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Entscheidung 12 U 30/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 12. Zivilsenat Entscheidungsdatum 16.08.2022
Aktenzeichen 12 U 30/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0816.12U30.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 10.02.2022 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Neuruppin, Az. 1 O 110/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

1.1 Hierzu besteht für die Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung eines restlichen Hinterbliebenengeldes aus Anlass eines Verkehrsunfalls, der sich am … 2020 gegen 8:55 Uhr auf der Bundesstraße … in Höhe des Ortes W… ereignete, in Anspruch. Die seinerzeit 82 Jahre alte Mutter der Klägerin befuhr mit ihrem Pkw die Bundesstraße … aus Richtung P… kommend in Fahrtrichtung W…. Der Beklagte befuhr mit seinem Pkw die Bundesstraße im Gegenverkehr und stieß in der Fahrspur der Mutter der Klägerin mit deren Pkw frontal zusammen. In der Folge des Unfalls verstarb die Mutter der Klägerin.

Die Kfz-Haftpflichtversicherung des Beklagten zahlte vorgerichtlich ein Hinterbliebenengeld i.H.v. 5.500,00 €. Mit der Klage begehrt die Klägerin die Zahlung eines weiteren Hinterbliebenengeldes in Höhe von mindestens 6.000,00 € sowie die Erstattung ihr vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 2.000,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.07.2021 sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 157,80 € zu zahlen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Klägerin stehe gemäß § 844 Abs. 3 BGB ein weiteres Hinterbliebenengeld von 2.000,00 € zu. Unter Abwägung aller relevanten Umstände sei im vorliegenden Fall ein Hinterbliebenengeld in der Gesamthöhe von 7.500,00 € als angemessen zu betrachten. Die Kammer gehe entsprechend dem Vortrag der Klägerin davon aus, dass diese in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis zu ihrer bei dem Unfall ums Leben gekommenen Mutter gestanden habe. Allerdings liege der Fall anders als bei dem Verlust eines Elternteils von minderjährigen Kindern, die auf die Fürsorge der Eltern angewiesen seien, was sich mindernd auf die Höhe des Hinterbliebenengeldes auswirke. Berücksichtigt worden sei auch, dass der Beklagte infolge seines verkehrswidrigen Fahrverhaltens den Unfall in grob fahrlässiger Weise verursacht habe. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe verwiesen.

Die Klägerin hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 11.02.2022 zugestellte Urteil mit einem am 21.02.2022 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangen Schriftsatz Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel mit einem am 07.04.2022 eingegangenen Schriftsatz begründet. Der Beklagte hat seinerseits innerhalb der bis zum 23.06.2022 verlängerten Frist zur Berufungserwiderung mit einem an diesem Tage eingegangenen Schriftsatz Anschlussberufung eingelegt und diese zugleich begründet.

