Gericht | VG Potsdam 14. Kammer | Entscheidungsdatum | 30.09.2022 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | VG 14 L 811/21 | ECLI | ECLI:DE:VGPOTSD:2022:0930.14L811.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 26. September 2021 gegen Ziff. 1 des Bescheides vom 21. September 2021 wird wiederhergestellt und hinsichtlich der Androhung der Ersatzvornahme angeordnet.
2. Es wird festgestellt, dass der Widerspruch vom 26. September 2021 gegen Ziff. 2 des Bescheides vom 21. September 2021 aufschiebende Wirkung hat. Die aufschiebende Wirkung hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung wird angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs zu dem OWiG-Aktenzeichen des Landkreises wiederherzustellen, ist unter Berücksichtigung des Begehrens der Antragstellerin, welches sich aus ihrem Rechtsschutzziel und der Begründung ihres Antrages ergibt, gemäß § 88 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dahingehend auszulegen, dass
die Antragstellerin beantragt,
1. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 26. September 2021 gegen Ziff. 1 des Bescheides vom 21. September 2021 wiederherzustellen und hinsichtlich der Androhung der Ersatzvornahme anzuordnen
sowie
2. festzustellen, dass der Widerspruch vom 26. September 2021 gegen Ziff. 2 des Bescheides vom 21. September 2021 aufschiebende Wirkung hat und die aufschiebende Wirkung hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung anzuordnen.
Der so verstandene Antrag zu 1. ist zulässig.
Die Anordnung des Antragsgegners,
„Ihr o.g. Fahrzeug (Opel Corsa-schwarz), mit der FIN:, bis spätestens 3 Wochen nach Zustellung dieses Bescheides aus der Sicherstellung bei der Autoverwertung, Straße in F ... (…) abzuholen oder aber das Fahrzeug vor Ort verwerten zu lassen“
mit dem Zusatz
„für den Fall, dass Sie der Forderung nicht oder nicht vollständig nachkommen, drohe ich Ihnen die Ersatzvornahme an“
ist dem Abfallrecht zuzuordnen, so dass trotz des OWiG-Aktenzeichens das Verwaltungsgericht und nicht gemäß § 68 Abs. 1 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) ein Amtsgericht zuständig ist. Sonstige Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrages bestehen nicht. Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthafte Antrag ist auch begründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen einen belastenden Verwaltungsakt wiederherstellen, wenn bei einer Interessenabwägung das private Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Dies ist dann der Fall, wenn die angefochtene Verfügung offensichtlich rechtswidrig ist – an der Vollziehung einer rechtswidrigen Verfügung kann kein öffentliches Interesse bestehen – oder aus sonstigen Gründen das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt. Hat der Widerspruch – wie hier bei Androhung der Ersatzvornahme gemäß § 16 Verwaltungsvollstreckungsgesetz Brandenburg (VwVGBbg) – kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung, ordnet das Gericht diese nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt., Abs. 2 Ziff. 3 VwGO an.
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist dem Antrag zu 1. hinsichtlich des Grundverwaltungsaktes und in der Folge auch bezogen auf die Androhung der Ersatzvornahme stattzugeben.
Die Anordnung des Grundverwaltungsaktes des Antragsgegners erweist sich nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung als rechtswidrig, weil es an einer Rechtsnorm fehlt, auf deren Grundlage die Antragstellerin zur Abholung
oder Verwertung des Wagens verpflichtet werden konnte.
Der im Bescheid benannte § 15 Abs. 2 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) betrifft die hier nicht angeordnete und gegenüber der Verwertung auch subsidiäre Beseitigung von Abfall (vgl. zur Abfallhierarchie § 6 Abs. 1 KrWG). Der angefochtene Bescheid findet auch in § 62 KrWG, der zentralen Ermächtigungsgrundlage für den Vollzug des gesamten KrWG (BR-Drucks. 216/11, 244), keine tragfähige Grundlage. Diese Vorschrift räumt der Behörde nur die Befugnis ein, bestehende abfallrechtliche Pflichten durch Verwaltungsakt zu konkretisieren und durchzusetzen (vgl. zum tauglichen Adressatenkreis Versteyl/Mann/Schomerus, KrWG, 4. Auflage 2019, § 62
Rn. 5). Die Antragstellerin ist aber nicht abfallrechtlich verpflichtet, den Wagen abzuholen oder zu verwerten. Die Entsorgungspflicht trifft den Antragsgegner in seiner Funktion als öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger.
Das ergibt sich aus § 20 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 KrWG. Danach haben die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger die in ihrem Gebiet angefallenen und überlassenen Abfälle aus privaten Haushaltungen und Abfälle zur Beseitigung aus anderen Herkunftsbereichen nach Maßgabe der §§ 6 bis 11 zu verwerten oder nach Maßgabe der §§ 15 und 16 zu beseitigen (Abs. 1 Satz 1).
