unzulässige echte Rückwirkung zu konstatieren sei. In der Sache hat es damit – unter Zugrundelegung der verwaltungsgerichtlichen Auslegung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG in der bis zum 31. Januar 2004 geltenden Fassung – eine partielle Verfassungswidrigkeit der Norm angenommen.

Das Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg (Urteile vom 8. Juni 2000 – 2 D 29/98.NE –, und vom 5. Dezember 2001 – 2 A 611/00 –) und – seiner Rechtsprechung folgend – das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (u. a. mit Urteil vom 12. Dezember 2007 – OVG 9 B 45.06 –) hatten die Vorschrift des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg alte Fassung so ausgelegt, dass mit der Satzung im Sinne dieser Vorschrift „ausschließlich die erste nach Inkrafttreten des KAG erlassene jeweilige Anschlussbeitragssatzung (gemeint sei), wobei es nicht auf die formelle und materielle Gültigkeit dieser Satzung, sondern ausschließlich auf den formalen Akt des Satzungserlasses" ankomme. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Entstehen der Beitragspflicht für ein Grundstück, das an die Einrichtung oder Anlage angeschlossen werden könne, sei der Zeitpunkt des erstmaligen Erlasses einer Satzung mit formellem Geltungsanspruch. Nur eine zu diesem Zeitpunkt – gegebenenfalls aufgrund rückwirkenden Inkrafttretens – gültige Satzung könne Rechtsgrundlage der Beitragserhebung sein. Eine nachfolgende wirksame Satzung könne die sachliche Beitragspflicht für die genannten Grundstücke nur begründen, soweit sie mit Rückwirkung auf diese Zeitpunkte erlassen werde. Durch diese Auslegung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a. F. werde sichergestellt, dass der Beginn der gesetzlichen Festsetzungsfrist (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b KAG in Verbindung mit § 170 Abs. 1 AO) nicht vom Erlass der ersten rechtswirksamen Satzung abhänge und sich damit unter Umständen um viele Jahre nach hinten verschieben könne, soweit Satzungen immer wieder wegen Rechtsfehlern unwirksam seien (siehe hierzu nochmals: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Februar 2016 – OVG 9 B 1.16 –, BeckRS 2016, 43402 Rn. 29 bei juris).

Der Landesgesetzgeber sah sich vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung veranlasst, § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg in der ursprünglichen Fassung vom 27. Juni 1991 (GVBl I S. 200) teilweise neu zu fassen. Nach der durch die Beklagte dem Beitragsbescheid vom 11. Januar 2011 zugrunde gelegten Vorschrift des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg in der Fassung vom 17. Dezember 2003 entsteht die sachliche Anschlussbeitragspflicht nicht schon mit der Anschlussmöglichkeit, sondern ausdrücklich frühestens mit Inkrafttreten der (ersten) rechtswirksamen Satzung, die insoweit auch noch einen späteren Zeitpunkt bestimmen kann. Nachdem die erste rechtswirksame Beitragssatzung nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG neue Fassung den gesetzlich bestimmten Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht selbst beeinflusst, erfüllt sie damit gleichsam automatisch die Anforderung, diesen Zeitpunkt zu erfassen. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung (LT-Drs 3/6324, S. 25 f.) wurde hierzu ausgeführt, die Vorschrift sei in ihrer alten Fassung entgegen der Intention des Gesetzgebers durch die Rechtsprechung im Land dahingehend ausgelegt worden, dass es auf eine rechtswirksame Satzung nicht ankomme, sondern für die Entstehung der Beitragspflicht eine Satzung auch dann genüge, wenn sie nach ihrem Inkrafttreten der Nichtigkeit anheim falle. Dies habe in der Vergangenheit zu großen Beitragsausfällen bei den Aufgabenträgern geführt, da Ansprüche nicht mehr innerhalb der Festsetzungsverjährungsfrist hätten geltend gemacht werden können. Um künftige Beitragsausfälle bei den Gemeinden und anderen Aufgabenträgern zu vermeiden, werde mit der Gesetzesänderung eine Klarstellung vorgenommen, indem die Voraussetzung einer rechtswirksamen Satzung ausdrücklich festgeschrieben werde.