Die Klägerin verfolgt mit der Berufung ihre erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche in vollem Umfang weiter. Sie ist der Auffassung, schon die Ausgleichsfunktion rechtfertige ein erhöhtes Hinterbliebenengeld, wobei berücksichtigt werden müsse, dass sie als „Nesthäkchen“ ein besonders inniges Verhältnis zu ihrer Mutter verbunden habe. Im vorliegenden Fall gewinne die Genugtuungsfunktion herausragende Bedeutung, weil ein Fall von besonders krassem Verschulden vorliege. In solchen Fällen sei es schon aus Gerechtigkeitsgründen geboten, dass ein erhöhtes Hinterbliebenengeld in Ansatz gebracht werden müsse. Das Landgericht habe weder eigene Ermessensgründe angegeben, noch begründet, warum der vorliegende Fall mit den im Urteil angeführten Entscheidungen vergleichbar sei. Das Urteil enthalte im Wesentlichen lediglich zwei knappe Begründungen, die nicht überzeugen könnten. Warum ihr Alter sich mindernd auf die Höhe ihres Anspruches auswirken solle, sei nicht nachvollziehbar. Im Gegenteil spreche die langjährige dauernde innige Beziehung dafür, dass ein solcher Verlust als Härte empfunden werde. Selbst wenn man von einem durchschnittlichen Hinterbliebenengeld von 10.000,00 € für den Regelfall ausgehe, sei ihr Anspruch mindestens in dieser Höhe gerechtfertigt. Dies ergebe sich allein schon aus der Genugtuungsfunktion unter Berücksichtigung der Bewertung des Verschuldensgrades, der Vermögensverhältnisse, der Regulierungsverzögerung und des Tatnachverhaltens des Beklagten. Aufgrund der Beweise stehe fest, dass der Beklagte ohne hinreichende Sicht auf den Gegenverkehr „blind“ einen Überholversuch eingeleitet habe und mit einer Geschwindigkeit von annähernd 100 km/h auf die Gegenseite gefahren sei. Insoweit halte sie daran fest, dass von einem bedingten Vorsatz auszugehen sei. Das Verhalten des Beklagten wiege schwerer als in den sogenannten „Raserfällen“, zumal sich der Unfall nicht zur verkehrsarmen Nachtzeit, sondern in der „Rush Hour“ ereignet habe. Selbst wenn man jedoch nur von einer grob fahrlässigen Verhaltensweise des Beklagten ausgehe, nehme der vorliegende Verkehrsunfall noch eine Ausnahmestellung ein. Die vom Landgericht als Vergleichsmaßstab herangezogenen Urteile seien nicht entfernt mit dem vorliegenden Fall vergleichbar. Vor allem sei die durch den Beklagten erfolgte Regulierungsverzögerung deutlich erhöhend zu berücksichtigen. Der Beklagte habe durch sein Aussageverhalten, indem er zunächst bestritten habe, dass er sein Fahrzeug in vollem Umfang in den Gegenverkehr bewegt habe, für eine zeitliche Verzögerung im Rahmen der Schadensregulierung gesorgt. Dieses Aussageverhalten habe zur Folge gehabt, dass die Trauerarbeit nicht habe beginnen können. Auch im vorliegenden Verfahren sei immer noch nicht eine Einsichtshaltung des Beklagten zu erkennen. Der von ihr geltend gemachte Anspruch trage insbesondere der Intention des Gesetzgebers Rechnung, eine Angleichung des nationalen Rechts an europäisches Recht zu erreichen. Schließlich überzeuge das Urteil auch nicht im Hinblick auf die geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten. Das von dem Prozessbevollmächtigten ausgeübte Ermessen bei der Bestimmung der in Ansatz gebrachten Gebühr könne nicht mit der Begründung korrigiert werden, die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten sei nicht überdurchschnittlich gewesen.

Die Klägerin kündigt den Antrag an,

den Beklagten unter Abänderung des Urteils 1. Instanz zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Hinterbliebenengeld, dass einen Betrag in Höhe von weiteren 4.000,00 € nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.07.2021 zu zahlen;

den Beklagten weiter zu verurteilen, an sie weitere außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 1.032,76 € zu zahlen.

Der Beklagte kündigt die Anträge an,

die Berufung zurückzuweisen;

im Wege der Anschlussberufung unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Neuruppin vom 10.02.2022 – 1O 110/21 – die Klage insgesamt abzuweisen.

Er wiederholt und vertieft unter näheren Ausführungen seine Auffassung, dass die vorgerichtliche Zahlung i.H.v. 5.500,00 € angemessen, aber auch ausreichend sei, sodass der darüber hinausgehende Betrag von weiteren 2.000,00 € vom Landgericht zu Unrecht zugesprochen worden sei. Soweit das Landgericht zur Begründung auf das Urteil des LG Tübingen Bezug nehme, habe es die anders gelagerten Umstände des vorliegenden Einzelfalles verkannt.

Die Klägerin kündigt den Antrag an,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gem. §§ 517 ff. ZPO eingelegte Berufung ist nach einstimmiger Auffassung des Senats offensichtlich unbegründet. Die Rechtssache weist auch weder grundsätzliche Bedeutung auf, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Eine mündliche Verhandlung ist auch nicht aus sonstigen Gründen geboten. Es ist daher die Zurückweisung der Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmig gefassten Beschluss beabsichtigt.

