Gericht | OLG Brandenburg 11. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 21.09.2022 | |
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Aktenzeichen | 11 U 49/22 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:0921.11U49.22.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
I. Die Berufung des Klägers gegen das am 09.02.2022 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) - 14 O 375/20 - wird zurückgewiesen.
II. Auf die Berufung des Beklagten wird das am 09.02.2022 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) - 14 O 375/20 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
III. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.
IV. Das Berufungsurteil wird für vorläufig vollstreckbar erklärt. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % abzuwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
VI. Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 30.000,00 € festgesetzt.
I.
Der Kläger verlangt von dem Beklagten die Rückzahlung vermeintlich zu viel geleisteter Versicherungsprämien in der privaten Krankenversicherung.
Wegen der Einzelheiten der tatsächlichen Feststellungen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Das Landgericht hat der Klage nur in geringem Umfang stattgegeben. Die Feststellungsklage sei hinsichtlich der Tariferhöhungen bis einschließlich 2016 bereits teilweise als unzulässig anzusehen. Im Übrigen sei die Klage zwar zulässig aber ganz überwiegend unbegründet. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die streitgegenständlichen Beitragserhöhungen in dem Tarif 865 zum 01.01.2019 und zum 01.01.2020 wirksam gewesen seien, weil in den geänderten Versicherungsscheinen gesetzeskonforme Begründungen für die genannten Erhöhungen enthalten gewesen seien. Die vorangegangenen Erhöhungen im Zeitraum 01.01.2017 bis 31.12.2018 seien hingegen mangels unzureichender und formelhafter Begründung unwirksam. In unverjährter Zeit (vor dem 01.01.2017) resultiere hieraus zugunsten des Klägers in der Hauptforderung ein Zahlungsanspruch in Höhe von insgesamt 1.732,44 €.
Gegen die Entscheidung haben beide Parteien – wie mit ihnen im Senatstermin erörtert – fristgerecht Berufung eingelegt.
Mit seiner Berufung verfolgt zunächst der Kläger unter Klarstellung (BB 3; GA III 475) seine erstinstanzlichen Ansprüche im Umfang des Unterliegens weiter und verlangt zudem nach Anhängigkeit der Klage gezahlte Prämien zurück (BB 5; GA III 477). Im Wesentlichen macht er geltend, das Landgericht habe die Beitragsanpassungen in den in Rede stehenden Tarifen für die Jahre 2017, 2019 und 2020 rechtsfehlerhaft für wirksam erachtet, denn die formellen Voraussetzungen des § 203 Abs. 5 VVG seien auch insoweit nicht erfüllt. Unwirksam seien im Übrigen auch die weiter zurückliegenden Beitragsanpassungen des Beklagten. Zudem könne der Ansicht des Landgerichts nicht gefolgt werden, wonach der Feststellungsantrag teilweise für unzulässig erachtet worden sei. Zudem sei die Rechtsgrundlage der Prämienfestsetzung unwirksam (BB 41 ff.). Hinzu komme, dass das Landgericht übersehen habe, dass die Unwirksamkeit auch deshalb eingetreten sei, weil Beitragserhöhungen trotz teilweise gesunkener Leistungsausgaben erfolgt seien.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils
1. festzustellen, dass über die im erstinstanzlichen Urteil festgestellte Unwirksamkeit hinaus folgende Neufestsetzungen der Prämien in der zwischen den Parteien bestehenden Kranken-/Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer E…, … unwirksam waren:
