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Entscheidung 5 L 269/22.A


Metadaten

Gericht VG Cottbus 5. Kammer Entscheidungsdatum 21.11.2022
Aktenzeichen 5 L 269/22.A ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2022:1121.5L269.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Leitsatz

Beschränkung von Bisexualität auf einen vor der Öffentlichkeit geschützten Bereich ist im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG mit Art. 8 EMRK vereinbart.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

Das Gericht ist gemäß § 15 Abs. 2 der Brandenburgischen Gerichtszuständigkeitsverordnung örtlich zuständig.

Der Antrag, mit dem der Antragsteller begehrt,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage (5...) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 13. September 2022 (Az.: 9...) anzuordnen,

hat keinen Erfolg.

Gegen die Ablehnung des Folgeantrages ist vorläufiger Rechtschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft.

Gemäß §§ 71 Abs. 4 i.V.m. 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf das Gericht auf der Grundlage von § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Ablehnung eines Folgeantrages nur dann anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – Juris Rn. 99). Dies ist hier im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) nicht der Fall.

Der erste Asylantrag des Antragstellers, der sich damals als Somalier ausgab, wurde durch Bescheid vom 15. Januar 2018 (Az.: 7...) als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Das dagegen eingeleitete Klageverfahren endete durch fiktive Klagerücknahme und wurde durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 9. Dezember 2021 eingestellt. Nach einer Überstellung des Antragstellers aus Luxemburg auf Grund der Verordnung 6... stellte er am 7. Juli 2022 beim Bundesamt den Folgeantrag, dessen Ablehnung in der Hauptsache angefochten wird.

Die gerichtliche Prüfung beschränkt sich auf die in dem Folgeantrag angeführten Gründe. Denn weder das Bundesamt noch die Verwaltungsgerichte sind befugt, ihrer Entscheidung über die Wiederaufnahme andere als vom Antragsteller geltend gemachte Gründe zugrunde zu legen (BVerwGE 138, 289-301, Rn. 28).

Soweit der Antragsteller geltend macht, tansanischer Staatsbürger zu sein und in Tansania Verfolgung wegen Homosexualität zu befürchten, läge darin – die Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens unterstellt - schon keine Änderung der Sachlage i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Eine Änderung der Sachlage ist anzunehmen, wenn sich entweder die allgemeinen politischen Verhältnisse oder die Lebensbedingungen im Herkunftsstaat oder aber die das persönliche Schicksal des Asylbewerbers bestimmenden Umstände - sei es durch Vorgänge im Bundesgebiet oder im Herkunftsstaat - so verändert haben, dass eine für den Asylbewerber günstigere Entscheidung möglich erscheint (Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 71 AsylG Rn. 24). Erforderlich ist indes eine tatsächliche Änderung der Sachlage nach Abschluss des Erstverfahrens (Marx, Ausländer- und Asylrecht, 3. Aufl. 2016, § 11 Rn. 60), wobei sich die Veränderung auf den der Entscheidung im Erstverfahren als entscheidungserheblich zugrunde gelegten Sachverhalt beziehen muss (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1984 – 9 C 875.81 – Buchholz 402.25 § 14 AsylVfG Nr 2; VG Augsburg, Urteil vom 22. Mai 2018 – Au 6 K 18.30560 – Juris; Schönenbroicher/Dickten in BeckOK Ausländerrecht, 17. Ed. Stand: 1.2.2018, § 71 Rn. 17). § 51 Abs. 1 VwVfG macht die Durchbrechung der Bestandskraft eines Verwaltungsaktes gerade davon abhängig, dass sich Faktoren geändert haben, die im ursprünglichen Verfahren für den Inhalt des bestandskräftigen Verwaltungsaktes entscheidend waren. Die von der Behörde angeführten Ablehnungsgründe prägen den Bescheid und sind Anknüpfungspunkt für das Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in den Bestand des Bescheides und damit für die Rechtssicherheit. Es entspricht gerade der Funktion der Bestandskraft und bewirkt ungeachtet der bei der Begründung des Erstbescheides möglichen Zufälligkeiten der Heranziehung rechtlich je tragender Gründe keine Willkür, für die Wiederaufgreifensprüfung an die den Bescheid tragenden Gründe anzuknüpfen (BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2021 – 1 C 1.20 – Juris Rn. 21; BVerwG, Urteil vom 20. November 2018 – 1 C 23.17 – BVerwGE 163, 370-380, Rn. 22). Vorliegend trägt der Antragsteller gerade keine Tatsachen vor, die an jenen Sachverhalt anknüpfen, auf den der Erstbescheid, der sich zur Bedrohung durch Al-Schabaab in Somalia verhält, tragend abstellt, sondern wechselt seinen Vortrag vollständig aus, womit die Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ausscheidet.