Der Klägerin steht über den außergerichtlich von der Kfz-Haftpflichtversicherung des Beklagten gezahlten Betrag von 5.500,00 € und den vom Landgericht ausgeurteilten Betrag von weiteren 2.000,00 € kein weiterer Anspruch auf Hinterbliebenengeld aus §§ 7 Abs. 1, 10 Abs. 3 StVG, 844 Abs. 3 BGB zu. Das Urteil des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung.

Die vollständige Haftung des Beklagten dem Grunde nach für die Folgen des Verkehrsunfalls vom 17.03.2020 ist zwischen den Parteien nicht im Streit.

Gemäß §§ 10 Abs. 3 StVG, 844 Abs. 3 BGB hat der Ersatzpflichtige dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Diese Regelung gilt für alle Schäden, die nach dem 22.07.2017 eingetreten sind (Art. 229 § 43 EGBGB).

Die Anspruchsvoraussetzungen liegen dem Grunde nach vor und werden von dem Beklagten auch nicht infrage gestellt. Die Klägerin stand als Tochter ihrer bei dem Unfall tödlich verunglückten Mutter in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis. Die dahingehende Vermutung nach § 10 Abs. 3 S. 2 StVG hat der Beklagte nicht widerlegt. Unstreitig hat die Klägerin durch den Unfalltod ihrer Mutter auch „seelisches Leid“ erlitten, welches in seiner Intensität hinter einer pathologischen mittelbaren Gesundheitsbeeinträchtigung als ersatzfähigem Schockschaden zurückbleibt, sodass ein eigener Schmerzensgeldanspruch der Klägerin nach den §§ 823, 253 Abs. 2 BGB, 11 S. 2 StVG nicht gegeben ist. Die Kfz-Haftpflichtversicherung des Beklagten hat den Anspruch auch dem Grunde nach anerkannt und vorgerichtlich bereits ein Hinterbliebenengeld i.H.v. 5.500,00 € gezahlt.

Für das zugefügte seelische Leid ist eine „angemessene Entschädigung in Geld“ zu leisten. Konkrete Vorgaben finden sich weder im Gesetz noch in der Gesetzesbegründung. Nach der Gesetzesbegründung soll Ziel und Zweck des Hinterbliebenengeldes darin bestehen, die Hinterbliebenen in die Lage zu versetzen, ihre durch den Verlust eines besonders nahestehenden Menschen verursachte Trauer und das ihnen zugefügte seelische Leid zu lindern (vgl. BT-Drucksache 18/11397 Seite 8, 14). Dabei hat der Gesetzgeber betont, dass eine Bewertung des verlorenen Lebens oder des in Geld nicht mehr messbaren Verlustes des besonders nahestehenden Menschen für den Hinterbliebenen nicht in die Bemessung einfließt (BT-Drucksache 18/11397 Seite 14). Für die damit eröffnete Bemessung der Anspruchshöhe, bei der § 287 ZPO anzuwenden ist, können die Höhe des Schmerzensgeldes bei Schockschäden und die insoweit von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze eine gewisse Orientierung bieten (vgl. BT-Drucksache a.a.O.).