a) im Tarif Krankengeld ab dem 43. Tag die Erhöhung zum 01.01.2012 in Höhe von 2,54 €,
b) im Tarif 865 BONUS CARE ALPHA die Erhöhung zum 01.01.2014 in Höhe von 57,30 €,
c) im Tarif 360 Krankentagegeld die Erhöhung zum 01.01.2015 in Höhe von -3,06,
d) im Tarif 423 Deutsche Privatpflege 4-5 die Erhöhung zum 01.01.2017 in Höhe von 1,10 €,
e) im Tarif 360 Krankentagegeld ab dem 43. Tag die Erhöhung zum 01.01.2018 in Höhe von 1,60,
f) im Tarif 423 Deutsche Privatpflege 4-5 die Erhöhung zum 01.01.2018 in Höhe von 3,69 €,
g) im Tarif 423 Deutsche Privatpflege 4-5 die Erhöhung zum 01.01.2019 in Höhe von 4,81 €,
h) im Tarif 865 BONUS CARE ALPHA die Erhöhung zum 01.01.2019 in Höhe von 29,16 €,
i) im Tarif Pflegetagegeld Stufe III die Erhöhung zum 01.01.2020 in Höhe von 2,80 €,
j) im Tarif 865 BONUS CARE ALPHA die Erhöhung zum 01.01.2020 in Höhe von 22,46 €,
und er nicht zur Zahlung der jeweiligen Erhöhungsbeträge verpflichtet war sowie
2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn über den erstinstanzlich zum Antrag zu 2) ausgeurteilten Betrag hinaus weitere 6,780,06 € zu zahlen und
3. festzustellen, dass
a) ihm der Beklagte zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die er aus dem Prämienanteil gezogen hat, der er auf die unter 1) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,
b) die nach 3a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen und
4) an ihn einen Betrag in Höhe von 1.524,82 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit für außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen.
Er hält die Berufung des Klägers bereits für unzulässig, da sie sich lediglich textbausteinartig und nicht hinreichend individualisiert mit dem angefochtenen Urteil befasse. Soweit das Landgericht die Klage abgewiesen hat, verteidigt der Beklagte das angefochtene Urteil. Zur Begründung seiner eigenen Berufung vertritt er die Auffassung, dass seine Prämienerhöhungsverlangen insgesamt formell und materiell wirksam erfolgt seien. Hierzu vertieft und wiederholt er seinen erstinstanzlichen Vortrag.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung des Beklagten zu verwerfen, hilfsweise als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.
Hinsichtlich des Berufungsbegehrens des Beklagten verteidigt der Kläger das erstinstanzliche Urteil und beruft sich hierbei im Wesentlichen auf zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechungspraxis.
II.
Die (im Übrigen zulässige) Berufung des Beklagten ist begründet und führt zur Abweisung der Klage insgesamt. Hinsichtlich der Berufung des Klägers hält der Senat die Zulässigkeitsbedenken des Beklagten zwar für beachtlich, stellt diese mit Blick auf die Unbegründetheit des Rechtsmittels aber zurück.
Dem Kläger stehen weder die geltend gemachten Leistungsansprüche (insoweit weder die bislang streitgegenständlichen noch die mit der Berufungsbegründung des Klägers [BB 5; GA II 477] angesprochenen und nach Anhängigkeit gezahlten Beträge) zu, noch kann für die im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Prämienanpassungen des Beklagten in den hier versicherten Tarifen eine Unwirksamkeit festgestellt werden. Dementsprechend kann der Kläger hieraus auch keine von dem Beklagten gezogenen Nutzungen verlangen. Die geltend gemachten Nebenforderungen (Zinsen, vorprozessuale Rechtsverfolgungskosten) folgen dem Schicksal der Hauptforderungen.