Dieses Ergebnis ist auch unionsrechtlich unbedenklich. Unionsrechtlich erweist sich der Folgeantrag als unzulässig, weil die tansanische Staatsangehörigkeit und die Homosexualität nach Art. 40 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU zwar neues Vorbringen sind, aber nicht als unverschuldet nicht vorgetragene, neu zutage getretene Umstände im Sinne von Art. 40 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU (zum Verschuldenserfordernis siehe EuGH, Urteil vom 9.9.2021 – C-18/20 – Juris Rn. 62 ff.) gelten können. Nach dem im Lichte von Art. 40 Abs. 3 der Verfahrensrichtlinie unionsrechtskonform auszulegenden Verschuldensmaßstab des § 51 Abs. 2 VwVfG ist der Antrag auf Wiederaufgreifen nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, also beim Erstantrag, geltend zu machen. Einem Antragsteller fällt grobes Verschulden zur Last, wenn ihm das Bestehen des Wiederaufgreifensgrundes bekannt war oder aufgrund der Umstände hätte bekannt sein müssen und er entgegen seiner Mitwirkungspflicht die Behörde davon nicht informiert hat (Kastner, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, § 51 VwVfG, Rn. 13). Diese allgemeine Mitwirkungspflicht findet in § 15 AsylG eine besondere Ausprägung. Danach war der Antragsteller persönlich verpflichtet, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. Anerkanntermaßen handelt es sich dabei um gesteigerte Mitwirkungspflichten, die ihren unionsrechtlichen Hintergrund und ihre Legitimation in Art. 4 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie 2011/95/EU haben. Demnach war es dem Antragsteller zuzumuten, alle den internationalen Schutz möglicherweise begründenden Tatsachen im Erstantragsverfahren vor dem Bundesamt vorzutragen (Art. 4 Abs. 2 der Verfahrensrichtlinie 2011/95/EU). Gegen all diese Obliegenheiten hat der Antragsteller verstoßen, indem er bewusst über seine Identität getäuscht und einen wahrheitswidrigen Fluchtgrund behauptet hat. Dass darin grobes Verschulden liegt, ist offensichtlich.

Nichts Anderes würde auch dann gelten, wenn man sein weiteres Vorbringen, er habe einem Journalisten von RTL Today in Luxemburg ein Interview zu seiner Bisexualität gegeben, woraufhin ein Bericht darüber erschienen sei, nicht schon dem neuen Vorbringen zur Bisexualität zuordnet, sondern als Nachfluchtgrund begreift. Auch insoweit wäre das nationalrechtlich durch Anwendung des § 71 Asylg i.V.m. § 51 VwVfG gefundene Ergebnis mit dem Unionsrecht konform, weil gemäß Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU die Mitgliedsstaaten festlegen können, dass ein Antragsteller, der einen Folgeantrag stellt, in der Regel nicht als Flüchtling anerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat.