In der überwiegenden Rechtsprechung wird der in der Begründung des Regierungsentwurfes genannte Betrag von 10.000 €, „der derzeit von den Gerichten bei der Tötung eines Angehörigen als Entschädigung für sogenannte Schockschäden zugesprochen wird“, als Orientierungshilfe oder Richtschnur angesehen (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 23.02.2021 – 7 U 149/20, DAR 2021,332, juris Rn. 36; OLG Köln, Urteil vom 05.02.2022 – 18 U 168/21, ZfS 2022, 310, juris Rn. 37; OLG Koblenz, Beschluss vom 31.08.2020 – 12 U 870/20, NJW 2021, 168, juris Rn. 12; LG Tübingen, Urteil vom 17.05.2019 – 3 O 108/18, NZV 2019, 656, juris Rn. 79). Andererseits wird vertreten, dass aufgrund des Vorrangs des Anspruchs auf Ersatz eines Schockschadens das Hinterbliebenengeld in der Regel unter dem für sogenannte Schockschäden zuzuerkennenden Betrag liegen sollte, das Hinterbliebenengeld somit als „Minus“ zum Schmerzensgeld niedriger zu bemessen ist, weil es ansonsten zu Wertungswidersprüchen kommt (vgl. OLG Köln a.a.O. Rn. 52; OLG Koblenz a.a.O. Rn. 18; Jahnke in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl., § 844 BGB Rn. 228; a.A. OLG Schleswig a.a.O. Rn. 36). In der Rechtsprechung sind bislang zumeist in Fallkonstellationen wie dem vorliegenden Fall (Verlust eines Elternteils für volljährige Kinder) auch niedrigere Entschädigungsbeträge zugesprochen worden (vgl. LG Tübingen a.a.O.: 7.500,00 €; LG München II, Urteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18, BeckRS 2019, 24127: 5.000,00 € für volljährigen Sohn; LG Trier, Urteil vom 05.05.2020 – 6 O 376/19, zitiert nach Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge, 40. Aufl. Nr. 3088: 7.500,00 € für verheiratete und im eigenen Haushalt lebende Tochter). Das OLG Schleswig (a.a.O.) hat einer Frau, deren Vater bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, ein Hinterbliebenengeld von 10.000,00 € zugesprochen.

Gemessen an diesen Maßgaben hält der Senat im Streitfall nach Abwägung sämtlicher Umstände mit dem Landgericht ein Hinterbliebenengeld i.H.v. 7.500,00 € für angemessen.

Der Senat ist sich bewusst, dass das Ausmaß der Trauer um einen geliebten Menschen nur schwer in Geldbeträgen zu beziffern und die dabei vorzunehmende Abwägung für den einzelnen Hinterbliebenen nur schwer nachzuvollziehen ist. Dennoch liegen im vorliegend zu beurteilenden Einzelfall Umstände vor, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, von dem als „Richtschnur“ genannten Durchschnittsbetrag von 10.000,00 € nach unten abzuweichen. Dabei legt der Senat den bestrittenen Vortrag der Klägerin, sie habe ein besonders inniges Verhältnis zu ihrer verstorbenen Mutter gehabt, habe sich regelmäßig alle ein bis zwei Wochen mit ihr getroffen und mir ihr mehrfach gemeinsam Urlaub gemacht, der Unfall habe sich auf dem Weg zur Klägerin ereignet, was diese als besonders belastend empfinde, zu ihren Gunsten zugrunde, auch wenn eine „räumliche Nähe“ zur Mutter nicht näher substantiiert worden ist, da nicht angegeben wird, wo diese gewohnt hat.

Zu berücksichtigen ist einerseits, dass die Mutter der Klägerin bereits 82 Jahre und damit in einem Alter war, in dem die verbliebene Lebenserwartung und damit die Aussicht auf weitere gemeinsam verbrachte Jahre naturgemäß geringer war als etwa in dem vom LG Tübingen (a.a.O.) zu beurteilenden Fall, in dem der bei dem Verkehrsunfall getötete Vater erst 60 Jahre alt war, so dass durchaus davon auszugehen war, dass der Vater ohne den Unfall – anders als hier – noch mindestens 10 – 15 Jahre gelebt hätte. Die Klägerin wiederum war zum Unfallzeitpunkt bereits 52 Jahre alt und hatte sich vom Elternhaus gelöst und ihre eigene Familie gegründet, so dass sich ihr Verlust – bei aller Tragik – angesichts des fortgeschrittenen Alters der Mutter weniger drastisch und einschneidend ausgewirkt hat als etwa bei minderjährigen oder auch volljährigen Kindern, die noch im elterlichen Haushalt leben oder noch auf die Fürsorge der Eltern angewiesen sind, oder bei Ehegatten, die mit dem Getöteten – möglicherweise über viele Jahre hinweg – in einem Haushalt zusammengelebt haben und für die der Verlust daher besonders schwerwiegend wirkt. Der Umstand, dass die Klägerin die jüngste Tochter der Verstorbenen war, ist aus Sicht des Senats dagegen für die Bemessung des Hinterbliebenengeldes ohne Bedeutung, da nicht anzunehmen ist, dass allein deswegen die Schwestern der Klägerin weniger um ihre Mutter trauern als die Klägerin selbst. Auch ist der vorliegende Fall anders zu bewerten als diejenigen Fälle, in denen Opfer nicht ein Elternteil, sondern ein Kind waren und in denen bislang, soweit ersichtlich, allein Beträge über 10.000,00 € ausgeurteilt wurden (vgl. LG Leipzig, Urteil v. 08.11.2019 – 5 O 758/19, juris: 15.000,00 € für bei einem Verkehrsunfall getötete 16jährige Tochter; LG Dessau-Roßlau, Urteil v. 22.10.2021 – 4 O 220/20, juris: 20.000,00 € für durch Gewaltdelikt getöteten Sohn). Denn es versteht sich von selbst, dass der Verlust eines – möglicherweise einzigen – Kindes durch einen Verkehrsunfall für die Eltern als das Schlimmste überhaupt empfunden wird, während der Verlust eines Elternteils – insbesondere wenn dieses wie im vorliegenden Fall ein fortgeschrittenes Alter erreicht – dem natürlichen Ablauf entspricht.

