Gericht | VG Potsdam 12. Kammer | Entscheidungsdatum | 05.10.2022 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 12 K 2448/16.A | ECLI | ECLI:DE:VGPOTSD:2022:1005.12K2448.16.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Beklagte wird unter Aufhebung der Nr. 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 24. Juni 2016 verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Klägerin zu 1) ist syrische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Sie stammt aus Damaskus. Die Klägerin zu 2) und der Kläger zu 3) wurden in Antalya geboren.
Nach ihrer Einreise am 15. November 2015 in die Bundesrepublik Deutschland meldete die Klägerin zu 1) sich und die beiden mitgereisten Kinder, die Klägerin zu 2) und den Kläger zu 3), am 16. November 2015 in Eisenhüttenstadt als schutzsuchend.
Am 22. März 2016 erhielt die Klägerin zu 1) die Gelegenheit, unter Vorlage syrischer Personaldokumente förmlich einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) zu stellen. Die Klägerin zu 1) wurde am 17. Juni 2016 in Eisenhüttenstadt angehört. Laut dem darüber gefertigten Protokoll gab die Klägerin zu 1) an, sie stamme aus Ghouta. Das Wohngebiet sei total zerstört worden. Es herrsche Krieg in Syrien. Sie habe Angst und habe nicht mehr schlafen können. In der Nachbarschaft sei davon erzählt worden, dass man Mädchen entführt habe. Ihr Wohngebiet liege in der Nähe eines Militärflugplatzes. Es sei faktisch Kampfgebiet gewesen. Alles sei zerstört worden. Wenn sie sich außerhalb des Hauses aufgehalten hätten, seien sie ständig kontrolliert worden. Sie habe Angst um ihren Sohn gehabt, dass man ihn zum Militär holen würde. In Deutschland hielten sich ihr Ehemann und ihre vier Kinder auf. Drei davon seien minderjährig.
Mit einem am 24. Juni 2016 in Bonn gefertigten, aber nicht unterschriebenen, dennoch am selben Tage im Entscheidungszentrum West ausgefertigten Bescheid, der der Klägerin zu 1) am 28. Juni 2016 zugestellt wurde, wurde den Klägern der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt. Der weitergehende Schutzantrag wurde abgelehnt.
Daraufhin haben die Kläger am 12. Juli 2016 Klage erheben lassen.
Die Kläger tragen vor, der Ehemann sowie das weitere Kind der Klägerin zu 1), Jinan S., hätten Flüchtlingsschutz erhalten. Die Kläger hätten deshalb Anspruch auf Familienflüchtlingsschutz.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte zu verpflichten, den Klägern unter Aufhebung der Nr. 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 24. Juni 2016 die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte beruft sich auf den angegriffenen Bescheid und trägt vor, es werde angeregt, die Eheurkunde der Klägerin zu 1) sowie die Geburtsurkunden der Kläger zu 2) und 3) im Original nachzureichen.
Mit Bescheid vom 13. Oktober 2015 erkannte das Bundesamt Herrn und die Flüchtlingseigenschaft zu. Am 3. Mai 2019 wurden keine Gründe für einen Widerruf oder eine Rücknahme festgestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, insbesondere das Protokoll der mündlichen Verhandlung, in als Zeugin zu den Verwandtschaftsverhältnissen gehört wurde, sowie die zu den Gerichtsakten vorgelegten Ausdrucke elektronisch gespeicherter Daten des Bundesamtes bezüglich der Kläger sowie und (insgesamt drei Hefter) verwiesen.
Der Berichterstatter ist anstelle der Kammer zur Entscheidung berufen, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben, § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO.
Das Gericht kann trotz des Fernbleibens eines Vertreters der Beklagten von der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die Beklagte mit der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
Es kann dahinstehen, ob tatsächlich ein Originalbescheid des Bundesamtes vom 24. Juni 2016 existiert, weil einerseits auch für den Fall, dass tatsächlich das Erfordernis einer schriftlichen Entscheidung gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 AsylG nicht erfüllt ist (vgl. zu dieser Problematik, Urteil des VG Potsdam vom 8. Januar 2020 - VG 12 K 2018/16.A -, S. 7 des Urteilsabdrucks), die Klage als Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO zulässig und andererseits auch im Falle eines wirksamen Bescheides vom 24. Juni 2016 fristgerecht gemäß § 74 Abs. 1 S. 1 AsylG erhoben worden ist.
Die Kläger haben nach der Sach- und Rechtslage in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt dieser gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 AsylG wird der Ehegatte oder Lebenspartner eines Asylberechtigten auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist (Nr. 1), die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird (Nr. 2), der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat (Nr. 3) und die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist (Nr. 4). Ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten wird auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist, § 26 Abs. 2 AsylG. Gemäß § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 AsylG ist die Regelung des Abs. 1 auf Familienangehörige von international Schutzberechtigten entsprechend anzuwenden, wobei an die Stelle der Asylberechtigung die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz tritt. Eines gesonderten Antrags auf „Familienasyl“ bedarf es nicht. Für die "Gewährung der Rechtsstellung eines Asylberechtigten" sieht das Gesetz insoweit keinen speziellen, gerade hierauf gerichteten Verfahrensantrag des schutzsuchenden Ausländers, sondern den allgemeinen Asylantrag vor (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 C 48/91 -, juris Rn. 8).
Nach diesen Maßgaben haben die Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Wege des Familienflüchtlingsschutzes.
Mit Bescheid vom 13. Oktober 2015 wurde und seiner die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
Die Ehe zwischen der Klägerin zu 1) und bestand bereits in Syrien, dem Verfolgerstaat. Dies wird zum einen durch das syrische Familienbuch mit der Nummer urkundlich belegt, wonach die Ehe zwischen der Klägerin zu 1) und registriert wurde. Die Verwandtschaftsverhältnisse werden bestätigt durch die Zeugin …, die glaubhaft angegeben hat, dass und die Klägerin zu 1) ihren Eltern sind und dass es sich bei den weiteren Klägern um ihre kleinen Geschwister handelt.
Die Kläger haben unverzüglich nach ihrer Einreise am 15. November 2015 noch am nächsten Tag ihren Asylantrag gestellt.
Gründe für Widerruf oder Rücknahme der Flüchtlingseigenschaft liegen bei der Zeugin und nicht vor.
Demnach haben die Kläger Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, ohne dass es auf eigene Fluchtgründe ankommt.
Als Unterliegende hat die Beklagte gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen; die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83 b AsylG, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.