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Streitwertbeschwerde; Fristbeginn; Hauptsachenerledigung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 12. Senat Entscheidungsdatum 05.12.2022
Aktenzeichen OVG 12 L 39/22 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2022:1205.OVG12L39.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 68 GKG, § 63 Abs 3 GKG

Leitsatz

Die Frist des § 63 Abs. 3 Satz 2 Alternative 2 GKG beginnt zu laufen, sobald die letzte erforderliche Erledigungserklärung eines Beteiligten bei dem Verwaltungsgericht eingegangen und das Streitverfahren dadurch erledigt ist.

Tenor

Die Beschwerden der Beklagten und ihrer Prozessbevollmächtigten gegen die Streitwertfestsetzung in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. März 2022 werden verworfen.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die namens der Beklagten und ihrer Prozessbevollmächtigten eingelegten Streitwertbeschwerden gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG sind unzulässig. Sie sind nicht innerhalb von sechs Monaten, nachdem das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, eingelegt worden und daher verspätet (§ 63 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG).

Diese Frist begann mit dem Eingang der Erledigungserklärung der Beklagten bei Gericht am 3. März 2022 und endete mit Ablauf des 5. September 2022, einem Montag (§ 57 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 und 2 ZPO i. V. m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 erste Alternative BGB). Die Streitwertbeschwerden der Beklagten und ihrer Prozessbevollmächtigten sind jedoch erst am Dienstag, den 6. September 2022 beim Verwaltungsgericht eingegangen.

Entgegen der Beschwerden ist für den Fristbeginn nicht auf den Zeitpunkt des Zugangs des Beschlusses vom 4. März 2022, mit dem das Verwaltungsgericht die Kostenentscheidung zulasten der Klägerin getroffen und den Streitwert festgesetzt hat, bei der Beklagten am 7. März 2022 abzustellen. Dies hat das Verwaltungsgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 28. Oktober 2022 zutreffend unter Auswertung von Rechtsprechung und Literatur dargelegt; hierauf nimmt der Senat gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.

Die dagegen erhobenen Einwände der Beschwerdeführerinnen greifen nicht durch:

Unzutreffend meinen die Beschwerdeführerinnen, der Wortlaut des hier gemäß § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG anwendbaren § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG sei nicht eindeutig. Die Gesetzesmaterialien geben keinen Anlass zu der Annahme, mit dem Begriff der „Hauptsache“ in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG sei etwas anderes gemeint als mit demselben Begriff in § 91a ZPO (vgl. BT-Drs. 7/2016 S. 74). Darauf kommt es vorliegend jedoch nicht an, denn eine Entscheidung in der Hauptsache ist hier nicht ergangen. Dass sich das verwaltungsgerichtliche Verfahren nicht erst dann „erledigt“, wenn über die Verfahrenskosten entschieden wird, sondern bereits dann, wenn die letzte Hauptsachenerledigungserklärung bei Gericht eingegangen ist, entspricht einhelliger Ansicht in Literatur und Rechtsprechung (siehe hierzu die vom Verwaltungsgericht angeführten Nachweise) und wird auch von den Beschwerdeführerinnen nicht in Frage gestellt. Für eine von ihnen unter Berufung auf vereinzelte Rechtsprechung und Stimmen in der Literatur (etwa OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 8. Februar 2008 – 6 W 130/07 – juris; Laube, in: Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, Stand 7/2022, § 68 GKG Rn. 110) bei der Auslegung des § 63 Abs. 3 Satz 2 Alternative 2 GKG geforderte Differenzierung zwischen einer Hauptsachenerledigung, bei der eine Kosten-    grundentscheidung nicht ergehen muss, etwa weil die Beteiligten sich über die Kosten geeinigt haben, und einer solchen, bei der eine Kostengrundentscheidung noch getroffen werden muss, geben weder der Wortlaut der Regelung noch ihre Genese etwas her.

Es besteht auch kein Bedürfnis für eine solche Differenzierung. Dass der Zeitpunkt des Zugangs von Erledigungserklärungen den Beteiligten regelmäßig nicht bekannt ist, trifft in der Praxis nicht zu, denn die Verwaltungsgerichte teilen den Zeitpunkt des Eintritts der Erledigung regelmäßig in ihren Beschlüssen über die Kostenverteilung und die Streitwertfestsetzung mit, so auch hier im angefochtenen Beschluss vom 4. März 2022. Ferner ist der Beschwerde darin beizupflichten, dass der Zeitraum zwischen dem Zugang der letzten Erledigungserklärung bei Gericht und dem Zugang der das Verfahren abschließenden Kostengrundentscheidung regelmäßig „so gering ist, dass er für eine Sechsmonatsfrist nicht ins Gewicht fällt“ (Schriftsatz vom 23. November 2022, S. 6). Das spricht indessen nicht für eine vom Wortlaut der Norm abweichende Auslegung des § 63 Abs. 3 Satz 2 Alternative 2 GKG, sondern dagegen.

