Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 4. Senat | Entscheidungsdatum | 19.12.2022 | |
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Aktenzeichen | OVG 4 L 14/21 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2022:1219.OVG4L14.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 146 VwGO, § 148 VwGO, § 52 GKG, § 63 GKG, § 68 GKG, § 32 RVG, § 33 RVG |
1. Das Beschwerdegericht darf die Festsetzung des Streitwerts (nach dem GKG), hingegen nicht die Festsetzung des Gegenstandswerts (nach dem RVG) von Amts wegen ändern.
2. Ist für das gerichtliche Verfahren ein Streitwert festzusetzen, darf für das behördliche Vorverfahren kein gesonderter Gegenstandswert festgesetzt werden.
3. Das in einen abhelfenden Widerspruchsbescheid mündende Vorverfahren löst an sich keinen Vergleichswert aus.
4. Begehrt ein Beamter einen nach Stunden bezifferten Freizeitausgleich, ist als Streitwert der gesetzliche Auffangwert und nicht der sich aus den Regelungen über eine Mehrarbeitsvergütung ergebende Wert festzusetzen.
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 23. September 2021 in der Gestalt des Beschlusses desselben Gerichts vom 1. November 2021 geändert.
Der Streitwert wird anstatt auf 77.376,71 Euro auf über 22.000,00 bis 25.000,00 Euro festgesetzt.
Im Verfahren VG 4 K 842/13 wird der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit anstatt auf 26.686,24 Euro auf 25.370,04 Euro festgesetzt.
Alle Festsetzungen von Mehrvergleichswerten werden aufgehoben.
Im Übrigen bleiben die Festsetzungen des Verwaltungsgerichts Cottbus bestehen.
Soweit mit der Beschwerde eine weitergehende Änderung verfolgt wird, wird sie zurückgewiesen.
I.
Das Verwaltungsgericht hat die seit dem 15. Dezember 2011 rechtshängige beamtenrechtliche Streitigkeit wegen Freizeitausgleichs bzw. Mehrarbeitsvergütung nach übereinstimmender Erklärung der Erledigung in der Hauptsache eingestellt, der Beklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt und die Zuziehung eines Bevollmächtigten des Klägers für das Vorverfahren für notwendig erklärt (Beschluss vom 19. Februar 2021). Es hat mit Beschluss vom 23. September 2021 den Streitwert, den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit, einen Vergleichswert und einen Mehrvergleichswert für das gesamte Verfahren sowie für drei nach Klageerhebung abgetrennte und später wieder hinzuverbundene Verfahrensteile je eigene Gegenstandswerte der anwaltlichen Tätigkeit, teils auch Vergleichs- und Mehrvergleichswerte, nicht hingegen Streitwerte festgesetzt. Das Verwaltungsgericht hat auf die von beiden Seiten am 4. bzw. 7. Oktober 2021 gegen die Festsetzung des Streitwerts und Gegenstandswerts eingelegten Beschwerden mit Beschluss vom 1. November 2021 eine teilweise Änderung vorgenommen und dadurch, wie es festhält, der Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers abgeholfen, hingegen der Beschwerde der Beklagten im Übrigen nicht abgeholfen und die Sache dem Oberverwaltungsgericht vorgelegt.
II.
A. Die Abhilfe aufgrund der Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers hat zur Folge, dass dessen Beschwerde gegenstandslos geworden ist (vgl. Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 148 Rn. 11). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers macht nicht geltend, dass ein Teil seiner im eigenen Namen eingelegten Beschwerde noch unerledigt sei.
B. Die Beklagte hat ihre Beschwerde, soweit sie gegen die auf das Gerichtskostengesetz gestützte Festsetzung des Streitwerts gerichtet ist, rechtzeitig eingelegt. Sie wahrt die Monatsfrist (§ 68 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 GKG), die anzuwenden ist, weil das Verwaltungsgericht erst entsprechend lange Zeit nach der Verfahrensbeendigung über die Wertfestsetzung entschieden hat. Die Beklagte rügt ausweislich ihrer Beschwerdebegründung einerseits einen doppelten Ansatz von bestimmten Stunden, andererseits zu niedrig angesetzte Stundenzahlen und Mehrarbeitsvergütungssätze.
Das Oberverwaltungsgericht ist bei einer anhängigen Streitwertbeschwerde, auch wenn sie angesichts des Mindestwerts des Beschwerdegegenstands nach § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG oder mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig sein sollte, gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG zur Änderung von Amts wegen befugt. Die Ausschlussfrist von sechs Monaten für die Änderung von Amts wegen (§ 63 Abs. 3 Satz 2 GKG) gilt nicht in den – wie hier – unter die Fristregelung des § 68 Abs. 1 Satz 3, 4 GKG fallenden Beschwerden (Toussaint, in: Toussaint, Kostenrecht, 52. Aufl. 2022, GKG § 68 Rn. 31; entsprechend zum GKG damaliger Fassung: BVerwG, Beschluss vom 8. September 1987 – 3 C 3.81 – juris Rn. 3).
