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Entscheidung 1 Ws 140/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Strafsenat Entscheidungsdatum 07.12.2022
Aktenzeichen 1 Ws 140/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:1207.1WS140.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Potsdam gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam vom 26. September 2022 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Verurteilte in Ergänzung zum angefochtenen Beschluss angewiesen wird, nach Entlassung aus dem Maßregelvollzug bei seinen Eltern in …Bri…, U…weg … Wohnsitz zu nehmen und diesen in die Wohnstätte für psychisch kranke Menschen der gemeindenahen Psychiatrie in ... Bra…, M…straße … zu verlegen, sobald dort ein Betreuungsplatz für ihn zur Verfügung steht.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens und die dem Verurteilten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam wendet sich mit ihrer bei Gericht am 28. September 2022 angebrachten sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam vom 26. September 2022, mit dem die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus aus den Urteilen des Landgerichts Potsdam vom 8. Juli 2010 (23 KLs 5/17) und vom 15. November 2001 (23 KLs 10/01) für erledigt erklärt und die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Potsdam vom 8. Juli 2010 (23 KLs 5/17) zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Dem liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:

1. Das Landgericht Potsdam verurteilte den Betroffenen am 8. Juli 2010, rechtskräftig seit dem 10. November 2010 (23 KLs 5/10), wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und ordnete daneben seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Den Urteilsgründen zufolge hatte der Betroffene, bewaffnet mit einem ausklappbaren Jagdmesser, am 14. Januar 2010 den Presse- und Lottoshop in der K…-Straße in P… überfallen, indem er die Verkäuferin unter Vorhalt des Messers aufforderte, ihm das Geld aus der Kasse auszuhändigen. Da die Verkäuferin dieser Aufforderung nicht nachkam, nahm der Betroffene schließlich selbst 765,00 € aus der Kasse und stieg in ein Taxi, wobei er auch dem Taxifahrer das Messer vorhielt. Beim Einsteigen in das Taxi hatte ihm ein Zeuge das Bein eingeklemmt, so dass er sich nicht mehr bewegen konnte. Die herbeigerufene Polizei nahm den Betroffenen fest.

Die Strafkammer stellte fest, dass der Verurteilte zur Tatzeit infolge einer hirnorganisch bedingten Persönlichkeitsveränderung (ICD-10: F 07.0) in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war (§ 21 StGB).

Vor dieser Verurteilung war der Betroffene bereits durch Urteil des Landgerichts Potsdam vom 15. November 2001 (23 KLs 10/01) unter Freisprechung von dem Anklagevorwurf gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden, weil er im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) einen schweren räuberischen Diebstahl begangen hatte. In dem dortigen Verfahren hatte der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M… bei dem Verurteilten eine schwere Psychopathologie festgestellt, wobei der Gutachter ein hirnorganisch bedingtes Orbitalhirnsyndrom ebenso in Betracht zog wie eine endogene Psychose (Schizophrenie). Der Verurteilte verblieb mehrere Jahre im psychiatrischen Krankenhaus. Mit Beschluss vom 31. März 2009 (20 StVK 1/08) hatte die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Potsdam den Vollzug der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt; der Verurteilte wurde am 30. April 2009 aus dem Maßregelvollzug entlassen. Zu einem Widerruf der Aussetzung der Maßregel ist es nicht gekommen.

2. In der Zeit vom 15. Januar 2010 bis zum 11. Februar 2010 war der Verurteilte in dieser Sache aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Potsdam vom 14. Januar 2010 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Bra… . Seit dem 12. Februar 2010 ist er im Maßregelvollzug des A… Fachklinikums Bra… untergebracht.

