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Entscheidung 17 StVK 103/22


Metadaten

Gericht LG Neuruppin Strafvollstreckungskammer Entscheidungsdatum 11.08.2022
Aktenzeichen 17 StVK 103/22 ECLI ECLI:DE:LGNEURU:2022:0811.17STVK103.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

In der Strafvollstreckungssache

….

wird die dem Verurteilten mit Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 25.07.2018 – (259 Ds) 266 Js 1134/18 (101/18) – gewährte Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung hinsichtlich der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe von sechs Monaten widerrufen.

Gründe

I.

Der Verurteilte ist durch Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 25.07.2018 – (259 Ds) 266 Js 1134/18 (101/18) – wegen tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in weiterer Tateinheit mit versuchter Körperverletzung, in weiterer Tateinheit mit Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt und begann mit Rechtskraft der Entscheidung am 15.08.2018.

Innerhalb der laufenden Bewährungszeit beging der Verurteilte am 13.06.2021 erneut eine Straftat, indem er an diesem Tage in XXX Betäubungsmittel in nicht geringer Menge mit sich führte, welche überwiegend zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt waren. Mit Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 20.01.2022 – 13 KLs 358 Js 20764/21 (16/21) –, rechtskräftig seit dem 27.04.2022, wurde daraufhin gegen ihn wegen unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verhängt. Zuvor hat sich der Verurteilte in dieser Sache aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Schwedt/Oder vom 13.06.2021, seit diesem Tage bis zum Beginn der Strafhaft am 27.04.2022 in Untersuchungshaft befunden.

Eine Abschrift des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Neuruppin vom 20.01.2022 ist am 13.05.2022 zum Bewährungsheft gelangt.

Anlässlich dessen hat die Staatsanwaltschaft Berlin mit Verfügung vom 25.05.2022 den Widerruf Strafaussetzung zur Bewährung beantragt.

Dem Verurteilten wurde durch Schreiben der Kammer vom 17.06.2022 nochmals die Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt.

Der Verurteilte beantragte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 02.08.2022 von einem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung abzusehen; hilfsweise von einem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung abzusehen und die Bewährungszeit um eine angemessene Dauer zu verlängern. Zur Begründung hat er ausgeführt, ein Widerruf scheide aus, da sich die Taten bereits nach Art und Schwere nicht entsprechen und er sich bezüglich der Deliktstypen, wegen derer er zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden sei tatsächlich bewährt habe. Darüber hinaus sei ein Widerruf aus Gründen des Vertrauensschutzes unzulässig, da seit dem Ende der Bewährung fast ein Jahr verstrichen sei. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Schriftsatz des Verteidigers vom 02.08.2022 verwiesen.

II.

Gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB war die Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen, weil der Verurteilte während der laufenden Bewährungszeit erneut straffällig geworden ist und dadurch gezeigt hat, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat.

1. Dem Widerruf der Strafaussetzung steht nicht entgegen, dass die frühere Straftat und die neue Verurteilung unterschiedliche Deliktstypen betreffen. Insoweit kommt es gemäß § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB auf einen kriminologischen Zusammenhang nicht an (vgl. MüKoStGB/Groß/Kett-Straub StGB § 56f Rn. 9; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 14. März 2011 – 2 Ws 26 - 27/11 –, juris Rn. 35). Die Taten müssen auch nicht nach Art und Schwere miteinander vergleichbar sein (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 25. Juni 2009 – 2 Ws 252/09 –, juris Rn. 9). Es genügt daher jede in der Bewährungszeit begangene Tat von einigem Gewicht. Die Andersartigkeit der Widerrufsanlasstat kann allenfalls dafür bedeutsam sein, ob die Abweichung des kriminologischen Charakters darauf schließen lässt, entgegen der grundsätzlichen Indizwirkung des Bewährungsversagens drohe keine noch weitere Delinquenz. Das wird indes regelmäßig zu verneinen sein, weil die Legalprognose sich nicht dadurch verbessert, dass der Verurteilte durch die Widerrufsanlasstat zeigt, zusätzlich weitere Rechtsgüter zu verletzen bereit zu sein. Nur bei Gelegenheits- und Bagatelltaten kann eine abweichende Bewertung veranlasst sein (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 14. März 2011 – 2 Ws 26 - 27/11 –, a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Januar 1983 – 1 Ws 9/83 –, juris). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Betäubungsmittelhandel und –besitz ist zwar nicht einschlägig zu den hier gegenständlichen Vergehen gegen die Rechtsgüter der Ehre, der körperlichen Unversehrtheit sowie gegen die staatliche Vollstreckungstätigkeit, aber zu früher abgeurteilten Vergehen nach dem Betäubungsmittelgesetz. Das erforderliche Gewicht der Anlasstat ergibt sich ohne weiteres aus der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe, die mit drei Jahren und drei Monaten die Bagatellgrenzen erheblich überschreitet.