Bei dem streitgegenständlichen Pkw handelt es sich um Abfall im Sinne des KrWG. Gemäß § 3 Abs. 1 und 2 KrWG sind Abfälle im Sinne dieses Gesetzes u. a. alle Gegenstände, derer sich ihr Besitzer entledigt. Eine Entledigung ist anzunehmen, wenn der Besitzer die tatsächliche Sachherrschaft über die Gegenstände unter Wegfall jeder weiteren Zweckbestimmung aufgibt. Vorliegend hatte sich der Letztbesitzer des Fahrzeugs entledigt, indem er es ohne gültiges amtliches Kennzeichen auf einem Feldweg abstellte (vgl. die Kommentierung zu „Autowracks“ in Versteyl/Mann/Schomerus, KrWG, 4. Auflage 2019, § 3 Rn. 34). Darüber hinaus erfüllte das Fahrzeug die seine Abfalleigenschaft klarstellenden Voraussetzungen des § 20 Abs. 4 KrWG. Nach dieser Norm gelten die Pflichten nach Abs. 1 auch für Kraftfahrzeuge oder Anhänger ohne gültige amtliche Kennzeichen, wenn diese auf öffentlichen Flächen oder außerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile abgestellt sind (1.), keine Anhaltspunkte für deren Entwendung oder bestimmungsgemäße Nutzung bestehen (2.) sowie nicht innerhalb eines Monats nach einer am Fahrzeug angebrachten, deutlich sichtbaren Aufforderung entfernt worden sind (3.).
Öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger sind nach der Legaldefinition in § 17 Abs. 1 Satz 1 KrWG die nach Landesrecht zur Entsorgung verpflichteten juristischen Personen. Dies sind in Brandenburg gemäß § 2 Abs. 1 des Brandenburgischen Abfall- und Bodenschutzgesetzes (BbgAbfBodG) die Landkreise und kreisfreien Städte, hier somit der Antragsgegner. Das Fahrzeug war ohne gültiges amtliches Kennzeichen außerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile abgestellt, nämlich auf einem Feldweg außerhalb der Gemeinde unweit eines Windenergieparks (vgl. Fotos Bl. 22 und 26 des VV). Anhaltspunkte für eine Entwendung oder eine noch bestehende bestimmungsgemäße Nutzung waren nicht erkennbar und werden auch nicht vorgetragen. Die amtsfreie Gemeinde hatte als gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 BbgAbfBodG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 des Ordnungsbehördengesetzes (OBG) zuständige örtliche Ordnungsbehörde am 8. Juli 2021 einen roten Aufkleber mit der Überschrift „Aufforderung zur Entfernung eines Fahrzeuges“ angebracht und eine Frist bis 9. August 2021 gesetzt. Diese Frist war im Zeitpunkt der Entfernung des Wagens vom Feldweg abgelaufen.
Die Entsorgungspflicht des Antragsgegners ist auch nicht dadurch entfallen, dass die Antragstellerin, die unstreitig beim Kraftfahrtbundesamt als letzte Halterin für das Fahrzeug eingetragen ist, nach Ablauf der oben genannten Frist ermittelt werden konnte. Zwar gilt die Unkenntnis über den Pflichtigen als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal (a. A.: stattdessen teleologische Reduktion des § 20 Abs. 4 KrWG; vgl. insgesamt dazu Jarass/Petersen, KrWG, 2. Auflage 2022, § 20 Rn. 145 m.w.N.). Diese Einschränkung kann aber nur für den Fall gelten, dass der Betroffene innerhalb der Monatsfrist bekannt wird (so wohl auch Jarass/Petersen, a.a.O., § 20
Rn. 153). Anderenfalls könnte sich der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger seiner „Reserveverantwortung“ dadurch entziehen, dass er – womöglich über Monate und Jahre – Ermittlungen zum Pflichtigen durchführt. Dies ist mit der durch die Regelung gewollten Einschränkung des Verursacherprinzips nicht vereinbar (Versteyl/Mann/Schomerus, KrWG, 4. Auflage 2019, § 20 Rn. 1).
Anders ist hier auch nicht deswegen zu entscheiden, weil die Gemeinde den Antragsgegner erst nach Ablauf der vorgenannten Frist über den abgestellten Pkw informierte (vgl. Bl. 2 des VV). Dieses verwaltungsinterne Versäumnis, das dem Antragsgegner die Chance der rechtzeitigen Pflichtigenermittlung nahm, kann nicht zu Lasten der Antragstellerin gehen.