Ein erstes Probewohnen bei seinen Eltern in Bri… scheiterte nach sehr kurzer Zeit im Mai 2012, da der Untergebrachte bereits nach zwei Tagen unter Alkoholkonsum eine Nacht in Berlin verbrachte und dort von der Polizei aufgegriffen und wieder der Klinik zugeführt wurde. Im Februar 2013 wurde er in das sozialtherapeutische Wohnprojekt der G… in Be…-F… verlegt und von dort aus in die therapeutische Wohngemeinschaft des Trägers „D…“ in Be… . Aufgrund wiederholter Alkoholrückfälle hatte diese Maßnahme im September 2014 beendet und der Untergebrachte in den Maßregelvollzug rücküberstellt werden müssen. Am 26. Oktober 2015 wurde der Untergebrachte in ein therapeutisches Übergangswohnheim nach Be…-G… verlegt, dessen Träger ebenfalls „D…“ war. Das Probewohnen scheiterte, weil er unter starker alkoholischer Beeinflussung in der Einrichtung erschienen war. Das Probewohnen wurde am 20. Juni 2016 zunächst beendet, und der Verurteilte kehrte in den geschlossenen Maßregelvollzug zurück.

Am 5. Oktober 2016 wurde er in der sozialtherapeutischen Einrichtung „E…" … e.V. in M… zum erneuten Probewohnen untergebracht. Dort war er stundenweise in der Fahrradwerkstatt der Einrichtung beschäftigt. Dort fiel dem Verurteilten die eigenständige Tagesplanung schwer. Nach dem Bericht der Einrichtungsleitung der „E…" benötigte der Verurteilte eine motivierende und wohlwollende Umgebung, die ihm Tagesstruktur bietet, aber auch die nötigen Freiräume lässt. Nach zwei Monaten musste das Probewohnen wegen Alkoholrückfalls beendet werden.

Zuvor, unter dem Datum des 13. April 2018 setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam die weitere Vollstreckung der im Urteil des Landgerichts Potsdam vom 08. Juli 2010 (23 Kls 5/17) angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und der verhängten Freiheitsstrafe nach Begutachtung des Untergebrachten durch die Sachverständige Dr. O… zur Bewährung aus und erteilte dem Verurteilten im Rahmen der Führungsaufsicht mehrere Weisungen (20 StVK 86/18).

Mit Schreiben vom 13. Juni 2018 teilte der Chefarzt der Maßregelklinik der Staatsanwaltschaft Potsdam mit, dass der Verurteilte wieder von dem Probewohnen in den Maßregelvollzug aufgenommen werden musste, da bei einer Blutkontrolle ein erhöhter CDT-Wert festgestellt worden war, der auf einen längerfristigen Alkoholkonsum bei dem Verurteilten hindeute.

Mit Beschluss vom 31. Juli 2018 hob der Senat den Beschluss der Strafvollstreckungskammer im Beschwerdeverfahren auf und ordnete die Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten an (1 Ws 111/18). Dem Verurteilten könne mit Blick auf den erneuten Alkoholmissbrauch und den Rückfall in alte Verhaltensmuster keine günstige Prognose gestellt werden. Der mit dem Gutachten der Sachverständigen Dr. O… dargelegten positiven Legalprognose, die von einer Alkohol- und Drogenabstinenz ausgehe, sei die Grundlage entzogen.

