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Entscheidung 9 WF 115/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 16.11.2022
Aktenzeichen 9 WF 115/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:1118.9WF115.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Königs-Wusterhausen vom 21.06.2022 (Az.: 5 FH 3006/22) aufgehoben.

2. Dem Antragsteller wird mitgeteilt, dass der Antragsgegner zulässige Einwendungen gegen die Festsetzung gemäß § 252 Abs. 2 und Abs. 4 FamFG erhoben hat und der Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens gestellt werden kann.

3. Von der Erhebung von Gerichtskosten im Beschwerdeverfahren wird abgesehen.

Gründe

I.

Mit am 22.02.2022 eingegangenem Antrag gleichen Datums beantragte der Antragsteller aus übergegangenem Recht neben der Festsetzung rückständigen Kindesunterhalts für die Zeit vom 01.04.2021 bis 28.02.2022 in Höhe von 2.560 € auch die Festsetzung des laufenden Kindesunterhalts in Höhe von 100 % des Mindestunterhalts der zweiten und dritten Altersstufe, abzüglich des für ein erstes Kind zu zahlenden Kindergeldes seit dem 01.03.2022. Der Antragsgegner ist der Vater des am ...2011 geborenen L… D…, der im Haushalt der Kindesmutter lebt. Der Antragsteller gewährt für das Kind seit April 2021 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.

Dem Antragsgegner wurde der Festsetzungsantrag verbunden mit dem Hinweis auf die zeitlich befristeten Einwendungsmöglichkeiten unter Beifügung des Einwendungsvordrucks am 07.03.2022 zugestellt. Unter dem 21.03.2022 reichte der Antragsgegner den von ihm ausgefüllten Einwendungsvordruck sowie einen unvollständigen Änderungsbescheid des Jobcenters Cottbus vom 27.11.2021 über die Bewilligung von Leistungen nach SGB II für den Zeitraum vom Januar 2022 bis April 2022 ein. Nach Hinweis und Aufforderung des Amtsgerichts vom 24.03.2022 übersandte der Antragsgegner eingehend beim Amtsgericht am 16.05.2022 einen ebenfalls unvollständigen Bewilligungsbescheid des Jobcenters Cottbus vom 29.04.2022 über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 01.05.2022 bis 30.04.2023.

Mit Beschluss vom 21.06.2022 hat das Amtsgericht den beantragten Kindesunterhalt festgesetzt.

Gegen diese ihm am 28.06.2022 zugestellte Entscheidung richtete sich das am 15.07.2022 bei dem Amtsgericht eingegangene, als Widerspruch bezeichnete Rechtsmittel des Antragsgegners. Er beruft sich unter (erneuter) Einreichung der Bewilligungsbescheide des Jobcenters Cottbus vom 25.05.2021 und 29.04.2022 über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf Leistungsunfähigkeit.

II.

Das als Beschwerde auszulegende Rechtsmittel des Antragsgegners ist gemäß §§ 256 Satz 1, 58 Abs. 1 FamFG statthaft und auch zulässig.

Sie hat in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache zur weiteren Bearbeitung an das Amtsgericht.

Soweit das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss die Einwendung der fehlenden Leistungsfähigkeit nicht berücksichtigt hat, weil der Antragsgegner diese – trotz Hinweis mit Schreiben vom 25.03.2022 und gewährter Gelegenheit zur Nachbesserung – nicht in zulässiger Weise erhoben habe, kann dies keinen Bestand haben.

Gemäß § 252 Abs. 2 FamFG sind Einwendungen nach den Absätzen 3 und 4 nur zulässig, wenn der Antragsgegner zugleich erklärt, inwieweit er zur Unterhaltsleistung bereit ist und dass er sich insoweit zur Erfüllung des Unterhaltsanspruchs verpflichtet. Hierdurch soll der Antragsgegner angehalten werden, sich über die Berechtigung des Unterhaltsanspruchs Klarheit zu verschaffen und sich dazu gegebenenfalls rechtlich beraten zu lassen. Der Antragsgegner kann auch die Erklärung abgeben, keinen Unterhalt zahlen zu wollen, da er insgesamt leistungsunfähig ist. Bei dem Einwand eingeschränkter oder fehlender Leistungsfähigkeit muss der Antragsgegner allerdings zugleich Auskunft über seine Einkünfte und sein Vermögen erteilen und bei nicht selbständiger Arbeit seine Einkünfte für die letzten zwölf Monate belegen. Ein Antragsgegner, der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB X oder SGB XII bezieht, muss den aktuellen Bewilligungsbescheid darüber vorlegen. Dabei besteht die Auskunftsverpflichtung zu seinem Vermögen fort, weil die Verpflichtung, über sein Vermögen Auskunft zu erteilen, trotz des Sozialhilfebezugs nicht sinnlos ist. Denn es besteht die Möglichkeit, dass der Antragsgegner über sozialhilferechtliches Schonvermögen verfügt, das ggf. zum Teil für den Kindesunterhalt zu verwenden ist (vgl. Bömelburg in: Prütting/Helms, FamFG, § 252 Rn. 22 m. w. N.).