A. Der Senat teilt die von dem Beklagten vertretene Rechtsauffassung, wonach die hier in Rede stehenden Mitteilungen für alle angeführten Beitragsanpassungen des Beklagten im Rahmen der Kranken- bzw.- Pflegeversicherungsverhältnisses zur Versicherungsnummer E…, … wirksam waren. Dies betrifft die in der Berufung gegenständlichen Beitragsanpassungen im Tarif Krankengeld zum 01.01.2012 in Höhe von 2,54 €, im Tarif 865 BONUS CARE ALPHA zum 01.01.2014 in Höhe von 57,30 €, im Tarif 360 Krankentagegeld zum 01.01.2015 in Höhe von -3,06, im Tarif 423 Deutsche Privatpflege 4-5 zum 01.01.2017 in Höhe von 1,10 €, im Tarif 360 Krankentagegeld zum 01.01.2018 in Höhe von 1,60, im Tarif 423 Deutsche Privatpflege 4-5 zum 01.01.2018 in Höhe von 3,69 €, im Tarif 423 Deutsche Privatpflege 4-5 zum 01.01.2019 in Höhe von 4,81 €, im Tarif 865 BONUS CARE ALPHA zum 01.01.2019 in Höhe von 29,16 €, im Tarif Pflegetagegeld Stufe III zum 01.01.2020 in Höhe von 2,80 € und im Tarif 865 BONUS CARE ALPHA zum 01.01.2020 in Höhe von 22,46 €.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Urt. v. 16.12.2020, Az. IV ZR 294/19 - juris) erfordert die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat. Der Versicherer muss dabei zwar nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses, anzugeben. Der Versicherungsnehmer muss den Mitteilungen aber mit der gebotenen Klarheit entnehmen können, dass eine Veränderung der genannten Rechnungsgrundlagen über dem geltenden Schwellenwert die konkrete Beitragserhöhung ausgelöst hat (vgl. BGH, Urt. v. 09.02.2022, Az. IV ZR 337/20; Urt. v. 21.07.2021, Az. IV ZR 191/20; Urt. v. 20.10.2021, Az. IV ZR 148/20; Urt. v. 17.11.2021, Az. IV ZR 113/20 - jeweils zitiert nach juris). Ihm muss daher zwar grundsätzlich verdeutlicht werden, dass es einen vorab festgelegten Schwellenwert für eine Veränderung der betreffenden Rechnungsgrundlage gibt, dessen Überschreitung die in Rede stehende Prämienanpassung ausgelöst hat (vgl. insbesondere BGH, Urt. v. 09.02.2022, Az. IV ZR 337/20; Urt. v. 21.07.2021, Az. IV ZR 191/20 - zitiert jeweils nach juris). Nicht erforderlich ist es hingegen, dem Versicherungsnehmer die Rechtsgrundlage des geltenden Schwellenwerts oder die genaue Höhe der Veränderung der Rechnungsgrundlage mitzuteilen (BGH v. 16.12.2020 – IV ZR 314/19, a.a.O., Rn. 95 und v. 16.12.2020 – IV ZR 294/19, VersR 2021, 240; OLG Hamm, Beschl. vom 23.06.2022 - 20 U 128/22; Senat, Beschl. v. 10.08.2022 – 11 U 224/21 m.w.N.).