Die Klinikleitung beauftragte sodann den Sachverständigen Dr. L…, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, forensische Psychiatrie, gemäß § 37 Abs. 4 BrbgPsychKG a.F. mit der Erstellung eines neuen Gutachtens. Der Sachverständige diagnostiziert in seinem Gutachten vom 13. Juli 2019 bei dem Untergebrachten eine organische Persönlichkeitsstörung von Krankheitswert mit affektiven und emotionalen Defiziten, Störungen des Antriebs und der Impulsgebung, schwerwiegenden kognitiven Störungen wie erheblichen Einschränkungen der Kritik- und Urteilsfähigkeit im Ausmaß einer Demenz sowie den schädlichen Gebrauch von Alkohol mit beginnender Abhängigkeit, gegenwärtig abstinent in beschützender Umgebung. Er sieht die Legalprognose des Verurteilten als ungünstig an und legt dar, dass seine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit weiterhin bestehe, weil bezüglich der Art und Schwere der Störungen, die zur Unterbringung geführt hätten, keine grundsätzliche Änderung zu verzeichnen sei, eine psychotherapeutische Behandlung der organischen Persönlichkeitsstörung, der Demenz und Alkoholproblematik nicht möglich sei, eine Aufarbeitung der deliktischen Vorgeschichte einschließlich der Anlasstaten nicht habe erfolgen können und auch künftig nicht möglich sei und der Verurteilte zweifellos nur äußerst begrenzt lernfähig sei. Deshalb sei eine sich steigernde Belastung durch Bewährung in zunehmend höheren Freiheitsgraden beim Verurteilten nicht indiziert. Er bedürfe allerdings nicht mehr einer hoch gesicherten Unterbringung unter den Bedingungen des Maßregelvollzugs, da schwerwiegende normwidrige, unmittelbar gefährdende Verhaltensweisen in den letzten Jahren nicht aufgetreten seien. Es werde deshalb empfohlen, die bereits begonnenen Anstrengungen, den Probanden in eine Heimeinrichtung einzugliedern, fortzuführen. Ob eine derartig hoch spezialisierte Einrichtung gefunden werden könne, bleibe abzuwarten.

Auf der Grundlage dieses Gutachtens und der damaligen Stellungnahme der Klinikleitung ordnete die Kammer am 24. April 2020 die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, stellte jedoch eine erneute Anhörung des Untergebrachten nach sechs Monaten und dem (erneuten) Versuch, für den Betroffenen ein Probewohnen zu installieren, in Aussicht.

Ein am 18. Mai 2020 begonnenes Probewohnen in der Außenwohngruppe im Haus 5 musste bereits vier Tage später, am 22. Mai 2020, nach Alkoholrückfall des Untergebrachten, wieder beendet werden. Sowohl im Vorfeld des Probewohnens als auch in dessen Anschluss nahm der Betroffene nur unregelmäßig an der Sport- und Arbeitstherapie teil. Die Motivationsbereitschaft des Untergebrachten - auch bezüglich einer angestrebten Selbstversorgung – war nach Auffassung der behandelnden Ärzte nur eingeschränkt vorhanden, wobei er auch seine Medikation nur unregelmäßig genommen habe. Ein weiteres Probewohnen in der Außenwohngruppe der Klinik im Haus 16 ab dem 17. Juni 2020 musste nach knapp zwei Monaten, am 13. August 2020, ebenfalls wegen akuten Alkoholmissbrauchs beendet und der Untergebrachte in den geschlossenen Bereich des Maßregelvollzugs, auf Station F 2.2, zurückverlegt werden.

Die Klinik des Maßregelvollzuges hat bei dem Verurteilten eine organische Persönlichkeitsstörung bei Sarkoidose im Zustand nach Krypokokkose des Gehirns (ICD-10 F07.0), eine Sarkoidose mit pulmonaler Beteiligung (ICD-10 D86.0) sowie polyklonale Hypergammaglobulinanämie (ICD-10 D89.0) diagnostiziert. Nach Einschätzung der behandelnden Ärzte würde der Verurteilte im Rahmen der nur sporadischen Teilnahme an den Einzelgesprächen seinen Alkoholkonsum zwar hinterfragen, diesen allerdings nicht mit einer stabilen Abstinenzmotivation verknüpfen. Einen Zusammenhang zwischen Gefährlichkeit und Alkoholkonsum sehe er nicht. Prinzipiell sei das Verhalten des Verurteilten im geschützten Umkreis der Klinik zwar angepasst, aber insgesamt bestünde weiterhin ein erhebliches Risiko der Begehung von rechtswidrigen Taten. Insbesondere sei auch aufgrund seiner Alkoholneigung die Begehung von Beschaffungskriminalität nicht auszuschließen, wobei er die Vornahme krimineller Handlungen entsprechend den Anlasstaten auch als „Notbremse" sehe, um aus für ihn unangenehmen Situation (z.B. Geldknappheit) herauszukommen (gutachterliche Stellungnahme des Chefarztes des A… Fachklinikums Bra… vom 3. Dezember 2020).