Etwas anderes kann allenfalls in Fällen gelten, in denen der Zeitpunkt der Streitwertfestsetzung und derjenige der letztverbindlichen Entscheidung über die Kosten zeitlich erheblich auseinanderfallen. Im Verwaltungsprozess ist das regelmäßig nicht der Fall, denn hier wird praktisch immer zugleich mit der Festsetzung des Streitwerts auch über die Kosten des Verfahrens entschieden und diese Entscheidung ist gemäß § 158 Abs. 2 VwGO unanfechtbar. Jedoch kann es in Fällen des § 91a ZPO theoretisch vorkommen, dass gemäß Absatz 2 Satz 1 dieser Regelung die Kostenentscheidung angefochten wird und eine Entscheidung hierüber vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Eintritt der Hauptsachenerledigung noch nicht vorliegt. Auch in diesen – praktisch wohl äußerst seltenen – Fällen ist es demjenigen, dem in der angefochtenen Kostengrundentscheidung die Kosten aufgegeben worden sind, möglich, vor Fristablauf Streitwertbeschwerde einzulegen, denn solange eine Kostengrundentscheidung zu seinen Lasten nicht aufgehoben worden ist, ist er durch eine zu hohe Streitwertfestsetzung auch beschwert. Führt hingegen erst die Änderung der Kostengrundentscheidung durch das Beschwerdegericht zu einer (hinreichenden) Beschwer i. S. d. § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG, liegt zumindest ein Fall der unverschuldeten Fristversäumnis im Sinne des § 68 Abs. 2 Satz 1 GKG vor, sollte man eine „vorsorgliche“ Streitwertbeschwerde des zunächst nicht mit Kosten belasteten Beteiligten mangels Beschwer für unzulässig halten.

Den Beschwerdeführerinnen ist auch nicht Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist zu gewähren. Dies wäre nach § 68 Abs. 2 Satz 1 GKG nur möglich, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert gewesen wären, die Frist einzuhalten. Die Beschwerdeführerinnen haben keine Tatsachen glaubhaft gemacht, welche die Wiedereinsetzung begründen, § 68 Abs. 2 Satz 2 GKG.

Wie das Verwaltungsgericht unter Benennung zahlreicher Nachweise über die in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur vertretenen Ansichten dargelegt hat, entspricht seine auch vom Senat geteilte Auffassung der herrschenden Meinung, insbesondere auch der jüngeren Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte einschließlich des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (vgl. u. a. Bayerischer VGH, Beschluss vom 13. April 2021 – 4 C 21.647 – juris Rn. 2 mit zahlreichen weiteren Nachweisen zu Rspr. und Lit.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Oktober 2009 – 1 L 49.09 – juris Rn 2 für den Fall einer Klagerücknahme; vgl. ferner N. Schneider, NJW-Spezial 2021, 381, wonach der Fristbeginn mit Eingang der letzten Erledigungserklärung „ganz einhelliger Auffassung in allen Gerichtsbarkeiten“ entspreche). Die Beschwerdeführerinnen mussten damit rechnen, dass das Verwaltungsgericht sich dieser Rechtsauffassung anschließen wird und waren daher gehalten, das Rechtsmittel nicht erst am 6. September 2022, sondern bereits einen Tag früher einzulegen (vgl. zur Notwendigkeit, im Zweifel den sichersten Weg zu gehen, etwa Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 60 Rn. 24 m.w.N. sowie die weiteren bereits vom Verwaltungsgericht zitierten Rechtsprechungsnachweise).

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, die Prozessbevollmächtigten der Beklagten hätten die Bestimmung der maßgeblichen Beschwerdefrist nicht ausschließlich dem Büropersonal überlassen dürfen; dies haben sie auch nicht getan, sondern selbst die – im Ergebnis unzutreffende – Fristberechnung kontrolliert. Das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten ist gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO auch der Beklagten zuzurechnen.

Auf den Vorwurf der Beschwerden, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass in dem vom OLG Frankfurt a.M. (a. a. O.) entschiedenen Fall die sofortige Beschwerde gegen die Kostengrundentscheidung zurückgenommen worden und bereits damit die Rechtskraft dieser Entscheidung eingetreten sei, kommt es nach Allem nicht an. Hingewiesen sei insoweit jedoch darauf, dass der von den Beschwerdeführerinnen zitierte Beschlussabdruck (BeckRS 2008, 4461, dort Rn. 4 und 11) insoweit maßgeblich von dem von juris veröffentlichen Abdruck desselben Beschlusses abweicht. Nach letztgenannter Veröffentlichung wurde die Beschwerde gegen die Kostengrundentscheidung nicht zurückgenommen, sondern vom Beschwerdegericht mit Beschluss vom 2. April 2007 zurückgewiesen, woraufhin die Rechtskraft eingetreten sei (juris Rn. 5 und 14). Auf die Zustellung dieses Beschlusses bei dem Rechtsmittelführer stellt das OLG Frankfurt a.M. hierbei nicht ab.

Die Beschwerde der nicht mit den Kosten belasteten Beklagten ist im Übrigen auch deshalb unzulässig, weil sie nicht dargetan hat, durch eine zu niedrige Streitwertfestsetzung beschwert zu sein. Dass ihre tatsächlichen Kosten aufgrund einer etwaigen Honorarvereinbarung mit ihren Prozessbevollmächtigten bei einer Kostenfestsetzung unter Zugrundelegung eines Streitwerts von 25.027,50 Euro nicht gedeckt sind, ist weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 und Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).