Gericht | OLG Brandenburg 12. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 20.10.2022 | |
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Aktenzeichen | 12 U 159/22 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:1020.12U159.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das am 26.07.2022 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az. 12 O 78/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
I.
Die Klägerin macht Schmerzensgeld und Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall am 02.03.2020 geltend.
Sie stand mit ihrem Pkw an einer roten Ampel auf der B1 in N... Höhe ... Straße. Das Beklagtenfahrzeug fuhr auf das Heck auf und schob das Klägerfahrzeug wiederum auf das davor befindliche Kfz. Die Klägerin verletzte sich infolge des Unfallgeschehens.
Die Beklagte zahlte an die Klägerin u.a. ein Schmerzensgeld i.H.v. 1.000 €, auf materielle Schäden 1.418,22 € und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 326,31 €.
Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe durch den Unfall eine HWS – Distorsion erlitten, deren Beschwerden bis einschließlich 06.09.2020 zur Arbeitsunfähigkeit geführt hätten. Sie leide noch heute unter lokalen Beschwerden im Nackenbereich durch ständige Nacken– und Kopfschmerzen mit Schlafstörungen und Kribbelparästhesien im linken Arm. Zudem sei es unfallbedingt zu einer Bandscheibenprotusion in den Etagen HWK 4 bis 6 gekommen. Dies rechtfertige ein weiteres Schmerzensgeld von mindestens 3.000 €. An Behandlungskosten seien 1.268,55 € und für Medikamentenzuzahlungen seien 39,02 € zu erstatten.
Die Beklagte hat das Vorliegen und die Unfallkausalität der benannten Beschwerden bestritten.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von weiteren 4.000 € und der Behandlungskosten von 1.307,57 € nebst weiteren Rechtsverfolgungskosten verurteilt, sowie festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, künftige materielle und immaterielle Schäden aus dem Unfall zu ersetzen. Die Klage auf Erstattung des Verdienstausfalls hat es abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach dem Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. H. sei es davon überzeugt, dass die Klägerin eine HWS-Distorsion erlitten habe, in deren Folge eine Kyphose entstanden sei. Zudem träten unfallbedingt immer wieder Schulter- und Nackenbeschwerden auf. Dabei handele es sich um einen Dauerschaden. Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Ausführungen wird auf das Urteil Bezug genommen.
Die Beklagte hat gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 27.07.2022 zugestellte Urteil mit am 29.08.2022 beim Brandenburgischen Oberlandesgerichts eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und am 27.09.2022 begründet. Sie führt aus, die Feststellungen des Sachverständigen seien für eine sichere Überzeugungsbildung einer unfallbedingten HWS-Distorsion sowie einer Kyphose nicht ausreichend. Denn der Sachverständige habe selbst eingeräumt, dass verschiedene andere unfallfremde Ursachen für das Auftreten der Kyphose infrage kämen. Jedenfalls fehle es an Anknüpfungstatsachen für die bei dem Aufprall entstandenen Beschleunigungskräfte. Dafür wäre es notwendig gewesen, ein unfallanalythisches Sachverständigengutachten einzuholen. Dies sei aber von der Klägerin nicht beantragt worden.
Sie hat angekündigt zu beantragen,
die Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt/Oder, Geschäftsnummer 12 O 78/21 abzuweisen, soweit die Beklagte zur Zahlung eines Betrages an die Klägerin von 5.307,57 € nebst gesetzlichen Zinsen seit dem 01.12.2020 sowie zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 307,63 € nebst gesetzlicher Zinsen seit dem 01.05.2021 verurteilt worden ist.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gem. §§ 517 ff. ZPO eingelegte Berufung ist nach einstimmiger Auffassung des Senats offensichtlich unbegründet. Die Rechtssache weist auch weder grundsätzliche Bedeutung auf, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Eine mündliche Verhandlung ist auch nicht aus sonstigen Gründen geboten. Es ist daher die Zurückweisung der Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmig gefassten Beschluss beabsichtigt.
