Gericht | OLG Brandenburg 2. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 17.11.2022 | |
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Aktenzeichen | 2 AR 30/22 (S) | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:1117.2AR30.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die Auslieferung des Verfolgten an die Türkei zum Zwecke der Vollstreckung der restlichen, durch Urteil Nr. 218/13 des Istanbul Andalou 2. High Criminal Court“ vom 16. Januar 2018 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß Art. 188/3,62, 53,54 und 63 des türkischen Strafgesetzbuches gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe von ursprünglich vier Jahren und zwei Monaten wird für zulässig erklärt.
2. Gegen den Verfolgten wird unter Zurückweisung seiner Einwendungen die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet.
I.
Der Verfolgte wurde am 5. Juli 2022 in T... aufgrund einer Interpol-Fahndungsausschreibung der türkischen Behörden festgenommen und befindet sich aufgrund des Auslieferungshaftbefehls des Senats vom 11. August 2022 in Auslieferungshaft in der Justizvollzugsanstalt ....
Die türkischen Behörden ersuchen um seine Auslieferung zur Vollstreckung einer gegen ihn durch Urteil Nr. 2018/13 des „Istanbul Anadolu 2. High Court“ vom 16. Januar 2018 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß Artikel 188/3, 62, 53, 54 und 63 des türkischen Strafgesetzbuches verhängten Freiheitsstrafe von ursprünglich vier Jahren und zwei Monaten.
Gemäß dem Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft Istanbul Anadolu vom 10. März 2021 (Az. 2021/1-3607) soll bei der richterlich angeordneten Durchsuchung der Wohnung des Verfolgten unter der Adresse B... C... No. ..., M...-I..., am 18. Mai 2010 Folgendes festgestellt und beschlagnahmt worden sein: 630 g Cannabiskraut, verpackt in 4 Tüten; 82 g Cannabiskraut, verpackt in 10 Tüten; 161 g Cannabispulver; Utensilien zum Handel mit Betäubungsmitteln, namentlich verschließbare Tüten, Verpackungsmaterialien und ein Verpackungsapparat sowie ein Beko-Feinmessgerät mit Cannabisanhaftungen. Die beschlagnahmten Substanzen sind entsprechend dem Gutachten des Präsidiums des kriminaltechnischen Labors Istanbul vom 21. Mai 2010 untersucht worden, wonach sich die Annahme, dass es sich um Cannabis handele bzw. um Betäubungsmittel, die THC beinhalten, entsprechend einer chemischen Untersuchung bestätigt habe.
Der Verfolgte ist am 1. Januar 2021 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hat am 2. Februar 2021 einen Asylantrag gestellt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat mit Bescheid vom 12. Mai 2021 dem Verfolgten, der nach der Niederschrift zu seinem Asylantrag Kurde ist, die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, seinen Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt, den subsidiären Schutzstatus nicht zuerkannt, festgestellt, dass Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen und den Verfolgten aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen Wegen der Einzelheiten wird auf den vorbezeichneten Bescheid (Bl.117 ff. Sonderband „Asylverfahren“) Bezug genommen. Hiergegen hat der Verfolgte durch seinen Beistand am 27. Mai 2021 vor dem Verwaltungsgericht Potsdam mit dem Antrag Klage erhoben, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 12. Mai 2021 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen; hilfsweise, ihm den subsidiären Schutz zuzuerkennen und höchst hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Mit Beschluss vom 22. November 2021 hat das Verwaltungsgericht Potsdam den Antrag des Verfolgten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die von ihm erhobene Klage abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den Gründen des Bundesamtsbescheids vom 12. Mai 2021 keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete.
Der Verfolgte ist zu dem Auslieferungsersuchen am 19. Oktober 2022 vor dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel richterlich vernommen worden und hat sich hierbei mit der vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden erklärt und auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität nicht verzichtet.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, seine Auslieferung für zulässig zu erklären und die Haftfortdauer anzuordnen. Der Verfolgte hat – zuletzt mit Schreiben vom 7. November 2022 – Einwendungen erhoben.