Nichts anderes gilt im Ergebnis mit Blick auf den subsidiären Schutz. Mit § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG verknüpft der Antragsteller das Interview mit RTL Today schon selbst nicht. Insbesondere trägt er keine Tatsachen vor, die auf die Verwirklichung dieses Tatbestandes hinweisen. Auch seine angeblichen Vorerlebnisse lassen diesen Schluss nicht zu. Soweit er erwähnt, wegen seiner Bisexualität auf Anordnung eines zur Familie gehörenden Richters für ein paar Tage inhaftiert und gegen das Versprechen, keine homosexuellen Beziehungen einzugehen, freigelassen worden sei, berichtet er weder von Folter noch von unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung. Dass die Reaktion seiner Familie derartige Züge angenommen hätte, macht er auch nicht geltend. Die Familie habe ihn vielmehr in der Folgezeit zum Studium nach Spanien geschickt und dieses über längere Zeit finanziert. Dass der auf Grund seines Interviews von RTL Today veröffentlichte Bericht, in dem nur der Vorname des Antragstellers genannt wird, ohne dass sein Bild erscheint, nunmehr nicht allein etwa eine Verhaftung, sondern auch die Gefahr von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung begründet, macht er vor dem Bundesamt nicht geltend.

Gegen die Abschiebungsandrohung und die Verneinung der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen keine Bedenken.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist eine Abschiebung unzulässig, wenn sich dies aus der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt. Diese sog. zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse folgen aus Gefahren, die dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen.

Vorliegend ist eine Verletzung des zuallererst in Betracht kommenden Art. 3 EMRK nicht ersichtlich. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Eine Bejahung dieser Voraussetzungen erfordert ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu werden (BVerwG, Urteil vom 31.1.2013, 10 C 15.12, BVerwGE 146, 12-31, Rn. 23 mit Verweis auf den EGMR, siehe auch Rn. 25 und 26). Dabei ist mit dem EGMR und dem Bundesverwaltungsgericht auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen (ebenda, Rn. 26, m.w.N.).

Zunächst stehen die wirtschaftlichen Lebensbedingungen in Tansania einer Abschiebung nicht entgegen. Sozio-ökonomische Verhältnisse können ganz ausnahmsweise eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.1.2013, 10 C 15.12, BVerwGE 146, 12-31, LS 3). Solche Gründe macht der Antragsteller indes selbst nicht geltend. Sie sind auch nicht ersichtlich. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der junge, überdurchschnittlich gebildete, mehrere Fremdsprachen beherrschende, arbeitsfähige und über praktische Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt verfügende Antragsteller jedenfalls den notwendigsten Lebensunterhalt bestreiten und die – nach der Rechtsprechung allein erforderlichen – elementarsten Bedürfnisse befriedigen können wird.

Auch jenseits der sozioökonomischen Bedingungen, soweit sich der Antragsteller nämlich auf Verfolgung wegen Bisexualität beruft, liegen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit vor.