Andererseits ist bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes auch zulasten des Beklagten dessen grob fahrlässiges Fahrverhalten zu berücksichtigen. Es erscheint nicht nachvollziehbar, wenn der Beklagte behauptet, er habe lediglich einen Blick auf die Gegenfahrbahn erlangen wollen, um die Möglichkeit eines gefahrlosen Überholens abschätzen zu können, andererseits jedoch er mit seinem Fahrzeug in vollem Umfang auf die Gegenfahrbahn gefahren ist. Dies dürfte nunmehr unstreitig sein, da in der Berufungserwiderung – anders als in der Klageerwiderung – das Wort „teilweise“ nicht mehr vorkommt. Dazu in Widerspruch steht auch sein erstmals in der Berufungsinstanz erfolgter Vortrag, er leide infolge des Unfalls an einer retrograden Amnesie und habe deshalb an das Unfallgeschehen keine Erinnerung mehr. Dass es sich jedenfalls um einen groben Verkehrsverstoß handelt mit der Folge, dass eine Haftung der Mutter der Klägerin aus der Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs vollständig zurücktritt, stellt auch der Beklagte nicht (mehr) in Abrede. Der Senat vermag auch nachzuvollziehen, dass die wechselhaften Unfallschilderungen des Beklagten für die Klägerin und die übrigen Hinterbliebenen eine Belastung bei der seelischen Verarbeitung des Geschehens darstellen können. Dies gilt auch, soweit der Beklagte mit der Anschlussberufung die Verurteilung zur Zahlung eines weiteren – relativ geringfügigen – Betrages von 2.000,00 € in Frage stellt. Ein bedingter Vorsatz des Beklagten erscheint dagegen fernliegend. Auch der in der Berufungsbegründung herangezogene Vergleich mit den sogenannten „Raserfällen“ erscheint wenig hilfreich und mit der konkreten Situation nicht vergleichbar.

Im Übrigen ist auch in der vom Landgericht herangezogenen Entscheidung des LG Tübingen (a.a.O.) eine grobe Fahrlässigkeit des Unfallverursachers berücksichtigt worden. Soweit die Klägerin meint, im dortigen Fall habe sich der Unfallverursacher im Gegensatz zum Beklagten einsichtig gezeigt, weshalb ein höheres Hinterbliebenengeld gerechtfertigt sei, ist zu berücksichtigen, dass im dortigen Fall die Kinder des Verstorbenen wesentlich jünger waren als die Klägerin und deshalb deren Verlust als schwerwiegender anzusehen ist.