II.
Der Senat entscheidet antragsgemäß.
1. Die Auslieferung des Verfolgten ist unter der Bedingung der Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes zulässig.
Der Auslieferungsverkehr mit der Republik Türkei findet nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk) in Verbindung mit dem Zweiten Auslieferungsübereinkommen vom 17. März 1978 und dem Dritten Zusatzprotokoll vom 10. November 2010 zu dem vorbezeichneten Übereinkommen statt; nachrangig nach den Bestimmungen des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG).
Die auf dem dafür vorgesehenen Geschäftsweg (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 EuAlÜbK) zwischen der Botschaft der Republik Türkei und dem Auswärtigen Amt übermittelten Auslieferungsunterlagen genügen den gemäß § 10 Abs. 1 IRG, Art. 12 Abs. 2 EuAlÜbk an ihren Inhalt zu stellenden Anforderungen, da ihnen die ersuchende Behörde, der Inhalt des Auslieferungsbegehrens und das willentliche Übermitteln der Schriftstücke unzweifelhaft entnommen werden können. Sie weisen neben der hinreichenden Sachverhaltsdarstellung Zeit und Ort der Tatbegehung sowie die rechtliche Würdigung unter Bezugnahme auf die anwendbaren Gesetzesbestimmungen aus. Ferner sind zwar nicht das vollstreckbare verurteilende Erkenntnis, jedoch ein Vollstreckungshaftbefehl des Vollstreckungsbüros für schwere Straftaten in Istanbul vom 10. März 2021 (Az. 2021/1-3607) sowie die anwendbaren Vorschriften im Wortlaut den Unterlagen beigefügt. Ebenso genügen die Angaben zur Feststellung der Identität und der Staatsangehörigkeit des Verfolgten, zumal hieran aufgrund seiner dokumentierten eigenen Angaben im Sonderband „Asylverfahren“ kein Zweifel besteht und der Verfolgte sich im Rahmen seiner richterlichen Vernehmung vor dem Amtsgericht Potsdam am 6. Juli 2022 nicht auf eine Personenverwechselung berufen hat.
Der Verfolgte ist ausweislich des Akteninhalts und seinen eigenen Angaben nach ausschließlich türkischer Staatsangehöriger.
Die Auslieferungsfähigkeit der dem Verfolgten vorgeworfenen Straftat ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbK, §§ 3, 2 IRG. Die dem Verfolgten zur Last gelegte Tat ist sowohl nach Art. 188/3, 62, 53, 54 und 63 des türkischen Strafgesetzbuches als auch nach deutschem Strafrecht als unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG strafbar, im Höchstmaß jeweils mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht und die noch zu vollstreckende freiheitsentziehende Sanktion beträgt mehr als vier Monate. Es handelt sich bei der dem Verfolgten vorgeworfenen Tat ersichtlich um eine allgemeine kriminelle Handlung nicht politischer, militärischer oder fiskalischer Art (Art. 3 ff. EuAlÜbk).
Die Verjährung der Strafvollstreckung (Art. 10 EuAlÜbk) ist nach deutschem Recht noch nicht eingetreten, § 79 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 6 StGB. Gemäß den Auslieferungsunterlagen tritt nach türkischem Recht Vollstreckungsverjährung erst am 25. Januar 2031 ein.
Besondere Umstände des Falles, die Anlass zu einer Prüfung des hinreichenden Tatverdachtes ergeben könnten (§ 10 Abs. 2 IRG), liegen nicht vor.
