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Volksentscheid; Terminsfestlegung; Trägerin des Volksbegehrens; verfassungsrechtliche Streitigkeit


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 09.12.2022
Aktenzeichen OVG 3 S 76/22 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2022:1209.OVG3S76.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Art 62 VvB, § 29 Abs 1 AbstG, § 32 Abs 1 AbstG, § 40 Abs 1 VwGO

Leitsatz

Erstrebt die Trägerin eines zustande gekommenen Volksbegehrens die Verpflichtung des Senats von Berlin, den Tag der Durchführung des Volksentscheids auf einen bestimmten Termin festzusetzen, so handelt es sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, für die der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet ist.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt keine Aufhebung oder Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass hier der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nach § 40 Abs. 1 VwGO nicht eröffnet ist.

Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben. Daran fehlt es hier, weil es sich bei dem Antrag, mit dem die Antragstellerin als Trägerin eines zustande gekommenen Volksbegehrens im Sinne von Art. 62, 63 der Verfassung von Berlin (VvB) die Verpflichtung des Antragsgegners erstrebt, den Termin zur Abstimmung über den Volksentscheid auf den 12. Februar 2023, den Tag der Durchführung der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin, festzusetzen, bzw. hilfsweise, über die Festsetzung erneut und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden, um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handelt. Es kann dahinstehen, ob eine Streitigkeit über Verfassungsrecht im Sinne dieser Vorschrift nur dann vorliegt, wenn es sich um einen Streit zwischen am Verfassungsleben beteiligten Subjekten über materielles Verfassungsrecht handelt, oder ob es ausreicht, dass die Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten „entscheidend vom Verfassungsrecht geprägt“ sind (vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. September 2017 - OVG 3 S 76.17 - juris Rn. 3 m.w.N.), denn nach beiden Varianten ist eine verfassungsrechtliche Streitigkeit gegeben.

Mit dem in Art. 62, Art. 63 Verfassung von Berlin (VvB) geregelten Volksbegehren nehmen dessen Träger und dessen Unterzeichner - wie auch die Eingliederung der Vorschriften in den Abschnitt V - Die Gesetzgebung - verdeutlicht, ein Initiativrecht wahr, das sich auf die Gesetzgebungskompetenz des Abgeordnetenhauses oder sonstige Beschlüsse im Rahmen der Entscheidungszuständigkeit des Abgeordnetenhauses zu Gegenständen der politischen Willensbildung, die Berlin betreffen, bezieht (Art. 62 Abs. 1 VvB). Mit diesem im Einzelnen verfassungsrechtlich determinierten Initiativrecht wird dem Träger und den Unterzeichnern eines Volksbegehrens eine spezifische verfassungsrechtliche Funktion überantwortet, die der parlamentarischen Tätigkeit des Abgeordnetenhauses entspricht und diese ersetzen kann (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. September 2017 - OVG 3 S 76.17 - juris Rn. 4 m.w.N.).

Die Antragstellerin als Initiatorin des nach der Bekanntmachung des Landesabstimmungsleiters vom 29. November 2022 (ABl. Nr. 49 vom 2. Dezember 2022) zustande gekommenen Volksbegehrens als ein am Verfassungsleben beteiligtes Subjekt erstrebt vom Senat von Berlin in seiner Funktion als nach Art. 62 Abs. 4 VvB, §§ 29 Abs. 1, 32 Abs. 1 des Gesetzes über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid (Abstimmungsgesetz - AbstG) für die Herbeiführung des Volksentscheids zuständiges Verfassungsorgan die Festsetzung des Tags der Durchführung des Volksentscheids auf einen bestimmten Termin. Im Streit steht damit die Frage der ordnungsgemäßen Durchführung des Volksentscheids, als Teil des verfassungsrechtlich ausgestalteten Rechte- und Pflichtenverhältnisses zwischen dem in die Gesetzgebung eingebundenen Träger eines Volksbegehrens und dem Senat von Berlin als einem anderen Verfassungsorgan, die ausschließlich dem Verfassungsrecht zuzuordnen ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. September 2017 - OVG 3 S 76.17 - juris Rn. 5 m.w.N.).

Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 7. September 2017 - OVG 3 S 76.17 - (juris Rn. 6) ausgeführt hat, kommt es angesichts des verfassungsrechtlichen Charakters der Streitigkeit grundsätzlich nicht mehr darauf an, ob und in welchem Umfang der Antragstellerin verfassungsgerichtlicher Schutz zur Verfügung steht. Soweit in dieser Entscheidung die Möglichkeit angesprochen ist, dass es in besonderen Ausnahmefällen bei einer nicht mit Art. 19 Abs. 4 GG zu vereinbarenden Rechtsschutzlücke geboten sein kann, dennoch verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz zu gewähren, bestehen für einen derartigen besonderen Ausnahmefall hier keinerlei Anhaltspunkte. Unabhängig von der Frage, ob ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG im Raum stehen kann, wenn es um eine Streitigkeit zwischen Verfassungsorganen um verfassungsrechtliche Rechtspositionen geht, und ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Art. 19 Abs. 4 GG eine Rechtswegzuständigkeit begründen kann, lässt sich auch nicht feststellen, dass die Antragstellerin keinen Rechtsschutz vor dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin erlangen kann.

Insoweit macht die Beschwerde zwar geltend, es sei nicht klar, ob verfassungsrechtlicher Rechtsschutz nach § 41 Abs. 1 Nr. 4 AbstG i.V.m. § 38 AbstG gegeben sei, weil die letztere Vorschrift für die Festlegung des Termins für die Abstimmung über den Volksentscheid keine klare Vorgabe enthalte. Unabhängig davon, dass nach dem Zusammenhang der Vorschrift alles dafür sprechend dürfte, dass die in § 38 AbstG geregelte Kompetenz des Landesabstimmungsleiters oder der Landesabstimmungsleiterin, zu prüfen, ob die für den Volksentscheid geltenden Vorschriften beachtet sind und festzustellen, ob der Volksentscheid wirksam zustande gekommen ist, sich auf die gesamte Durchführung des Volksentscheids bis zum Ergebnis (§ 36 AbstG) erstreckt, führt eine Unsicherheit, ob Rechtsschutz gegeben ist, auf die die Beschwerde sich lediglich beruft, nicht zur positiven Feststellung einer Rechtsschutzlücke. Für den Fall der Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs gilt, dass dieser selbst davon ausgeht, gemäß § 55 Abs. 3 in Verbindung mit § 42a VerfGHG auch schon vor der Durchführung eines Volksbegehrens eine Entscheidung durch einstweilige Anordnung treffen zu können (VerfGH Berlin, Beschluss vom 8. September 2011 - 77 A/11 - juris Rn. 14 ff.; vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. September 2017 - OVG 3 S 76.17 - juris Rn. 6).

Da der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet ist, ist für die beantragten Zwischenverfügungen und die im Verfahren nach § 146 Abs. 4 VwGO, in dem das Oberverwaltungsgericht nur die dargelegten, sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzenden Gründe prüft (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO), ohnehin nicht in Betracht kommende Beiziehung von Verwaltungsvorgängen kein Raum.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).