In Rechtsstreitigkeiten nach dem Gerichtskostengesetz, die vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung anhängig geworden sind, werden die Kosten nach bisherigem Recht erhoben (§ 71 Abs. 1 Satz 1 GKG; anders § 71 Abs. 1 Satz 2 GKG für die Kosten der Rechtsmittelinstanzen). Maßgeblich ist demgemäß der Rechtsstand bei Klageerhebung (vgl. Toussaint, in: Toussaint, Kostenrecht, 52. Aufl. 2022, GKG § 71 Rn. 2). Der Streitwert ist gemäß § 52 Abs. 2 GKG a.F. mit 5.000,00 Euro anzusetzen, wenn Freizeitausgleich begehrt wird, wobei es auf die Zahl der Stunden nicht ankommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. November 2018 – 2 B 29.18 – Tenor und Rn. 8, 21, abrufbar unter www.bverwg.de; ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. März 2015 – OVG 4 L 1.15 –; std. Rspr.). Die Bedeutung dieses Begehrens für den Kläger ergibt sich allein aus dem ideellen Interesse an der Verminderung seiner Arbeitszeit, das nicht mit dem Betrag der alternativ zu zahlenden Mehrarbeitsvergütung gleichgesetzt werden kann (so OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. März 2015 – OVG 4 L 1.15 – BA S. 3). Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 GKG a.F.). Werte mehrerer Streitgegenstände werden zusammengerechnet (§ 39 Abs. 1 GKG a.F.). Die Möglichkeit eines höheren Vergleichswerts besteht nach dem Gerichtskostengesetz, allerdings nur bei Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs, soweit dieser über nicht gerichtlich anhängige Gegenstände geschlossen wird (vgl. Nr. 5600 des Kostenverzeichnisses, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).
Nach diesen Maßstäben ist der für die Gerichtsgebühren maßgebliche Streitwert vom Verwaltungsgericht zu hoch angesetzt worden. Die auf Geldzahlung zielenden bezifferten Anträge des Klägers wegen Mehrarbeit in seinen an das Verwaltungsgericht gerichteten Schriftsätzen belaufen sich auf insgesamt 18.247,00 Euro. Die Einwände der Beklagten, der Kläger hätte richtigerweise teils mehr, teils weniger einklagen sollen, berühren den durch dessen Anträge bestimmten Streitwert nicht. Daneben hat der Kläger beim Verwaltungsgericht für andere Zeiträume – also nicht für denselben Gegenstand – Freizeitausgleich beantragt, der mit weiteren 5.000,00 Euro veranschlagt wird. Das Verwaltungsgericht hat insoweit abweichend von der obergerichtlichen und höchstgerichtlichen Rechtsprechung das ideelle Interesse an Freizeitausgleich kommerzialisiert und ist so auf einen überhöhten Wert gekommen. Dass dem Kläger durch einen während rechtshängiger Klage ergangenen Widerspruchsbescheid ein höherer Geldbetrag zugesprochen wurde, verändert den Streitwert des Gerichtsverfahrens nicht. Hinzu kommt eine ursprünglich begehrte Sonderzahlung in Höhe von 500,00 Euro. Insoweit ist das Verfahren in der mündlichen Verhandlung vom 17. Januar 2013 abgetrennt und sogleich nach Rücknahme eingestellt worden (VG 5 K 50/13). Da sich der Gesamtstreitwert sowohl vor als auch nach der Abtrennung im Rahmen von über 22.000,00 bis 25.000,00 Euro (vgl. GKG Anlage 2 in der vom 1. Juli 2004 bis zum 31. Juli 2013 geltenden Fassung) befindet, braucht der Streitwert nicht nach Zeitabschnitten unterschieden zu werden. Ein gerichtlicher Vergleich ist, wie sich an dessen Voraussetzungen in § 106 VwGO zeigt, nicht geschlossen worden.
C. Gegen die auf das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz gestützten Festsetzungen des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit, des Vergleichswerts und des Mehrvergleichswerts ist die Beschwerde der Beklagten rechtzeitig eingelegt worden. Sie wahrt die Frist von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung (§ 33 Abs. 3 Satz 3 RVG).
Die Beklagte verlangt mit ihrer Beschwerde die Reduzierung bestimmter vom Verwaltungsgericht festgesetzter Werte. Das Oberverwaltungsgericht braucht den Rechengang der Beklagten nicht nachzuvollziehen. Denn das Verwaltungsgericht hat die Festsetzungen nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz insgesamt zu Unrecht vorgenommen.
Das Verwaltungsgericht hätte die sich auf das behördliche Verfahren beziehenden Festsetzungen nicht treffen dürfen. Gemäß § 32 Abs. 1 RVG (a.F. wie n.F.) ist der gerichtlich festgesetzte, für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend. So ist es im vorliegenden Verfahren, für das nach dem Gerichtskostengesetz ein Streitwert festgesetzt ist. Eine vom Gericht nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorzunehmende Festsetzung ist gemäß § 33 Abs. 1 RVG (a.F. wie n.F.) nur möglich für ein gerichtliches Verfahren, für das keine variablen Gerichtsgebühren zu erheben sind, weswegen eine Streitwertfestsetzung nach dem Gerichtskostengesetz unterbleibt.