Die Strafvollstreckungskammer hörte den Untergebrachten am 26. März 2021 im Landgericht Potsdam in Anwesenheit seiner Verteidigerin und des Oberarztes M… an. In der Anhörung beantragte die Verteidigerin des Untergebrachten die Einholung eines Sachverständigengutachtens, das zur Grundlage der Kammerentscheidung zu machen sei; das nach § 37 Abs. 4 Bbg PsychKG a.F. erstellte Gutachten des Sachverständigen Dr. L... vom 13. Juli 2019 sei nicht ausreichend.

Mit Beschluss ebenfalls vom 26. März 2021 ordnete die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam die Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten hob der Senat mit Beschluss vom 23. Juni 2021 (1 Ws 70/21) den angefochtenen Beschluss auf und wies die Sache zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurück. Unabhängig von der Frage einer positiven Legalprognose genüge der Beschluss des Landgerichts Potsdam nicht den Anforderungen an die erforderliche Verhältnismäßigkeitsprüfung. Dem angefochtenen Beschluss fehle es bereits an einer für die Abwägung zwischen den Sicherungsinteressen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers hinreichenden Konkretisierung der vom Beschwerdeführer künftig zu erwartenden rechtswidrigen Taten. Der Beschluss lasse weder die Art noch den Grad der Wahrscheinlichkeit dieser künftig zu erwartenden Straftaten erkennen. Die Strafvollstreckungskammer habe lediglich festgestellt, dass „ähnliche Gewalttaten wie den Anlasstaten zu befürchten wären“, ohne tatsächlich auszuführen, welche konkreten Taten und mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit die Verwirklichung dieser Straftaten drohe.

Das herangezogene Gutachten von Dr. L... erfülle nicht alle Anforderungen, die an eine Gefährlichkeitsprognose im Sinne von § 67d Abs. 6 S. 3, Abs. 3 S. 1 StGB zu stellen sind. Ein den Anforderungen des § 67d Abs. 6, S. 3, Abs. 3 S. 1 StGB entsprechendes Sachverständigengutachten müsse Ausführungen dazu enthalten, welche Rückfalldelinquenz mit welcher Frequenz zu erwarten ist. Ferner müsse es Darstellungen etwaiger Protektivfaktoren und die Darstellung der Risikofaktoren beinhalten und Ausführungen dazu, welche konkreten Umstände bzw. Auslöser zum Rückfall führen können.

3. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam beauftragte mit Beschluss vom 23. August 2021 den Sachverständigen Prof. Dr. K... mit der Erstellung eines forensisch-psychiatrischen Prognosegutachtens, das dieser unter dem 12. Dezember 2021 fertigstellte.

Der Sachverständige Prof. Dr. K... diagnostiziert in seinem Gutachten bei dem Untergebrachten eine hirnorganisch bedingte Persönlichkeitsstörung mit Antriebsverlust und kognitiven Störungen, eine Demenz aufgrund des hirnorganischen Krankheitsbildes mit Verringerung der intellektuellen Leistungsfähigkeit sowie einen rezidivierenden Alkoholmissbrauch. Die hirnorganische Grunderkrankung sei zum Stillstand gekommen, die hirnstrukturellen Veränderungen seien jedoch irreversibel.

Der Sachverständige hält die Begehung von erheblichen Straftaten durch den Probanden für sehr unwahrscheinlich, im Fall eines Rückfalles seien aufgrund mangelnder Achtung fremden Eigentums und erhöhten Leichtsinns Eigentumsdelikte zur unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung zu befürchten. Dem könne durch hinreichende Versorgung des Probanden und das Aufzeigen anderer Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung begegnet werden. Der Alkoholkonsum des Probanden sei für sich gesehen kein wesentlicher Risikofaktor für die Begehung von Straftaten. Die Anlasstaten seien im nüchternen Zustand begangen worden, während die zahlreichen – außerhalb des Maßregelvollzuges geschehenen - Alkoholrückfälle nicht zu einer Delinquenz des Probanden geführt hätten.