Die Träger der Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung sahen sich infolge der am 1. Februar 2004 in Kraft getretenen Gesetzesneufassung in der Pflicht, die neu gefasste Vorschrift des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg auch auf die sogenannten Altfälle, in denen die Beitragserhebung nach der zur bisherigen Rechtslage ergangenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wegen (fiktiver) Verjährung ausgeschlossen war, entsprechend dem aufgezeigten, in der Gesetzesbegründung dokumentierten gesetzgeberischen Willen und in Übereinstimmung mit der nunmehrigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg anzuwenden. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im November 2015 entsprach die Beitragserhebung der Beklagten nach § 8 Abs. 7 KAG Bbg neuer Fassung in den sogenannten Altfällen der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 2008 – 9 B 22/08 –) und auch des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg (Beschluss vom 21. September 2012 – 46/11 –).

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 12. November 2015 (1 BvR 2961/14 u. a.) ausgeführt, dass der dem streitgegenständlichen Bescheid zugrundeliegende § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg n.F. bei Anwendung in den Fällen Rückwirkung entfalte, in denen die Beiträge nach der alten Fassung der Norm nicht mehr erhoben werden könnten, weil mit dem Entstehen der Beitragspflicht durch Inkrafttreten einer wirksamen Beitragssatzung zugleich die Festsetzungsverjährung einträte. In Fällen, in denen – wie vorliegend – die Festsetzungsfrist von vier Jahren zum Zeitpunkt des Erlasses einer wirksamen Satzung bereits abgelaufen gewesen sei, habe die Beitragspflicht nur für eine „juristische Sekunde“ entstehen können, sie sei aber gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 4b KAG Bbg in Verbindung mit § 169 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 1 AO sofort verjährt und damit erloschen. Ein Grund für die Rechtfertigung der damit zu bejahenden echten Rückwirkung bestehe nicht (BVerfG, Beschluss vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14 u. a. –).

Die mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Tage getretene partielle Verfassungswidrigkeit des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg n.F. bei der im Streitfall als Folge der materiellen Rechtskraft vorgegebenen Annahme einer echten Rückwirkung der Gesetzesneufassung und die damit einhergehende objektive Rechtswidrigkeit auch des streitgegenständlichen Bescheids ergeben sich ausschließlich daraus, dass die Anwendung der Rechtsgrundlage des § 8 Abs. 7 KAG Bbg neue Fassung in den Fällen, in denen eine Beitragserhebung nach der alten Fassung der Vorschrift (in der Auslegung der obergerichtlichen Rechtsprechung) bereits wegen Verjährung ausgeschlossen war, nicht mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen war. Gleichwohl war die Rechtsgrundlage nicht offensichtlich unwirksam und deshalb von den Mitarbeitern der Beklagten zu beachten, denn ihnen kam eine Verwerfungskompetenz im Hinblick auf die Vorschrift nicht zu. Mit dem Vollzug der Neufassung des Gesetzes haben sie lediglich den (partiell verfassungswidrigen) gesetzgeberischen Willen umgesetzt. Die Beklagte war zwar – worauf der Kläger zutreffend hinweist – gemäß Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet, das eigene Handeln auf seine Grundrechtskonformität hin zu jeder Zeit und damit auch bei Erlass des Beitragsbescheides vom 11. Januar 2011 kritisch zu prüfen und auch vermeintlich sichere Überzeugungen zur Disposition zu stellen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 16. Januar 2017 – 1 BvR 2406/16 u. a. –, NVwZ-RR 2017, 393 Rn. 10 bei juris). Andererseits durfte sie sich gerade im Hinblick auf ihre Bindung an Recht und Gesetz auch nicht über den klar hervorgetretenen gesetzgeberischen Willen, der zudem – mit nachfolgender Billigung des Landesverfassungsgerichts – von den Verwaltungsgerichten in ständiger Rechtsprechung für verbindlich gehalten wurde, hinwegsetzen. Hinzu kommt, dass die Beklagte bei der gebotenen kritischen Prüfung der Grundrechtskonformität ihres Handelns keineswegs zwingend zu dem Ergebnis gelangen musste, dass die im Januar 2011 erfolgte Veranlagung des Klägers verfassungswidrig war. Im Gegenteil: Der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 27. Juni 2019 – III ZR 93/18 –, NVwZ 2019, 1696) und – ihm in ständiger Rechtsprechung folgend – auch der Senat (vgl. zum Beispiel die Urteile vom 17. Dezember 2019, Az.: 2 U 66/17 und 2 U 33/18; siehe zuletzt die Beschlüsse vom 19. Juli 2022 und vom 22. August 2022, Az.: 2 U 19/22) legen § 8 Abs. 7 KAG a. F. – verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 1. Juli 2020 – 1 BvR 2838/19 –, NVwZ 2020, 1744) – dahin aus, dass auch nach früherer Rechtslage für das Entstehen der Beitragspflicht und den Beginn der Festsetzungsverjährungsfrist eine rechtswirksame Beitragssatzung erforderlich war, so dass nach dieser – gleichermaßen grundrechtskonformen – Betrachtungsweise die Neufassung der Vorschrift kein Fall der unzulässigen Rückwirkung und somit der Beitragsbescheid der Beklagten vom 11. Januar 2011 sogar als rechtmäßig anzusehen wäre. Das Dilemma, in das die Versorgungsträger infolge der durch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hervorgerufenen Gesetzesänderung geraten waren, hatte seine entscheidende Ursache im Bereich der förmlichen Gesetzgebung des Landes Brandenburg, die eine – im Streitfall aufgrund der materiellen Rechtskraft des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Dezember 2015 bindend feststehende – grundrechtswidrige rückwirkende Korrektur der obergerichtlichen Rechtsprechung anstrebte.