Gemessen hieran hat der Antragsgegner die Einwendung der fehlenden Leistungsfähigkeit bereits in erster Instanz formgerecht erhoben und damit rechtzeitig im Sinne des § 256 Satz 2 FamFG in Verbindung mit § 252 Abs. 2 und Abs. 4 FamFG.

Der Antragsgegner hat mit – beim Amtsgericht am 21.03.2022 eingegangenen – ausgefülltem Formblatt unter Vorlage des Änderungsbescheides des Jobcenters Cottbus vom 27.11.2021 sowie des aktuellen Bewilligungsbescheides des Jobcenters Cottbus vom 29.04.2022 mitgeteilt, dass er weder über Einkommen noch über Vermögen verfüge, das ihm eine Unterhaltszahlung erlaube. Damit hat er hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass er nicht in der Lage ist, den geforderten Unterhalt zu zahlen. Die in § 252 Abs. 2 FamFG verlangte Erklärung des Unterhaltsschuldners, inwieweit er zu Leistungen bereit ist, kann sich in diesem Zusammenhang lediglich darauf beziehen, dass der Unterhaltsschuldner zum Teil leistungsfähig ist. Ist er vollständig leistungsunfähig, reicht die Angabe, weder über Einkommen noch Vermögen zu verfügen, das ihm eine Unterhaltszahlung erlaube, aus (OLG Bamberg, FamRZ 2017, 1414; Bömelburg, FamRB 2017, 330). Aus den Angaben des Antragsgegners ist eindeutig zu entnehmen, dass er die Einwendung der vollständigen Leistungsunfähigkeit erhebt. Die Abschnitte E (Einkommen) und F (Vermögen) des Formblattes hat der Antragsgegner vollständig ausgefüllt und gemäß § 252 Abs. 4 Satz 2 FamFG den aktuellen Bescheid des Jobcenters Cottbus über die Bewilligung der Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom 29.04.2022 sowie den (vorangegangenen) Änderungsbescheid des Jobcenters Cottbus vom 27.11.2021 vorgelegt. Eine weitergehende Belegverpflichtung besteht für den Antragsgegner, der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezieht, aufgrund des Gesetzes nicht. Denn bei Leistungsempfängern nach SGB II und SGB XII wird davon ausgegangen, dass mangelnde Leistungsfähigkeit feststeht, da diese Leistungen existenzsichernden Charakter aufweisen und nur bei behördlich geprüftem Hilfebedarf des Empfängers gewährt werden (Langheim in: Dutta/Jacoby/Schwab, FamFG, Kommentar, § 252 Rn. 18; BrbgOLG Beschluss vom 15.04.2020 – 15 WF 78/20 -, zitiert nach juris). Auch wenn der Antragsgegner die vorgenannten Bescheide nicht in ihrer vollständigen Fassung vorgelegt hat, ergibt sich jedoch nach dem jeweils auf Seite 1 des Bescheides vom 27.11.2021 und vom 29.04.2022 festgestellten monatlichen Leistungsbetrag sowie des angegebenen Leistungszeitraumes und des ebenfalls eingereichten zugehörigen Berechnungsbogens die mangelnde Leistungsfähigkeit des Antragsgegners. Fehlende Seiten enthalten offensichtlich nur allgemeine Belehrungen und keine individuellen Merkmale.

Der Einwand der Leistungsunfähigkeit ist damit rechtzeitig und in zulässiger Weise in erster Instanz erhoben worden. Der Beschluss des Amtsgerichts vom 21.06.2022 ist gemäß § 69 Abs. 1 FamFG aufzuheben und dem Antragsteller gemäß § 254 FamFG mitzuteilen, dass zulässige Einwendungen erhoben worden sind (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 29.01.2019 – 12 WF 198/18 -, zitiert nach juris; erkennender Senat, Beschluss vom 06.07.2020 – 9 WF 131/20 -).

Eine darüber hinausgehende Entscheidung in der Sache kann durch das Beschwerdegericht angesichts der Besonderheiten des vereinfachten Unterhaltsverfahrens, in dem eine materiell-rechtliche Prüfung von zulässigen Einwendungen im Sinne von § 252 Abs. 2 FamFG nicht vorgesehen ist, nicht getroffen werden. Eine Entscheidung darüber, in welcher Höhe gegebenenfalls Unterhalt aus übergegangenem Recht zu leisten ist, bleibt dem streitigen Verfahren vorbehalten, soweit dessen Durchführung innerhalb der 6-Monatsfrist des § 255 Abs. 6 FamFG beantragt wird.

III.

Von der Erhebung von Gerichtskosten wird aufgrund der unrichtigen Sachbehandlung durch das Amtsgericht abgesehen (§ 20 Abs. 1 FamGKG). Die Kostenentscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem Amtsgericht vorbehalten (vgl. Sternal in: Keidel, FamFG, 19. Auflage, § 69 Rn. 39a). Nach § 255 Abs. 5 FamFG sind die Kosten des vereinfachten Verfahrens Teil der Kosten eines streitigen Verfahrens.