1. Nach der Antragstellung und Begründung richtet sich die Berufung der Beklagten allein gegen den Ausspruch des Landgerichts auf Ersatz der Behandlungskosten, das Schmerzensgeld sowie die Rechtsverfolgungskosten, jeweils nebst Zinsen. Der Ausspruch auf Feststellung künftiger Ersatzpflicht ist damit rechtskräftig.
2. Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht die Beklagte zur Zahlung von Schmerzensgeld und Behandlungskosten verurteilt. Grundlage ist die insoweit dem Grunde nach unstreitige alleinige Haftung der Beklagten als Halterin des auffahrenden Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen DN-... aus §§ 7, 17 StVG.
2.1. Das vom Landgericht ausgeurteilte Schmerzensgeld von weiteren 4.000 € (insgesamt 5.000 €) ist nicht zu beanstanden.
Zutreffend stellt das Landgericht die Grundsätze der Schmerzensgeldbemessung dar. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf das Urteil verwiesen.
Dabei liegen die für die Beurteilung notwendigen Anknüpfungstatsachen vor. Insbesondere war das Landgericht nicht gehalten, ein unfallanalytisches Gutachten einzuholen oder die Klage abzuweisen, weil die Klägerin ein solches nicht beantragt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist das Gericht nicht verpflichtet, hinsichtlich des Umfangs der Beschädigungen der beteiligten Fahrzeuge und der sich daraus ergebenden kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung ein Sachverständigengutachten einzuholen und sodann mittels eines biomechanischen Gutachtens der Frage nachzugehen, ob der Unfall geeignet war, eine HWS-Distorsion hervorzurufen. Bei der Prüfung, ob ein Unfall eine entsprechende Verletzung verursacht hat, sind stets die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Gegen die schematische Annahme einer "Harmlosigkeitsgrenze" spricht auch, dass die Beantwortung der Kausalitätsfrage nicht allein von der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung, sondern daneben von einer Reihe anderer Faktoren abhängt, wobei u. a. auch der Sitzposition des betreffenden Fahrzeuginsassen Bedeutung beizumessen sein kann (BGH, Urteil vom 28. Januar 2003 – VI ZR 139/02 –, juris).
Die Beklagte räumt unter Hinweis auf das Schadensgutachten selbst einen erheblichen materiellen Schaden am Fahrzeug der Klägerin ein. Auch wenn sich daraus ohne sachverständige Unterstützung keine Anstoß- oder Differenzgeschwindigkeit oder auch Anstoßbeschleunigung ermitteln lässt, liegt hier nicht nur ein völlig harmloser Anstoß vor. Denn das Fahrzeug der Klägerin stand und wurde nicht nur im Heckbereich durch einen Anstoß der Stoßfängerverkleidung und großflächig im Kofferraumklappenbereich beschädigt. Das Fahrzeug wurde zudem auf ein davor befindliches Fahrzeug aufgeschoben, in dessen Folge auch der Stoßfänger vorn und die Motorhaube eingedellt wurden. Insoweit erfolgten hier zwei nicht unerhebliche Kollisionen, die jeweils auf den Körper der Klägerin eingewirkt haben. Hierbei handelt es sich, wie dem Senat mit der Sachgebietszuständigkeit für Verkehrsunfallsachen aus einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten bekannt ist, um einen Unfallmechanismus, der grundsätzlich geeignet ist, eine HWS-Distorsion als auch Verspannungen im Bereich der Schulter- und Nackenmuskulatur zu begründen.
Eine entsprechende Diagnose wurde laut Befundbericht vom 18.06.2020 ärztlich gestellt. Auch wenn sich im MRT der HWS keine objektivierbaren Befunde ergeben haben, hat die Klägerin bereits am Unfalltag Nackenschmerzen und leichte Übelkeit sowie schmerzhafte, insbesondere bewegungsabhängige Beschwerden im HWS Bereich und Druckschmerz angegeben. Ihr wurde darauf eine Halskrause verordnet. Dementsprechend hat der Sachverständige Dr. H. in seinem Gutachten ausgeführt, die Klägerin habe nachweislich bei dem Unfall am 02.03.2020 eine HWS-Distorsion mittleren Grades erlitten. Dies bekräftigt er nochmals im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Landgericht. Der Senat hat nach den vorliegenden Behandlungsunterlagen und dem zeitlichen Ablauf keine Zweifel im Sinne des Beweismaßes des § 286 ZPO am Vorliegen dieser Primärverletzung.