Nach allem beruht der Erlass des Beitragsbescheides vom 11. Januar 2011 maßgeblich auf dem – im Streitfall anzunehmenden – nicht grundrechtskonformen Handeln des Gesetzgebers, dessen Willen die Beklagte lediglich vollzogen hat, und ist damit als ein Fall des legislativen Unrechts anzusehen, zumindest aber wegen der gleichgelagerten Zuordnung der Verantwortungsbereiche wie ein solcher Fall zu behandeln (vgl. in diesem Sinne auch Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. November 2019 – OVG 9 B 11.19 –, BeckRS 2019, 32518 Rn. 45 bei juris).

(3)

Die Haftung nach § 1 StHG Bbg erstreckt sich nicht auf Fälle des legislativen Unrechts (vgl. – insoweit allerdings nicht entscheidungstragend – BGH, Urteil vom 17. März 2022 – III ZR 79/21 –, NJW 2022, 2252 Rn. 66; zum Ganzen Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Auflage 2013, 14. III. 5 c, S. 584 f).

Weder die in § 1 StHG verankerte verschuldensunabhängige staatliche Unrechtshaftung noch das Haftungsinstitut des enteignungsgleichen Eingriffs, an dessen Stelle sie in ihrem Anwendungsbereich tritt (vgl. Senat, Urteil vom 17. April 2018 – 2 U 21/17 –, NJ 2018, 298 Rn. 23 bei juris; BGH, Urteil vom 19. Dezember 1995 – III ZR 190/94 –, NVwZ-RR 1997, 204 Rn. 12 bei juris), vermag eine Haftung für legislatives Unrecht in Gestalt eines mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarenden formellen Gesetzes zu begründen. Ebenso wenig haftet die öffentliche Hand für den Vollzug eines verfassungswidrigen Gesetzes. Ansonsten würde der Ausschluss der verschuldensunabhängigen Haftung für legislatives Unrecht in weiten Teilen unterlaufen, da Gesetze regelmäßig erst mit der Umsetzung durch die Verwaltung ihre Wirkung auf das Eigentum des Einzelnen entfalten. Dies beruht hinsichtlich des enteignungsgleichen Eingriffs nicht zuletzt auf der Erwägung, die Haushaltsprärogative des Parlaments in möglichst weitgehendem Umfang zu wahren und die Gewährung von Entschädigungen für legislatives Unrecht angesichts der hiermit verbundenen erheblichen finanziellen Lasten für die öffentliche Hand der Entscheidung des Parlamentsgesetzgebers vorzubehalten (BGH, Urteil vom 28. Januar 2021 – III ZR 25/20 –, NVwZ 2021, 1315 = MDR 2021, 487 Rn. 26; BGH, Urteile vom 16. April 2015 – III ZR 333/13 –, BGHZ 205, 63 = NVwZ 2015, 1309 = MDR 2015, 704 Rn. 34 bei juris; sowie zu III ZR 204/13, MDR 2015, 706 Rn. 30 bei juris).