Ein zögerliches Regulierungsverhalten der Kfz-Haftpflichtversicherung des Beklagten ist hingegen nicht erhöhend zu berücksichtigen. Unabhängig davon, ob dies bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes überhaupt Berücksichtigung finden kann, ist im Streitfall ein Hinterbliebenengeld von der Klägerin erstmals mit Anwaltsschreiben vom 12.11.2020, also knapp acht Monate nach dem Unfall, geltend gemacht worden. Die Zahlung eines Betrages von 5.500,00 € erfolgte im März 2021 und damit noch innerhalb eines angemessenen zeitlichen Rahmens. Auch kann es dem Beklagten nicht zum Vorwurf gereichen, dass er sich zunächst gegen seine zivilrechtliche Inanspruchnahme gewendet hat und damit es auf einen Rechtsstreit hat ankommen lassen. Verständlich ist, dass dies die Klägerin und die übrigen Angehörigen belastet. Eine Erhöhung des Hinterbliebenengeldes rechtfertigt dies jedoch nicht.

Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten sind für die Bemessung des Hinterbliebenengeldes ebenfalls irrelevant (vgl. OLG Köln a.a.O. Rn. 40).

Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, dass es Intention des Gesetzgebers gewesen ist, dass Entschädigungen in einer Höhe gezahlt werden sollen, wie sie in anderen europäischen Ländern wie Österreich oder der Schweiz gezahlt werden. Denn der Gesetzgeber hat ausdrücklich auf die Nennung einer bestimmten Summe verzichtet, sondern die Entscheidung über die Höhe des Hinterbliebenengeldes den Gerichten überlassen. Dabei zeigt der Verweis auf die Rechtsprechung zum Schmerzensgeld bei Schockschäden, dass der Gesetzgeber eine Angleichung an in europäischen Nachbarländern gezahlte Summen gerade nicht im Blick gehabt hat.

Insgesamt bewegt sich das vom Landgericht ausgeurteilte Hinterbliebenengeld in einem in vergleichbaren Fällen üblichen Rahmen. Anhaltspunkte dafür, dass das Landgericht sein Ermessen fehlerhaft oder unzureichend ausgeübt hat, liegen nicht vor, sodass es letztlich bei der Entscheidung des Landgerichts verbleiben muss.

Dementsprechend besteht auch kein Anspruch auf Erstattung weiterer außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Es ist bereits rechnerisch nicht nachvollziehbar, wie sich der nunmehr geltend gemachte Betrag von 1.032,76 € zusammensetzt. Erstinstanzlich hat die Klägerin ihre Forderung in der mündlichen Verhandlung von ursprünglich 1.890,56 € auf 1.319,13 € reduziert (Bl. 99 d.A.), ohne dass ersichtlich wird, wie sich die ermäßigte Forderung berechnet. Abzüglich der vom Landgericht zugesprochenen 157,80 € verbliebe ein Betrag von 1.161,33 € und nicht 1.032,76 €. Soweit die Klägerin zur Begründung auf die „Toleranz-Rechtsprechung“ verweist, verkennt sie, dass der BGH seine in dem zitierten Urteil vom 08.05.2012 (VI ZR 273/11) vertretene Rechtsauffassung mittlerweile aufgegeben hat. Eine Erhöhung der Schwellengebühr von 1,3, die die Regelgebühr für durchschnittliche Fälle darstellt, auf eine 1,5-fache Gebühr ist nicht der gerichtlichen Überprüfung hinsichtlich des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Überschreitung der Regelgebühr von 1,3 entzogen. Andernfalls könnte der Rechtsanwalt für durchschnittliche Sachen, die nur die Regelgebühr von 1,3 rechtfertigen, ohne weiteres eine 1,5-fache Gebühr verlangen. Dies verstieße gegen den Wortlaut und auch gegen den Sinn und Zweck des gesetzlichen Gebührentatbestandes in Nr. 2300 VV-RVG, der eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr hinaus nicht in das Ermessen des Rechtsanwalts stellt, sondern bestimmt, dass eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig und damit überdurchschnittlich war (vgl. BGH, Urteil vom 05.02.2013 – VI ZR 195/12, NJW-RR 2013, 1020, Rn. 8). Dazu hat die Klägerin jedoch außer dem pauschalen Vortrag, es habe einige Korrespondenz und mehrere Telefonate mit der Kfz-Haftpflichtversicherung des Beklagten gegeben, nichts Substantielles vorgetragen.

Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG). Zugleich verliert die Anschlussberufung im Falle der Rücknahme der Berufung ihre Wirkung (§ 524 Abs. 4 ZPO).