Dem Antragsteller ist schon nicht zu glauben, dass er bisexuell ist. Das Gericht darf einen Antragsteller auch ohne eine persönliche Anhörung für unglaubwürdig halten, wenn in dem Anhörungsprotokoll des Bundesamts solche Widersprüche, Ungereimtheiten oder Unvereinbarkeiten aufgezeigt werden, die die Wahrheit der behaupteten Tatsachen auch ohne den persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers von vornherein ausschließen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2007 – 1 B 101.06 – Juris Rn. 4; Beschlüsse vom 10. Mai 2002 - BVerwG 1 B 392.01 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259 m.w.N., vom 11. Juni 2002 - BVerwG 1 B 37.02 - Buchholz a.a.O. Nr. 260 und vom 26. Februar 2003 - BVerwG 1 B 218.02 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 328 m.w.N.). So liegt der Fall hier. Der Antragsteller hat sich bei der persönlichen Anhörung am 14. November 2017 als am 10. Februar 1995 in Koyama geborener somalischer Staatsangehöriger namens M... ausgegeben. Zur Begründung seines Asylantrages hat er behauptet, bis zu seiner Ausreise auf der Insel Koyama gelebt zu haben. Koyama habe er aus Furcht vor der Miliz Al Schabaab verlassen. Mitglieder dieser Miliz seien regelmäßig auf diese Insel gekommen, um Jugendliche zu rekrutieren und sie an der Waffe auszubilden. Etwa fünf Tage vor seiner Ausreise im Jahr 2012 hätten die Milizen seine Eltern sowie andere Inselbewohner umgebracht. Er selbst habe sich zu diesem Zeitpunkt in einer Koranschule aufgehalten. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er enthauptet zu werden, weil Al-Schabaab davon ausgehen, dass ein Muslim, der Somalia verlassen habe, vom Glauben abgefallen sei. Nach seiner Flucht aus Somalia habe er von 2012 bis 2017 in Kenia bei einem Imam gewohnt, wo er Englisch sowie IT-Kenntnisse erlernt habe. In Mombassa sei er abends von Unbekannten angegriffen worden, weil er sich im Land illegal aufgehalten habe und deshalb unter Verdacht stehe, Al-Schabaab anzugehören. Danach habe der Imam ihn aufgefordert, Kenia zu verlassen. Nunmehr räumt der Antragsteller ein, dass der 2017 dem Bundesamt und dem Verwaltungsgericht unterbreitete Vortrag frei erfunden gewesen sei. Nunmehr sei seine Identität eine andere. Er heiße M... und sei nicht am 10. Februar 1995, sondern am 20. April 1993 geboren. Sein Geburtsort sei nicht die Insel Koyama, sondern die Insel Sansibar. Er sei kein Somalier, sondern ein Tansanier. Außerdem habe er sich mehrere Jahre in Spanien zu Studienzwecken aufgehalten. Ferner beziehe sich die befürchtete Verfolgung diesmal auf Tansania und Bisexualität. Der Antragsteller räumt zudem selbst ein, dass sein frei erfundener und mit sehr vielen Details ausgeschmückter Vortrag allein verfahrenstaktischen Überlegungen geschuldet war. Es ist nicht ansatzweise erkennbar, warum den neuen Vortrag zur Verfolgung wegen Bisexualität nicht auch verfahrensgeleitet sein sollte. Dies gilt umso mehr, als er bereits im Erstverfahren unter Beweis gestellt hat, einen Sachverhalt frei zu erfinden, der sich durch Details und anschauliche Darstellung auszeichnet.

Soweit sich der Antragsteller auf die Rechtsprechung des EuGH im Urteil vom 2. Dezember 2014 – C-148/13 – Rn. 67ff. beruft, ist diese schon deshalb nicht einschlägig, weil sie sich auf die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach der Richtlinie 2011/95/EU bezieht, während hier nationalrechtliche Abschiebungsverbote in Rede stehen. Zudem besagt sie, dass die Glaubhaftigkeit nicht allein deshalb verneint werden könne, wenn die Homosexualität nicht schon bei der ersten Gelegenheit zur Darlegung offenbart wird. Vorliegend hat der Antragsteller über seine gesamte Identität und Herkunft getäuscht und eine vollständig andere Verfolgungsgeschichte frei erfunden. Inmitten steht also nicht ein Verschweigen der Homosexualität, sondern die Täuschung über die Identität und ein völlig wahrheitswidrig behauptetes Verfolgungsschicksal. Im Übrigen hat er diese Legende nicht nur bei der ersten Gelegenheit vorgetragen, sondern gegenüber mehreren Institutionen, einschließlich des Gerichts, und über vier Jahre seines Aufenthaltes aufrechterhalten. Während dieses Aufenthaltes hatte er ausreichend Gelegenheit, sich der Akzeptanz seiner angeblichen sexuellen Orientierung in der ihn umgebenden Gesellschaft zu vergewissern, indem er nicht nur einen Integrationskurs und einen Sprachkurs der Stufe B2 abgeschlossen hatte, sondern über mehrere Jahre bei verschiedenen Arbeitgebern berufstätig gewesen war.