Diese Erwägung trägt für sich freilich noch nicht die Verneinung einer Haftung auch für legislatives Unrecht nach dem Staatshaftungsgesetz. Denn hierbei handelt es sich um ein förmliches, durch den Bundes- und schließlich Landesgesetzgeber bewusst aufrechterhaltenes und damit in den gesetzgeberischen Willen aufgenommenes Gesetz. Maßgeblich ist, ob die nach dem Gesetzeswortlaut mögliche Haftung auch für legislatives Unrecht von diesem Gesetz erfasst sein soll, das heißt ob sich dem Staatshaftungsgesetz Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass der Gesetzgeber – zunächst derjenige der DDR, dann der des Einigungsvertrages, mit dem das Gesetz geändert wurde, und schließlich der Landesgesetzgeber, der es erneut modifizierte – den Bereich legislativen Unrechts erfasst sehen wollte (so zutreffend Breuer, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 216. Lieferung vom August 2022, Artikel 34 Rn. 155; für § 39 des Ordnungsbehördengesetzes Nordrhein-Westfalen: BGH, Urteile vom 16. April 2015 – III ZR 333/13 –, BGHZ 205, 63 = NVwZ 2015, 1309 = MDR 2015, 704 Rn. 35 bei juris; sowie zu III ZR 204/13, MDR 2015, 706 Rn. 31 bei juris).

Derartige Anhaltspunkte sind nicht erkennbar. Der Gesetzgeber der DDR hatte eine Haftung für legislatives Unrecht ersichtlich nicht im Blick. Nach der ursprünglichen Präambel des Staatshaftungsgesetzes der DDR sollte dieses Gesetz nur „die Haftung für Schäden vorsehen, die Bürgern durch ungesetzliche Maßnahmen einzelner Mitarbeiter entstehen.“ Mit dieser Konzeption lässt sich eine Haftung für legislatives Unrecht aus zwei Gründen nicht vereinbaren: Zum einen schließt das Erfordernis des Tätigwerdens „einzelner Mitarbeiter“ Kollegialentscheidungen, mithin auch Entscheidungen von Gesetzgebungsorganen aus. Zum anderen sah die Präambel nur die Haftung für „ungesetzliche Maßnahmen“ vor, wozu der Erlass von Gesetzen selbst offensichtlich nicht gehört (Senat, Urteil vom 17. April 2018 – 2 U 21/17 –, NJ 2018, 298 Rn. 34 ff bei juris). Im Übrigen sollte die Staatshaftung der DDR den Gesetzesvollzug sichern und zu diesem Zweck die Gesetzesbindung der Mitarbeiter und Beauftragten staatlicher und kommunaler Organe befördern. Das Vertrauen der Bürger zum Staat sollte vertieft werden, das Verantwortungsbewusstsein seiner Mitarbeiter gestärkt und die staatliche Tätigkeit qualifiziert werden (vgl. die Präambel zum Gesetz, wiedergegeben in Senat, Urteil vom 17. April 2018 – 2 U 21/17 –, NJ 2018, 298 Rn. 35 ff bei juris). Diese Erwägungen lassen sich nicht auf die Tätigkeit des Gesetzgebers beziehen. Dafür, dass der Bundes- oder der Landesgesetzgeber die Haftung auf legislatives Unrecht ausweiten wollten, ist nichts erkennbar (so bereits Senat, Urteil vom 17. April 2018 – 2 U 21/17 –, NJ 2018, 298 Rn. 34 ff; Beschluss vom 23. November 2021 – 2 U 53/21 –, BeckRS 2021, 42282 Rn. 9; Beschluss vom 22. Dezember 2021 – 2 U 54/21 –, BeckRS 2021, 46719 Rn. 8 – jeweils bei juris).