Der Proband könne seinen Alltag mit entsprechender Unterstützung durchaus adäquat gestalten, eine stationäre psychiatrische Behandlung sei nicht erforderlich. Der Entlassung in ein Wohnheim oder ein gut strukturiertes Betreutes Wohnen stehe die eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Probanden nicht entgegen.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam hörte den Untergebrachten am 01. Juli 2022 im Beisein seiner Verteidigerin, des Sachverständigen Prof. Dr. K... und des Oberarztes M... vom A… Fachklinikum mündlich an. Eine aktuelle Stellungnahme der Klinik lag nicht vor. Der Oberarzt M... führte aus, dass mit dem Untergebrachten vom 02. Mai bis zum 18. Mai 2022 ein Probewohnen in einer Wohnstätte der gemeindenahen Psychiatrie in Brandenburg an der Havel durchgeführt wurde. Aufgrund eines erneuten Alkoholrückfalls sei dieser Versuch allerdings wieder beendet worden. Dem Untergebrachten fehle jede Einsicht in eine Alkoholabstinenz. Es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er ohne engmaschige Strukturierung und Kontrolle kein straffreies Leben führen könne. Mit einem Trinkrückfall sei jederzeit zu rechnen. Es sei daher nicht auszuschließen, dass der Untergebrachte infolge des Alkoholkonsums oder daraus entstehender Probleme wieder ein Delikt begehe, wie er es nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug im Jahr 2009 begangen habe.

4. Mit Beschluss vom 26. September 2022 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus aus den Urteilen des Landgerichts Potsdam vom 8. Juli 2010 (23 KLs 5/17) und vom 15. November 2001 (23 KLs 10/01) für erledigt erklärt und die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Potsdam vom 8. Juli 2010 (23 KLs 5/17) zur Bewährung ausgesetzt.

Die Strafvollstreckungskammer hat die Dauer der eingetretenen Führungsaufsicht auf fünf Jahre und die Bewährungszeit ebenfalls auf fünf Jahre festgesetzt, den Verurteilten der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt und ihm die Weisung erteilt, einen festen Wohnsitz zu nehmen.

Gegen diese, der Staatsanwaltschaft Potsdam gemäß § 41 StPO am 26. September 2022 zugestellte Entscheidung richtet sich deren bei Gericht am 28. September 2022 angebrachte sofortige Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft ist der Auffassung, dass eine positive Legalprognose für den Verurteilten nicht zu begründen sei. Es bestehe weiterhin die konkrete Gefahr, dass der Untergebrachte erneut seiner Suchterkrankung erliegen könnte und dadurch sein Hemmungsvermögen herabgesetzt, er in alte Verhaltensweisen und die Begehung von Gewalttaten zurückfallen werde. Eine Ursächlichkeit des Alkoholkonsums für die Begehung erheblicher Straftaten könne nicht verneint werden. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung seien ebenfalls nicht gegeben. Das Landgericht habe keine Ausführungen zu einer positiven Sozialprognose getätigt, sondern seine Entscheidung allein auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gestützt.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg ist mit Stellungnahme vom 17. November 2022 der sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft Potsdam beigetreten. Für die Annahme einer positiven Legalprognose fehle es angesichts des sich wiederholenden Verhaltensmusters des Verurteilten an einer tragfähigen Grundlage. Entsprechend den unverändert geltenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. L... sei von einer Gefährlichkeit des Untergebrachten für die Allgemeinheit auszugehen.

Dem Verurteilten wurde über seine Verteidigerin Gelegenheit zur Stellungnahme zum Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gegeben.

II.