Eine gerichtliche Festsetzung für ein behördliches Verfahren ist nicht statthaft (vgl. Toussaint, in: Toussaint, Kostenrecht, 52. Aufl. 2022, RVG § 33 Rn. 4, 5). Die Festsetzung der zu erstattenden Aufwendungen obliegt stattdessen der Behörde (§ 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfGBbg i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwVfG). Die Behörde hat dazu den Gegenstandswert inzident zu bestimmen. Schließt sich an ein Verwaltungsverfahren ein gerichtliches Verfahren an, so wird der Gegenstandswert für das Vorverfahren inzident im Kostenfestsetzungsbeschluss nach § 164 VwGO festgesetzt. Dabei ist eine Festsetzung eines höheren Gegenstandswerts für das Vorverfahren als für das Klageverfahren nicht möglich, weil ein Kostenansatz nur für denjenigen Teil des Vorverfahrens vorzunehmen ist, der in das Klageverfahren übergegangen ist. Dementsprechend ist eine gerichtliche Gegenstandswertfestsetzung nach § 33 RVG nur hinsichtlich der im gerichtlichen Verfahren, nicht aber der im Vorverfahren erfolgten anwaltlichen Tätigkeit zulässig (Kallerhoff/Keller, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 80 Rn. 96; Baer, in: Schoch/Schneider, VwVfG, Stand April 2022, § 80 Rn. 70; entsprechend OVG Münster, Beschluss vom 4. Dezember 1996 – 8 E 1048.96 – juris Rn. 1 ff. zum früheren Recht).
Das betrifft den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit im behördlichen Verfahren und ebenso den Vergleichswert und den Mehrvergleichswert. Die Festsetzungen dieser beiden Werte hätten auch deswegen unterbleiben müssen, weil sie den Abschluss eines Vertrags, durch den insbesondere der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird (vgl. Nr. 1000 des Vergütungsverzeichnisses, Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG), voraussetzen. Ein Vergleich erfolgt im Verwaltungsrecht wie im Zivilrecht durch einen Vertrag (§ 55 VwVfG), der von den Vertragsparteien grundsätzlich schriftlich zu schließen ist (§ 57 VwVfG). Ein Widerspruchsbescheid, wie ihn der Kläger nach Rechtshängigkeit seiner Klage erhielt, erfüllt auch dann, wenn die Behörde damit den Forderungen des Widerspruchsführers teilweise nachgibt, nicht die Voraussetzungen eines Vergleichsvertrags. Der Widerspruchsbescheid ist stets eine einseitig erlassene hoheitliche Maßnahme im Sinn des § 35 Satz 1 VwVfG. Der Senat hat bei der Entscheidung über einen Vergleichs- und Mehrvergleichswert nicht darüber zu befinden, ob überhaupt ein Vergleich vorliegt, der gegenüber der Behörde nach den festgesetzten Werten abrechenbar ist.
Eine Aufhebung der zu Unrecht vorgenommenen Festsetzungen von Amts wegen scheidet nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz aus. Denn es fehlt eine Bestimmung wie § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG. Auch gilt nach allgemeinen Prozessrechtsgrundsätzen das Verbot der Verböserung, wenn das Gesetz keine Ausnahme zulässt (zum Ganzen OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. August 2014 – OVG 62 PV 11.14 – juris Rn. 7 f.; zustimmend Toussaint, in: Toussaint, Kostenrecht, 52. Aufl. 2022, RVG § 33 Rn. 26).
Das Oberverwaltungsgericht darf die erstinstanzlichen Festsetzungen nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz nur aufheben bzw. absenken, soweit dieses Begehren mit einer zulässigen Beschwerde geltend gemacht wird. Die Beklagte verlangt mit der Beschwerde, den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit im Verfahren VG 4 K 842/13 auf 25.370,04 Euro zu senken. Das greift durch, weil es im Ergebnis dem rechtmäßigen Zustand näherkommt. Sie rügt des Weiteren, der Mehrvergleichswert sei jeweils im Vergleichswert inbegriffen, was der angegriffene Beschluss nicht verdeutliche, indem er beide Werte gesondert nebeneinanderstelle. Der Mindestwert des Beschwerdegegenstands gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG wird mit den beiden Rügen erreicht. Sind die Festsetzungen des Mehrvergleichswerts zulässig angegriffen, darf der Senat sie aufheben und so die Kompetenzüberschreitung des Verwaltungsgerichts korrigieren. Eine Umschreibung des Tenors mit einer neuen, vom Senat gefassten Formulierung wäre gemessen am Beschluss des Verwaltungsgerichts kein minus, sondern ein aliud, für das wiederum dem Senat die Kompetenz fehlt.
D. Die vorstehenden Entscheidungen sind gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG und § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG durch den Einzelrichter zu treffen, weil die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter erlassen worden ist. Für eine Übertragung gemäß § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG bzw. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG auf den Senat besteht kein Grund.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG und § 33 Abs. 9 RVG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG; § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).