(4)

Auch das Verfassungsrecht gebietet eine ausdehnende Auslegung der gesetzlichen Vorschrift auf Fälle des legislativen Unrechts nicht.

Zwar gewährleisten nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Grundrechte das grundsätzliche Bestehen angemessener Sekundäransprüche nach Grundrechtsverletzungen. Die Haftung für staatliches Unrecht ist insofern nicht nur eine Ausprägung des Legalitätsprinzips, sondern auch Ausfluss der jeweils betroffenen Grundrechte, die insoweit den zentralen Bezugspunkt für die Einstandspflichten des Staates bilden. Die Grundrechte schützen nicht nur vor nicht gerechtfertigten Eingriffen des Staates in Freiheit und Gleichheit der Bürgerinnen und Bürger und sind insoweit Grundlage für Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche, die die Effektivität des Grundrechtsschutzes sicherstellen. Soweit dies nicht möglich ist, ergeben sich aus ihnen grundsätzlich auch Kompensationsansprüche, sei es als Schadensersatz-, sei es als Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche. Diese können zwar nicht die Integrität der betroffenen grundrechtlich geschützten Interessen wiederherstellen. Ohne grundrechtlich radizierte Sekundäransprüche blieben die Verletzungen grundrechtlich geschützter Interessen jedoch häufig sanktionslos. Kompensationsansprüche können die Eingriffsintensität mindern und somit zumindest das vollständige Leerlaufen der in Rede stehenden grundrechtlich geschützten Interessen verhindern (BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 2022 – 2 BvR 737/20 –, BeckRS 2022, 18551 Rn. 84 ff; Beschluss vom 18. November 2020 – 2 BvR 477/17 –, NJW 2021, 2108 Rn. 24 ff).

Allerdings lassen sich auch solchermaßen grundrechtlich radizierte Kompensationsansprüche nicht verfassungsunmittelbar aus dem Grundgesetz selbst ableiten. Art und Umfang grundrechtlicher Sekundäransprüche bedürfen vielmehr der Ausgestaltung und Konkretisierung durch den einfachen Gesetzgeber. Dieser verantwortet die Ausgestaltung des grundgesetzlich gewährleisteten Kompensationsanspruchs, indem er die erforderliche Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen spezifischer Sekundäransprüche vornimmt. Ihm kommt hierbei ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungspielraum zu, der Typisierungen und Pauschalisierungen nicht nur zulässt, sondern erfordert, um die Sekundäransprüche operationalisierbar zu machen. Er unterliegt dabei nicht der Pflicht, sämtliche Folgen verfassungswidriger Eingriffe rückwirkend zu beseitigen. Bei der Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse zwischen Bürger und Staat und der Statuierung spezifischer Kompensationsansprüche muss der Gesetzgeber neben dem grundrechtlich geschützten Folgenbeseitigungsinteresse der verletzten Grundrechtsträger und deren Interesse an einem entsprechenden Ausgleich im Einzelfall stets auch sonstige Verfassungsbelange berücksichtigen, insbesondere diejenigen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens, des wirksamen Grundrechtsschutzes Dritter sowie der Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen. Der Gesetzgeber ist bei der Regelung grundrechtlicher Sekundäransprüche nicht auf die Regelung formeller Aspekte (etwa Verjährungsfristen) beschränkt, sondern er kann auch materielle Konkretisierungen vornehmen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 2022 – 2 BvR 737/20 –, BeckRS 2022, 18551 Rn. 88 ff).