1. Die gegen die Anordnung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist gemäß §§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft und gemäß §§ 306, 311 Abs. 2 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden und somit zulässig.

2. Die sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

a) Die Voraussetzungen von § 67d Abs. 6 Satz 3 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 1 StGB liegen vor, die Vollstreckung der Maßregel war daher für erledigt zu erklären. Nach dieser Regelung hängt im Falle einer – wie hier – über zehn Jahre andauernden Unterbringung die Erledigung der Maßregel nicht davon ab, ob dem Untergebrachten eine günstige Prognose gestellt werden kann, sondern setzt umgekehrt für eine Fortdauerentscheidung eine festzustellende negative Prognose voraus, dass von dem Untergebrachten die Begehung erheblicher Straftaten, durch die die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwarten ist (vgl. z. B. OLG Braunschweig, Beschluss vom 28. Februar 2018, Az.: 1 Ws 260/17 – m. zahlr. w. Nachw.; zitiert nach juris). Eine solche negative Prognose ist dem Untergebrachten nicht zu stellen.

Nach der nachvollziehbar und überzeugend begründeten Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. K..., dessen Einschätzung sich der Senat nach eigener kritischer Prüfung anschließt, besteht kein hohes Risiko, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzuges schwere Straftaten begehen wird.

Der Sachverständige Prof. Dr. K... hat bei dem Untergebrachten einen psychopathologischen Zustand, der die Gefahr von erheblichen Straftaten nahelegt, nicht feststellen können. Solche psychopathologischen Zustände seien möglich bei krankhaften Ängsten, Wahnvorstellungen, bei primär gewaltsozialisierten Persönlichkeitsgestörten, die ihr Selbstwertgefühl schon früher immer wieder durch Gewalthandlungen stabilisiert haben, oder bei Personen mit einem starken devianten sexuellen Begehren, die dieses nicht unter Kontrolle haben. Diese unmittelbar kriminogenen psychopathologischen Zustandsbilder seien bei dem Untergebrachten eben nicht gegeben. Aus seinen hirnorganisch bedingten Defiziten (eingeschränkte kognitive Leistungsfähigkeit, Persönlichkeitseinengung, affektive Verarmung) ließen sich keine kriminellen Tatmotive ableiten. Der Untergebrachte verfüge durchaus – trotz seiner Einschränkungen – über moralische Grundwerte und lasse erkennen, dass er eine tatsächliche körperliche Schädigung anderer Menschen für inakzeptabel halten würde. Im Rahmen der zahlreichen Lockerungen sei es nie zu erheblichen Straftaten gekommen, es seien vielmehr überhaupt keine Straftaten bekanntgeworden.

Die Leistungsfähigkeit des Untergebrachten sei sowohl in Bezug auf Aufgabenerfüllung als auch hinsichtlich der Fähigkeiten zum Zusammenleben mit anderen nicht hochgradig gestört. Die Persönlichkeitsstörung des Untergebrachten führe insbesondere nicht zu ständigen sozialen Konflikten, die eine Neigung zu Straftaten hervorrufen würden. Ein entscheidender Mangel im Vorgutachten von Dr. L... liege darin, dass eine Überbewertung der hirnorganischen Diagnosen sowie eine Dramatisierung der kognitiven Einbußen und der Wesensveränderung vorgenommen worden sei. Maßgeblich sei nicht die Diagnose, sondern der Zustand, wie er sich in der Leistungsfähigkeit des Untergebrachten ausdrückt. Es gebe zudem keine biographischen Anhaltspunkte dafür, dass der Untergebrachte im Rauschzustand zu Straftaten neige. Es sei zwar wünschenswert, dass der Untergebrachte diesen Alkoholkonsum unterlässt, eine fortdauernde Gefährlichkeit oder gar eine Notwendigkeit zur stationären Maßregel lasse sich daraus jedoch nicht ableiten.