Die Entsorgungspflicht bleibt so lange bestehen, bis die Entsorgung des Abfalls endgültig und ordnungsgemäß abgeschlossen ist. Dies ist in § 22 Satz 2 KrWG gesetzlich geregelt für den Fall, dass mit der ordnungsgemäßen Entsorgung ein Dritter beauftragt wird und muss erst recht gelten, wenn es an der Einschaltung eines Dritten fehlt. In diesem Zusammenhang das BVerwG:
„Die Entsorgungspflicht ist also eine erfolgsgerichtete Leistungspflicht, für deren Erfolg der Erzeuger und jeder Besitzer in der Entsorgungskette haftet. Sie kann nur in den gesetzlich geregelten Fällen mit befreiender Wirkung auf einen Dritten übertragen werden“ (BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2007 - 7 C 5/07 -, BVerwGE 129, 93-100, juris Rn. 19).
Zwar hatte der Antragsgegner mit der Verwertung des Pkw durch das Verbringen zur Autoverwertung in gewisser Weise begonnen, die erfolgreiche Entsorgung war jedoch noch nicht abgeschlossen. Zur Art und Weise der Entsorgung von Kraftfahrzeugen normiert § 4 der Altfahrzeug-Verordnung (AltfahrzeugV) spezifische Überlassungspflichten (Jarass/Petersen, a.a.O., § 20 Rn. 154). Nach § 4 Abs. 1 AltfahrzeugV ist, wer sich eines Fahrzeugs entledigt, entledigen will oder entledigen muss, verpflichtet, dieses nur einer anerkannten Annahmestelle, einer anerkannten Rücknahmestelle oder einem anerkannten Demontagebetrieb zu überlassen. Das Fahrzeug muss zur Verwertung überlassen werden. Das ergibt sich aus § 4 Abs. 2 AltfahrzeugV, wonach Betreiber von Demontagebetrieben verpflichtet sind, die Überlassung nach Absatz 1 unverzüglich durch einen Verwertungsnachweis zu bescheinigen, durch den die ordnungsgemäße Verwertung versichert wird. Das bloße Verbringen des Wagens auf das Gelände der Autoverwertung stellte daher noch keine erfolgreiche Entsorgung dar, die den Antragsgegner seiner Pflicht enthob.
Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegen die Anordnung unter
Ziff. 1 des streitgegenständlichen Bescheides hat zur Folge, dass diese nicht vollstreckbar ist (vgl. § 3 Nr. 2 VwVGBbg). Damit erweist sich die Androhung der Ersatzvornahme vorläufig als rechtswidrig.
Hinsichtlich der Ankündigung, die bisher angefallenen Gebühren für die Beräumung und die Sicherstellung der Antragstellerin in Rechnung zu stellen, geht die Kammer davon aus, dass diese nicht Streitgegenstand war, weil ein Kostenbescheid offenbar erst noch ergehen soll.
Der Antrag zu 2. ist ebenfalls zulässig. Der Antrag ist analog § 80 Absatz 5 VwGO statthaft, weil ein Fall der faktischen Vollziehung vorliegt.
Die Befugnis des Gerichts, die aufschiebende Wirkung anzuordnen oder wiederherzustellen, beinhaltet als Minus auch die Möglichkeit, den gemäß § 80 Absatz 1 VwGO eingetretenen Suspensiveffekt gegenüber (drohenden) Vollziehungsmaßnahmen festzustellen. Eine Abwägung zwischen öffentlichem Vollzugsinteresse und dem individuellen Aussetzungsinteresse findet in diesem Fall nicht statt (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Februar 2010 – 10 S 2702/09 –, juris Rn. 5).
Der Antrag zu 2. ist auch begründet. Dem Widerspruch der Antragstellerin vom 26. September 2021 kommt gemäß § 80 Absatz 1 VwGO aufschiebende Wirkung zu, weil sich der Widerspruch gegen einen belastenden Verwaltungsakt richtet, kein Fall des § 80 Absatz 2 VwGO vorliegt und ein Widerspruchsbescheid nicht ergangen ist. Die Vollziehung droht in Form eines Zwangsgeldes in Höhe von 50,00 Euro.
Aufgrund der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hinsichtlich Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheides erweist sich die Androhung des Zwangsgeldes als Maßnahme der Vollstreckung als vorläufig rechtswidrig, so dass gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 16 VwVGBbg auch diesbezüglich die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 39 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Gegenstand des Verfahrens sind zwei Anordnungen mit jeweils selbständigem materiellem Gehalt. Daher ist der gemäß Ziff. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs halbierte Regelstreitwert gemäß Ziff. 1.1.1 des Streitwertkatalogs wieder zu verdoppeln. Die Androhung der Ersatzvornahme und des Zwangsgeldes bleiben bei der Streitwertfestsetzung gemäß Ziff. 1.7.2 des Streitwertkatalogs außer Betracht.