2. Auch mildere Maßnahmen als ein Bewährungswiderruf im Sinne des § 56f Abs. 2 StGB kamen nicht mehr in Betracht. Denn die Entscheidung hierfür setzt voraus, dass trotz des Bewährungsversagens – eventuell unter Verstärkung des justiziellen Druckes mit Hilfe weiterer Auflagen oder Weisungen – davon ausgegangen werden kann, dass die Vollstreckung der Strafe nicht erforderlich ist, um den Verurteilten von weiteren Straftaten abzuhalten. Hiervon kann aber im vorliegenden Fall, insbesondere mit Blick auf die Erheblichkeit der Folgetat nicht ausgegangen werden. Sämtliche bislang erfolgte Verurteilungen haben nicht dazu geführt, den Verurteilten dauerhaft von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Vielmehr ist der Verurteilte davon völlig unbeeindruckt seinem alten Verhaltensmuster weiter gefolgt und ist - an den früheren Verurteilungen gemessen - weiter einschlägig aufgefallen.

3. Dem Widerruf der Strafaussetzung steht auch nicht entgegen, dass die Bewährungszeit bereits am 14.08.2021 abgelaufen war. Die zeitliche Grenze des § 56g Abs. 2 S. 2 StGB gilt für den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nicht (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 04. Oktober 2021 – 1 Ws 114/21 –, juris Rn. 28; KG Berlin, Beschluss vom 13. März 2003 – 1 AR 224/03 - 5 Ws 90/03 –, juris Rn. 11).

Auch Gründe des Vertrauensschutzes stehen dem Widerruf vorliegend nicht entgegen. Nach der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung ist der Widerruf grundsätzlich auch nach Ablauf der Bewährungszeit zulässig. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Verurteilte mit dem Widerruf nicht mehr zu rechnen brauchte (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 1. Februar 2018 – III-4 Ws 3/18 –, juris Rn. 4; KG Berlin, Beschluss vom 22. Januar 2014 – 2 Ws 17/14 –, juris Rn. 6 m.w.N.). Der dafür maßgebliche Zeitpunkt lässt sich nicht allgemein festlegen; es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles an (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 04. Oktober 2021 – 1 Ws 114/21 –, juris a.a.O.). Nicht die Schnelligkeit, mit der die Strafaussetzung hätte widerrufen werden können, ist das maßgebliche Kriterium. Maßgebend ist, ob die Verzögerung einen sachlichen Grund hatte oder ob das Verfahren ungebührlich verzögert wurde (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 22. Januar 2014 – 2 Ws 17/14 –, a.a.O.; KG Berlin, Beschluss vom 13. März 2003 – 1 AR 224/03 - 5 Ws 90/03 –, juris Rn. 11). In der Rechtsprechung wird ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung dann für unzulässig erachtet, wenn seit Rechtskraft der neuen Verurteilung ein erheblicher Zeitablauf eingetreten ist (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 9. Dezember 2019 – 1 Ws 196/19 –, juris Rn. 33).

Ein solcher erheblicher Zeitablauf liegt im vorliegenden Fall nicht vor. Der Verurteilte wurde seinerzeit gemäß § 268a StPO darüber belehrt, das ein Bewährungsverstoß regelmäßig zum Widerruf der Strafaussetzung führt. Auch konnte er sich angesichts der Schwere des Bewährungsversagens kein schutzwürdiges Vertrauen darauf bilden, dass ein Bewährungswiderruf nicht mehr zu erwarten sei. Da er sich seit dem 13.06.2021 – und somit noch vor Ablauf der Bewährungszeit – in Untersuchungshaft befand, musste der Beschwerdeführer mit einer Anklage und im Folgenden auch damit rechnen, dass die neue Straftat zum Anlass genommen werde, die Strafaussetzung zu widerrufen. Er konnte somit nicht darauf vertrauen, dass der Widerruf unterbleiben würde. Auch der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Berlin, den Widerrufsantrag nicht bereits am Tag der Verurteilung gestellt hat, begründet kein schutzwürdiges Vertrauen des Verurteilten darauf, dass er mit einem Widerruf nicht mehr rechnen müsse. Zum einen wurde das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft Neuruppin betrieben und zum anderen durfte die Staatsanwaltschaft Berlin den Eintritt der Rechtskraft des Urteils am 27.04.2022 abwarten.