Im Ergebnis sind auch Haftungs- bzw. Kompensationsvorschriften verfassungsgemäß, das heißt im Lichte der und mit dem Blick auf die Grundrechte auszulegen, zu deren Schutz sie auch berufen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. November 2020 – 2 BvR 477/17 –, NJW 2021, 2108 Rn. 32). Eine Abweichung von gesetzlichen Vorgaben rechtfertigt dies freilich nicht. Es entspricht vielmehr dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Bindung des Richters an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG), dass die Fachgerichte die gesetzgeberischen Konkretisierungs- und Ausgestaltungsentscheidungen beachten und nicht durch eigene Gerechtigkeitsvorstellungen ersetzen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 2022 – 2 BvR 737/20 –, BeckRS 2022, 18551 Rn. 114). Wie allgemein werden damit auch dieser verfassungskonformen Auslegung Grenzen durch den Wortlaut und den Gesetzeszweck gezogen. Ein Normverständnis, das mit dem Wortlaut nicht mehr in Einklang zu bringen ist, kann durch verfassungskonforme Auslegung ebenso wenig gewonnen werden wie ein solches, das in Widerspruch zu dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes treten würde. Der normative Gehalt der auszulegenden Norm darf nicht grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (BGH, Urteil vom 17. März 2022 – III ZR 79/21 –, NJW 2022, 2252 Rn. 21 m. w. N.). Diese Grenzen würden hier überschritten, wenn § 1 Abs. 1 StHG Bbg, der nach der dargestellten Gesetzeshistorie und dem daraus deutlich werdenden Willen des Gesetzgebers nicht auf die Gesetzgebung selbst Anwendung finden sollte, im Gegensatz hierzu auf solche Fälle erstreckt würde.

2.

Auch Ansprüche aus Amtshaftung nach § 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG bestehen nicht. Voraussetzung der auf die Körperschaft übergeleiteten Haftung ist, dass ein Beamter im haftungsrechtlichen Sinne in Ausübung eines ihm von der Beklagten anvertrauten Amtes schuldhaft eine dem Kläger gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt und so den dem Kläger entstandenen Schaden verursacht hat, für den – bei nur fahrlässigem Handeln des Beamten – der Kläger nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. Hieran fehlt es.

Zum einen ist anerkannt, dass Amtshaftungsansprüche für legislatives Unrecht wegen der fehlenden Drittbezogenheit der Pflichten des Gesetzgebers nicht in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2021 – III ZR 25/20 –, NVwZ 2021, 1315 Rn. 20 f. bei juris).

Zum andern fehlt es an einem Verschulden der Mitarbeiter der Beklagten im Sinne von § 276 BGB. Für die Annahme eines Verschuldens wäre bei Erlass des Beitrags- und/oder Widerspruchsbescheides zumindest eine fahrlässige Unkenntnis der Bediensteten der Beklagten im Hinblick auf eine künftige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erforderlich, die zu verneinen ist. Nach dem im Rahmen des § 839 BGB geltenden objektivierten Sorgfaltsmaßstab kommt es für die Beurteilung des Verschuldens auf die Kenntnisse und Fähigkeiten an, die für die Führung des übernommenen Amtes im Durchschnitt erforderlich sind. Die Anforderungen an ein amtspflichtgemäßes Verhalten sind am Maßstab des pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten zu messen. Jeder staatliche Amtsträger muss die zur Führung seines Amtes notwendigen Rechts- und Verwaltungskenntnisse besitzen oder sich verschaffen. Bei der Gesetzesauslegung und Rechtsanwendung hat er die Gesetzes- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und sich danach aufgrund vernünftiger Überlegung eine Rechtsmeinung zu bilden. Nicht jeder objektive Rechtsirrtum begründet einen Schuldvorwurf. Wenn die nach sorgfältiger Prüfung gewonnene Rechtsansicht des Amtsträgers als rechtlich vertretbar angesehen werden kann und er daran bis zur gerichtlichen Klärung der Rechtslage festhält, so kann aus der Missbilligung seiner Rechtsauffassung durch die Gerichte ein Schuldvorwurf nicht hergeleitet werden. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im November 2015 entsprach die Beitragserhebung der Beklagten sogar der – vom Landesverfassungsgericht gebilligten – ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (s. o.). Hinzu kommt, dass die Beklagte auch im Zuge der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 16. Januar 2017 – 1 BvR 2406/16 u. a. –, NVwZ-RR 2017, 393 Rn. 10 bei juris) gebotenen kritischen Prüfung der Grundrechtskonformität ihres Handelns keineswegs zwingend zu dem Ergebnis gelangen musste, dass die im Januar 2011 erfolgte Veranlagung des Klägers verfassungswidrig war, sondern – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Senats – die Beitragserhebung durchaus in vertretbarer Weise für grundrechtskonform halten durfte (s. o.).