Die plausiblen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K... werden durch die Annahme des behandelnden Oberarztes M... des A… Fachklinikums Bra…, der Untergebrachte könne infolge des Alkoholkonsums oder daraus entstehender Probleme wieder ein Delikt begehen, wie er es nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug im Jahr 2009 begangen habe, nicht in Frage gestellt. Eine höhergradige Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Untergebrachte erhebliche Straftaten begeht, durch die die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, lässt sich dieser allgemeinen Befürchtung gerade nicht entnehmen.

b) Die Strafvollstreckungskammer hat die Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Potsdam vom 8. Juli 2010 (23 KLs 5/17) zu Recht zur Bewährung ausgesetzt.

Das Bundesverfassungsgericht hat in dem von der Strafvollstreckungskammer zitierten Beschluss vom 22.06.2012 – 2 BvR 22/12 – (NStZ-RR 2012, 385) der Sache nach Folgendes entschieden:
Wurden eine Freiheitsstrafe und eine freiheitsentziehende Maßregel nebeneinander angeordnet, so sei es geboten, sie einander so zuzuordnen, dass die Zwecke beider Maßnahmen möglichst weitgehend erreicht werden, ohne dass dabei mehr als notwendig oder unverhältnismäßig in das Freiheitsrecht des Betroffenen eingegriffen werde. Werde nach langandauerndem Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus die Maßregel für erledigt erklärt, so sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung des Restes der im gleichen Erkenntnis verhängten und durch Anrechnung (§ 67 Abs. 4 StGB) noch nicht verbüßten Freiheitsstrafe im Rahmen der Berücksichtigung der individuellen Lebensumstände des Verurteilten (§ 57 Abs. 1 Satz 2 StGB) zur Bewährung zu beachten. Je länger der Freiheitsentzug insgesamt dauere, umso strenger seien dabei die Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit.

Nach diesen Grundsätzen kam vorliegend nur eine Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung in Betracht.

Es ist zu berücksichtigen, dass bei einem lang andauernden Freiheitsentzug etwaige Zweifel an einer günstigen Kriminalprognose leichter überwunden und Risiken in Kauf genommen werden müssen, um damit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der gebotenen Weise Rechnung zu tragen (vgl. OLG Braunschweig, BeckRS 2017, 113255).

Bei der nach § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB gebotenen Berücksichtigung der individuellen Lebensverhältnisse des Verurteilten ist die Dauer einer Freiheitsentziehung als notwendige Bedingung des Maßregelvollzuges in den Blick zu nehmen, auch wenn sie gemäß § 67 Abs. 4 StGB auf zwei Drittel der Strafe angerechnet wird.

Die Unterbringung dauert hier bereits ein Mehrfaches der verhängten Freiheitsstrafe an. Der bislang erlittene Freiheitsentzug von über 12 Jahren ist mit Blick auf die vom Untergebrachten begangene Tat, für die eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt worden ist, und die im Falle einer Entlassung möglicherweise zu erwartenden Taten, die der einfachen bis allenfalls mittleren Kriminalität zuzuordnen sind, als unverhältnismäßig anzusehen.

Dies führt zu dem Ergebnis, dass die Restfreiheitsstrafe aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zur Bewährung auszusetzen ist.

3. Der angefochtene Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam vom 26. September 2022 war lediglich dahingehend zu ergänzen, dass die Weisung „festen Wohnsitz zu nehmen, sich amtlich zu melden und seine neue Anschrift und jeden weiteren Wohnsitzwechsel der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam innerhalb von 2 Wochen unter dem Az. 20 StVK 268/22 mitzuteilen“ dahingehend zu konkretisieren ist, dass die Wohnsitznahme zunächst bei seinen Eltern in …Bri…, U…weg … zu erfolgen hat und diese in die Wohnstätte für psychisch kranke Menschen der gemeindenahen Psychiatrie in …Bra…, M…straße 8, zu verlegen ist, sobald dort ein Betreuungsplatz für ihn zur Verfügung steht.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § § 473 Abs. 2 StPO.