2. Gemessen daran genügen die genannten Beitragsanpassungen des Beklagten - auch wenn sie den vom Kläger geforderten „Schwellenwert“ nicht ausdrücklich benennen - den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG:
Dass die Rechnungsgrundlage „Leistungsausgaben“ (und nicht Sterbewahrscheinlichkeit) die Neufestsetzung zum 01.01.2012 im Tarif 360 begründet hat, ergibt sich bereits aus dem Informationsschreiben des Beklagten vom 22.11.2011, worin es heißt: „der jährlich vorzunehmende Vergleich von Beitragseinnahmen und Leistungsausgaben hat ergeben, dass eine Beitragsanpassung in verschiedenen Tarifen der Krankenversicherung bzw. Pflegeversicherung notwendig ist“. Den Begriff der „Leistungsausgaben“ setzt der Bundesgerichtshof terminologisch mit Versicherungsleistungen gleich (vgl. BGH, Urt. v. 16.12.2020 – IV ZR 314/19, a.a.O., Rn. 37). Hierbei handelt es sich auch nicht nur um eine allgemeine Beschreibung – wie der Kläger und das Landgericht meinen -, sondern um das dem Kläger mitgeteilte Ergebnis der durchgeführten Überprüfung (so auch überzeugend OLG München, Beschl. v. 16.11.2021 – 25 U 7101/21 Anlage BLD 26). Das Gleiche gilt auch für die Anpassungen zum 01.01.2014, 01.01.2015, 2017, 2018, 2019 und 2020 bei dem sich die Rechnungsgrundlage „Versicherungsleistungen“ mit gleichem Inhalt bereits jeweils aus dem Anschreiben ergibt. Welcher Tarif jeweils angepasst wird, ergibt sich dann für den Versicherungsnehmer zwanglos aus dem Versicherungsschein, auf den das Anschreiben durch einen Verweis mit „*“ Bezug nimmt. Aus den Mitteilungs- und Informationsschreiben ergibt sich zudem, dass eine Abweichung nicht nur vorübergehender Natur ist (vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation auch OLG Bamberg, Beschl. v. 29.03.2022 – 1 U 488/21 – BLD 27). Somit wird bei allen in Rede stehenden Prämienanpassungen des Beklagten für den Kläger als Versicherungsnehmer hinreichend deutlich, dass sie die Ausgaben und Einnahmen verglichen und analysiert hat, dass diese zu einer erforderlichen Anpassung geführt haben, was im Übrigen von einem unabhängigen Treuhänder überprüft worden ist.
B. Entgegen der mit der Berufung des Klägers vertretenen Auffassung ist eine Beitragserhöhung nach einhelliger höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung, der sich der Senat angeschlossen hat, selbst dann möglich bzw. geboten, wenn der Vergleich der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen eine Abweichung dahingehend ergeben hat, dass die erforderlichen gegenüber den kalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als 5 bzw. 10 Prozent gesunken sind (vgl. BGH, Urt. v. 20.10.2021 - IV ZR 148/20, a.a.O. Rn. 29 f.; Senat, Hinweisbeschl. v. 4.5.2022 – 11 U 239/21, BeckRS 2022, 13737 Rn. 18 sowie Bechl. v. 10.08.2022 – 11 U 224/21; OLG Dresden, Urt. v. 17.05.2022 – 4 U 2388/21, BeckRS 2022, 12334; OLG München, Hinweisbeschl. v. 05.08.2021 – 25 U 2807/21, BeckRS 2021, 26097 Rn. 25).
C. Ohne Erfolg beruft sich der Kläger schließlich darauf, dass es für alle Prämienneufestsetzungen, die durch eine Schwellenwertabweichung bei der Rechnungsgrundlage „Versicherungsleistungen“ ausgelöst wurden, die nicht den gesetzlich festgelegten Wert von 10 % folgend endgültig unwirksam seien. Dieser Rechtsauffassung ist der Bundesgerichtshof in der von der Beklagten angeführten Entscheidung (BGH, Urt. v. 22.06.2022 – IV ZR 253/20, juris) nicht gefolgt. Dem schließt sich der Senat an.
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision wird entgegen der Anregung der Terminsvertreterin des Klägers im Senatstermin am 21.09.2022 vom Senat – in Ermangelung der gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 133 GVG – nicht zugelassen. Das Urteil des erkennenden Senates beruht im Wesentlichen auf der Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall und auf der Würdigung von dessen tatsächlichen Umständen. Divergenzen zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder zu Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte, die höchstrichterlich noch ungeklärte Rechtsfragen mit Relevanz für den Ausgang des hiesigen Streitfalles betreffen, sind nicht ersichtlich. Die aufgeworfenen Rechtsfragen lassen sich im Streitfall vielmehr auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zweifelsfrei beantworten. Das gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auch dann, wenn noch eine große Anzahl vergleichbarer Fälle bei Gericht anhängig ist (vgl. statt vieler Senat, Urt. v. 21.09. 2022 – 11 U 286/21 m.w.N.).