Eine Prüfung des hinreichenden Tatverdachts nach § 10 Abs. 2 IRG ist im Auslieferungsverkehr nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen grundsätzlich ausgeschlossen und nur dann geboten, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der ersuchende Staat seinen Anspruch auf Auslieferung missbräuchlich geltend macht, oder die besonderen Umstände des Falles befürchten lassen, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung einem Verfahren ausgesetzt wäre, das gegen unabdingbare, von allen Rechtsstaaten anerkannte Grundsätze und damit gegen den völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard im Sinne von Art. 25 GG verstoßen werde, und die Tatverdachtsprüfung darüber Aufschluss geben kann (BGH, Beschl. v. 15. März 1984 – 4 ARs 23/83, NJW 1984, 2046; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25. Mai 2020 – Ausl 301 AR 37/20, BeckRS 2020, 11016). Dies ist hier auch unter Berücksichtigung der Einwendungen des Verfolgten und der von seinem Beistand im Schriftsatz vom 8. November 2022 dargelegten Gesichtspunkte nicht der Fall.
Die Entscheidung der 10. Strafkammer des Revisionsgerichts (Geschäftszeichen 2018/1727), aufgrund derer das Urteil des 2. Schwurgerichtes Istanbul Anadolu vom 16. Januar 2018 rechtskräftig geworden ist, datiert – entgegen der für den Verfolgten geltend gemachten Einwendungen des Beistands – nicht vom 25. Januar 2022, sondern vom 25. Januar 2021. Die fehlerhafte Jahresangabe „2022“ in der vorgelegten Übersetzung des Auslieferungsersuchens vom 20. Juli 2022 beruht auf einem eindeutigen und offensichtlichen Übertragungsfehler.
Dass der Verfolgte die Tatbegehung bestreitet und einen abweichenden Sachverhalt schildert, gibt für eine Tatverdachtsprüfung im Übrigen ebenfalls keinen Anlass (vgl. hierzu Schomburg/Lagogny/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 10 IRG, Rdnr. 36ff.). Nach Überzeugung des Senats sind seine Ausführungen hierzu und zu dem behaupteten Verfahrensgang auch als nicht glaubhaft einzuschätzen. Sie widersprechen den Angaben, die er im Rahmen seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gemacht hat. Dort hatte er eingeräumt, in der Türkei wegen Drogendelikten zu einer Freiheitsstrafe von 4,5 Jahren verurteilt worden zu seinen. Trotz wiederholter ausdrücklicher Nachfrage zu den Gründen seines Asylgesuchs hat er die nunmehr geschilderten Vorfälle, nach denen er bei einer Auseinandersetzung mit der Polizei misshandelt und geschlagen worden sei, in der Türkei der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung beschuldigt werde, Strafanzeige gegen Polizisten erstattet habe und wegen von ihm geteilter Beiträge in den sozialen Medien bei Gericht verklagt worden sei, dort nicht erwähnt. Dies hätte angesichts der massiven Vorwürfe gegen die türkische Polizei und Justiz mit Blick auf die von ihm geltend gemachte „politische Verfolgung“ jedoch auf der Hand gelegen. Warum der Verfolgte hierzu gleichwohl Näheres nicht geäußert hat, ist nicht plausibel aufgezeigt worden. Dass der hinzugezogene Dolmetscher insoweit unvollständig übersetzt haben soll, ist entgegen der vom Verfolgten vorgebrachten Einwendungen nicht anzunehmen. Anhaltspunkte dafür ergeben sich aus der Niederschrift über die Anhörung im Asylverfahren vom 3. März 2021 nicht; vielmehr bestätigt der Verfolgte dort die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Angaben in dem ihm rückübersetzten Protokoll. Die Annahme einer – vom Verfolgten geltend gemachten – politisch motivierte Strafverfolgung ist vielmehr durch nichts belegt und entbehrt mangels überprüfbarer Anhaltspunkte der nötigen Substanz (vgl. hierzu OLG Karlsruhe, aaO. Rn. 19 und 23).
Auslieferungshindernisse liegen nicht vor.