Der Senat geht weiter davon aus, dass es sich bei den von der Klägerin geschilderten muskulären Verspannungen im Bereich der Schulter- und Nackenmuskulatur linksseitig, die zu einem verzögerten Heilungsverlauf und Arbeitsunfähigkeit bis zum 06.09.2020 und der Entstehung einer Kyphose führten, ebenfalls um unfallbedingte Verletzungsfolgen handelt. Zwar hat der Sachverständige ausgeführt, dass Verspannungen als auch eine Steilstellung der HWS auch anderweitig eintreten können. Allerdings klingen solche regelmäßig nach kurzer Zeit wieder ab. Vorliegend wurde die Klägerin jedoch 2 Monate primär behandelt und danach noch rezidivierend. Die berufliche Tätigkeit der Klägerin und die damit einhergehenden Belastungen ebenso wie die beschriebenen und vom Gutachter im Rahmen der persönlichen Untersuchung objektiv festgestellten fortbestehenden Beschwerden lassen aus gutachterlicher Sicht den Rückschluss auf die Kausalität zu. Dabei ist ein Zusammenhang zwischen der HWS-Distorsion und der Verspannungen wahrscheinlich. Die Bewegungseinschränkungen und die Verspannungen können auch weiterhin zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlich starkem Maße auftreten und äußern sich nach den Erhebungen des Sachverständigen in seinem Gutachten im Auftreten von Verhärtungen bei längeren Autofahrten und Schwierigkeiten beim schmerzfreien Schlafen wie auch bei Einschränkungen der Beweglichkeit der Halswirbelsäule.
Da eine mit den Verspannungen im Zusammenhang stehende Primärverletzung bereits vorliegt, gilt hier das Beweismaß des § 287 ZPO. Denn ob auch die bei der Klägerin bestehende Schmerzsymptomatik als Folge der Primärverletzung auf den Unfall zurückzuführen ist, ist eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität, die dem Beweismaß des § 287 ZPO unterliegt, so dass insoweit geringere Anforderungen an die Überzeugungsbildung zu stellen sind. Es genügt, je nach Lage des Einzelfalls, eine höhere oder deutlich höhere Wahrscheinlichkeit (Senat, Urteil vom 22. Dezember 2015 – 12 U 20/12 –, Rn. 14, juris m.w.N.). Letzteres ist aufgrund des vorliegenden Behandlungsverlaufes und der sachverständigen Feststellungen, denen der Senat uneingeschränkt folgt, gegeben.
Eine degenerative Vorschädigung im Bereich der HWS hat der Sachverständige in Auswertung des vorliegenden MRT ausgeschlossen. Es gibt hier zudem keine Anhaltspunkte für einen Bagatellunfall oder - soweit hier streitgegenständlich - für ein grobes Missverhältnis zwischen Anlass und Gesundheitsschaden.
Auf der Basis dieser festgestellten Beschwerden ist das Schmerzensgeld von insgesamt 5.000 € angemessen, einen Ausgleich für die erlittenen Verletzungen zu schaffen. Es bewegt sich im Rahmen der umfassenden Rechtsprechung zu dieser Problematik. Der Schmerzensgeldbemessung tritt die Berufung auch nicht weiter entgegen.
2.2. Nachdem die Behandlung als unfallbedingt zugrunde gelegt werden kann, sind auch die vom Landgericht ausgeurteilten Behandlungskosten sowie Kosten der Zuzahlungen erstattungsfähig. Die Berufung greift diesen Aspekt nicht mehr auf. Gleiches gilt für die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
3. Es wird angeregt, zur Reduzierung der Kosten das Rechtsmittel zurück zu nehmen.