Unabhängig davon wäre ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG auch dann nicht anzunehmen, wenn der Antragsteller tatsächlich bisexuell wäre. Im Rahmen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist ein engerer Maßstab als bei der Flüchtlingseigenschaft anzulegen, so dass von dem Ausländer verlangt werden kann, dass er auf ein öffentliches Ausleben seiner Homosexualität verzichtet und sich damit begnügt, seine sexuelle Identität in geschützten Bereichen außerhalb der Öffentlichkeit zu leben. Lebt der Antragsteller seine behauptete Bisexualität verborgen aus, droht ihm keine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.

Dem Antragsteller wäre es – seinen Vortrag als wahr unterstellt - im Lichte des Art. 8 EMRK zuzumuten, seine Bisexualität im Privaten und nicht öffentlich auszuleben. Die EMRK - wie auch in den Artikeln 1 und 56 zum Ausdruck kommt – bezweckt grundsätzlich nur die Sicherung bestimmter Rechte und Freiheiten innerhalb des eigenen Machtbereichs der Vertragsstaaten selbst. Demgemäß bindet die Konvention in erster Linie die Ausübung aller Staatsgewalt auf dem Territorium der Vertragsstaaten. Dagegen ist die Konvention auf Menschenrechtsverletzungen in Drittstaaten, die nicht Mitglied des Europarats und Unterzeichner der EMRK sind, nicht anwendbar; für sie sind die Signatarstaaten der EMRK völkerrechtlich nicht verantwortlich. Außerdem enthalten weder die Konvention selbst noch später vereinbarte Protokolle ein Recht auf Asyl wegen rassischer, religiöser oder sonstiger politischer Verfolgung (BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2000 – 9 C 34.99 –, BVerwGE 111, 223-230, Rn. 8). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte - EGMR - hat allerdings in seiner Entscheidung vom 7. Juli 1989 im Fall Soering (EuGRZ 1989, 314 = NJW 1990, 2183) und seither ständig ausgesprochen, dass es den Vertragsstaaten durch Art. 3 EMRK trotz der räumlichen Grenzen des Geltungsbereichs der Konvention untersagt sein kann, einen Ausländer in einen außerhalb des Konventionsgebiets liegenden Drittstaat auszuliefern, auszuweisen oder abzuschieben, wenn ihm dort die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung droht. Dieser Spruchpraxis hat der Bundesgesetzgeber durch die deklaratorische Verweisung auf die EMRK in § 53 Abs. 4 AuslG bzw. nunmehr § 60 Abs. 5 AufenthG bewusst Rechnung getragen und damit die Beachtung unmittelbar aus der EMRK selbst folgender Abschiebungsverbote anerkannt und angeordnet (vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf BTDrucks 11/6321, S. 75: "insbesondere nach Art. 3 EMRK ... im Einzelfall unter besonderen Voraussetzungen"; vgl. auch Urteil vom 15. April 1997 a.a.O. S. 267 und Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz, 1991, S. 289; BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2000 – 9 C 34.99 –, BVerwGE 111, 223-230, Rn. 8). Schutz vor der Abschiebung in einen Nicht-Vertragsstaat nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit der EMRK kommt danach nicht schon dann in Betracht, wenn der hohe Menschenrechtsstandard, zu dessen Einhaltung sich die Vertragsstaaten und Mitglieder des Europarats verpflichtet haben, im Zielstaat der Abschiebung außerhalb des Konventionsgebiets nicht oder nicht in vollem Umfang gewährleistet erscheint (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2000 – 9 C 34.99 –, BVerwGE 111, 223-230, Rn. 9). Die Abschiebung eines Ausländers in Nicht-Vertragsstaaten ist danach nicht nur unzulässig, wenn ihm dort unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht; ein Abschiebungsverbot kommt auch dann in Betracht, wenn im Einzelfall andere in der EMRK verbürgte, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind. Die in der Soering-Entscheidung des EGMR vom 7. Juli 1989 a.a.O. hervorgehobenen, für die demokratischen Mitgliedstaaten des Europarats und der EMRK schlechthin konstituierenden "Grundwerte", zu denen über Art. 3 EMRK hinaus ein Kernbestand weiterer spezieller menschenrechtlicher Garantien der EMRK gehört, verkörpern einen "menschenrechtlichen Ordre public" aller Signatarstaaten der EMRK (vgl. Isensee a.a.O Rn. 99). Dessen Beachtung kann die Abschiebung eines Ausländers in solche Nicht-Vertragsstaaten verbieten, in denen ihm Maßnahmen drohen, die einen äußersten menschenrechtlichen Mindeststandard unterschreiten. Auch bei Eingriffen in den Kernbereich solcher anderen, speziellen Konventionsgarantien - wie etwa der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK - ist eine Abschiebung allerdings ebenfalls nur in krassen Fällen unzulässig, wenn nämlich die drohenden Beeinträchtigungen von ihrer Schwere her dem vergleichbar sind, was nach der bisherigen Rechtsprechung wegen menschenunwürdiger Behandlung zu einem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK geführt hat. Der absolut geschützte Kern einzelner Menschenrechte ist regelmäßig enger ist als deren Schutzbereich. Was schon nicht den Tatbestand einer einfachen Konventionsverletzung im Konventionsgebiet erfüllen würde, kann erst recht keinen qualifizierten Eingriff in den von der Konvention absolut geschützten menschenrechtlichen Mindeststandard darstellen (BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2000 – 9 C 34.99 –, BVerwGE 111, 223-230, Rn. 11; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Mai 2003 – A 2 S 711/01 – Juris Rn. 1). Ebenso wie im Rahmen der Religionsfreiheit, wo die Beschränkung auf das religiöse Existenzminimum des forum internum den absolut geschützten Kern des Art. 9 EMRK wahrt (BVerwGE 111, 223-230, Rn. 12), wird nach dem Vorstehenden der unveräußerliche, nicht beschränkbare Kern des Rechts auf Privatleben, wozu auch die sexuelle Orientierung gehört, der für die personale Würde und Entfaltung eines jeden Menschen unverzichtbar ist, gewahrt, wenn dessen Ausleben auf den Privatbereich beschränkt wird (vgl. OVG Bremen, Urteil vom 18. Mai 1999 – 1 A 33/99.A – NVwZ-Beilage I 10/1999 Seite 101/102; so wohl auch EGMR, Urteil vom 22.Juni 2004 - F./United Kingdom, 17341/03 -). Denn anders als etwa Art. 3 EMRK, der vorbehaltlos gewährleistet ist, sieht Art. 8 Abs. 2 EMRK ausdrücklich Beschränkungen dieses Rechts vor, „soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“ Von Zulässigkeit von Beschränkungen homosexuellen Verhaltens geht auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem zu Art. 8 EMRK ergangenen Urteil vom 22. Oktober 1981 (EuGRZ 1983, 488) grundsätzlich aus (BVerwG, Urteil vom 15. März 1988 – 9 C 278.86 –, BVerwGE 79, 143-154, Rn. 21). Unterfällt das Verbot öffentlichen Auslebens der Homosexualität nicht dem unveräußerlichen Kern des Rechts auf Privatleben kann es auch kein Abschiebungsverbot begründen. Unabhängig davon macht der Antragsteller schon selbst nicht geltend, dass das öffentliche Ausleben seiner behaupteten Homosexualität für seine Identität prägend oder unveräußerlich ist. Sein Vorbringen im gerichtlichen Verfahren („Mit der Zeit fiel es ihm leichter, seine sexuelle Orientierung zu akzeptieren und darüber zu sprechen.“) weist im Gegenteil darauf hin, dass es ihn Überwindung kostet, sich öffentlich als Homosexueller zu offenbaren.