Dem Verfolgten droht keine unverhältnismäßig harte und unter jedem Gesichtspunkt als unangemessen erscheinende Sanktion. Ferner stehen die Haftbedingungen im Strafvollzug in der Türkei der Zulässigkeit der Auslieferung nicht entgegen (§ 73 S. 1 IRG). Die türkischen Behörden haben mitgeteilt, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung in der Justizvollzugsanstalt des geschlossenen Vollzugs „Typ T“ in Y... untergebracht werde, und unter detaillierter Ausführungen zu den Haftverhältnissen zugesichert, dass er für die Dauer seiner Inhaftierung auf eine Weise inhaftiert werde, die den Anforderungen nach Art. 3 EMRK entspreche, er keiner Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen werde und der zuständigen deutschen Auslandsvertretung die Möglichkeit eingeräumt werde, ihn zu besuchen und sich vor Ort über die bestehenden Verhältnisse zu informieren. Eine derartige Zusicherung der türkischen Behörden ist als belastbar anzusehen (vgl. hierzu OLG Bremen, Beschl. v. 3. Januar 2022 – 1 Ausl A 28/20, zit. nach Juris). Stichhaltige Anhaltspunkte dafür, dass im Fall einer Auslieferung des Verfolgten eine aus den Haftbedingungen im ersuchenden Staat resultierende Verletzung der Menschenwürde zu besorgen sein könnte oder sonst die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze, das unabdingbare Maß an Grundrechtsschutz oder der verbindliche völkerrechtliche Mindeststandard gemäß Art. 25 GG nicht eingehalten werden würde, sind bei dieser Sachlage nicht ersichtlich.
Darüber hinaus besteht auch kein Auslieferungshindernis wegen drohender politischer Verfolgung (§ 6 Abs. 2 IRG).
Diese Frage ist im Auslieferungsverfahren unter Berücksichtigung von Art. 16a Abs. 1 GG unabhängig von der Entscheidung im Asylverfahren zu überprüfen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9. April 2015 – 2 BvR 221/15, zit. nach Juris), wobei abschließende Entscheidungen über den Asylantrag nicht abgewartet werden müssen und darüber hinaus auch nicht verbindlich sind (§ 6 Satz 2 AsylG). Der Senat hat die Akten des Asyl-Anerkennungsverfahrens beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Eisenhüttenstadt eingesehen. Im Ergebnis der insoweit veranlassten Prüfung ist nicht festzustellen, dass ernstliche Gründe für die Annahme vorliegen, der Verfolgte würde aus rassischen, religiösen, nationalen oder politischen Erwägungen verfolgt oder bestraft bzw. der Gefahr einer Erschwerung seiner Lage aus den vorgenannten Gründen ausgesetzt werden (Art. 3 Abs. 2 EuAlÜbK).
Seine erstmalig im Auslieferungsverfahren vorgebrachten Angaben zu Polizeigewalt, Übergriffen und laufender Strafverfahren wegen politischer Verfolgung sind, auch soweit sie über lediglich pauschale und nicht näher konkretisierte Schilderungen hinausgehen, nach der Überzeugung des Senats nicht glaubhaft, denn der Verfolgte hat hierzu bei seiner Anhörung im Asylverfahren trotz diesbezüglicher Nachfragen Näheres nicht bekundet, was nicht plausibel erklärbar ist. Insoweit ist nicht anzunehmen, dass seine Darlegung zutrifft und ihm aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit einer Gefahr für Leib und Leben oder einer ungerechtfertigten Beschränkung seiner persönlichen Freiheit drohen.
2. Aus den fortdauernden Gründen des Entscheidung des Senats über die Haftfortdauer vom 11. Oktober 2022 liegt unverändert der Haftgrund der Fluchtgefahr vor (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG). Der Verfolgte hat mit einer erheblichen Bestrafung zu rechnen und verfügt über keine hinreichenden sozialen Bindungen in der Bundesrepublik Deutschland, die den bestehenden Fluchtanreiz entkräften könnten. Weniger einschneidende Maßnahmen bieten bei dieser Sachlage nach wie vor keine Gewähr, die Durchführung des Auslieferungsverfahrens sicherzustellen.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht unter Berücksichtigung der Schwere des Tatvorwurfs und der vom Verfolgten zu erwartenden Strafvollstreckung der Fortdauer der Auslieferungshaft weiterhin nicht entgegen. Das Auslieferungsverfahren ist ferner bislang mit hinreichender Beschleunigung geführt worden.