Schließlich kann den Mitarbeitern der Beklagten ein Verschuldensvorwurf auch deshalb nicht gemacht werden, weil ein mit mehreren Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht, nämlich der 9. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 19. Juni 2015 zum Aktenzeichen OVG 9 N 40.13, ihre Amtstätigkeit als objektiv rechtmäßig angesehen hat. Diese sogenannte Kollegialgerichts-Richtlinie beruht auf der Erwägung, dass von einem Beamten regelmäßig nicht eine bessere Rechtseinsicht als von einem mit mehreren Rechtskundigen besetzten Kollegialgericht erwartet und verlangt werden kann, das die Rechtmäßigkeit der Amtstätigkeit nach sorgfältiger Prüfung bejaht hat (BGH, Urteil vom 11. März 2021 – III ZR 27/20 –, NVwZ-RR 2021, 671 = MDR 2021, 872 Rn. 20, juris; Beschluss vom 16. September 2021 – III ZR 52/21 –, BeckRS 2021, 29969 Rn. 2 bei juris).

3.

Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht erkennbar, inwieweit die Beklagte mit der Rückerstattung des vereinnahmten Kanalanschlussbeitrags oder mit sonstigen Zahlungen vor dem Erlass des Aufhebungsbescheides in Verzug geraten sein könnte.

4.

Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 97, § 708 Nr. 10, § 709 Satz 1 und 2, § 711 ZPO. Die Streitwertentscheidung folgt den §§ 47, 48 GKG.

5.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung und zum Zwecke der Rechtsfortbildung zuzulassen, § 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO.

Der Bundesgerichtshof hat die hier und in mehreren beim Landgericht Cottbus noch anhängigen gleichgelagerten Verfahren zu entscheidende und in Zukunft auch in sonstigen Verfahren möglicherweise relevant werdende Frage einer staatlichen bzw. kommunalen Haftung nach § 1 StHG Bbg für den Vollzug (partiell) verfassungswidrigen Gesetzesrechts nach Auffassung des Senats bislang nicht abschließend geklärt. Zwar hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 17. März 2022 (III ZR 79/21) unter Bezugnahme auf seine ständige Rechtsprechung ausgeführt, der Entschädigungsanspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs erfasse – wie der Amtshaftungsanspruch aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG – nicht die Fälle des legislativen Unrechts, in denen durch eine rechtswidrige beziehungsweise verfassungswidrige gesetzliche Norm oder auf ihrer Grundlage durch Verwaltungsakt oder eine untergesetzliche Norm in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition eingegriffen werde; für die Haftung nach § 1 StHG Bbg, der eine spezialgesetzliche Konkretisierung des allgemeinen Anspruchs aus enteignungsgleichem Eingriff sei, gelte nichts Anderes (BGH, Urteil vom 17. März 2022 – III ZR 79/21 –, NJW 2022, 2252 Rn. 66). Diese Ausführungen waren indes nicht tragende Erwägungen („außerdem“), weil die dort in Rede stehenden Rechtsverordnungen nicht rechtswidrig waren. Hinzu kommt, dass der Bundesgerichtshof gerade im Zusammenhang mit der Altanschließerproblematik bislang ausdrücklich offengelassen hat, ob es sich mit Blick darauf, dass sich die Träger der Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung bei Erlass der entsprechenden Bescheide an die Rechtslage in Gestalt der damals maßgeblichen – später vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten – obergerichtlichen Rechtsprechung gehalten haben, um einen Fall legislativen Unrechts handeln kann – dies bedarf ebenfalls der höchstrichterlichen Klärung – und ob eine Erstreckung der Haftungsregelung des § 1 StHG auf solche Fälle in Betracht kommt (BGH, Urteil vom 27. Juni 2019 – III ZR 93/18 –, NVwZ 2019, 1696 Rn. 11 bei juris).