Legt man nach dem Vorstehenden zu Grunde, dass der Antragsteller lediglich im Privaten seine Homosexualität in Tansania auslebt, ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass er deshalb Sanktionen zu befürchten hat. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dessen Rechtsprechung zu den Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK besondere Bedeutung zukommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 - 1 B 2.19 - juris Rn. 6; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 - juris Rn. 38), muss eine ausreichende reale Gefahr bestehen, die nicht nur auf bloßen Spekulationen beruht, denen eine hinreichende Tatsachengrundlage fehlt. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss aufgrund aller Umstände des Falles ernsthaft bestehen und darf nicht hypothetisch sein (EGMR, Urteile vom 28. Juni 2011 - Nr. 8319/07 und Nr. 11449/07, Sufi and Elmi/UK - Rn. 212 ff., vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N./UK - Rn. 34 ff. und vom 6. Februar 2001 - Nr. 44599/98, Bensaid/UK - Rn. 36 ff.). Der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr entspricht dem der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 – Juris Rn. 13). Soweit dem Gericht Berichte über Festnahme vorliegen (vgl. hierzu VG Regensburg, Urteil vom 24. Juni 2021 – RN 1 K 19.30899 – Juris), stehen diese ausnahmslos im Zusammenhang mit öffentlich wahrnehmbaren Veranstaltungen. So kam es 2016 zu Festnahmen von Teilnehmern eines HIV-Präventionsworkshops, im Februar 2017 zu Schließungen privater Gesundheitszentren, die homosexuelle Beziehungen gefördert haben sollen. Im August 2017 wurden 20 Mitglieder der LGBTI Gemeinschaft für mehr als 48 Stunden festgehalten und ohne Anklage wieder freigelassen. Am 18. September 2017 wurden in Sansibar in einem Hotel zwölf Teilnehmer einer Schulung zum Thema HIV/AIDS unter dem Vorwurf festgenommen, Homosexualität zu fördern. Unter dem gleichen Vorwurf wurden am 17. Oktober 2017 13 Gesundheits- und Menschenrechtsaktivisten festgenommen, die an einer Tagung teilnahmen, die sich mit Einschränkungen von Gesundheitsdienstleistungen für Homosexuelle beschäftigte. Im November wurden gemeinschaftsbasierte HIV/AIDS Präventionsprogramme für Homosexuelle aufgehoben. Auf Sansibar wurden zehn Teilnehmer einer Hochzeit unter Gleichgeschlechtlichen inhaftiert. Übergriffe auf Personen, die sich in der Öffentlichkeit als homosexuell zu erkennen geben, kommen vor. Von der Initiative des Gouverneurs von Daressalam, Homosexuelle zu denunzieren, hat sich die Zentralregierung allerdings distanziert (vgl. zum Vorstehenden VG Regensburg, Urteil vom 24. Juni 2021 – RN 1 K 19.30899 – Juris). Denunziationen privat ausgelebter Homosexualität werden ebenso wenig berichtet wie entsprechende Verhaftungen.

Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung ist auch nicht mit Blick auf das dem Sender RTL Today vom Antragsteller in Luxemburg gegebene Interview zu besorgen. Der hierauf beruhende und veröffentlichte Bericht nennt nur den Vornamen des Antragstellers, ohne dass sein Bild erscheint. Der Vorname M... ist in einem islamisch geprägten Land, wie Tansania, jedoch zu häufig, um eine Identifizierung zu ermöglichen. Soweit der Antragsteller seine Identifizierung deshalb befürchtet, weil sein Vorname mit dem damaligen Aufenthaltsort Luxemburg in Verbindung gebracht werden könnte, geht dies schon deswegen fehl, weil nicht ersichtlich ist, wie die Stellen in Tansania von diesem Aufenthalt erfahren sollten. Im Übrigen leben auch in Luxemburg zu viele Träger dieses Vornamens.

Aus den identischen Gründen sind die Voraussetzungen des Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht gegeben. Dieser setzt eine einzelfallbezogene, erhebliche und konkrete Gefahrensituation voraus, die landesweit drohen muss (dazu bereits BVerwG, Urteil vom 31.1.2013, 10 C 15.12, BVerwGE 146, 12-31, Rn. 38). Im Übrigen wird für die Frage des § 60 Abs. 5, 7 AufenthG auf die zutreffenden Ausführungen des Bescheides vom 21.8.2017, Bl. 168 ff. des Verwaltungsvorgangs, verwiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.